Alfred Lang | ||
Vorlesungsskript 1998 | ||
Semiotische Oekologie | 1998.00 @SemEcoSyst @EmpAnth @PhiSci @EcoPersp | |
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2. Menschliche Kondition | © 1998 by Alfred Lang | |
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2. Menschliche Kondition
<-- Inhaltsüberblick ganze Vorleseung | <-- Kapitel 1 | -->Kapitel 3
2.1.1. The proper study of mankind is man2.1.2. Wissenschaften von der menschlichen Kondition
2.1.3. Neuorientierung (intuitiv aus literarischen Sichten)
2.1.4. Offen evolutive Welt vs. ideale, geplante, gezielte Welt
2.1.5. Menschen als normale Teile der Welt mit besonderen Möglichkeiten
2.2.1. Rolle der Reflexion in den Wissenschaften und über die Wissenschaften2.2.2. Vorgehensmodelle anhand der logischen Schlussweisen
2.2.3. Unser Ausssondern von Gebilden
2.2.4. Wirkungen von Gebilden aufeinander (vs. bzw. neben Wirkungen auf uns)
2.2.5. Vergleichen solcher Gebilde-Wirkungen-Zusammenhänge
2.2.6. Minimalisierung unseres Einflusses durch Vergleichsverfahren
2.2.7. Zur Terminologie
2.3.1. Keine menschliche Sonderstellung, doch besondere Potentiale der Darstellung (interne und externe Symbolisierungen als Teile der Welt)2.3.2. Erkenntnis als (antizipierte) Handlungswirkungen ("Pragmatismus" u. Verwandte)
2.3.3. Aufgenommene Handlungswirkungen (profferences promoted)
2.3.4. Realien und Nominalien
2.4.1. Systemprimat, asymmetrische Systemdifferenzierung2.4.2. Voraus-gesetzte Teile zusammenfügen geht nicht
2.4.3. Der ökologische Prozess besteht in Strukturbildungen, Strukturumbildungen und Strukturengebrauch
2.4.4. Einzelstrukturen als solche sind "wesenlos"; erst ihr Zusammenwirken zeigt ihr Potential
2.4.5. Methodologische Konsequenzen: analytisch differenzieren und in übergeordneten Zusammenhang einbauen
2.4.6. Die Grundfrage: Wie können wir die konstitutiven und die regulativen Prozesse von Ökosystemen und ihren unterscheidbaren Teilen begreifen?
Wenn ich von der menschlichen Kondition und von zu entwickelnden Wissenschaften von der menschlichen Kondition spreche, dann meine ich gleichzeitig Bedingungen wie Bedingtheiten: was Menschen bedingt und was Menschen bedingen. Es muss also darüber nachgedacht werden, wie man vorgehen kann und will, die menschliche Kondition dadurch auf Begriffe zu bringen, indem man ihre Voraussetzungen und ihr Wirkungspotential aufdeckt. Das erfordert zunächst Reflexionen über verschiedene Weisen des Vorgehen und über die Reichweite dessen, was man einbeziehen kann und will. Eine gewisse Kontrastierung mit dem gängigen Vorgehen in kritischer wie erhellender der Absicht lässt sich nicht umgehen.
Anthropologie ist ein Ausdruck, der mit verschiedenen Zusatzcharakterisierungen Disziplinen bezeichnet, welche etwas mit dem (Selbst-)Verständnis von Menschen zu tun haben. (Natürlich sollte das die relevanten Bedingungen in den menschlichen Umwelten einschliessen, müsste also im Unterschied zum traditionell normativen Ansatz eigentlich Wissenschaften bezeichnen, welche etwas mit dem ökologischen (Selbst-)Verständnis von Menschen zu tun haben. Die herkömmliche transzendentale "Umwelt" wäre mithin durch eine beobachtbare und erschliessbare und in mancher Hinsicht auch hergestellte und herstellbare reale Umwelt zu ersetzen.)
1.1. The proper study of mankind is man (Alexander Pope 1734)
1.1.1. Erwägungen anhand der universitären Strukturen: Fakultäten und Disziplinen (teilweise im der vorstehenden Einleitung, aber auf Bereiche wie Recht, Ökonomie, Biologie, Medizin und die Kulturwissenschaften auszuweiten)
(a) Eigentlich ist doch alles, was Menschen tun, von Menschen und für Menschen gemacht; und, ob gewollt oder nicht, folgenreich für Menschen.(b) Dem trägt die fakultäre und disziplinäre Ordnung der universitären Strukturen berhaupt nicht Rechnung. Kann man Menschen so zerteilen, wie es die Disziplinenseparierung tut? Wenn eine gewisse arbeitsteilige Spezialisierung unvermeidlich ist, müsste ihr dann nicht mit explizitesten Anstrengungen der Integration begegnet werden?
1.1.2 Allgemeine oder philosophische Anthropologie (meist ohne Zusatz) wird vom 16. Jh. an zum Thema, insofern der Begriff des Menschen nicht mehr ausreichend aus theologisch-offenbarungsbasierten Begründungen akzeptiert wird. Man braucht eine unabhängige Bestimmung vom Wesen des Menschen. Tatsächlich wirken aber die theologischen Bestimmung in Theorie und Praxis gewaltig nach.
Im (späteren) 18. Jh. werden mehr oder weniger a-theologische Versuche entwickelt (Locke, Leibniz, Hume, Ferguson, Rousseau, Bonnet, Diderot, LaMettrie, Condillac, Condorcet, Lessing, Herder, Goethe u.v.a.). Es wurde die Umwandlung der metaphysischen in "genetische Epistemologie" unternommen (Pross, Nachwort zu Herder Werke 2:1134). Also nicht die NATUR des menschlichen Geistes bestimmen zu wollen, sondern die Prinzipien seiner Funktionsweise aus seinem Werden zu ergründen wurde zur ersten Aufgabe der allgemeinen Anthropologie. Dies verstand sich auch als eine Vorbedingung des Verständnisses der Funktionsweise der Natur, weil ja der menschliche Verstand beim Erkennen von irgendetwas entscheidend beteiligt war. Denn, so Herder (~1804, Adrastea Fragment SWS 24:438) ) "ist überhaupt nicht alles, was wir sehen, ein unsichtbares Bild der Seele?"
Aber diese strategischen Vorschläge, das Erkenntnisproblem erfahrungsbezogen zu behandeln, bekommen keine Chance. Die "Natur" wird "objektiviert" und die Kultur und der Mensch werden als sekundäre Erscheinungen, als ihre "Sklaven" iSv Mitläufern, als Marionetten von universalen Gesetzen, als von der Natur gesteuerte Maschinen, betrachtet. Das wirkt bis in den Behaviorismus des 20. Jh. und weiter nach. Als Reaktion auf die jahrhundertelange Semi-Transzendentalisierung des Menschen ist das verständlich; es läuft aber seltsamerweise auf eine Ablösung des Gesetz Gottes durch ein umfassendes Gesetz der Natur hinaus, so dass das unrealistische Moment des alten Denkens über die Menschen bis heute erhalten bleiben konnte.
Anstatt die nicht vollständige Korrespondenz zwischen dem menschlichen "Geist" und der Welt als fruchtbar zur für die Veränderung beider zu verstehen, wurde sie bedauert und nach den Gründen und "gewissermassen" nach den Korekturformeln dieses "Fehlers" gesucht (zB Kants Schematismen oder Fechners Psychophysik). Damit wurde verpasst, was Psychologie hätte werden können: eine "strategisch" unentbehrliche Wissenschaft zur Analyse aller Arten von Erkenntnis und Handeln in und mit der Welt (Peter Gay hat den Gedanken von Psychologie als strategische Wissenschaft zur Analyse des Menschen eingeführt; Herder dürfte sie folgerichtiger anstelle der raditionellen Erkenntnistheore in einer Rolle für das Verständnis von allem gesehen haben; vgl. Pross im Nachwort zum Band II seiner Werkausgabe 1987:1180).
Erst wieder im mittleren 20. Jh entsteht ein neuer systematischer Impuls zu einer Anthropologie, freilich ohne den umfassenden Anspruch der Weltweisen des 18. Jh. und recht am Rande des philosophischen Geschehens: Max Scheler, Helmut Plessner, Arnold Gehlen. Die Ideen werden wohl empirisch zu wenig fundiert; es sind stark normative Ansätze. Darin ist wohl ihre begrenzte Wirksamkeit begründet. Die moderne Philosophie insgesamt hat aber die Anthropologie fast völlig ausgeblendet.
Plessner, Helmuth (1970) Philosophische Anthropologie. Frankfurt a.M.Plessner, Helmuth (1976) Die Frage nach der conditio humana -- Aufsätze zur philosophischen Anthropologie. Frankfurt a.M., Suhrkamp. (tb 361).
Gehlen, Arnold (1940/1993) Der Mensch -- seine Natur und seine Stellung in der Welt. Karl-Siegbert Rehberg (Ed.) 2 Bände Frankfurt a.M., Klostermann. 1020 Pp. (10.Aufl 1974).
1.1.3. Inzwischen war freilich auch biologische oder medizinische Anthropologie entstanden, im wesentlichen die Vermessung des menschlichen Körpers, der Individuen wie der Rassen etc. (Welch ein hybrider Anspruch jener Mediziner, die diese Bezeichnung vertragen und vertreten!)
Anthropologie im Sinne der Erforschung der kulturellen Besonderheiten (Ethnologie) erhielt in England die Bezeichnung social A. in USA cultural A., in Frankreich A. structurale.
Das sind nun ihrerseits zwar empirieorientierte Ansätze. Doch haben sie Mühe, zwischen medizinischen soziologischen und psychologischen Perspektiven eine brauchbare Vermittlung zu finden. Von der allzustarken Einengung durch die Beschäftigung mit exotischen Kulturen inzwischen befreit, sind das äusserst wichtige Ansätze geworden; bedürfen aber wohl der Ergänzung in Richtung Rolle der Individuen im sozio-kultuerellen System.
1.1.4. Allgemeine-empirische Anthropologie. Namenprobleme sind oft erstaunlich aufschlussreich. Vielleicht ist der Versuch, den guten Ausdruck aus seinen Einengungen zu lösen, untauglich. Aber eine Alternative zum Ausdruck "Psychologie" scheint oft unvermeidlich. Denn diese Stimme im Konzert der Wissenschaften ist heute falsch besetzt und wird falsch fortgeschrieben.
Äquivalent zur allgemein-empirischer Anthropologie sind denkbar: Humanökologie, Kulturökologie, Kulturpsychologie. Kulturpsychologie hat den Nachteil, dass sie wie eine weitere "Bindestrich-Psychologie" als zum Bestehenden hinzutretend gedeutet werden kann. Gemeint ist aber umgekehrt eine Unternehmung, welche das, was heute als "Psychologie" firmiert, zu einem Spezialfall einer umfassenderen Unternehmung zum Verständnis der menschlichen Kondition macht.
1.2. Wissenschaften von der menschlichen Kondition
1.2.1. Eine Formel, die ich für sehr bezeichnend halte. Sie fängt ein: das Werden, die Zusammenhänge mit Anderem, das Teil Sein von einem Umfassenderen, die Idee, dass eines zum andern führt.
The "human condition" is a phrase originating with Cicero and used time and again in the anthropological fields. It is used here as an index to the ensemble of entities pertaining to the human existence in its becoming over time and diversification over space, ranging from the biotic to the cultural, and understood as embedded in a larger cosmic, planetary, physical, biotic, mental, symbolic, and cultural world. It is to include humans and their natural and human-made environments (ecosystems) and pertains both to the individual persons and their respective social and cultural systems and their mutual relations. The term "condition" is to point to the preconditions that make human existence possible as it evolves as well as to humans themselves and their potential as an abiding condition for their own and other parts of the world's ongoing evolution. I believe we are urgently in need, in addition to the particularized extant disciplines, of an integrative science or group of sciences of the human condition, or, of an empirical anthropology in the comprehensive sense pointed out; neither psychology nor any of the other social or human sciences presently is capable of filling that void. (Aus dem Ms. von Lang 1997 (über Boesch)
1.2.2. Genealogie des Begriffs und seiner Bedeutungen von Cicero bis Hannah Arendt (Arendt, Hannah (1958) The human condition. Chicago, Chicago Univ. Press. (Dt. (1960) Vita activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart, Kohlhammer. Nachdrucke München, Piper. 375 pp.).(nur Hinweis).
1.2.3. Neuorientierung (intuitiv aus literarischen Sichten)
Ablösung der alten Ansätze mit den statisch-dualistischen metaphysischen Setzungen durch die evolutive Strukturenbildungs und -Auflösungsperspektive. Ich möchte zunächst mit einem intuitiven Zugang Möglichkeit und Wirklichkeit verschiedener Menschenbilder aufschliessen
(a) Die Abendländische Ideengeschichte ist zweifellos durch und durch geprägt durch das Christentum; in einer hellenisierten Überformung des hebräischen Ursprungs.(b) Versuch einer Illustration, anhand von Jack Miles (1996) God, a biography. Müchen, Hanser 1996 (Orig. 1995).
(c) Der "hellenische" und der "biblische" Dramentyp, zB Tragödie
Ödipus -- Schicksal vorgebildet
Ödipus, Sohn des Laios und der Iokaste in Theben. Dem Laios wurde im Orakel Tod duch Sohneshand prophezeit, weshalb er den Ö. mit durchstochenen Füssen aussetzen liess. Ö. wurde aber gefunden und vom König von Korinth an Sohnes statt angenommen. Um einem zweiten Orakel, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten, zu entgehen, verliess Ö. seine vermeintlche Heimat, Korinth. Auf seiner Wanderschaft erschlug er den ihm unbekannten Laios, seinen leiblichen Vater, im Streit und löste in Theben das Rätsel der Sphinx. (Die Sphynx, eine Tochter von Tychon und der Schlange Echnida, tötete jeden, der ihr Rätsel nicht lösen konnte: Es gibt auf der Erde ein Lebewesen, das seine Gestalt ändert und doch das gleiche bleibt: zweifüssig, vierfüssig und dreifüssig; am langsamsten ist es vierfüssig -- Ö.s Lösung: der Mensch als Säugling, Erwachsener und Greis am Stock). Da er Theben von dem Ungeheuer erlösen konnte, wurde Ö. zum König gemacht und heiratete Iokaste. Später wurde seine Identität durch Teiresias geklärt. Iokaste erhängte sich, Ö. stach sich beide Augen aus, verfluchte seine Söhne und irrte begleitet von seiner Tochter Antigone umher bis er geheimnisvoll entrückt wurde.
Hamlet -- dialogische Entwicklung, unvorhergesehen, unvorherzusehen
Ein heranwachsender Prinz muss zusehen, wie nach seines Vaters überraschendem Tod seine Mutter seinen Onkel heiratet und dieser König wird. Er ist wohl eigentlich der Thronerbe, aber unsicher, mit sich selbst beschäftigt und nicht in der Lage etwas zu tun. Da erscheint ihm sein Vater und trägt ihm auf, für Ordnung zu sorgen; aber das vergrössert nur seine Unsicherheit. In schrittweisen Einsichten auf persönlichen, ethischen, künstlerischen und politischen Ebenen, gefördert durch Ereignisse und Versuche von Stiefvater und Mutter, ihn loszuwerden, und durch verschiedene Erfahrungen mit Freunden, deren Loyalität oft reichlich wandelbar erscheint, wie auch einem eigenen, improvisierten oder wohl nicht sehr geschickt geplanten Rollenverwirrspiel und politisch-kriegerischer Einflussnahme von aussen gegen einen noch vom Vater abgeschlossenen Staatsvertrag, kommt es schliesslich zu einem totalen Gemetzel, in dem alle Protagonisten ausser dem fremden Fürsten einander gegenseitig umbringen.
Die Geschichte des dialogischen Werdens des hebräischen Gottes und seines ausgewählten Volkes (von Miles 1995 ausgehend)Die hebräische Bibel ist in literarhistorischer (nicht theologischer) Sicht wie schon für Herder mythische Geschichtsschreibung. Kann in Form eines Dialogs (eines dabei werdenden) Gottes mit seinem (dabei allerlei, auch krumme Wege gehenden) auserwählten Volk gelesen werden.(Miles liest in der Tanach-Reihenfolge der stufenweise von verschiedenen Autoren stammenden und später ediertenTexte, welche im Unterschied zur christlichen Tradition die rückwärtsblickenden Geschichtsbücher direkt von den vorausblickenden und -planenden Propheten fortsetzen lässt und erst am Schluss die Essenz des Ganzen in Sprüchen, Psalmen, Liedern, Predigten und in besonderen Texte wie Esther, Ruth, Hiob, Daniel etc. fasst.)
Diese Geschichte zeigt Gottes und des Volkes vielfaches Gelingen und Scheitern ihrer Plänre und nachfolgendes Revidieren ihrer psycho-sozio-kulturellen "Ausstattung" bis zur Stelle in der Geschichte, wo des Gottes Selbstbild oder Selbstdeklaration durch Hiobs so höfliche wie insistente Erfahrung gründlich widerlegt wird und Er in der Folge der hebräischenTexte nicht mehr persönlich, in den messianischen Text, jedoch in Form angeblichen seines Sohnes auftritt.
Der Gott dieser meistgelesenen Geschichte sucht offenbar in der Schaffung und Kultivation seines Volkes die ihm fehlende soziale und kulturelle Umwelt "herzustellen", ungeschickterweise auch durch Erziehungstricks und zur Durchführung befohlene Gewaltakte und durch grausame Sanktionen von Abweichungen von seinem Willen, so dass sein Plan zunehmend deutlicher scheitern wird (was seinerseits in die vom Neuen Testament zentral aufgenommene Sehnsucht nach Erlösung mündet).
Diese Entwicklung ist offensichtlich wie beim Hamlet nicht vorbestimmt, sondern dialogisch angelegt und damit exemplarisch für Kulturpsychologie im semiotisch-ökologischen Sinn. Das Scheitern wäre nicht notwendig; viele Stellen von (meist verpasster) Korrigierbarkeit von Fehlentwicklungen werden erkennbar.
Erst die (paulinisch u.a.) hellenisierte jüdische Tradition führt jene idealistische Orientierung auf das Weltende und das Himmelreich danach wirklich durch. Und die damit verbundenen Dualismen von irdisch und ewig, von Gut und Böse, von (hiesigem) Elend und (jenseitigem) Heil. Deren Säkularisierungen in philosophischen, wissenschaftlichen und politischen Weltanschauungen wie in der absolute Vernunft, dem Gesundheits-Heil der Medizin, den Ordnungsvorstellungen des Recht oder der notwendigen Geschichte im Marxismus u.v.a.m. bestimmen unsere gegenwärtigen Gesellschaften immer noch grundlegend.
Griechisches (Platonistisches) Weltbild: Timäus-Welt: eigentliche Wirklichkeit der Ideen von mathematischer Klarheit, phänomenale Welt als Schattenriss, Abklatsch.Die heutigen Wissenschaften (und vorweg schon die christlichen Religionsformen, mindesten bis zur Reformation, aber auch nachher noch) folgen im wesentlichen dem hellenistischen Modell, indem sie jene Instanz zu finden und zu charakterisieren versuchen, welche den Gang der Welt bestimmt. Die immer noch im Vollzug befindliche Ablösung dieser Instanz als "Person" durch ein abstrakteres Prinzip ist wohl bloss Oberfläche. Die Idee von Wahrheit, von Letztbegründung(smöglichkeit), die Verdrängung des Realen durch Ideelles u.v.a.m. zeigt auch noch die heutige Wissenschaft in ihrer platonistisch-idealisierenden Orientierung, auch wenn sie noch so viel angeblich reine Empirie betreibt. (vgl. dazu die Analyse der Rolle der Mathematik in den Wissenschaften von David Lindley, The end of physics. N.W., Basic Books, 1993)
Insofern übliche Wissenschaft das Ziel verfolgt, aus der Analyse des Vergangenen den Lauf des Künftigen vorherzusagen, folgt sie eigentlich dem Prinzip des Instinkts. Sie denk das Künftige als gleichbleinde Fortsetzung des Vergangenen. Sie nimmt damit den evolutiven Charaker der Welt nur in Teilen ernst, dh faktisch, sie denkt nur für ein Alibi evolutiv, um im ganzen einem linear auf seiner Bahn fortlaufenden oder einem zirkulären Weltbild der ewigen Wiederkehr des Gleichen zu huldigen. Im Ganzen ist moderne Wissenschaft als Erkenntnis anti- oder a-evolutiv. (Während sie selbst in ihrem Gebaren und die von ihr losgelassenen Techniken wildem Wettbewerb fast ohne äussere Kontrolle erliegen.)
Alternative (Heraklit; Herder): ein gründlich evolutives Weltbild: alles geht aus dem Bisherigen schrittweise hervor; folgt keinem Plan, hat keinen separaten Schöpfer, ist dialogisch in dem Sinn als alles aus Wechselwirkungen von Bisherigem emergiert und wirklich neu sein kann. (--> Kapitel Evolutionen)
1.2.4. Offen evolutive Welt vs. ideale, geplante, gezielte Welt
(a) Lässt sich dieses Beharren auf einem fixierten Weltbild verstehen?. Psychologisch oder sonstwie? Ich weiss es nicht. Hinweisen kann ich nur auf mögliche Bedingungen, beispielsweise das Erleben des eigenen Planens:- das stärkere Erleben des Planens, das einsetzt, wenn etwas nicht nach Erwartungen läuft; das schwächere Erleben dessen, wie die Dinge im wirklich laufen;ein stärkeres Erleben des wirklichen Laufs der Dinge würde im Regelfall unangenehme Diskrepanzen zur Planung aufzeigen; so ist denn auch im Rückblick in der Regel der Eindruck: das habe ich doch schon immer so gemeint (hindisght illusion)
- der Wunsch nach grösserer Sicherheit im Lauf der Dinge gibt dem Vorausentwurf -- ein Plan muss doch so sauber wie möglich sein -- mehr Gewicht als dem Erfahrenen, das sich oft nicht an den Plan hält.
- so liegt die Annahme einer planenden Instanz nach dem Modell des eigenen Erlebens nahe (Anthropozentrismus)
- die (raffinierte) Umkehrung dieser Erklärungs- und Sicherungsperspektive durch die "(Gottes-)Gelehrten": es ist ein Gott, der schuf die Menschen nach seinem Ebenbild; nicht umgekehrt, wie wir schon lange aus der offensichtlichen Diversität solcher Mythenerzählungen schliessen können
- die Generalisierung des "Gesetz Gottes" zunächst auf Gesetze für die Menschen, um solche Planungssicherheit auch kollektiv zu gewinnen (zunächst nur auf "Wir" zum Unterschied von den Andern generalisiert);
- in der Folge erweisen sich dann diese Gesetze für die Menschen doch wieder als unsicher und man weicht auf Gesetze (Gottes) für die Natur aus, die sich dann als Gesetze der Natur selbst erweisen (Astronomie, dann Physik und Chemie) und schliesslich statt als Vorschriften-Gesetze für Menschen als Gesetzmässigkeiten am Menschen dargestellt werden, welche am Menschen wissenschaftlich studiert werden können
(b) Dementgegen die Herakliteische Einsicht: du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen; weil der Fluss fliesst und weil du selber dich seit dem letzten Mal verändert hast
- Parmenides im Dilemma.
- Platons Angst vor der sozialen Unruhe; seine politische Strategie für Machtposition, wenn nicht als Regent, so doch als deren Berater? Wie vorher und nachher die Priester und ihresgleichen praktisch aller Kulturen der Welt.
- Die daraus resultierende idealistische Wissenschaftsidee mit der Mathematik als Vorbild für Ordnung schlechthin --> vgl. David Lindley (1993) The end of physics: Die These, die Physik hätte sich in weiten Teilen vom Realitätsbezug entfernt unter der Maxime, nur mathematisiert sei Verständnis der Welt Wissenschaft. Mathematisiert heisst aber idealisiert. Denn Mathematik ist ja nichts anderes als die Beobachtung des interaktiven Verhaltens von selbstdefinierten Symbolen.
- Es ist aber viel schwieriger, Mathematiken zu entwickeln und damit umzugehen, welche evolutive (Symbol-)Systeme beschreiben. Das Zahlenreich ist ja gerade nicht evolutiv sondern nur extrapolitiv aus gleichbleibenden Voraus-Setzungen. Grössere Chancen bieten dazu Computer-Emulationen. Evolutiv heisst, dass aus der Interaktion von Erreichtem jeweils Neues dergestalt hervorgeht, dass die Bedingungen des Hervorgehens von Neuem gewandelt sind, und so immer wieder von Neuem.
(c) Herder ist vor allem deswegen so interessant, weil er nach vielen Partialvorgängern erstmals das Evolutive umfassend völlig ernst nimmt und darauf setzt für ein realistisches Verständnis der Welt und damit besonders die eminent bedeutende Rolle der Menschen im Fortgang der Geschichte der Welt erkennt. Er ist der radikale Aufklärer, indem er öffentlich macht, was die Herschenden im Bund mit den Geistlichen so lange so geschickt hinter einem Schleier von Mythen und Gottesgesetzen zu verbergen wussten: nämlich dass viel zu exklusiv einige wenige Menschen die Geschicke der vielen Menschen leiten, obwohl eigentlich alle daran teilnehmen. Herder hat ein Jahrhundert vor Darwin als erster eine allgemeine Evolutionstheorie am Fall der Kulturevolution entwickelt.
- Timäus-Welt von Plato vs. Herders Humanitätsgedanke mit dem ersten Freigelassenen und Verantwortlichen.
(d) Menschen als normale Teile der Welt mit besonderen Möglichkeiten
Folgen für das Menschenbild -- oder ist das Menschenbild, das idealisierte oder das realistische, der Urprung, und das Weltbild dann entsprechend?
Der Entschluss, realistisch zu operieren, verlangt, dass man sich zuerst über sein Vorgehen zum Verständnis der Welt und seiner selbst Rechenschaft ablegt. Unreflektiert vorgehen heisst, den Vorurteilen und allfälligem Wunschdenken oder einfach irgendwelchen Setzungen verfallen. Ohne Garantie für Vermeidung anderer Vorurteile würde ich etwa eine nachfolgende Sicht zeichnen.
Es scheint, dass die traditionellen Vorstellungen, wie Wissenschaft gemacht werden könnte, nicht zuerst über die Ausgangslage oder das Vorgehen nachgedacht haben, sondern in erster Linie ein Zielvorstellung vorausgeworfen und dann Wissenschaft in deren Dienst gestellt haben. Hier einige Beispiele dafür:
1) Die Wünschbarkeit einer ewigen, idealen Ordnung bei der Mehrzahl der Griechen.2) Die Annahme oder Setzung eines anthropomorphen Ordners und Garanten der Ordnung (dem freilich die Wirklichkeit laufend widerspricht bzw. ihn in die Zwickmühle setzt, dass er zugleich Unordnung wollen muss oder überhaupt nicht so allmächtig ist oder sein kann, wie er tut, wenn er sich nicht selbst widerlegen will.
3) Der moderne (neuzeitliche) Fundierungsversuch von Wahrheit, Erkenntnis auf einer fixierten Instanz a priori, dem Ich, durch Descartes initiiert, oder der (abstrakten, individuellen oder kollektiven) Vernunft, durch Kant fortgesetzt, welcher in die merkwürdigen Dualismen von Geist und Materie, von Subjekt(en) und Objekten etc. mündete.
4) Die Letztbegründungsanstrengungen der Logiker, die Sätze, die selbst klar scheint, aber deren Bezug zu einer Wirklichkeit ausser ihnen selbst unklar ist, nicht bloss im System der Sätze sondern auch darüber hinaus als für wahr oder falsch beurteilbar ausgeben, und meinen, damit irgendetwas ausserhalb ihres Glasperlenspiels gewonnen zu haben.
5) Die vielen Wissenschaftler, welche meinen, was immer komplexe Systeme sie untersuchen, deren Erklärung könne durch Reduktion auf allgemeine Gesetze der Materie und der Energie geleistet werden, und dabei vergessen, dass das Besondere nie aus dem Allgemeinen allein erklärt werden kann ohne eine blosse Tautologie zu sein.
6) Die Positivisten, welche glauben, wenn sie ihnen gerade Aufgefallenes (von ihnen Ausgeschnittenes) gründlich untersuchten, hätten sie einen Mosaikstein zur wachsender Sicherheit (obwohl sie keinen Entwurf des Mosaiks kennen noch kennen wollen).
6) Die strikten Deterministen, welche eine nützlichen methodische Annahme oder eine Beschreibung des vergangenen Geschehens zu einer Wirklichkeitbedingung umgedeutet und auf alle Zukunft generalsieren wollen und sich damit selber Geschichtlichkeit, Evolution verschliessen.
2.1. Rolle der Reflexion in den Wissenschaften und über die Wissenschaften(war vielleicht einmal Philosophie)
2.1.1. Wenn wir gute Wissenschaftsphilosophie hätten, wären eine ganze Reihe von "Selbstverständlichkeiten", welche in den methodologischen Texten immer wieder abgeschrieben hätten, analysiert und aufgegeben.
Empfehlung für Lektüre wie:
- Peirce, Charles Sanders (1992) Reasoning and the logic of things -- the Cambridge conferences: lectures of 1898. Kenneth Laine Ketner (Ed.) Cambridge Mass., Harvard Univ. Press. 297 Pp.
- Lewin, Kurt (Ed.) (1911-1949 = 1981, 1983) Wissenschaftstheorie I + II. Alexandre Métraux (Ed.) Bern / Suttgart, Huber / Klett-Cotta. 400+531 Pp.
- Fleck, Ludwik (1935) Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache -- Einführung in die Lehre vom Denkstil und vom Denkkollektiv. Mit einer Einleitung hrsg. v. L. Schäfer u. T. Schnelle (Ed.) Frankfurt a.M., Suhrkamp. 190 Pp.
- Fleck, Ludwik (1983) Erfahrung und Tatsache -- gesammelte Aufsätze. Mit einer Einleitung hrsg. v. L. Schäfer u. T. Schnelle (Ed.) Frankfurt a.M., Suhrkamp. 195 Pp.
- Dewey, John (1938) LW 12: Logic: the theory of inquiry (1938). Jo Ann Boydston (Ed.) Carbondale, Ill., Southern Illinois University Press, 1991. 549 Pp.
- Dewey, John & Bentley, Arthur F. (1949) Knowing and the known. Boston, Beacon Press. 334 Pp. (Reprint (1975) Westport Ct., Greenwood; LW16:1-294)).
- Natürlich sind auch Kuhn 1958 und Popper 1934ff. Pflichtlektüre; aber beide scheinen mir ihre Kerneinsichten zu stark mit strategischen (Ausrede- und Reparaturstrategien) zu verstellen. Sie sind nicht die originalen Erfinder; und nicht die konsequenten Durchführer.
- Polany und Feyerabend sind da radikaler, P. sehr einsichtsvoll, F. möglicherweise überradikal (er scheint den Realzustand mit der Formel "anything goes" trefflich zu beschreiben; viele seiner Adepten scheinen sie als normative Empfehlung zu verstehen. Den schrittweise evolutiven Charakter von Wissenschaft ernstgenommen haben Lewin und Dewey.
2.1.2. Von der Philosophie ist manche Einsicht verfügbar. Aber leider herrscht auch dort wie in den Wissenschaften ein derart starker institutioneller Druck auf Spezialisierung; und daraus entsteht Zersplitterung, so dass genau solche Fragen massiv zu kurz kommen.
2.1.3. Nachem diese Möglichkeit einer reflexiven "Superdisziplin" überdies durch die schiere Menge der disziplinären Zersplitterung der Wissenschaften fast unmöglich geworden ist, bleibt nur ein Verfahren der Reflexion (im Grunde das eigentlich selbstverständliche, einzig menschenwürdige!), nämlich dialogische, "demokratische" Reflektion : die Wissenschaften reflektieren einander wechselseitig in kleinen Verbänden selber; genauer: auf dem Wege über die Beiträge anderer Wissenschaften zu partiell gemeinsamen Themen sich selber. Ich denke, dass nur so die oft unglaubliche Partialisierung des Verständnisses gewisser Lebensfelder auf verschiedene Disziplinen überwunden werden kann. Die Wissenschaften sind weitgehend zu Opfern ihrer Ausgangs-Setzungen geworden. Dh mit ihren Setzungen leiden sie oft an ähnlichen Zwängen wie die Kirchen, die von "offenbarten" Dogmen ausgehen und deren Kreis nicht oder nur um den Preis der Selbstaufgabe überschreiten können. Wissenschaft insgesamt ist damit Weltanschauung geworden; sie war ja ausgezogen, um mit kirchlicher und staatlicher Macht investierte Weltanschauung durch realistischen Verstand abzulösen. Auch die Nutzer oder Beobacher der verschiedenen Wissenschaften sind nun, leider noch kaum öffentlich diskutiert, in eine ähnliche Lage geraten wie die weltoffenen Gläubigen nach der Reformation, als der Streit der Denominationen, die so widersprüchlichen Auffassungen über angeblich denselben Sachverhalt die ganze Weise des Vorgehens, die Bewältigung der Lebens- und Gemeinschaftsaufgaben mit religiösen Mitteln, weitgehend in Frage stellte bzw. zu einer Sache von Loyalität machte.
2.2. Vorgehensmodelle anhand der logischen Schlussweisen
2.2.1. Nun dürfte sehr entscheidend sein, wie die überwiegend in Mythenform, in symbolischen Diskursen, entwickelten Weltanschauungen systematisiert werden. Wie "offenbarte" oder literarisch-künstlerische Darstellungen der Stellung der Menschen in der Welt in solche übergeführt werden, welche mehr "Hand und Fuss" haben als Maul. Wie sich orientieren, wenn man sich statt vor Gott über die Welt beugt? Für unsere Zwecke relevant beginnt das Nachenken über das Vorgehen im späteren Mittelalter (unter Rückbezug auf die Antike, wo es schon einmal geschehen ist).
2.2.2. Die Strategie der Vorläufer und die primäre Strategie der Gelehrten im Mittelalter und in Teilen bis heute war deduktiv; von etwas Sicherem ausgehen und alles andere daraus ableiten, in seiner Begründung darauf zurückführen. Der Ausgang von dem Beobachtbaren in seiner unendlichen Vielfalt wäre an sich die naheliegede Alternative, entfernter von den religiös-kirchlichen Vorgehensweisen; aber leider unendlich vielfältig und nicht schlüssig. Die Befangenheit in diesem Schema.
2.2.3. Deduktion allein
Alle Menschen sind sterblich; Sokrates ist ein Mensch; also ist Sokrates sterblich
Allgemeinsatz; Singulärurteil relativ zum Allgemeinsatz; Konklusion über das Subjekt des Singulärurteils relativ zum Allgemeinurteil (Modus Barbara).
Wie kann denn das Allgemeine beschaffen sein, aus dem alles Besondere abgeleitet werden können soll? Es müsste alles Besondere schon in sich enthalten. --> keine offen Evolution möglich.
2.2.4. Induktion allein
X ist ein Mensch und ist sterblich; Y auch; ... ; Z auch --> so sind wohl alle Menschen sterblich
Singulärurteile 1,2,3,...; kein Allgemeinsatz; dennoch Konklusion.
Aber für was alle(s) gilt das? Ich muss vorher Klassen haben mit scharfen Grenzen. Wie "natürlich" sind die? Können die sein in einer evolutiven Welt? Könnten nicht eines Tages einige Menschen unsterblich werden? Oder könnten eines Tages Wesen, welche in gewisser Hinsicht Menschen sind und in anderer Hinsicht nicht? Und was dann mit meinem "Gesetz"?
Welche Tatsachen soll ich unter den unendlich vielen auswählen, zu Kategorien bilden und meine Klassenkenntnisse zu generalisiseren versuchen? Bin ich nicht hoffnungslos überfordert?
Ich kann noch so viel Indizien sammeln und akkumulieren und darauf generalisieren; es kann aber immer morgen etwas auftauchen, was bisher nicht (auf mich) wirkte und meine ganzen schönen Generalisation umstürzen.
Das führte Popper (und andere wie Peirce, mit mehr Vorsicht, vorher) zur Falsifikationslogik --> D+I :
2.2.5. Deduktion + Induktion
Hypothesen frei erfunden; Empirie kann induktionslogisch nur zu Falsifikation ex negativo führen, niemals zu Verifikation einer Hypothese.
Wissenschaft wird beträchtlich beliebig! Wer garantiert, dass ich sinvolle Hypothesen erfinde? Warum denn grd diese da, die wir zu falsifizieren versuchen? Könnte es sein, dass wir über den gerade faszinierenden ("spannend"), obwohl belanglosen Hypothesen wichtigere Dinge übersehen?
2.2.6. Abduktion mit induktiven und deduktiven Differenzierungen
Peirce sah klarer, dass Hypothesenbildung nicht aus dem Nichts erfolgen kann. Sonst verfällt man Vorurteilen oder alten "Selbstverständlichkeiten". Die Alternative ist Abduktion. Nicht leicht zu erklären. Gute Darstellung von Peirces Ansatz bei Nagl (1992:107ff.) Peirce (Campus-Einführungen #1053)
a) von der Wahrnehmung und bis zum Urteilb) als Common Sense aus Wissen
gibt es Situationen, die mir neu sind und die ich zu bewältigen versuche, indem ich sie als einen varianten Fall von etwas nehme, mit dem ich vertrauter bin; anders gesagt: obwohl ich über den angemessenen Allgemeinsatz nicht verfüge, tue ich so, wie wenn die Konklusion als Singulärsatz richtig wäre, womit der Allgemeinsatz impliziert ist.
Anders gesagt: Abduktion ist jene durch stufenweise oder (fast) kontinuierlich aus Begegnungen der Sinne und des Gedächtnisses (Wissen, Fühlen) mit Weltteilen emergierende "Voraus"auffassung von etwas, die mich leitet, wenn ich es genauer untersuchen will. (Noch besser dargestellt bei Oehler (1993:123ff.) Peirce (Beck'sche Reihe Denker #523)
Etwas konkreter: aus einem oder einigen Situationen, in denen ich mich finde, mache ich eine Annahme, die Verhältnisse seien so und so; dann schaue ich Einzelne solche Situationen an und wenn ich sie konsistent finde, wenn ich ihnen unter jenen vermuteten abduzierten (retroduktiven) Gesichtspunkten besser gerecht werde als ohne, so versuche ich mich auf diese neue Überzeugung zu verlassen.
2.2.7 Die Wissenschaften untersuchen Konzeptionen, nicht vorgegebene Fakten. Es ist ein Beitrag der Konzeptionierenden mit drin. Anders geht es nicht. (Verweis auf Kants Lösung des Problems, die Vernunftausstattung der Menschen (allein der Menschen) bestehe allgemein aus 12 Grundformen (Substanz, Negation, Relation, Causation, Möglichkeit etc.)
Demnach ist Positivismus Irreführung, egal ob er auf das materiell oder auf das phänomenal unmitelbar Gegebene setzt und damit diese angeblich sicheren Zusammenhänge zwischen Sachverhalt und Sachverständnis verleugnet. Die Grundlagen abduktiven Vorgehens sind ökologisch und evolutiv.
ökologisch: die Erkennenden tragen bei, aber nicht in der Weise wie es etwa Kant wünschte, duch notwendige Formen der Anschauung und der Vernunft, sondern durch erfahrungsgestütze Ahnungen, vorläufige Generalisierungen, Einsichten von der Art: wenn ich dieses oder jenes Modell denke, so passen diese so verschiedenartig scheinenden Sachverhalten zusammen und ich verstünde sie besser, wenn ich mich von dem Modell leiten liesse, bis mir weitere Erfahrungen ein besseres aufdrängen.
evolutiv: das ist natürlich nur vorläufig und revidierbar; aber das beste, was ich jeweils derzeit benutzen kann. Ich kann nicht umhin mein Handeln auf Überzeugungen abzustellen, die etwas weiter reichen als meine momentanten Interessen; sonst ist das Risiko, bald in Tinte zu schwimmen einfach zu gross. Also Vorsicht und fortwährend Revisionen im Auge behalten, sensibel bleiben für Beobachten des Geländes neben meinen Geleisen!
2.3. Unser Aussondern von Gebilden
Der erste Schritt zum Bilden einer Konzeption ist das Aussondern einer Sache aus dem Sachverhalt. Perzeptiv ist das als Figurbildung bekannt, kognitiv als Begriff; emotiv als Interesse für etwas (im Unterschied zu etwas anderem). Man hat immer wieder von den natürlichen Einheiten der Welt gesprochen. Aber worin bestehen sie? Auch wenn solche unabhängig davon, wie ich sie fasse, bestehen und wirken mögen, wenn ich sie fasse, greife ich sie mehr oder weniger angemessen aus ihrem eigenen Kontext heraus. Wäre dies nicht so, so müsste ich, der Heraussondernde, Herausschneidende, Herausgreifende, mit dem realen Kontext meiner Sache identisch sein und könnte also nicht mehr Heraussondern.
2.3.1. Die entscheidende Frage dürfte also in den Konzeptionen liegen, die ich wähle, um mich mit ihnen zu beschäftigen.
2.3.2. Die zweite Frage ist, wie ich erreiche, mein unvermeidliches Heraussondern, meinen Beitrag zur Konzeption der Sache nicht so anzulegen, dass er die Konzeption fast zur Gänze bestimmt. Wie kann ich meinen Beitrag in seiner Wirkung auf die Konzeption zwar nicht ausschalten, aber dergetalt minimalisieren, dass die Setzung von apriorischen Annahmen vermieden werden kann, jedenfalls deren Wirkung neutralisiert werden kann, wenn sie als solche schon unvermeidlich sind. Der rudimentäre Fall von Abduktion ist Figurbildung: eine indizierenden Leistung: darauf kommt es wohl an. Damit kann die Untersuchung beginnen. Aber zum Gefangenen solcher initialer Figurbildungen darf ich mich nicht machen; denn jede Figurbildung schliesst ja andere aus, wie die Kippfiguren so schön demonstrieren, und in jedem komplexen Gebilde sind viele Figurbildungen möglich, wie Metzgers 9-Punkte-Modell demonstriert. Ohr, Auge, Nase, Hand sind genial im Aussondern von Gestalten; sie sind in seltsamer Kombination idealistisch und realistisch. Ohne die Verinfachungen der meisten Gestaltbildung wären die Verarbeitungssystem der Welt nicht gewachsen; müssten die Welt verdoppeln anstatt auf den jeweiligen Punkt bringen. Ohne ihren Realitätssinn wären wir lebensuntauglich. Beides zusammen heisst aber eben, dass wir uns auf die Gestalt-Aussonderungen nur vorläufig verlassen dürfen, sie sind so leistungsfähig wie irreführend. Nähere Untersuchung wird einen Satz von Figurbildungen und mögliche Figurbildungen feststellen, welche in die Konzeption eingehen und schrittweise gefasst werden müssen.
2.3.3. To discern, not to dissect:
Figur-Grund-Prinzip als unglaublich mächtiges, wohl in allen sinnesbegabten Wesen völlig unentbehrliches Prinzip. Es wird im begrifflichen Bereich im Gefolge der Sprache noch einmal potenziert; denn jedenfalls die indoeuropäischen Sprachen haben diese "selbständigen" Substanz-Begriffe entwickelt, denen man fast beliebige Relationen anzuhängen in die Lage gesetzt wird.
Das Figurprinzip wurde von den Wahrnehmungspsychlogen um 1920 (Rubin, Berliner Gestaltpsychologen) erkannt und demonstriert; in seiner Bedeutung völlig verkannt, meist eher als Kuriosität, steht zwar in den Lehrbüchern (Rubin-Becher-Gesichter). Es dürfte eigentlich einer der grundlegendsten Beiträge zum Verständnis von Mensch und Welt sein, den die Psychologen bisher gemacht haben.
2.3.4. not to dissect
Sonst bin ich im Geleise, um das Lichtenbergsche Bild aufzunehmen; das Gelände nebenan kann aber enthalten, was das Geleis nicht nur ins Abseits laufen lassen kann, sondern überhaupt erst trägt.
2.4. Wirkungen von Gebilden aufeinander (vs. oder neben Wirkungen auf uns)
2.4.1.Mir scheint entscheiden, dass wir generell bei jeder Forschung, kritisch natürlich bei dieer Bildung der Einstiegskonzeption des interessierenden Ausgangssachverhalts, sehr klar zwischen der Wirkung aus dem Sachverhaltsbereich auf uns Beobachter und den Wirkungen von Teilen des Sachverhalts aufeinander bzw. den Wirkungen aus dem Sachverhalt auf seine Umgebung und aus der Umgebung auf den Sachverhalt unterscheiden. Die Wirkungen auf uns sind unentbehrlich
1. Dieselbe Problematik des Verhältnisses oder Beitrags des Erkennenden zum Erkannten lässt sich auch positiver, nicht als Vermeidungsaufgabe von Fehlern, sondern (a) als Vorgehensempfehlung und (b) als Grundbegrifflichkeit einer anderen Verursachungsvorstellung ausdrücken. Hier ein paar Kerngedanken zu (a); (b) meint den wissenschaftstheoretischen und methodologischen Gehalt der semiotischen Ökologie üerhaupt.
2.4.5. Vergleichen solcher Gebilde-Wirkungen-Zusammenhänge
2.4.6. Minimalisierung unseres Einflusses durch Vergleichsverfahren
2.4.7. Zur Terminologie
1. Erkenntnistheorie -- wie ist Erkenntnis überhaupt möglich, begründbar, sicherbar?
In einer evolutiven Welt, von der die Erkennenden ein Teil sind keine sinnvolle Frage. Die Fragestellung setzt die künstliche Separierung von Erkenntnissubjekt und Objekten voraus und übersieht nicht nur die Teilhaftigkeit der Erkennenden, sondern verkennt auch den evolutiven Charaker von beidem.Carl Stumpf 1848-1936 hat vermutlich versucht, die Subjekt-Objekt-Opposition durch eine Teil-Ganzes-Relation abzulösen.
2. Wissenschaftstheorie -- wie soll Wissenschaft vorgehen?
Abzulösen durch die Frage: wie geht Wissenschaft tatsächlich vor und was hat das, im Vergleich zu anderen Vorgehensweisen, für Folgen?Also die Selbtreflexion von Wissenschaft. Sie kann nicht delegiert werden. Anstatt bloss neue eigene, wiederum der Isolation geweihte Disziplinen dafür einrichten wäre es klüger, transaktionale Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaften zu fördern, die an gleichen, verwandten, ähnlichen, bereichsüberdeckenen Problemen arbeiten.
Wissenschaftsgeschichte ist angesichts der Kulturalität der Wissenschaften ein wichtiges Mittel. Sie darf nicht zu Mythenpflege verkommen, muss von Angehörigen und aussenstehenden Historikern gemeinsam gepflegt werden.
Empirische Wissenschaftslehre muss alle Horizonte des Forschungs- und Nutzungsgeschehens durchdringen, von den umfassendsten Reflexionen des Sinns von Wissenschaft im Vergleich zu anderen Formen des regulierten in der Welt Bestehens bis zu den kleinsten Entscheidungen im Forschungs- und Anbietungs- und Verwendungsprozesses. Hier nur Vogelschau für Groborientierung; mehr in Rückblich und Aussicht.
3. Methodologie --
4. Methodik
5. Methode
6. Verfahren
7. Weitergabe
8. Rückkoppelung
Während sich einigermassen vernünftig eine alte normative Wissenschaftstheorie oder -philosophie (philosophy of science ist immer noch der geläufige englische Ausdruck) in eine neue empirische Wissenschaftslehre (bevorzugter Ausdruck von Lewin seit 1922) oder reflexive allgemeine Methodologie überführen lässt (das ist seit Jahrzehnten einigermassem im Gang), so dürfte es klüger sein, freilich anscheinend noch lange unmöglich, die alte Idee von Erkenntnistheorie zu verabschieden. Denn sie enthält eine Reihe von Setzungen, die sich als ebenso überflüssig wie fruchtbar im Erzeugen von Scheinproblemen erweisen wie irgendein Projekt der Arbeitsbeschaffung.
2.3.1 Keine menschliche Sonderstellung, doch besondere Potentiale der Darstellung (interne und externe Symbolisierungen als Teile der Welt)
a) Das Problem der Rechtfertigung von Erkenntnis und der Versuch des Nachweises von der Möglichkeit einer spezifischen Rechtfertigung entsteht nur dadurch, dass man Menschen für etwas dem Rest der Welt Gegenübergestelltes und und in besonderer Weise für Erkenntnis Ausgestattetes ausgibt oder hält.
b) Aber natürlich steht jedes Tier in einer gleichartigen Lage, insofern es den Wirkungen seiner Umgebung nicht einfach gänzlich ausgeliefert ist, sondern einige solcher Wirkungen antizipieren und ihnen auf eigene Weise vorbeugen, begegnen, sie benutzen, sie zu seinen Gunsten umwenden etc. etc. kann. Das setzt dreierlei Kompetenzen voraus; jedes Instinktausgestattete Tier verfügt selbstverständlich darüber:
- differenzierte Sinnessysteme, welche die Differenzierung und kategoriale Identifizierung von relevanten Umgebungssituationen ermöglichen- differenzierte motorische und humorale Exekutivsysteme, welche mit "Programmen" -- eventuell situationssensiblen Differenzierungsverfahren angereichert -- ausgestattet sind, die erlauben, in den identifizierten Situationen sinngemäss und zumindest im Regelfall dieser Situation mit günstigen Wirkungen für das Tier zu agieren
- interne Verarbeitungssysteme, welche zu geringerem oder grösseren Ausmass ermöglichen, diese Verbindung zwischen einer Lage des Tieres zum Ausgangszeitpunkt und ihrem funktionale Übergang in eine Folgelage einigen weiteren Rahmenbedingungen anzupassen
c) Es darf nicht eine Frage mit apriorisch gesetzter "Antwort" sein, sondern muss, will man der menschlichen Lage in der Welt realistsch gerecht werden, eine empirische Frage sein, ob und in welcher Weise für Menschen über die eben geschilderte rezeptive, vermittelnde und agierende Einbindung in ihre Umwelt hinaus noch weitere Möglichkeiten der "Erkenntnis" und des Wirkens n die Welt bestehen. Die Frage wird sich umformen lassen in eine erfahrungsbegründbare Alternative: sind die menschlichen Umweltbezugsverfahren graduell oder prinzipiell verschieden von denjenigen von komplexeren Tieren. Diese Frage wiederum bedingt eine Klärung dessen, was mit "prinzipiell" gemeint sein könnte. Meine Antwort lautet: graduell mit qualitativen Stufen. Die inneren und äusseren Symbolisierungsformen lassen beim Menschen eine wesentlich höhere Kombinationsfähigkeit erkennen als bei jedem bekannten Tier. Die semiotische Ökologie erlaubt eine differenzierte Darststellung und Beurteilung dieser Stufenfolge und lässt erkennen dass kein Anlass besteht, die Kontinuitätsannahme in Frage zu stellen. Die besonderen Möglichkeiten, die beim Menschen eine bedeutende Rolle spielen und im Erleben so stark dominieren, dass sie den Blick auf die basalen Möglichkeiten beinahe verstellen, werde ich unter der Bezeichnung Sekundärsysteme behandeln
2.3.2 Erkenntnis als (antizipierte) Handlungswirkungen ("Pragmatismus" u. Verwandte)
1. Gewebe von recht varianten Denkweisen mit einem gemeinsamen Kern
Peirce, James, Dewey, Mead
Nietzsche, Simmel
Bergson, Durckheim
Bain, Baldwin
Lewis, Quine, Putnam, Davidson; Rorty
etc. etc.
und natürich, im nachhinein erst gesehen: Herder & Co.
2. Kerngedanke (?) des Pragmati(zi)smus: die Reparatur (to fix) von in Zweifel geratenen Überzeugungen durch symbolisierende und experimentierende Verfahren der Rekonstruktion und Bewertung der möglichen, wahrscheinlichen, erwünschten, problematischen etc. Varianten des evolutiven Geschehens einschliesslich der Rekonstruktion und Bewertung des möglichen eigenen und gemenschaftlichen Anteils am Zustandekommen dieses oder jenes Laufs der Verhältnisse.
3. Das gibt dem Verständnis der Menschen klar eine zumindest gleichwertige, wenn nicht noch bedeutendere Stellung gegenüber dem Weltverständnis. Erkenntnis wird so zum im eigentlichen Sinn zum Verständnis des Zusammenwirkens von Menschen und Welt. Jedenfalls strategisch ist das Verständnis des Menschen wichtiger als das Verständnis der restlichen Welt; ei n Fehlverständnis des Menschen dürfte auch zumindest partielles Fehlverständnis der Welt und grösste Schwierigkeit seiner Korrigierbarkeit nach sich ziehen, weil der Mensch dann in einer bestimmten Weise in die Welt eingegriffen hat.
Solche Wissenschaften haben wir eigentlich nicht.
Der Konflikt zwischen Herder und Kant bestand genau darin, dass der kritische Kant (nicht mehr so klar der nachkritische) behauptete, es gibt etwas, was Erkenntnis sicher macht, und das ist die Natur der menschlichen Vernunft. Herder entlarvte jede solche Instanz als eine menschliche Erfindung ("Luftgebilde") und zeigte, dass diese "Vernunft" nichts anderes sein kann als der jeweilige Symbolgebrauch, Sprachgebrauch etc. einer bestimmten kulturellen Gemeinschaft.
Die Entwicklung der Ideen folgte Kant, nicht Herder und führte voll in eine Sackgasse von 2 Jahrhunderten: Wo sitzt diese Vernunft und wie ist sie zu bestimmen?
nur im Menschen (!) -- das unrealistische, anthropozentrische Aufklärungsmenschenbild
in jedem Einzelmenschen, zB Fichte (Ich als zentrale Chiffre) --> Nietzsche, teilweise
in der Menschheit als Gattung, zB Hegel (Weltgeist als Chiffre) --> Marx etc., in materialistischer Reaktion
Psychologismus und Historismus demnach als (unerträgliche) Relativismen abgelehnt; das umfassende Wunschdenken nach Letztbegründungen und die Blindheit für die Welt, die in Entwickungen wie Individualismus, Kapitalismus, Sozialismus, Totalitarismus, Weltkriegen, Holokaust, Fortschrittsglaube u.v.a.m. zum Ausdruck gekommen ist.
Aber Psychologismus in einem weiteren Sinn der gewichtigen und veranwortlichen Rolle der "ersten Freigelassenen" und ihres einflussreichen Tuns auf diesem Planeten ist unvermeidlich. Anthropozentrismus hat demnach auch einen Doppelsinn: einen problematischen des alles unter menschlichen Sichtweisen und im Hinblick auf menschlichen Gewinn zu sehen, und einen erwünschten der Wahrnehmung der menschlichen Stellung und des menschlichen Potentials in der Welt und der Verantwortlichkeit die daraus für Menschen untereinander und für die übrige Welt erwächst.
4. Im angelsächsischen Bereich, welche den extremen Rationalismen der Deutschen und Franzosen nie so ganz gefolgt sind, ergibt sich trotz grossen Einflusses von Kant etc. eine Variante des Individualismus, welche vielleicht der besseren Balance zwischen Erkenntnis und Handeln entspringt: Utliitarimus (britische liberalistische Ökonomen: Jeremy Bentham, Adam Smith, James Mill, David Ricardo 1772-1823, Frederic Bastiat (1801-1850 franz.) John Stuart Mill, Herbert Spencer, Alexander Bain). Gegenüber der Prinzipiendominanz kontinentalen Denkens führt die pragmatische (Achtung: differenzieren von Pragmati(zi)smus!) früher zur Partikularisierung der Interessenpflege unter der Ägide von: gut ist was (mir) nützt; weil, was mir nützt (und anderen wenigsten nicht direkt schadet, kommt auf lange Sicht allen zu gut. Mit massiver Wechselwirkung und Stützung durch Vulgär-Darwinismus. Privatisierung des Nutzens und Sozialisierung der anonymisierten Nebenwirkungen, das zu fördern sich die modernen Staaten entschlossen haben; durch die sozialisitschen Reparaturversuche abgefedert und geradezu gerechtfertigt; durch die bloss numerisch verstandene Demokratie gefestigt und kaum mehr überwindbar.
2.3.3. Aufgenommene Handlungswirkungen (profferences promoted)
1. Unter den Pragmatisten lässt sich eine gewisse (nicht systematische) Progression beobachten in der Gewichtung der eingehenden und der intern vermittelnden Seite des In-der-Welt-Seins zur ausgehenden Seite und dem Folgegeschehen. Für Peirce ist der Pragmatismus eine Erkenntnistheorie; für Dewey ist er ein Verfahren, nämlich der Kultivation der Erfahrung oder des Transaktionsgeschehens zwischen Menscen und ihrer Umgebung. Dabei kommen die philosophische und psychologische Durchdringung des Geschehens in eine ausgeglichenere Balance mit den Erprobungs- und Durchführungspraktiken zB in der Pädagogik oder im politischen Geschehen der Demokratie.
2. Schon mehr als ein Jahrhundert vorher hatte Herder mit bewundernswerter Klarheit verstanden, dass der kulturevolutive Prozess überhaupt nicht in irgendwelchen Einsichten von Erkennenden seinen Schlüssel hat, welche wichtige Rolle immer die internen Symbolisierungen dabei spielen. Aber all dies und auch noch so viele externe Symbolisierungen in Form von wissenschaftlichen oder anderen Büchern oder Reden bleiben belanglos, wenn sie nicht im sozialen Verband vn andern aufgenommen und weitergepflegt und weiterverbreitet werden. Und Weitervebreitung heisst natürlich wiederum Aufnahme und Weitergabe durch andere, ob mit oder ohne Modifikation. Zuviel Modifikation gibt einem kulturellen Moment weniger Chancen, zu wenig lässt sie als "tote Gedanken" (Musil) oder petrifizierte Rituale belanglos.
3. Damit lässt sich beanspruchen, das Erkenntnisproblem möge
aus seiner Einsperrung in besondere Symbolwelten (Erleben, Sprache, Mathematik, Emulation etc.) befreit werden, wie immer solche Verfahren als Zwischenstufen fruchtbar sein mögen aus seiner Einsperrung in eine oder zwei besondere Phasen des Funktionskreises befreit werden, weil noch sie viel in den Köpfen oder in den Büchern sein könne: solange es nicht sich in Handlungwirkungen in der realen Welt bewähre, sei Vorstufe mit dem Risiko von Irrtum
aus der Dichotomie zwischen Wahrheit und Falschheit befreit werden; denn in einer evolutiven Welt könne morgen falsch, was heute richtig sein
2.3.4. Realien und Nominalien
1. Die Fokussierung oder das Gebanntsein durch die Idee einer durch und durch gesetzlichen Welt und der Möglichkeit der Extrapolation aus der Vergangenheit in die Zukunft ist in der abendländischen Ideen- und Wissenschaftsgeschichte von unglaublich starker Wirkung. (Wissenschaft operiert erstaunlicherweise wie Instinkte: durch Bildung von Strukturen aufgrund der Erfahrung in der Vergangenheit wird die Bewältigung des Künftigen erwartet. Das ist elegant und effizient, solange sich der Lauf der Dinge nicht ändert. Für Vieles mag das gelten und ich bin mit guten Gründen bereit , mich darauf zu verlassen.
2. _____________
3. Wirklich ist was wirkt oder wirken kann auf eine Weise, die von unserer Konzeption davon unabhängig wirkt.
Peirce: independent of my or yours or any man's conception
[Frage eines eigenen Kapitels]
Angesichts der fundamentalen Bedeutung des ökologischen Aspekts wäre ein eigenes Kapitel darüber zu erwarten. Anderseits dürfte kein Aspekt der semiotischen Ökologie anders als in ökologischer Perspektive behandelbar sein. Denn Evolution ist nur möglich unter ökologischen Bedingungen. Dh alle Strukturen müssen unter Strukturen existieren, die mehrheitlich mit ihnen zusammen evoluiert sind, die sie also "kennen" können und auf die sie immer wieder treffen können. Also muss sich das Ökologische durch alle thematischen Bereiche durchziehen. Dies jedenfalls unter der Vorausssetzung, dass die menschliche Kondition auf Lebensvorgängen auf diesem Planeten besteht und mithin die kosmischen, planetaren und mineralischen Ebenen vorausgesetzt werden müssen. Obwohl die Kontinuitätsannahme auch "vor" oder "unter" diese Ebenen reichen müsste, setze ich mir diese Grenze, um meine Aufgabe einigermassen bewältigbar zu halten. Mein Semiosebegriff freilich sollte weiterreichen. Denn triadische Bezüge entstehen nicht aus dyadischen. Vielmehr halte ich die Peircesche Einsicht, dass alles Evolutive aus Prozessen triadischen Charakter bestimmt sein muss und deshalb jedes dyadische oder deterministische Gesetz eine Verfestigung oder Verengung eines Spektrums von möglichen Vorgängen zu einem einzigen impliziert.
Aber im vorliegenden Zusammenhang gilt die Beschränkung und durch pervasive Rolle des Ökologischen. Es ist also die Rede von Systemen, die in Lebewesen und ihre Umwelt gegliedert sind. Artifaktisch-kulturelle Systeme (zB computergesteuerte Anlagen) sind insofern eingeschlossen, als sie auf auf Lebewesen basieren und eine analoge Asymmetrie aufweisen müssen, wenn sie evolutive sind.
So steht in diesem allgemein methodologisch-reflektiven Kapitel die methodologische Seite des ökologschen Denkens im Vordergrund.
2.4.1. Systemprimat, asymmetrische Systemdifferenzierung
1. Nicht aktiv und passiv; das ist nur unser Sprachgebrauch
andere als die indoeuropäischen Sprachen haben idR nicht diese starke Separierung und Entgegensetzung von Substantiellem als Subjekt und Objekt einerseits und den aktiven oder passiven, transitiven oder intransitiven Verben anderseits. Die meisten Allgemeinausdrücke (Menschen, Kinder, Brote, Wald etc.) sind zugleich substantivisch und verbal und werden erst aus dem Kontext in Hinsicht auf tun und leiden klar; oder sie haben zumindest eine verbale Komponente. Die Grundstruktur des Sprechens (und teilweise Denkens) ist dann nicht: A ist oder tut oder leidet B, sondern: A und B sind Aspekte eines Gemeinsamen, partizipieren an etwas was beide ausmacht.
2. Asymmetrie ist genereller
2.4.2. Voraus-gesetzte Teile zusammenfügen geht nicht
1. Beispiel für die (relativ) isolierende Betrachtungsweise
2. Zitat aus Oerter (1998) Transaktionalismus ??
Meine Paraphrase:
[1] Ecosystems. Individual subjects and their environment(s) as collections of objects (in a wide sense) together constitute ecological systems, in particular the human ecosystem integrating people and culture.
[2] Action. Action as the specifically human form of behavior is the crucial explanatory concept; it integrates the individual and the environment into a functioning whole. Action is what subjects do to the environment; action also has effects back onto the subject.
3. Die "gemeinsame" Genese
4. What is at stake?
Wir Betrachter "schneiden" aus: was denn?
Wir Betrachter bestimmen die wesentlichen Merkmale oder Eigenschaften: wie denn? Indem wir sie auf unser wirken lassen? Indem wir sie durch unsere Filter passieren lassen? -- Das kann doch das Wesen dieser Dinge, selbsts wenn sie sinnvoll ausgeschnitten werden, nicht fassen
Wir müssen sie in all jenen Systemen wirken lassen und sie dabei beobachten, in welchen sie tatsächliche wirken (können!)
In allen? Wohl unmöglich, ein unabschliessbarer Prozess. Aber sensibel sein für viele Kontexte
Uns dabei leiten lassen, von dem was wir beobachten können zu weiterem Möglichen. Ohne Möglichkeitssinn ist Forschung Unsinn.
Das Gesammelte sind Darstellungen der Wirkungen von den ausgesonderten Gebilden auf anderen, ihnen (möglicherweise) zugeordnete Gebilde
Wir gehen, zusätzlich zu der des Aussondereres, in die Rolle des Registrierers der Wirkungen
--> Vergleich als Basis, nicht Feststellungen, dividiert, abstrahiert von den Wirkungen auf uns.
2.4.3. Der ökologische Prozess besteht in Strukturbildungen, Strukturumbildungen und Strukturengebrauch
1. Konstitution
2. Modifikation
3. Aktualisation
4. Dissipation
4. Einzelstrukturen als solche sind "wesenlos"; erst ihr Zusammenwirken zeigt ihr Potential
1. Gegen Essentialismus: etwas allein ist nichts
2. Gegen Substanz und Akzidentien
3. Peirce's Katgorien
Erstheit
Zweitheit
Drittheit
2.4.5. Methodologische Konsequenzen: analytisch differenzieren und in übergeordneten Zusammenhang einbauen
2.4.6. Die Grundfrage: Wie können wir die konstitutiven und die regulativen Prozesse von Ökosystemen und ihren unterscheidbaren Teilen begreifen?
Ich möchte mich bei den geduldigen Leserinnen und Lesern dieses Kapitels, die bis hier gekommen sind, ernstlich entschuldigen: der Stoff ist mir jetzt über den Kopf gewachsen. Das Skript ist nicht nur in Teilen noch nicht fertig, sondern in Teilen auch nicht gut genug. Halten Sie sich zunächst halt an diese oder jene Einzeilheit und die Einsicht, dass am Methodologischen auf mehreren Ebenen sehr viel liegt. Vielleicht kann ich den Gehalt, der hoffentlich überall durchscheint, später "bändigen". Falls ich zu einer Revision komme, werde ich im Inhaltsverzeichnis einen Vermerk anbringen. AL 98.04.05
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