Alfred Lang | ||
Edited Book Chapter 1997 | ||
Denkmäler als Steine zum Anstossen - zur Entwicklung sozio-kultureller Systeme | 1997.02 | |
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Pp. 57-77 in: Volker Hoffmann (Ed.) Denkmalpflege heute. Bern, Peter Lang, 1997. Beitrag zum Kongress "Denkmalpflege heute", Bern, 1993 | © 1998 by Alfred Lang | |
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1. Kunstwerke und Baudenkmäler2. Eigengesetzlichkeit der Dinge mit Menschen
3. Objektive und subjektive oder die semiotive Welt
Kulturdenkmäler sind Objekte unserer Sorge. Im doppelten Sinn: wir sorgen für ihre Erhaltung und wir sind in Sorge um etwas, was wir mit ihrer Hilfe zu erhalten suchen: etwa die Kontinuität gemeinschaftlicher Existenz über die Zeit.
Weil damit sehr viel auf dem Spiel steht, wird die Frage dringlich, ob Denkmalpflege ausreichende Grundlagen und Bewertungskriterien hat, um in einer weniger freundlichen Welt als der Konjunktur der vergangenen Jahrzehnte zu bestehen. Sehr viele Leistungen der Denkmalpflege verdienen Hochachtung. Dennoch sind sie kontrovers. Das scheint angesichts konkreter Interessenkonflikte und finanzieller Erwägungen in jedem Einzelfall verständlich. Denn Denkmal-Objekte sind naheliegende Brennpunkte unserer Erhaltungs- und Zerstörungswünsche. Es könnte sich dahinter aber auch etwas Grundsätzlicheres verbergen.
Als Umwelt- und Kulturpsychologe, der sich mit dem Verhältnis zwischen Menschen und ihrer gebauten und gestalteten Umwelt allgemein befasst, möchte ich vorschlagen, das Denkmal weniger als ein Objekt unserer Verfügung, sondern vielmehr als einen wesentlichen Bestandteil des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses zu begreifen.
1. Kunstwerke und Baudenkmäler
Wenn im folgenden kurz vom "Denkmal" die Rede ist, so sind zur Hauptsache ortsfeste gebaute und gestaltete Werke von besonderem, oft umstrittenem Wert gemeint. Dabei denke ich eher an Gebäude und Ensembles als an Gedenkstätten, also an Werke, welche in bestimmter Weise Raum strukturieren und über das Anschauen und Reflektieren hinaus zu irgendeiner Verwendung durch Menschen bestimmt sind. Während Generationen schien sich die Pflege von "Kunstdenkmälern" überwiegend aus künstlerischen Bewertungen zu rechtfertigen. Heute kann oft auch schon die historische Zeugenschaft von "Kulturdenkmälern" ihre Erhaltung ausreichend begründen. Das zeigt sich unter anderem an der Tendenz, gelegentlich Werke der jüngsten Vergangenheit unter Schutz zu stellen.
Was will aber ein Architekt, der sich des Urheberrechts oder des Denkmalschutzes bedienen möchte, um die Veränderung seines Werkes zu verhindern, das er für andere und deren Zwecke entworfen hat? Tut Denkmalpflege recht oder ist es ein Missverständnis, wenn sie ihn darin unterstützt? Ist der Sinn des Bauwerks nicht sein Gebrauch? Und ist der sinnvolle Gebrauch eines Bauwerks nicht seine Veränderung? Wenn der Architekt sich "verewigen" will, hätte er dann nicht besser als Künstler eine Skulptur gemacht? Eine Skulptur, ein Kunstwerk verweigert sich dem Gebrauch, steht der Kultur des Verbrauchs entgegen.
Diese zwei Weisen, Vergangenheit auf Zukunft zu beziehen, scheinen nicht selten vermischt zu werden. Ein Bauwerk führt in die Zukunft; es stabilisiert den sozialen Fluss durch seine relative Beständigkeit und geht zögerlich mit oder wirft sich gelegentlich kühn voraus; in dialektisch-evolutivem Verhältnis mit dem Sozialsystem, in dem und für das es existiert. Ein Kunstwerk widersteht der Zukunft, indem es eine bestimmte Phase von Entwicklung verkörpert, ja verfestigt; es fordert Zukunft heraus, indem es dazu auffordert, ein Gleiches neu und anders zu machen; es muss aber selber stehen bleiben. Das Kunstwerk zeugt innovative Reihen; das Bauwerk geht in Metamorphosen durch die Zeit.
So muss man Kunstwerke wohl, wenn ihre Zeit vorüber ist, gründlich archivieren und manchmal ersatzlos wegwerfen; natürlich weiss man nie, wann ihre Zeit wieder kommt. Bauwerke muss man hingegen verändern oder ersetzen. Versucht man sie einfach loszuwerden, so hinterlassen sie Lücken, die auf eine neue Weise umso mächtiger wirken, wie etwa der Berner Christoffeltum (vgl. Abbildungen) oder das Berliner Stadtschloss.
Mit der Zunahme der Bestände werden unsere Gesellschaften vermehrt lernen müssen, Bau- und Kunstwerke, jedes auf seine Weise, nicht nur zu pflegen, sondern sie auch anständig hinter uns zu lassen. Sonst tun es andere unbedacht und wahllos; das kann man schon fast täglich erfahren.
Denn ein Denkmal drängt sich der Allgemeinheit auf, das Kunstwerk kann man aufsuchen. Es mag die Bauwerke geben, die in erster Linie Kunstwerke sind. Und es mag Bauherren geben, die Kunstwerke wollen. Aber ob ein pluralistisch-demokratischer Staat als ein Bauherr von gültigen Kunstbauwerken auftreten kann, bezweifle ich, aus Prinzip und von Erfahrung bestätigt. Wahrscheinlich sind wir da in diesem eigenartigen Dilemma zwischen "für Einige" oder "für die Allgemeinheit" gefangen. Manchmal kann ich mich des Eindrucks schwer erwehren, unser Umgang mit Denkmälern hätte etwas aus der Feudalzeit oder dem Absolutismus ins Heute gerettet.
Wenn nun das Kunstwerk den subjektiv bestimmten Umgang geradezu sucht, so muss (oder darf) dasselbe für Bauwerke nicht gelten. Aber das Bauwerk bedingt oder fordert ebensowenig einen objektiven Umgang. Das Denkmal, das wir aus seiner Vergangenheit in eine Zukunft retten, wird uns denken und anders handeln machen. Das kann es nicht gut, wenn es uns blos ein Objekt bleibt. Denn mit Objekten gehen wir um, wie wir wollen, insoweit es die Naturgesetze zulassen. Denkmäler als objektive Zeugen ihrer Ursprungszeit zu verstehen, legt sie fest und verfehlt gerade ihre Möglichkeiten.
2. Eigengesetzlichkeit der Dinge mit Menschen
Günther Anders erzählt in der Antiquiertheit des Menschen eine "Kindergeschichte". Er sagt nicht, woher er sie übernommen oder ob er sie selber erfunden hat (1956, Bd.I, S.97):
Da es dem König aber wenig gefiel, dass sein Sohn, die kontrollierten Strassen verlassend, sich querfeldein herumtrieb, um sich selbst ein Urteil über die Welt zu bilden, schenkte er ihm Wagen und Pferd. "Nun brauchst du nicht mehr zu Fuss zu gehen", waren seine Worte. "Nun darfst du es nicht mehr", war deren Sinn. "Nun kannst du es nicht mehr", deren Wirkung.
Pferd und Wagen der Kindergeschichte, so scheint mir, haben den Charakter eines Denkmals. Ein Kunstwerk hätte der Prinz wegstellen können. Statt Wagen und Pferd hätte der König dem Prinzen auch einen Palast, einen Garten oder eine Stadt schenken können. Auch damit hätte er den Prinzen in seine Welt eingebunden und ebenfalls noch mehr bewirkt, als er bedachte. Was uns Erben eines Denkmals stets auch befällt: diese Dinge können nach ihren eigenen Gesetzen wirken. Unterscheiden wir also mit der Schärfe von Anders' Kinderblick:
* den erklärten Zweck -- was der König verkündet hat;* den heimlichen Sinn (das ists manchmal der angebliche Sinn) -- was der König gedacht und gewollt hat (oder geglaubt hat, zu wollen);
* die wirkliche Wirkung -- was das Geschenk bedeutet, genauer: was es für Folgen zeitigt.
Das genial-ruinöse Bestandteil fürstlicher Erziehungspraxis und Staatskunst scheint mir ein exemplarisches Denk-Mal-Stück. Genial, weil es über des Königs Absichten hinaus so folgenreich wirkt; ruinös, weil es den Prinzen wohl definitiv in seine Rolle zwingt.
Aus einem Managementrick und einem Mittel zum Zweck ist dann freilich mit der Zeit ein Objekt fürs Museum geworden. Vielleicht ein Glied aus der Entwicklung von Transporttechnik, vielleicht ein Zeuge eines Zeitstils: verstaubt, beschriftet, möglicherweise interessiert betrachtet, günstigenfall künstlerisch bewundert und wissenschaftlich erwähnt.
Aber die Gegenstände der Denkmalpflege stehen normalerweise nicht im Museum. Im Rathaus ist Parlament, im Münster Konzert, das Altstadthaus wird zu Büro oder Wohnung. Der Zeitglockenturm versammelt Touristen, zeigt den Kreisel der Zeit und gliedert beständig die Stadt. Wie der umgelegte Christoffelturm auch, bloss etwas sicherer. Und mit Gerechtigkeits- und anderen Brunnen wird politisiert, indem man sie protestierend vom Sockel reisst (1986).
An Denkmäler muss man anstossen: sie stehen mitten in der Stadt oder hoch auf dem Berg. Nicht selten werden sie kreativ gewandelt: die Kirche zum Weinkeller, die Stadtmauer zum Bibliotheks-Raumteiler, die Altstadt zum Büro- und Boutiquenviertel, die Schokoladefabrik zur Universität. Es geht also um ihr Fortleben mit der Allgemeinheit, für die man ja ihre Pflege rechtfertigt. Und also auch um die Wirkungen, welche solche Stücke dann haben können.
So lauten meine Fragen: Was tun die zum Denkmal erkorenen Steine mit uns? Was für Stösse geben Denkmäler uns und unseren Nachfahren? Haben die Kulturdenkmäler vielleicht widersprüchliche -- öffentlich-bekundete, heimlich-gemeinte und wirklich-bewirkte -- Wirkungen? Sollten wir nicht solches zu ergründen suchen? Wer ist es, der ihnen was für einen Vorwand bekundet? Oder wer denkt sich, was mit ihnen zu erreichen sei? Und, vor allem, auf welche Weise kommen sie zu ihren Wirkungen? Zu was für Wirkungen?
Ich werde diese Fragen nicht beantworten können. Dazu fehlen mir vertiefte Kenntnisse der denkmalpflegerischen Arbeit. Im Dialog mit den Denkmalpflegern möchte ich aber vor allem mehr vom Dialog der Menschen mit den Bauwerken verstehen lernen. Ich habe auch keine sozialwissenschaftlichen Untersuchungen darüber gemacht. Das sinnvoll zu tun, würde sehr gründliche Analysen eines sehr weiten Feldes voraussetzen. Solche sind erst zu leisten. Heute fehlen noch, so scheint mir, geeignete Begriffe und Methoden dazu. Was ich hier anbiete, wird als Vorarbeiten zu einer solchen Analyse und Vorschläge zu einer geeigneten Begrifflichkeit angeboten. Ich werde eher zu sagen versuchen, wie ich an solche Fragen herangehe.
Bauwerke für heutige und künftige Menschen erhalten, so ist sich Denkmalpflege heute durchaus bewusst, kann weder Erhaltung, wie die Bauten einmal gewesen sind, nochAnpassung an die Menschen von heute heissen. Eher sollen sie in ihrer sich wandelnden Umgebung so erneuert werden, dass sie zugleich mitleben und dennoch auch "von einer anderen Welt" sind.
Demnach müssen wir wohl stärker als bisher ihre künftige Geschichte unserem Umgang mit Denkmälern zugrundelegen. Denn die Zukunft eines Denkmals, wenn wir sie sichern, ist sein unvermeidliches Fortwirken bei den künftigen Menschen und darin liegt die einzige denkbare Begründung seiner Restaurierung. Nur eben die Zukunft kennen wir ja nicht. Vielleicht kann die Zukunft des Denkmals als Möglichkeit unser Verständnis von Vergangenem und mithin unseren Umgang damit in der Gegenwart bestimmen.
So versuche ich, drei Weisen des Umgangs mit Dingen und Bauten zu unterscheiden, zwei vertraute und und neue.
3. Objektive und subjektive oder die semiotive Welt
Die Kindergeschichte von Günter Anders lässt mich leicht zeigen, was ich will: Da ist ein Wagen, ein Ding zum Anfassen mit Funktionen zum Einsetzen. Nun brauchst Du nicht mehr zu Fuss zu gehen, sagt der König. Der Wagen ersetzt das mühsamere Gehen. Überdies ist er vermutlich prächtig: er gehört sich und er vermehrt das Ansehen des Hauses, gibt dem Prinzen vom Prestige des Hauses, zeigt den Untertanen die Ordnung.
Das ist die erste unserer Arten, mit Dingen oder Häusern umzugehen: die objektivierende. Objekten schreiben wir Eigenschaften und Funktionen zu. Und sie sind uns verfügbar. Sie überdauern Zeiten oder vergehen. Die Häuser schützen vor unangenehmer Witterung oder bösen Menschen. Sie verschlingen und machen Geld. Sie bewahren unsere Dinge auf. Sie zeigen den andern, wer wir sind oder sein möchten. Sie seien schön oder hässlich, praktisch oder unpraktisch; und wohl noch ein paar mehr von solchen Funktionen.
Unsere zweite Art, die subjektivierende, beruht auf unseren Absichten und Zielen. Ich will, denkt der König, dass Du Dich wie ein anständiger Prinz aufführst. Wie erreiche ich das? Nun, indem ich die Dinge in meinen Dienst nehme und sie Dir und den andern aufdränge, aufzwinge. Machet Euch die Erde untertan, ist der Generalbefehl unserer Zivilisation. Dringen wir statt mit Waffen mit den Dingen in den Bereich der andern ein, lautet das Friedens- und Freiheitscredo der Aufgeklärten; solange es sie nicht an Leib und Leben schädigt, ist es zu ihrem Besten. Wir sind die Meister der Dinge in unserem Dienst und die Dinge sind unsere Diener. Die Maschinen ersetzen uns die Sklaven, die Häuser machen uns komfortableres Klima, die Strassen führen uns, wo's lang geht, die Uhren rufen uns zur Pflicht. Oder etwa nicht?
Wir bauen also nach unterschiedlichen Spezifikationen. Die besonderen Häuser für mancherlei Herrschaftsabsichten: Tempel und Kirchen, Lagerhäuser und Rathäuser; dann die Häuser mit denen wir auftrumpfen: die Paläste und Villen; und die Häuser mit denen wir Menschen direkt formen: die Arenen, Theater und Schulen, usw. Und schliesslich die Wohnhäuser, mit denen wir sie indirekt formen. Wenn wir die Wohnkästchen schön rechtwinklig in lineare Ordnungen bringen, gleichartig ungleich aufeinandertürmen oder schön zufällig in die Landschaft streuen, entlarvt sich zwar, wes' armen Geistes Kind wir sind; aber gekästelt werden die Menschen allemal. Und wir müssen bloss noch ausstreuen, das alles sei demokratisch und egalitär und gerecht und fortschrittlich.
Mit anderen Worten, unsere Allmachtsphantasien versuchen wir den Gegebenheiten aufzuprägen. Mit unglaublichem Erfolg, es ist nicht zu übersehen, haben wir die objektive Welt zu unseren subjektiven Gunsten verändert.
Aber etwas stimmt nicht, die Welt schlägt zurück. Wir haben unsere Lage in ihr wahrscheinlich falsch eingeschätzt. Das Klima macht nicht mit, die Lebenswelt erstickt, das Sozialsystem dreht durch, die Süchte nehmen zu, je mehr wir von allem haben.
... Things are in the saddle, and ride mankind.
So hat es der amerikanische Dichter Ralph Waldo Emerson schon um die Mitte des letzten Jahrhunderts treffend erfasst .[1]
Verstehen wir eigentlich das Verhältnis zwischen den Menschen und den von ihnen erzeugten Dingen? Denkmäler scheinen besonders geeignet als Beispiele zum Nachdenken und Neudenken. Sie greifen tief zurück in die Zeiten und wir wollen sie pflegen für eine lange Zukunft. Reiten wir sie -- und wer reitet? Oder reiten sie uns -- und wie kommen sie dazu?
Verbindet man mit den Ausdrücken subjektiv und objektiv den Umstand, dass objektive Urteile über irgendwelche Sachverhalte unabhängig von Personen gelten sollen oder gar die Sachverhalte selbst sich geltend machen, subjektive jedoch, zunächst jedenfalls, nur für bestimmte Personen, dann kommt man mit der Zukunft in Schwierigkeiten.
Gestehen die Denkmalpfleger ihre Subjektivität ein, so beanspruchen sie eine Stellvertreterrolle für Künftige, die den Heutigen einige Kopfschmerzen bereiten müsste; es sei denn, sie wären ruchlos oder naiv.
Reklamieren sie umgekehrt ihre Bewahrungsentscheidung als eine objektive, dann widersprechen sie jedoch tollkühn der Verfasstheit freier Gesellschaft. Überdies würden sie damit alle künftigen Urteile über ein Denkmal für zwingende, aus der Qualität der Objekte notwendig folgende Urteile halten, für Entscheidungen nach ewig gültigen Kriterien oder Gesetzen sozusagen. Das müssten sie dann freilich auch für die heutigen gelten lassen; und damit hätten sie, in einem grandiosen Willkürakt, die Welt vom Subjektiven befreit und zugleich sich selber widerlegt.
Als Ausweg nur scheint nur zu bleiben: man rechnet mit zwar divergierenden aber doch irgendwie kohärenten Entwicklungen in die Zukunft und will deshalb nicht darauf verzichten, das jetziges Handeln vom Wissenkönnen über künftiges Geschehen mitbestimmt sein zu lassen. Wie könnten man anders Planen und Handeln verantworten?
So könnte man sich an Charles S. Peirces pragmatizistischer Maxime orientieren, welche besagt: "...that a conception, that is, the rational purport of a word or other expression, lies exclusively in its conceivable bearing upon the conduct of life..." (1905 CP 5.412) [2]
Wittgenstein hat später, knapper aber weniger konkret gesagt, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch in der Sprache (in den Philosophiscen Untersuchungen I/43). Diese pragmatizistische oder perspektivische Denkweise gilt für alles Zeichenhafte. Sie lässt sich, so scheint mir, sehr direkt auf das Denkmal anwenden, da man es ja gerade im Hinblick auf sein "conceivable bearing upon the conduct of life" pflegt. Und Denkmäler sind gewiss ganz besonders mächtige Worte oder Zeichen.
Ich denke, wir brauchen in Verbesserung oder gar Ablösung unserer objektiven und unserer subjektiven Bestimmungsversuche der Welt, eine dritte Art, mit Dingen und Menschen umzugehen, mit Menschen und ihren Denkmälern, aber auch sonst mit allem und noch viel mehr. Ich nenne sie in Weiterführung von Peirces Semiotik die semiotive Sicht der Welt.
Leider sind wir gewohnt, den Begriff des Zeichens mit der Idee einer festen Zuordnung, einem Katalog oder Kode von Zeichen und Bedeutungen zu verbinden. Peirce begründete jene ganz andere Art von Zeichentheorie, welche die Deutung von Zeichenhaftem als die Produktion von neuen Zeichencharakteren versteht. In der pragmatizistischen Maxime bringt er zum Ausdruck, dass alle Dinge, denen wir Bedeutungen zuschreiben, als Entwicklungspotentiale begriffen werden können. Als die möglichen Wirkungen, welche diese Dinge auch in solchen Situationen entfalten könnten, welche wir noch gar nicht konkret kennen. Mögliche Wirkungen könnten wir uns aber vielleicht allgemein ausdenken. Genau das sei der Sinn reflektierten Handelns, insbesondere die Aufgabe von Wissenschaft.
Eine solche Semiotik ist nicht so sehr eine Bedeutungstheorie als eine allgemeine Verursachungs- oder Bedingungstheorie. Sie erklärt die uns geläufige Notwendigkeits- oder Zufälligkeitskausalität von elementaren Objekten, wie sie Naturwissenschaft suggeriert hat, zu einem Spezialfall. Allgemeiner ist der Fall von Entwicklung, also vom Zustandekommen von Neuem in Rücksicht auf das Alte, von Freiheit in Ordnung.
Eine solche Semiotik grenzt sich gegen eine geschlossene Logik vom ausgeschlossenen Dritten ab, findet es freilich ebensowenig ausreichend, reale Sachverhalte, die einander bedingen oder miterzeugen, auf etwas ganz anderes zurückzuführen. Zum Beispiel auf etwas "Geistiges", was ausserhalb dieser Sachverhalte selbst bestehe, sei es ein Noumenales oder Numinoses, sei es persönlich oder überpersönlich. Denn was ist, folgt aus dem Zusammenhang, in dem es geworden ist, und folgert sich aus seinen Möglichkeiten in anderen Zusammenhängen.
Als Psychologe möchte ich aus der tiefen Kluft hinaus, welche der Vollzug der kartesianischen Dualismen zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften in den letzten zwei Jahrhunderten aufgerissen hat. Ich ertrage nicht länger, dass Wissenschaften vom Menschen wie die Psychologie sich entsprechend zweigeteilt haben in akademische Quasi-Naturwissenschaft einerseits und schöngeistiges Reden und säkulare Seelsorgepraxis. anderseits. Auch schon eine oberflächliche Betrachtung der Kondition der Menschen kann zur Aufforderung werden, "Leib und Seele" oder Menschen in ihrer Umwelt und Kultur als ein Ganzes zu sehen und zusammen zu untersuchen. Und sind denn solche erhaltenswerten Bauwerke nicht ganz wesentliche Bestandteile unserer Lebenssysteme, also Teile des Leibes unserer gemeinsamen Seele?
Das Denkmal ist notwendig ein Materielles und ein Immaterielles, hat Tilman Breuer gesagt; und wir bewahren es wegen seines Immateriellen als Materielles (in diesem Band, S. XXX). Wir scheinen in der Praxis nicht selten das Verhältnis zwischen den beiden Aspekten zu verlieren. Liegt das daran, dass auch dieser Dualismus, parallel demjenigen vom Objektiven und vom Subjekt, uns verführt? Aber was ist denn dieses Immaterielle und wie können wir mit ihm umgehen, ausser in Form von Materiellem? Haben wir ausreichend bedacht, was wir mit dieser Zerlegung der Sachverhalte und mit der Zuweisung ihres Immateriellen an die tätigen Menschen und des Materiellen in den passiven Rest der Welt bewirken?
Die Semiotik von Charles Peirce ist in meinen Augen, 130 Jahre nach ihrer Inauguration, immer noch der meistversprechende Ansatz, diesen epochalen abendländischen Mythos aufzulösen. Ich versuche Peirce fortzuführen, indem ich seine Semiotik auf das ökologischen System Menschen in ihrer Kultur beziehe.
4. Skizze einer Semiotischen Ökologie
Die semiotische Ökologie möchte das Wechelspiel zwischen Menschen und ihrer natürlichen und kulturellen Umwelt neu begreifbar machen [3]. Es ist weder naturalistisch-materialistisch reduzierbar, noch erschöpft es sich in einem Sprachspiel. Sein entscheidender Charakter liegt im Werden fast aller Dinge durch Dialog. Solche Vorstellungen sind im 18. Jahrhundert, nach der aufklärenden Relativierung einer göttlichen Ordnung, durchaus schon gepflegt worden, beispielsweise von Johann Gottfried Herder. Sie wurden in den beiden Jahrhunderten seither erneut durch Vorstellungen absoluter Vernunft und gesetzmässiger Ordnung verdrängt.
Der Ansatz der evolutiven Semiotik ist sehr allgemein; aber vielleicht ist das gemeinsame Werden von Menschen und Menschengruppen in den Kulturen sein für uns unmittelbar wichtigster Fall. Ich versuche in knapper Weise, eine Idee davon in einer bildlichen Diskursform zu übermitteln.
Denken Sie sich zunächst frühe Hominiden vor 3 bis 5 Millionen Jahren. Diese relativ komplexen Lebewesen zeigen, wie die Mitglieder anderer komplexerer Arten auch, eine individuelle Lerngeschichte. Über ihre instinktgetragenen, in der Stammesgeschichte erworbenen Interaktionsweisen mit ihrer Umwelt hinaus akkumulieren und integrieren sie Essentielles aus ihren direkten Erfahrungen: zB über die Bekömmlichkeit und Schmackhaftigkeit dieser oder jener Nahrung, über Arten und Weisen, solche zu finden und ganz besonders über die Eigenheiten der andern in ihrem Sozialverband: sie machen und pflegen sich Spiel- und Kampfgenossen, Freunde und Feinde u.a.m. Ihr Handeln ist aus diesem erworbenen Schatz an Wissen und Können dann ähnlich, obgleich flexibler, bestimmt wie schon aus ihrer Instinktausstattung. Manches davon lässt sich besser als Modifikation von Instinkten verstehen denn als wirklich Neuartiges.
Das Ganze dessen, was ihr Verhalten steuert oder reguliert, sieht man am besten als ein dynamisches Gedächtnis. Mit plausiblen Gründen lokalisieren wir es in den Köpfen, in dem, was wir objektiv Gehirn oder Zentralnervensystem (ZNS) nennen. Subjektiv gesehen schreiben wir dieses Potential in etwas willkürlicher Grenzziehung der sogenannten Seele, dem Bewusstsein einschliesslich des Unbewussten oder dem "Geist" zu. Natürlich lässt sich der Geist strenggenommen nicht lokalisieren; wir schreiben ihn dennoch dem Lebewesen eher zu als seiner Umwelt. Ist es nicht eigentlich aktualisierbares Wissen über die Umwelt; und Können, wie man darin bestehen kann? Dann kann es nur in Verbindung mit einer solchen Umwelt entstanden sein und werden und wirken.
Wie geht dieses Sammeln und Verkörpern von Erfahrung vor sich? Bis heute weiss das niemand. Wir können uns lediglich ein sehr allgemeines Bild davon machen. Es muss damit zusammenhängen, was Wahrnehmen und Denken und Fühlen etc. im Zentralnervensystem hinterlassen und was daraus wird. Aber unsere biochemischen und neurophysiologischen Beschreibungsversuche sind äusserst oberflächlich, vergleichbar der Beschreibung einer Bibliothek nach dem Topographie der Gestelle und nach dem Flächenanteil und der Verteilung von schwarz auf den bedruckten Seiten und vielleicht, ob es in Antiqua, Fraktur oder andern Schriftbildern erscheint.
Seit der Antike haben wir für die Dualität von Weltteilen und ihrer Bedeutung eine mehr oder weniger explizite Theorie, die Zeichentheorie. Sie ist eine Theorie der zweifachen Wirklichkeit: von Behälter und Inhalt, von Anschein und Sinn. Wir untersuchen sogenannte Zeichen, d.h. materielle Erscheinungen in bestimmter Formung, z.B. eine Lautfolge, ein Schriftbild, ein Bildwerk, ein Denkmal; und die interessieren uns nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie etwas bedeuten sollen. Und wir machen Listen von solchen Zuordnungen von materiellen Zeichenträgern und ideellen Zeichenbedeutungen und finden und erstellen Regelsysteme darüber, wie wir die Zeichen in solche Anordnungen und Folgen bringen, dass wir und die andern ihnen jene Bedeutungen entnehmen können, die wir in sie hineinzustecken glauben.
So leuchtetes wohl auch ein, obwohl es zunächst ungewohnt scheint, wenn man sagt, was an Strukturen im ZNS aufgebaut werden, seien auch so etwas wie Zeichen. Es müssen jedenfalls irgendwelche Prozesse sein, die aus Molekülen mit Valenzen und Ladungen bestehen und in chemischen und elektrischen Vorgängen auf- und um- und ein- und abgebaut werden. Das Unangenehme dabei ist bloss, dass wir diese Zeichen, obwohl sie materiell manifest sind, in ihren Bedeutungen neuro- oder bio-wissenschaftlich nicht greifen können. Aber die Annahme, dass etwas Immaterielles wie Bedeutung in etwas Materielles wie neuronale Systeme ähnlich wie in Texte, Diagramme oder Algorithmen "gepackt" wird und wieder ausgepackt und zum Wirken gebracht werden kann, scheint auf diesem Hintergrund plausibel. Ähnlich wie Denkmäler eben, in die ihr Erbauer seinen Sinn gepackt hat, der sich später so oder anders auswirkt. Auch wenn im Hirn überwiegend banaler Alltag steckt.
Das Elend mit der geläufigen Zeichentheorie ist nun freilich, dass sie an den Dualismen festhält. Dass sie eine objektive Welt von Zeichenträgern einer subjektiven Welt von Zeichenbedeutungen gegenüberstellt und die Korrespondenz zwischen den beiden Welten mit der grössten Sehnsucht nach der prästabilierten Harmonie behandelt. Und da ja die inneren Zeichen, die Hirnstrukturen und Prozesse, durchaus auch materielle Gegebenheiten sein müssen, bleibt entweder der Geist, der Inhalt und der Sinn auf der Strecke oder man muss ihn "hinter" diesen Zeichen erneut postulieren und verliert sich so in einem unendlichen Regress. Eigentlich gilt aber für äussere wie für innere Zeichenstrukturen, dass sie ihre Bedeutung ausschliesslich, aber umso klarer in den Wirkungen zeigen, die sie in ihren gehörigen Kontexten entfalten.
Eine zweite Schwierigkeit: diese herkömmliche Zeichentheorie hat keine tragfähige Antwort auf die Frage, wie es zu den Zeichen mit ihren zwei Seiten überhaupt kommt. Einige werden für gewissermassen natürlich gehalten; sie sind uns artgemäss angeboren wie etwa das Erkennen der Artgenossen oder das Zuordnen von bestimmten Farberlebnissen zu gewissen Wellenlängen des Lichts. Andere müssen wir individuell lernen, etwa die Sprache und die Schrift, das Zuordnen von Farbwörtern wie rot oder blau zu jenen Erlebnissen oder von gewissen Bauweisen zu bestimmten Epochen, Regionen oder Stilen. Natürlich hängt von der Verlässlichkeit solcher Zuordnungen das Zusammenleben ganz wesentlich ab. Im angeborenen Fall, bei den Instinkten, ist es gesichert; im kulturellen Fall, weil an sich beliebig, ist es nicht selten heikel. Auf die Konventionen dazu müssen die Leute sich halt einigen, wenn nicht freiwillig, dann mit sanftem oder hartem Zwang. Sprachen, Kirchen, Rituale, Schulen, Medien, Training und v.a.m. darunter wohl auch Denkmäler, vom Kruzifix am Wegesrand bis zum Triumphbogen in der Stadtmitte oder dem Wolkenkratzer, sind Einrichtungen oder Versuche, die Menschen einer Kultur zu koordinieren und ihre Köpfe mit entsprechenden internen Zeichen zu bestücken.
Verändern Lebewesen über das natürlich Gegebene hinaus ihre Umwelt, so bedarf die Welt der Objekte einer gewissen Normierung, soll das Zusammenleben nicht zerfallen. Die objektive Welt ist also gar nicht so ewiggesetzlich ein für allemal festgelegt. Jedenfalls unsere Planetenoberfläche ist in den letzten paar Jahrhunderten bzw. Jahrzehnten erstaunlich massiv verändert worden, und zwar weder nach zeitlosen Gesetzen noch einfach zufällig. Die Zeichenbedeutungen in den Köpfen der Menschen und die Zeichenträger draussen, letztere zum Teil unter hektischer Beteiligung von Menschen, wuchern um die Wette. Die sie sammeln und inventarisieren wollen, rennen immer nur hinterher.
Einmal erfunden und dann vor einigen tausend Jahren in ihren potentiellen Wirkungen entdeckt, haben clevere Typen bald einmal herausgefunden, dass die andern mittels Herstellung einer Umwelt von Zeichen viel leichter zu lenken sind, als wenn man jeden einzeln von ihnen zu erziehen und zu indoktrinieren versucht. Mit Denkmälern eben unter anderem. Gegen Festlegungsversuche der subjektiven Welten auf dem direkten oder indirekten Weg durch allerlei Herrschsüchtige haben dann die Menschen die subjektive Freiheit erfunden. Derzeit wollen uns Herrschsüchtige mit Architektur, Stadtplanung, Verkehrssystemen, Medien und vor allem mit Industriegütern und der zugehörigen Werbung bedrängen. Unsere Innenstrukturen sind jetzt ziemlich voll davon und die meisten können sich ihnen kaum entziehen, sind wie süchtig danach. Jedenfalls in ihrem Handeln tagaus tagein ziemlich beherrscht davon:
... Die Dinge sitzen im Sattel und reiten uns.
Vielleicht entwickeln Sie aus dieser Skizze die Vorstellung einer Art Karrussell zwischen innen und aussen. Von einem mächtigen Kreiseln zwischen den Köpfen innen und den Dingen draussen unter ständigem Aufbau neuer Strukturen drinnen -- die Psyche -- und draussen -- die Dinge der sogenannten Zivilisation.
Ich weiss aber nicht, ob Sie, was da geschieht, materiell oder immateriell begreifen wollen oder können. Jedenfalls ist es mächtig wie der allerstärkste Geist; bloss sind wir zur Hauptsache eher die Objekte als die Subjekte davon. Und zugleich ist es materiell, weil ja alles viel Stoff und Energie umsetzt; bloss habe ich noch nie von einem Naturgesetz gehört, dem es gehorchen soll. Die Naturwissenschaftler lassen wohlweislich die Finger davon. Und die Sozialwissenschaftler, welche die Leute darüber befragen, die kann man doch wohl nur ernst nehmen, wenn man selber wie die Fragenden und die Befragten voll im Karrussel mitdreht.
Den Schwung hat das Karussell davon, dass Menschen diese Kultur- oder Zivilisationsdinge andauernd herstellen und brauchen und wegwerfen; und dass Menschen dann von ihnen eingefangen und erfüllt werden und dann wiederum dasselbe tun, in spiralenden Kreisen gefangen. Was da ausserhalb herumliegt und herumsurrt, Häuser, Autos, Kinderspielzeuge, Möblierungen, Computer, Sporteinrichtungen -- und natürlich Denkmäler -- kann nur deshalb funktionieren, weil die Menschen Abkömmlinge davon in ihren Köpfen tragen. Und neue solche Dinge und Vorgänge kommen nur deswegen zustande, weil diese damit ausstaffierten Menschen sie in den Köpfen um- und umdrehen und dann Varianten erfinden, entwerfen und bauen und neu wieder auf den Markt zwischen die Menschen werfen.
Aus einem solchen Bild lässt sich wohl einsehen, dass der Unterschied zwischen den im Drehen aufgebauten Innenstrukturen und den zivilisatorischen Aussenstrukturen nicht ein so tiefgreifender sei, wie es unser Menschenbild haben will. Sondern dass eben beide einen Zeichencharakter der produktiven Art aufweisen. Und wenn wir uns wirklich eine Vorstellung vom Funktionieren der Welt und uns selbst darin, jenes Karrussells eben, machen wollten, dann reiche unser inneres Denken und Fühlen ja nicht sehr weit, so unentbehrlich es auch sei. Dann müssten wir ohnehin externe Modelle entwickeln, Experimente machen mit allem, wovon wir die "conceivable bearings upon the conduct of life" verstehen wollten. Dazu brauche es natürlich eine Zeichenlogik anderer Art als von der Zuordnung von Zeichen und Bedeutung. Das müsse eine sein, welche Zeichenhaftes als etwas verstehe, welches in geeigneten Umständen weitere Zeichencharaktere generieren könne.
Und genau das tun natürlich menschliche Innensysteme und Kulturdinge, darunter auch Denkmäler. Bauwerke, welche in neuen menschlichen Zusammenhängen zu neuen werden, teilweise, weil sie die alten bleiben, teilweise, wenn sie erneuert werden.
Aber allgemein können wir sagen, dass diese Erfahrungsakkumulation und -intergration in einem Strukturbildungsprozess im ZNS besteht. Was wir sehen, hören, denken, fühlen, erwägen und tun, findet in irgendeinder Weise einen Niederschlag im ZNS derart, dass etwas davon später unter geeigneten Umständen wieder aktiv werden und unser Tun und Lassen mitbestimmen kann. Gedächtnis in Form von selbstorganisierenden Spuren des Geschehenes in einer aktiv-dynamischen Art und Weise. In jedem Individuum eine Aufbewahrung, ich glaube nicht dessen was geschieht, sondern von Spiegelungen eigener Art davon, welche dessen Weiterwirken auch in ganz anderen Zusammenhängen ermöglicht. Ein Aufbau- und Differenzierungsprozess von Innenstrukturen eigener Art eben.
Ich würde einfach aufhören wollen von den Innenstrukturen und den Aussenstrukturen zu sagen, die einen seien den andern vorgeordnet oder übergeordnet oder untergeordnet, in irgendeiner Weise. Das ganze ist ein evolutiv-dialogischer Prozess. Dessen Zukunft ist ungewiss. Zweifellos sehr interessant; aber auch ziemlich verrückt. Je nach Standpunkt und Übersicht.
Charles Peirce hat eigentlich seit 1867 im wesentlichen vorgeschlagen, die beschriebenen Dualismen aufzugeben und unser Bild vom Funktionieren der Welt einschliesslich uns selbst mit einer offeneren Logik zu verstehen versuchen, insofern sie eben eine sich entwickelnde Welt sei. Seltsamerweise haben "Weltweise" schon ein Jahrhundert vor Darwin, am umfassendsten Johann Gottfried Herder, ein evolutives Welt- und Menschenbild am Beispiel vom Werden und Vergehen von Menschen in ihrer Kultur herausgebildet, welches diese Entgegensetzung von "objektiv" und "subjektiv" radikal unterläuft.
In diesem Beitrag wird vorgeschlagen, den Umgang mit dem Denkmal von einem nicht-kartesianischen Menschenbild her zu verstehen. Die Menschen werden hier der Natur und Kultur nicht entgegensetzt, als ihre Opfer oder Herren, sondern als verschiedenartige aber gleichwertige Partner eines unentbehrlichen evolutiven Dialogs verstanden. Baudenkmäler sind besonders bedeutsame Glieder dieses Zusammenspiels.
Die Denkmäler aus ihrem Status als Objekte unserer Verfügbarkeit und als willfährige Instrumente willkürlicher Rekonstruktionen unserer Geschichte herauszuführen, dürfte früher oder später unvermeidbar werden. Denn Denkmalpflege speist sich heute überwiegend aus reaktiven Gefühlen, aus der wachsenden Angst vor dem Verlust der Kontinuität der menschlicher Kondition, aus der Sehnsucht nach einer heilen Identität.
Die Frage muss gestellt werden, ob die Denkmalpflege über Kriterien verfügt, welche bei resignierenden Gefühlen und schwindenden Mitteln auch noch Anerkennung finden können. Ob sie durch ihr in Zeit und Raum punktuelles Konservieren geschichtliche Kontinuität erhöht; oder ob sie, wie zeitgenössisches Bauen, auch zur Zersplitterung der menschlichen Lebenslage beiträgt. Ob Denkmäler Identität vermitteln können; oder ob sie nicht vielmehr durch ihre kontrastierende Existenz zu einer aktuellen Kultur Aspekte einer Vergangenheit in einen evolutiven Dialog einbringen, welcher auf mögliche Wirkungen in eine Zukunft hinein orientiert ist.
Antworten auf solche Fragen verlangen, den Zusammenhang zwischen Menschen und ihren Bauten gründlicher zu bedenken, als dies üblich gewesen ist im zu Ende gehenden Zeitalter des souveränen Subjekts, das sich alles leisten zu können glaubt, seinen Objekten alles zutrauen zu dürfen meint.
Dieser Beitrag skizziert die Grundzüge einer semiotischen Ökologie, anwendbar auf die dialogische Evolution von Menschen in ihrer gebauten und gestalteten Welt. Bauwerke entstehen aus dem Handeln von bestimmten Menschen in bestimmten Umständen. Ihre subjektive Auszeichnung als Denkmäler aus angeblich objektiven oder wenigstens allgemeingültigen oder wenigstens fast allgemein akzeptierten Kriterien erweist sich als problematisch, wenn man ihre künftigen möglichen Wirkungen mit anderen und auf andere Menschen in anderen Umständen mitbedenkt.
Eine semiotive Auffassung von Mensch-Kultur-Systemen zeigt Denkmäler und andere Dinge als Partner von menschlichen Gruppen in gemeinsamer Entwicklung. Für die Denkmalpflege ergeben sich Folgerungen in Richtung einer Verstärkung des Grundsatzes, dass die gepflegten Denkmäler ihre frühere Existenz im gegenwärtigen Sozialsystem auf zukunftsfähige Weise geltend machen sollen.
1. Kein Denkmal kann bloss ein objektiver Zeuge seiner Ursprungskultur sein; denn es wird auch ganz andere Wirkungen haben.
2. Dem Denkmal als Zeugnis muss man also zwei Fragen stellen: Zeuge wovon und Zeugnis wofür?
3. Das Denkmal unter der Glasglocke ist kein Denkmal, weil man nur an der Glasglocke anstossen kann.
4. Denn was immer potentiell ein Denkmal ist, entspringt einem einmaligen sozio-kulturellen System und kann nur in diesem und dessen unmittelbaren Fortentwicklungen seine angelegte Rolle spielen.
5. Ist seine angelegte Rolle ausgespielt, so wird es zum "Denkmal"; es wird überflüssig.
6. Als Denk-Mal braucht es eine neue Rolle; gibt man ihm die nicht, so ist es recht fehl am Platz.
7. Das Denkmal ist nicht wegen seine Vergangenheit interessant, sondern für unsere Zukunft und deren Bezug auf eine Vergangenheit.
8. Wenn es nicht mitlebt, kontrastierend und doch voll dabei, kann kein Denkmal Kontinuität darstellen, schon gar nicht als Einzelobjekt.
9. Dennoch ist denkmalvermittelte Kontinuität günstigenfalls Selbsttäuschung; wahrscheinlicher ist illusionäre und partikuläre Konstruktion von Geschichte.
10. Auch Identität für, das ist Teilhabe an einer vergangenen Kultur, kann ein Denkmal nur aufschliessen; es kann sie nicht vertreten.
11. Pflegenswert ist das Denkmal, das neue Wirkungen entfaltet, wenn sich eine neue Kultur darauf einlässt.
12. Des Denkmal als Identität von damals und seither wird niemand übernehmen wollen, der bei Sinnen ist; wohl aber vielleicht mit ihr in einen Dialog treten.
13. Das Denkmal als Träger von Differenz, als Anstoss zum Weiterdenken und -schaffen, ist jeder lebendigen Kultur unverzichtbar.
14. So ist das Denkmal unentbehrlich beim Finden eigener und gemeinsamer Identität und Differenz; aber nicht weil es eine anbietet, sondern weil es mögliche kontrastiert.
15. Identität und Differenz niemals um ihrer selbst willen, sondern im Zusammenhang mit der gemeinsamen Zukunft von Menschen, mit deren Entwicklungen heute und morgen.
16. In einer pluralistischen Gesellschaft wird man über den Zusammenhang des Damals-Denkmals mit den verschiedenen Heute-Kulturen streiten wollen und müssen.
17. Dem Denkmal als Bindekraft und Differenzmuster wird man sich anvertrauen müssen, wenn man nicht der Illusion verfallen will, man könne sein Leben allein und von null an führen.
Notes
2 Die ursprüngliche Formulierung der Maxime macht deutlicher als die hier angeführte, dass es sich nicht um eine Weltanschauung, sondern um eine Erkenntnis-Methode handelt, durch Reflexion oder Experiment Ideen auf ihre möglichen Wirkungen hin zu klären: "Consider what effects, which might conceivably have practical bearings, we conceive the object of our conception to have. Then, our conception of these effects is the whole of our conception of the object." (1878 CP 5.402 = W 3:266). Nähme unser Handeln nicht auf die so geklärten Konzeptionen der Dinge bezug, könnte es wohl kaum ein menschliches Handeln genannt werden. (Peirce, Charles S. (1932ff.) Collected Papers (CP). Cambridge Mass., Harvard Univ. Press. (1982ff.) Writings, a chronological edition (W). Bloomington Ind., Indiana Univ. Press.)
3 Vorläufige Darstellungenen der Semiotischen Ökologie und der darauf aufbauenden Kulturpsychologie und ihrer Durchführung am Thema Wohnen (Menschen mit ihren Dingen in ihren Räumen) findet sich in:
Lang, Alfred (1992) Kultur als 'externe Seele' -- eine semiotisch-ökologische Perspektive. Pp. 9-30 in: Christian Allesch; Elfriede Billmann-Mahecha & Alfred Lang (Eds.) Psychologische Aspekte des kulturellen Wandels. Wien, Verlag des Verbandes der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs.
Lang, Alfred (1993) Non-Cartesian artefacts in dwelling activities -- steps towards a semiotic ecology. Schweizerische Zeitschrift für Psychologie 52 (2) 138-147.
Lang, Alfred (1993) Zeichen nach innen, Zeichen nach aussen -- eine semiotisch-ökologische Psychologie als Kulturwissenschaft. (Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium Generale.) Pp. 55-84 in: Peter Rusterholz & Maja Svilar (Eds.) Welt der Zeichen -- Welt der Wirklichkeit. Berner Universitätsschriften. Bern, Paul Haupt.
Slongo, Daniel; Schär Moser, Marianne; Richner, Margrit; Billaud, Chantal; Schläppi Schreiber, Sabine & Lang, Alfred (1995) Über die Regulation psycho-sozialer Systeme durch architektonische und alltagsdingliche Kultur -- Ansatz, Methodik und erste Ergebnisse deskriptiver Wohnpsychologie. Forschungsberichte, Bern, Institut für Psychologie der Universität Bern. 180 Pp.
Bild-Legende
Der heutige Bubenbergplatz in Bern mit (von links nach rechts) Burgerspital und Heiliggeistkirche in einer Foto von 1986 und zusätzlich mit dem 1860 abgerissenen Christoffelturm der "Platz zwischen den Toren" in einer anonymen aquarellierten Feder- und Bleistiftzeichnung aus dem Jahre 1840. Die Lücke hat der Stadt nicht nur einen ihrer Rückgrat-Wirbel genommen, sondern förmlich dazu genötigt, sie mit nützlichen Undingen anzufüllen. Foto K. Bühlmann, Bern; Zeichnung aus Menz, Cäsar, Weber, Berchtold & Benn (1981) Bern im Bild 1680-1880. Bern, VDB-Verlag.