Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Conference Presentation 1994

Auch diese Variante von Psychologie hat wohl nicht "gezündet"

1994.04

@EcoPersp @CuPsy @SciPol

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Beitrag zur Podiumsdiskussion "Zum Stellenwert der ökologischen Perspektive in der heutigen Psychologie" am 39. Kongress der Dt. Gesellschaft für Psychologie, Hamburg 1994, organisiert von Bernhard Wolf und Lenelis Kruse

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt  

 

1. Ökologische und andere Psychologie als institutionalisierte Wissenschaft

2. Was soll die ökologische Psychologie ergänzen oder ersetzen?

Schiessen Sie bitte nicht auf den Narren, der das hier vorträgt;


Hat die sogenannte "ökologische Perspektive" in der Psychologie Fuss gefasst oder gar "gezündet"? Also etwas in Bewegung gebracht, vielleicht in Brand gesetzt; vielleicht einen neuen Menschen versprochen; die besten Geister angezogen oder mit einer zündenden Rakete ihrer Wissenschaft neue Bahnen eröffnet?

Eine nüchterne Bewertung nach 20 Jahren kann wohl trotz ehrlicher Anerkennung einer ansehnlichen Reihe von Einzelleistungen bestenfalls teilweise positiv ausfallen, in inhaltlicher und methodischer wie auch in institutio- neller Hinsicht. Selbst wenn man akzeptieren will, dass die Wissenschaft Psychologie als ein vielgliedriges und rasch wechselndes Bündel höchst unterschiedlicher Denk- und Forschungsweisen existiere, ist nicht zu über- sehen: weder verfügen die Vertreter von sogenannt ökologischen Ansätzen über ein kohärentes und konsistentes Problem, noch deren Beobachter über ein klares und deutliches Bild davon, sei es vielfältig oder einheitlich. Aber wir sind nicht zu einem Begräbnis angereist, allenfalls zu einer jener Jahresfeiern mit runder Zahl eines nicht aussterbenwollen- und -könnenden Geschlechts, wie sie Thomas Bernhard auf die Bühne gestellt hat.

Doch möchte ich mich hier nicht auf das Geschäft voreiliger Evaluation oder gar auf das Abwägen jener gegen diese besondere "Perspektive" einlassen, sondern lieber ein paar Fragen aufwerfen, die mich seit Jahren beschäftigen. Was machen wir eigentlich? Als ökologische Psychologen im Verhältnis zur übrigen Wissenschaft Psychologie; als Psychologen überhaupt in Bezug auf das Verständnis der menschlichen Kondition. Zugegeben, meine Vergleiche sind hoch gegriffen: Jahrhundertvorschläge, welche Wissenschaftsentwicklungen und mehr initiiert haben: Descartes Methodologie und Schnitt durch die Welt, Newtons Mechanik für Himmel und Erde, Mendeleieffs Systematik der Chemie, Darwins partieller Brückenschlag zwischen Tier und Mensch etc. Ich gestatte mir Erwägungen zur institutionellen Situation -- hat denn Wissenschaft auch einen Existenzanspruch, wenn sie nicht zündet? -- und zur menschlichen Kondition als dem Thema der Psychologie -- was soll denn ökologische Psychologie ergänzen oder ersetzen?

 

1. Ökologische und andere Psychologie als institutionalisierte Wissenschaft

1.1. Betrachte ich die unter dieser Bezeichnung erörterten Themen oder erforschten Probleme, etwa anhand der von den Organisatoren aufgestellten "Liste einiger Grundmerkmale", so kann ich mich des Eindrucks "distribuierter operativer Hektik" schwer erwehren. Wer vieles bringt wird manchem etwas bringen. Das ist gut für unsere Diskussion. Aber nichts davon hat gezündet, eben Wissenschaft "gemacht" und die Wissenschaftler angezogen wie der Leuchtturm die Mücken und den Schiffsleuten Orientierung gegeben. Dazu kommt, dass -- wie auch in anderen Bereichen der Psychologie -- starke berufspolitisch-praktische, gesellschafts- und sozialpolitische und forschungsökonomische Winde die theoretischen und methodologischen Windfahnen und Schiffchen herumwirbeln. "Ökologisch" funktioniert in der Psychologie heute wie ein Logo auf einem quicken Markt: die gewieften Konsumenten befürchten mehr Schein als Sein und einige -- zumindest die hier Anwesenden -- erliegen dennoch ihrem spröden Charme. Wie kommt das?

1.2. "Öko" ist freilich den Mainstream-Psychologen wohl nicht gerade ein attraktives Logo. Genauer -- und da versuche ich den Inhalt mancher Gespräche mit Nachwuchsleuten auf den Punkt zu bringen --, es generiert Ambivalenz: Psychologen aller Provenienz sind in wachsender Zahl mit dem Geschehen in ihrem (Teil-)Fach unzufrieden. Mit offenen Augen und Ohren ins Gesamtfeld der Wissenschaften und der Wissenschaftspublizistik nehmen sie sehr wohl wahr, dass kaum jemand psychologische Fachliteratur rezipiert und weiterträgt ausser Psychologen selbst (man vergleiche Physik, Biologie, Archäologie, Geschichte u.a.m.); dassAlltagssprache und Computer-Metapher gängiger sind als psychologische Begrifflichkeit, ob attraktiver oder abstossender (so haben halt die Psychologen beides auch in ihr Fach hereinadoptiert); dass selten ein Psychologe ein Buch schreibt, aus dem man wirklich etwas Augenöffnendes über Menschen und ihre Lage erfahren kann; dass der Inhalt von psychologischer Wissenschaftspublizistik nicht nur regelmässig, wie in andern Diziplinen auch, entstellt, sondern vor allem belanglos ist wie jedes andere Trivialsuchtmittel; dass das dominierende und doch offensichtlich problematische Menschenbild durch Psychologie weder geklärt noch verändert wird, weder bei Laien noch bei Entscheidungsträgern, die das Zusammenleben der Menschen beeinflussen. Wenn sich einige Planungsfachleute für unsere umweltpychologische Arbeit interessieren, bestätigt das vielleicht die Regel. (Natürlich rede ich nicht von der Psychomarkt-Rezept- oder Verheissungsbewegung.)

1.3. "Öko" erscheint da zunächst als eine mögliche Ausnahme, ein Hoffnungsschimmer. Da ringen wenigstens einige Psychologen um Entsprechung zwischen Forschung und Wirklichkeit und wollen trotzdem mehrheitlich nicht einfach "Alltagspsychologie" machen. Da suchen einige, mit einem Blick auf ein grösseres Ganzes, Anschluss an der Arbeit von und Zusammenarbeit mit Nachbardisziplinen. Da reden einige sogar mit selbst-opferndem Mut davon, der Mensch sei doch vielleicht eigentlich vor allem auch ein Kulturwesen. Wenden sich dann einige mutige Nachwuchsleute diesem inhaltlich attraktiven Feld zu, so sehen sie sich freilich bald vor der Frage, ob ihnen die hier gepflegten Konzepte, Forschungsfragen und -methoden soviel Kraft und Schwung schenken, dass sie das mit der Wahl verbundene gegen den Fachstrom Schwimmenmüssen und die Aussicht auf eine Randposition im Fach zwischen Wehr- und Religionspsychologie aushalten zu können glauben. Die Antwort darauf fällt offensichtlich (sogar in Umfragen bestätigt) selten wirklich positiv aus. Ist die Psychologie ökologisch zu betreiben wirklich eine Alternative? Ich lasse mich gern von guten Argumenten überzeugen.

1.4. Solange Argumente für diese Alternative, wenn es sie denn gibt, in der breiten Psychologenschaft nicht greifen, richten sich freilich meine Fragen nach dem Sinn dieser in ihrer heutigen Operationsweise institutionalisierten Wissenschaft als ganzer. Denn wenn die Mehrzahl der Teildisziplinen der Psychologie auf die Kritik aus der ökologischen Ecke, man könne doch den Menschen nicht dermassen aus dem Lebens- und Kultur- zusammenhang herauslösen, nicht oder kaum reagieren dann, muss man schliessen, ist (a) die ökologische Kritik unangemessen (das bezweifle ich), (b) der Unterschied den Lernaufwand für den neuen Jargon nicht wert (das schon eher) oder (c) die Kollegen aus den etwas älteren Traditionen wollen uns nicht hören. Vielleicht weil wir ihre Kreise stören könnten. Und wir stören ihre Kreise nicht; denn wir brauchen Forschungsgelder und Verankerung in den Studienordnungen. Aber Wissenschaft, das war doch die Idee des fortwährenden gemeinschaftlichen Ringens um das adäquateste Verständnis der Welt und der Menschen in ihr. Was ist mit der Psychologie und etlichen anderen Disziplinen los? Immer wenn ich Lehrbücher unseres Faches und die zugehörigen Prüfungsverfahren ansehen muss, kommt mir der Katechismus meiner Kindheit in den Sinn; liegt der Fortschritt vielleicht in den Mehrfach-Wahl-Antworten? Dann male ich mir aus, es käme ein versierter Ethnologe von einem anderen Planeten und erforschte den Universitätsbetrieb. Müsste er nicht in diesen mit Überreichtum gesegneten Gesellschaften für die Erscheinungen des höheren Bildungswesens die Hypothese eines unerhörten Rite de Passage und für den Forschungsbetrieb die Hypothese eines tollen Überschussvernichtungsverfahrens à la Potlatsch entwickeln? Und den Anführern dieser Gesellschaften bescheinigen, es sei ihnen gelungen, den besten Teil ihrer Jugend fast die Hälfte (die kreative!) ihres aktiven Lebens von der Wirklichkeit fernzuhalten und dort dergestalt zu disziplinieren, dass sie auf eigenes Denken verzichten und auch die Kreise ihrer Lehrer nicht zu stören wagen?

 

2. Was soll die ökologische Psychologie ergänzen oder ersetzen?

2.1. Als Hintergrund führe ich in aller Kürze eine kleine Auswahl aus allgemeinen Sätzen an, die zum Grundbestand meines ökologischen Denkens gehören:

2.1.1. Alles Lebende und was aus ihm folgt ist nur im Zusammenhang mit seiner Umwelt zu verstehen.

2.1.2. Alles Lebende und was aus ihm folgt ist Prozess und Ergebnis eines historischen Geschehens (allgemein evolutiv), welches in jeder seiner Entwickungsepisoden ebensogut hätte anders laufen können.

2.1.3. Geschichte kann sich in jedem Moment verzweigen; es gibt keine echte Wiederholung; Geschichte ist deswegen evolutiv offen, zwar gerichtet, aber nicht gezielt.

2.1.4. Geschichte beruht auf Prozessen der Strukturbildung (Spuren, Gedächtnis), von denen einige ihren weiteren Verlauf beeinflussen, andere verlorengehen.

2.1.5. Damit ergibt sich konkrete Geschichte aus "Angeboten" unter Variation und selektiver "Aufnahme" in weitere emergierende Strukturen.

2.1.6. Da emergierende Strukturen auf vorausgehenden Strukturen beruhen und die Bedingungen ihrer Weiterwirkung wiederum wesentlich in den schon bestehenden Strukturen liegen müssen, entsteht gerichtete Kontinuität oder Tradition.

2.1.7. Insoweit lassen sich biotische Evolution, ontogenetische Erfahrungsintegration und sozio-kultureller Wandel in gleicherWeise verstehen; die konkreten Vorgänge der Bildung und Wirkung, der räumlichen Verteilung, der zeitlichen Permanenz und der Replikation und des Wandels der Strukturen, und damit die diese bedingenden Prozesse, sind jedoch unterschiedlich.

2.1.8. In der durchlaufenen Geschichte sind die vergangenen Schritte eindeutig, die der Gegenwart jeweils folgenden bloss allgemein und unscharf bestimmt; damit ist die Entwicklung in die Zukunft offen.

2.1.9. Offen evolutive Geschichte und Kultur sind in allen Formen möglich ohne die Vorannahme von Sonderstrukturen ("Subjekten"). Dass besonders kohärente und konsistente ("subjektartige") Strukturen evolutiv besonders bedeutsam werden können, bleibt unbestritten; sie sollten aber in ihren Werden und Wirken untersucht, und nicht, wie in der neuzeitlichen europäischen Geistesgeschichte, mit einem willkürlichen Inhalt einfach gesetzt werden.

2.1.10. Der evolutive Grundvorgang ist in allen seinen Formen von der gleichen tri-relationalen Natur, welche Verzweigungen und Vereinigungen ermöglicht; in einer zweistelligen Verursachungs- oder Konditionierungskonzeption ist neue Strukturbildung nur beschreibbar, aber nicht klärbar.

2.1.11. Entwicklung von Lebewesen-Umwelt-, i.b. Person-Kultur-Systemen lässt sich als drei- oder vierphasige Funktionskreis-Spirale verstehen, die aus gleichartigen Schritten generativer Strukturbildung in und zwischen den Lebewesen konstituiert ist.

2.1.12. Eine allgemeine triadische Semiotik nach den Vorstellungen von Charles Peirce stellt ein gutes Darstellungsmittel dieser Strukturbildungprozesse und damit für evolutive Systeme überhaupt bereit.

2.2. Ich habe das trotz der Unmöglichkeit, es erläutern zu können, hier angeboten um deutlich zu machen, in welchem Kontrast eine kulturbezogene und historische und dennoch biologisch fundierte Auffassung der menschlichen Kondition zu den beiden heute gepflegten Rahmen- Paradigmen stehen könnte: (a) zu der aus den klassischen Naturwissenschaften übernommenen Notwendigkeits-mit-Zufalls-Determinations-Annahme der Psychologie des 20. Jh. mit ihrer bio-physiko-reduktionistischen Tendenz und (b) zu den im 19. Jh. aus dem Idealismus entstandenen geisteswissenschaftlichen Traditionen, welche den Menschen auf einen in einer bestimmten Sprache "erzählten" oder in einem beliebigen und geschlossenen Kode symbolisierbaren zu reduzieren versucht. Beide Sicht- oder Reduktionsweisen in ihren verschiedenen Ausformungen werden unvermeidlichen Feststellungen über die menschliche Lage, so scheint mir, nicht gerecht:

2.2.1. Historische Tatsachen (damit meine ich das einmalige Gewordensein) sind dem naturwissenschaftlichen Paradigma (a) grundsätzlich verschlossen. Auch mit allen denkbaren Hilfskonstruktionen ist es dafür nicht zu retten. Es kann bestenfalls Beschreibungsverfahren der Oberflächen von historisch gewordenen Abläufen und grobe, rein empirische Wahrscheinlichkeitsesxtrapolationen in die Zukunft beitragen. Das mag, mal so mal anders, so nützlich und so falsch und klug sein wie Wetter-, Börsen- oder Gesundheitsprognosen.

2.2.2. Kulturelle Tatsachen (damit meine ich die weitgehend selbstgenerierten und selbstregulativen Mensch-Umwelt-Systeme) sind ähnlich im geisteswissenschaftlichen Paradigma (b) zwar auch aspektweise beschreibbar; denn die Geisteswissenschaften sind ja eigentlich die Kulturwissenschaften, die ihren irreführenden deutschen Namen zur Unzeit bekamen und nicht mehr loswerden. Zur Darstellung von Kulturgeschichte eignen sie sich jedoch ebenso schlecht und recht wie die physiko-chemischen Allgemeinbegriffe für die idiographischen Aspekte des Naturgeschehens. Denn ihre Art der Konzeptualisierung verpasst die kulturelle Wirklichkeit, indem sie sie für eine geistigeoder "bloss"symbolische nimmt und verleugnet, dass sie in der Form menschlichen Handelns zur realen Bedingung einer massiven Veränderung der physiko-chemisch-biotischen Wirklichkeit geworden ist. Haben die Philosophen sich dafür so ausschliesslich auf das Erkenntnisproblem eingeschworen, damit die Menschen so unbehelligt interessenorientiert agieren können? Haben die Psychologen deshalb das Handeln aus ihrem Kanon ausgeblendet, weil seine Analyse unanständige Folgen aufzeigen könnte? Haben sie deshalb, als es endlich spät zum Thema (auch einiger Aussenseiter! und ebenfalls von gespenstischen Definitionskontroversen behindert!) geworden ist, sich nur um gewisse seiner Bedingungen, aber kaum um die Folgen des Handelns gekümmert?

2.2.3. Das evolutive Moment der menschlichen Kondition (damit meine ich die Fortsetzung jener Historizität in die Zukunft, also das einmalige, in seine künftigen Wege offene Weiter-Werden) ist also natur- und geisteswissenschaftlich zwar in oberflächlicher Annäherung beschreibbar. Beiden Ansätzen ist aber eigen, dass sie es (einigermassen ausgenommen die Bioevolution) nicht verstehen können und eigentlich eher leugnen als ernstnehmen. Es gibt bis heute (meines Wissens mit einer einzigen, gut 200 Jahre alten Ausnahme) keine brauchbare Konzeptualisierung offenen personalen und kulturellen Wandels. Denn die Wissenschaften der Neuzeit sind ja auf der Suche nach universalen Prinzipien, die das komplex erscheinende Singuläre aus einem einfachen Allgemeinen bestimmt zeigen sollen. Das sind die Naturgesetze auf der einen, die "Ideen", "Kategorien", Ideale, Pläne etc. auf der anderen Seite. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung kann ich zwischen diesen beiden Gruppen von Prinzipien keinen prinzipiellen Unterschied sehen: mathematisierte oder algorithmisierte Gesetze sind gleicher Natur, ob sie sich auf chemische Reaktionen oder Problemlösungsprozesse beziehen. Wir brauchen Modelle, welche die evolutive Wirklichkeit nicht reduzieren, sondern "durchführen".

2.3. Ihre Antworten auf meine Frage darf ich Ihnen und der Diskussion überlassen: ob die Denkmuster der modernen Psychologie den historischen, kulturellen und evolutiven Fakten der menschlichen Kondition gerecht werden? Lassen Sie mich bloss einen Hinweis geben: Ich halte es für eine der grössten Tragödien der modernen Wissenschaftsentwicklung, dass ausgerechnet auch die Psychologie sich selber im späten 19. und im 20. Jahrhundert auch in einen quasi-naturwissenschaftlichen und einen quasi-geisteswissenschaftlichen Zweig aufgespalten hat, anstatt aus dem Kapital der besonderen Beschaffenheit ihres Forschungsfeldes -- Menschen in ihrer selbstgenerierten kulturellen Lebenssituation, dh als Lebewesen in einer physischen und biotischen Welt, welche sie als physische und biotische in ungeahnter Weise zu ihren Zwecken und Unzwecken überformen -- ihren Zins zu schlagen (und was für eine reiche Dividende könnte das sein!): wir sind eine Brückenwissenschaft! Welche denn sonst? Jemand muss die Aufgabe wahrnehmen zu zeigen, wie verfehlt die Teilung der Welt in eine materielle und eine ideelle und eine entsprechende Separierung der Wissenschaften ist, wenn sie über kooperative Aufgabenakzentuierung hinausgeht. Denn sie bedeutet, dass man die Menschen in zwei Teile zerreisst und den einen gegen den andern ausspielen kann. Der Riss mitten durch die Menschen ist nicht länger auszuhalten. Die Folgen der Freilassung der Technik im Irrglauben, sie sei naturgesetzlich gesichert, und auch der Mensch selbst sei naturgesetzlich (oder (sprach-)logisch) sicherbar, bloss gerade noch nicht abschliessend gesichert, wird unsere Nachwelt auszustehen haben.

2.4. Würden Sie mit mir bereit sein, das Unbehagen an der modernen Psychologie in solchen Gründen wurzeln zu sehen? Würden Sie dann auch erwarten, dass eine Reform der Psychologie dieser Art Problemstellung gewidmet sein sollte? Dass sie mithin eine sehr gründliche sein müsste? Hätten Sie dann vielleicht auch gedacht, dass eine Bewegung unter der Bezeichnung "ökologisch", also unter der Leitidee der Einbindung der Menschen in ihre Umwelt, radikaler sein müsste? Werden Sie mir verzeihen, wenn ich auf diesem Hintergrund das, was die "ökologischen Perspektiven" der Psychologie in den letzten zwei, drei Jahrzehnten gebracht haben, als Seinesgleichen (um einen Ausdruck von Robert Musil zu verwenden) sehen muss, von der "normalen" Psychologie nur durch leichte Akzentsetzungen verschieden? Als Seinesgleichen, das einer grundlegenden Neuorientierung bezüglich der historischen Einmaligkeit, der evolutiven Offenheit und der kulturellen (Doppel-)Existenz der Menschen mit ihrer Umwelt entbehrt und dem Aufbau einer solchen Wissenschft vom Menschen vielleicht einmal mehr im Wege steht?

 

Schiessen Sie bitte nicht auf den Narren, der das hier vorträgt;

denn er ist nicht der Urheber des Inhalts der lästigen Nachricht. Er liest Ihnen nur aus Flugblättern vor, die mannigfaltig herumliegen und nur eingehascht werden brauchen. Überhören Sie ihn, wenn Sie können, und vergessen Sie ihn halt. Danken Sie ihm, wenn Sie das alles eigentlich schon lange ahnen, für seine Offenheit.

Seine Rechtfertigung, solches hier vorzutragen? Keine besondere. Er ist halbwegs in Ehren etwas am Rande des Geschehens alt und weiss geworden. Seitdem er etwas anzubieten hat, kann und will er lange ausgestandenes und bloss dumpf geäussertes Unbehagen in konstruktive Kritik umsetzen, die hoffentlich als solche aufgenommen wird. Ja, er bastelt halt an einem solchen "Raketenkind", genannt Semiotische Ökologie. Man kann noch nicht sagen, ob es "zünden" wird. Es ist noch etwas nass hinter den Ohren. Überdies braucht er Partner. Neugierige prüfen vielleicht.

Lang, Alfred & Fuhrer, Urs (1993) What place for culture in psychology? An Introduction. (Contributions to the Symposium on the Cultural Environment in Psychology, in honor of Ernst E. Boesch, Merligen (Lake Thun) 21.-24.10.1991, organized and edited by Alfred Lang and Urs Fuhrer.) Schweizerische Zeitschrift für Psychologie 52 (2) 65-69.

Lang, Alfred (1993) Non-Cartesian artefacts in dwelling activities -- steps towards a semiotic ecology. Schweizerische Zeitschrift für Psychologie 52 (2) 138-147.

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