Alfred Lang | ||
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Wohnen - eine kulturpsychologische Perspektive | 1998.00 | |
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Gruppe Umwelt- und Kulturpsychologie Bern -- Daniel Slongo , Marianne Schär Moser , Sabine Schläppi Schreiber , Chantal Billaud und Alfred LangAusführlicher Beitragsplan (1997) und Abstract (1998) zur Tagung der Gesellschaft für Kulturpsychologie "Felder kulturpsychologischen Forschens", Erlangen, 21.-24. Mai 1998 | © 1998 by Alfred Lang | |
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Aufgabe, Methode und Ergebnisse einer Gruppe von Forschungsprojekten zur Psychologie oder Ökologie des Wohnens werden in Umrissen dargestellt. Bauen, Einrichten und die Tätigkeit des Wohnen -- gewissermassen des sich selber und einander "gewohnt" Machens -- wird als ein exemplarisches Feld kulturpsychologischer Forschung und Praxis vorgestellt. In der Wohntätigkeit werden ähnlich wie in hunderten anderer Formen regulativen Geschehens Mensch-Umweltsysteme ausbalanciert -- zu allen Graden des Gelingens oder der Zersetzung -- in bezug auf Eigenständigkeit (Autonomie, Behauptung, Durchsetzung) und Einbindung (Integration, Zugehörigkeit, Passung, Beständigkeit) von Personen, Räumen, Dingen, Gruppen und anderen bedeutenden Strukturen.
Denn Wohnende stellen unter Aufnahme und Weiterführung einer kulturellen Tradition durch ihr Handeln eine jeweils bestimmte physische und soziale Umwelt her und erhalten und erneuern sie fortlaufend. Diese Umwelt ist ein System von "bedeutenden" oder wirksamen Strukturen und Ereignissen. Es beeinflusst seinerseits die beteiligten Menschen und konstituiert sie als Personen, ja die kulturelle Umwelt ist als die eigentliche Form des Umgangs miteinander und auch als eine wesentliche Weise des Umgangs mit sich selber zu begreifen. In den Transaktionen, welche beide Teile der Ökosysteme auf Dauer gegenseitig und nachhaltig verändern, sind als entscheidende Bedingungen der Entwicklung die Asymmetrie und die nur relative Korrespondenz zwischen den personalen und den umweltlichen Strukturen zu sehen. Von allen regulativen Lebensfeldern ist Wohnen eines der bedeutendsten, weil hier Menschen und ihre Kultur einander im Lebenslauf früher und andauernder und im Regelfall umfassender, intensiver und nachhaltiger als in anderen Feldern des Daseins wechelseitig zu dem machen, was sie werden und sind.
Wir werden Aufgabe, Verfahren und Ergebnisse aus einer Gruppe von Forschungsprojekten darstellen. Der Wohnprozess und die Rollen der dabei involvierten Menschen, Dinge und Räume werden unter Beizug mehrerer ineinander verschränkter Beobachtungs- und Gesprächsverfahren in seinem Wechselspiel der Strukturbildungen und -veränderung in und zwischen den beteiligten und weiteren Personen rekonstruiert. Es handelt sich -- akkumuliert und vergleichend interpretiert -- um deskriptive Fallstudien unter Gesichtspunkten der semiotischen Ökologie. Das transaktionale Geschehen und die resultierenden personen-internen und -externen Gedächtnisbildungen und -wirkungen werden als generative Zeichenprozesse in den regulativen Funktionskreisen begriffen, welche zwischen allen zusammenwohnenden Personen in der gemeinsamen Wohnumgebung konvergieren und dennoch jeder Person ihre Eigenständigkeit zu wahren erlauben. Während die person-externen oder i.e.S. kulturellen Strukturen mehreren Personen gemeinsam sind, doch von jeder Person unterschiedlich transformiert werden, sind die internen Strukturen undenkbar ohne die externen und sie würden ohne deren regulative Wirkung viel stärker divergieren.
Damit ist am Beispiel Wohnen eine Auffassung von kulturbezogener Psychologie aufgewiesen, welche die menschliche Kondition als einander wechselweise bedingte und bedingende personale und umweltliche Subsysteme in individuumszentrierten Ökosystemen fasst. Sie konvergieren in eine gemeinsam kultivierte Umwelt und konstituieren und regulieren damit Personen in verhältnismässig korrespondierender Weise. Generative Semiotik erweist sich als Grundtypus des Darstellens solcher Wirkungszusammenhänge in den Ökosystemen; den vorgeschlagenen Semiose- und Semion-Begriffen wird eine Stellung analog demValenzbegiff in der Chemie oder den Energie-Transformationsgesetzen in der Physik zugewiesen. Hoch abstrakt erlauben diese Konzepte, das Gemeinsame und die Unterschiede unterschiedlichster Erscheinungsformen von Regulationsprozessen herauszuarbeiten.
Kulturpsychologische Forschung muss infolgedessen auf der konkrete Ebene dieses transaktional-dialogischen Austausches zwischen Menschen und ihrer Umgebung stattfinden und methodisch den Personen eine Chance lassen oder geben, ihr Handeln in einer nicht vom Forscher vorbestimmten Weise in Umweltgestaltungen oder -überformungen zu konkretisieren und sich davon wiederum bestimmen zu lassen. Denn Menschen sind ebenso Schöpfer ihrer Umwelt wie Geschöpfe von Situationen, die ihresgleichen und sie selber im Rahmen von Traditionen geschaffen haben.
((0)) Vorbemerkung: Dieser Text ist nicht ein Abstract unseres Vortrags, sondern eher ein strategisches Papier in doppelter Hinsicht. Einesteils stellt es eine Phase unserer eigenen Bemühungen dar, das Verhältnis Kulturpsychologie -- Wohnpsychologie durchzudenken. Zum andern werden an der Erlangener Tagung die Mitglieder der Gesellschaft für Kulturpychologie voraussichtlich versuchen -- so etwa wurde die Konzeption der "Felder"-Tagung vorgeschlagen --, die Forschung in ihrem eigenen Feld ins Verhältnis zu Forschungen in anderen Feldern zu setzen, um so gemeinsam mehr Klarheit über die möglichen Eigenarten von und die adäquatesten Strategien für Kulturpsychologie zu erarbeiten. Insofern dieses Papier beiden Anliegen dienen soll, ist es hybrid (dafür ist nur A.L. verantwortlich), hoffentlich dennoch fruchtbar. Als Arbeitspapier wird es Überarbeitungen erfahren. In Erlangen gedenken wir einen Vortrag zu halten, in dem Methode und Inhalte des Forschungsprojekts deutlich im Vordergrund stehen. In der Diskussion sollte aber der damit verbundene kulturpsychologische Anspruch und der Vergleich dieser mit anderen Auffassungen von Kulturpsychologie wichtig sein; dies könnte ein solches Strategiepapier und seine Überarbeitungen vielleicht vorbereiten helfen.
((1)) "Wohnen" wird hier als ein exemplarisches Feld kulturpsychologischer Forschung und Praxis dargestellt. Denn Wohnende stellen unter Aufnahme und Weiterführung einer kulturellen Tradition durch ihr Handeln eine jeweils bestimmte physische und soziale Umwelt her und erhalten und erneuern sie fortlaufend. Diese Umwelt ihrerseits beeinflusst die beteiligten Menschen in ihrem Umgang, ja die kulturelle Umwelt ist als die eigentliche Form des Umgangs miteinander und auch als eine wichtige des Umgangs mit sich selber zu begreifen; im Verhältnis zwischen Person(en) und Umwelt -- konkreter, in den Transaktionen, welche beide auf Dauer gegenseitig und nachhaltig verändern -- ist die entscheidende Bedingung der Entwicklung des ökologischen Systems von Menschen, Dingen und Räumen, ihres sozio-kulturellen Ganzen zu sehen. Von allen Lebensfeldern ist Wohnen vielleicht eines der bedeutendsten, weil hier Menschen und ihre Kultur einander früher, umfassender und nachhaltiger als in anderen Feldern wechelseitig zu dem machen, was sie werden und sind.
((2)) Im Regelfall "wohnt" eine eher kleine Gemeinschaft von Personen über meist längere Zeit und vom umfassenderen Sozialsystem relativ gesondert in von anderen gestalteten und hergestellten und von ihnen selbst überfomten und eingerichteten Räumen mit von ihnen gewählten und angeordneten Dingen. Wir reden hier vom "privaten" Wohnen; im institutionellen Wohnen und in einigen Kulturen der Welt sind weitere Variationen dieser allgemeinen Beschreibung zu beobachten. Personen, Ideen und Sachen gehen von diesem Lebenszentrum des Wohnhauses oder der Wohnung immer wieder hinaus und kommen, meist etwas verändert und angereichert, zusammen mit neuen wieder herein. Was "Menschen mit ihren Dingen in ihren Räumen" tun, wie sie es tun und welche Regulationsprozesse in diesem "Wohnen" zu beobachten sind, dürfte nicht zuletzt deswegen ein kulturpsychologisch aufschlussreiches Forschungsfeld sein, weil hier jene gemeinschaftliche Kontextualisierung aller psychischen, sozialen und umweltlichen Strukturen und Prozesse, welche wir Kultur nennen, raumzeitlich einen für empirische Arbeit einigermassen überschaubaren Umfang aufweisen und einschliesslich eines Teils ihrer Bezüge in die weitere Umwelt und die Vergangenheit und Zukunft dieses Systems trotz ihrer enormen Komplexität vielleicht gerade noch einigermassen adäquat erfasst werden können.
((3)) Das Ökosystem "Wohnen" ist durch spannende Verhältnisse wie zwischen Rückzug und Öffnung, Sicherheit und Verletzbarkeit und ähnlicher Polaritäten, kurz durch gleichzeitige Autonomiesierungs- und Integrationsprozesse auszeichnet -- sowohl innerhalb einer Wohngruppe wie auch in bezug auf die Beziehungen der Angehörigen wie des Ganzen einer Wohngruppe gegen ihre weitere Umgebung. Zusammen Wohnende entwickeln "Familienkulturen", unterschiedliche Muster vom Umgang miteinander. Beispielsweise machen Kinder Probeerfahrungen im relativ geschützten Raum unter begrenzbaren Konsequenzen und erwerben beispielhaft möglichen Umgang mit physischen, sozialen und kulturellen Mustern des Lebens draussen -- all dies ist zugleich von den persönlichen Kulturen der Wohnenden als auch von der kollektiven Kultur der umgebenden Gesellschaft geprägt und ständig in jener unentbehrlichen und heiklen Balance zwischen Stabilität und Wandel, welche wir Entwicklung nennen (Boesch 1997).
((4)) Damit stellt sich in kulturpsychologischer Perspektive die Hauptfrage: Wie können wir "Wohnen" als grundlegend menschliche Tätigkeit erfahrungswissenschaftlich begründet auf Begriffe bringen, welche der Historizität und Kulturalität der menschlichen Kondition gerecht werden? Die wichtigste Vorbedingung ist wohl, dass wir das ganze Geschehen transaktional als Teil eines evolutiven Prozesses der menschlichen Kondition verstehen. Wenn wir von Kultur sprechen, so verweisen wir auf die geschichtlich späteste einer zumindest dreifachen Bedingtheit praktisch aller psychischen und sozialen Funktionen der Menschen. (a) Die erste Fundierung der menschlichen Kondition ist durch die biotische Ausstattung der Gattung Mensch einschliesslich deren relativen erbgenetisch mitbedingten Variation bestimmt. (b) Die zweite betrifft jenen Erfahrungsschatz, den jede einzelne Person im Lauf ihres Lebens erwerben und nutzen lernen kann. (c) Die dritte umfasst Bedingungen und Errungenschaften, welche sich im Zusammenleben einer kleineren oder grösseren Gemeinschaft über längere Zeit hinweg mit einer gewissen Konsistenz laufend herausbilden und in typischen umweltlichen Gestaltungen und Manifestationen "zwischen" den Beteiligten wie in Gedächtnisstrukturen und Gewohnheiten bis hin zu normenbezogenen Werthaltungen "innerhalb" der Organismen der Personen niederschlagen. Diese dritte Gruppe von Bedingungen kontextualisieren und überformen nahezu alle vorausgehenden psychischen und sozialen Funktionen der Beteiligten, ob phylo- oder ontogenetisch erworben, in jeweils kulturspezifischer Weise.
((5)) Von einem kulturpsychologischen Zugang zu diesem Bedingungskomplex muss man sowohl den Aufweis der Rolle der Individuen in seiner Konstitution wie die Analyse der Wirkungen auf allen drei Ebenen dieser kulturellen Kondition auf die Personen erwarten. Es geht also nicht an, denen einen oder den andern Teil des Ganzen prioritär zu setzen -- weder kulturhistorisch den umweltlichen, noch psychologisch den personalen --, und jeweils den andern in eine subserviente Rolle zu drängen; sondern man muss zwingend Mensch-Umwelt- bzw. Person-Kultur-Einheiten in ihrer Entwicklung zum Forschungsgegenstand machen (Lewin 1943). Die historischen und die psychologischen Zugänge zum Verständnis von Kultur und der menschlichen Kondition können nur gültige Ergebnisse erlangen, wenn sie sich wechselseitig für voll und ganz gleichwertig und komplementär verstehen. Dabei dürfte methodisch von Bedeutung sein, die eben beschriebene relative Differenzierung in Personen und Umwelt für eine beobachtbare Gliederung zu nehmen, an welcher die empirische Forschung ansetzen muss, sich aber davon keineswegs abhalten zu lassen, die begriffliche Fassung des Gesamtsystems davon unbeeinflusst als eine systemisch integrale vorzunehmen. Denn was man getrennt begreift kann man weder in seiner Entwicklung (Valsiner 1996) noch in seinem ökologischen Systemcharakter nachträglich genuin zusammenfügen. Die gewählte Methodik muss mithin von einer relationalen Konzeption her bestimmt dergestalt auf das Beobachtungsfeld gerichtet werden, dass sowohl dessen ökologische wie dessen evolutive Natur aufgenommen wird.
((6)) In unserem Forschungsprojekt (vgl. Slongo et al. 1995, 1996) haben wir demgemäss versucht, "Wohnen" im Verlauf der Zeit und in mehreren Perspektiven auf das Gesamtsystem zu beschreiben, welches die Wohnenden, die Wohnung und die transaktionalen Wirkungen in beiden Richtungen ausmachen -- wirkliche Wohnende in ihrem konkreten Umgang miteinander und mit ihrer konkreten Wohnung. Es ist wichtig zu sehen, dass die Methodik keinesfalls ausschliesslich eine einzelne dieser Relata und Relationen erfassen kann und soll; denn Strukturen und Prozesse bilden in der Zeit den Mensch-Umwelt-Funktionskreis in Form einer Spirale. Der Funktionskreis, der ein Lebewesen und seine Umwelt in der Zeit in ein System konstituiert, besteht aus vier Phasen, welche wir generativ-semiotisch als Strukturbildungen begreifen (vgl. zB Lang 1992, 1993). (a) Basierend auf Umweltstrukturen werden Strukturen im Organismus gebildet (IntrO-Semiose); (b) aufgrund bestehender Innenstrukturen werden weitere Innenstrukturen gebildet oder modifiziert und aktualisiert (IntrA-Semiose); (c) auf der Basis aktueller Innenstrukturen werden durch Agieren Aussenstrukturen gebildet oder verändert (ExtrO-Semiose); (d) diese Aussenstrukturen werden von anderen Lebewesen oder durch ihre Eigenaktivität mehr oder weniger verändert (ExtrA-Semiosen, eine vielfältig zusammengesetze Phase) und können früher oder später, direkt oder indirekt wieder zur Basis von IntrO-Prozessen der interessierenden Person werden oder nach kurzer oder langer Zeit verloren gehen. Jede methodische Perspektive wird sich mit Vorteil über einen gewissen Sektor des Funktionskreisgeschehens erstrecken und vielleicht in der einen oder anderen seiner Phasen einen Schwerpunkt aufweisen; dass eine wünschbare Aufnahme der Sachverhalte und des Geschehens empirisch nur grob angenähert werden kann, versteht sich von selbst.
((7)) In dieser Orientierung auf den Funktionskreis sind Einzelfallstudien ethnographischer Art entstanden, deren Materialsammlung wir stufenweise transformieren und dabei von faktenbeschreibender zu systematisierender Interpretation übergehen. Jeder Schritt soll uns unter Anleitung einer Rahmentheorie einer Darstellung psychologisch wesentlicher Züge des Wohnens näherbringen. Die triadische Semiotik dient dabei überwiegend als eine eher formale, im realen Funktionskreis freilich immer schon spezifische Heuristik; inhaltlich bestimmt uns das Bemühen, wo immer möglich im konkreten Geschehen und seinen Spuren die strukturbildenden Schritte aufzuweisen, welche die Voraussetzungen für die nachfolgenden Schritte im Funktionskreis bestimmen. Die Vorstellung der Autonomie-Integrations-Regulation und ihre psychologischen Spezifizierungen dient dabei als eine mehr funktionale Leitlinie, welche den Zuammenhalt der Interpretationen fördern kann.
((8)) Um die Materialfülle zu bewältigen, haben wir uns auswählend auf Komplexe von Wohngeschehen konzentriert, dessen fassbare Manifestationen untereinander stärker als mit dem weiteren Geschehen zusammenzuhängen scheinen und bei dem in unseren Daten gewisse Wiederholungen und Entwicklungen sichtbar geworden sind. Derartige "Wohngeschehensfelder" wie Besuch, Mediennutzung, Kinderbetreuung, Umgang mit Funktionsüberlagerungen in Räumen, etc. sind Themen, in denen vertiefende Deskription und das Aufzeigen von Regulationsbedingungen und -mustern möglich wird. Natürlich überlappen die verschiedenen Wohngeschehensfelder einer konkreten Wohngruppe einander und erst mehrere zusammen können eine angemessene Darstellung des Gesamtfeldes ausmachen. In den verschiedenen Wohngruppen haben unterschiedliche Wohngeschehensfelder oft sehr unterschiedliches Gewicht. Wir wählen sie demnach wohngruppenspezifisch vom Material her aus; sie drängen sich fast wie von selbst auf. Solche Fokussierungen erleichtern jedoch die Bearbeitung des Materials beträchtlich; ihre Integration kann als eine weitere Stufe im Transformationsprozess vom Wohngeschehen zur Wohntheorie verstanden werden.
((9)) In jedem Wohngeschehensfeld jeder Wohngruppe kommen nun die erwähnten vier methodischen Perspektiven auf Wohnung, Wohnende und die Austauschprozesse zur Anwendung. Sie lassen sich im Funktionskreise schwerpunktmässig festmachen, betreffen aber stets einen eher breiteren Sektor desselben. M.a.W. keine der methodischen Perspektiven betrifft ausschliesslich das Umweltliche oder das Psychische oder die Transaktion allein. In den folgenden Abschnitten beschreiben wir die Methoden entlang dem Geschehen im Funktionskreis von den Wohnstrukturen in die Personstrukturen und zurück in die Wohnstrukturen.
((10)) Wohnungsbeschreibung. Der Wohnungsgrundriss und die Nutzungsspuren werden erhoben und analysiert. Nebst dem aus Spuren erschliessbaren Umgang mit der konkreten Wohnung werden die das Handeln beeinflussenden oder bestimmenden Gestaltungen analysiert. Ensembles von Einrichtungen als Tätigkeitsrahmen und in ihrer Rolle für Klima, Stimmungen usf. sollen aufgewiesen werden (gelegentlich auch unter Einbezug von Möglichkeiten, die von den Wohnenden nicht gewählt wurden, obschon sie sich angeboten hätten). Sie sollen das Spektrum des möglichen Umganges mit dieser Wohnung aufzuzeigen und so die tatsächlichen Präferenzen der untersuchten Personen deutlicher artikulieren. Mit diesem ersten Schritt können wir das räumlich-dingliche Umfeld und gleichzeitig die sichtbaren und mehr oder weniger dauerhaften Resultate der Wohntätigkeit als Wirkungen und Bedingungen des Handelns der Personen beschreiben.
((11)) Tätigkeitsstichproben. Um ein Bild des konkreten Geschehens in der Wohnung zu erhalten, haben wir aus einem zweiten Blickwinkel versucht, die "Wohntätigkeiten" möglichst nahe am aktuellen Transaktionsprozess zu erfassen. Unsere Auskunftspersonen sprechen für uns über mehrere Wochen mehrmals stündlich auf ein zufällig über die Telefonleitung vermitteltes Signal hin auf ein Tonbandgerät. Sie berichten kurz, was sie und andere allenfalls anwesenden Personen gerade wo in der Wohnung und in welchem Zusammenhang tun. Indem wir nachträglich in vertiefendem Gespräch den weiteren Kontext dieser Episoden erfragen, erfahren wir, wie das Wohnumfeld, eingebettet in den Lebenszusammenhang, durch die Wohnenden genutzt und verändert wird. Die Methode führt uns, wenn auch bloss punktuell, ans konkrete Geschehen heran, von Verzerrungen der Erinnerung, Beschönigung, Normierung etc. verhältnimässig wenig betroffen.
((12)) Persönliche Wohnkonstrukte. Unsere dritte Perspektive hat die Frage bestimmt, in was für kognitiven und emotiven Dimensionen sich wohnbezogenes Denken, Fühlen, Werten und Handeln unserer Wohnenden begreifen lässt: was für Themata und mit welchem Gewicht bilden die persönliche Organisation ihres "wohnenden" Weltbezugs? In einem Repertory Grid liessen wir sie typische, persönlich wichtige Wohnsituationen auf einer Reihe von selber gewählten Dimensionen beurteilen. Wir erhalten einen strukturellen Einblick in die psychische Organisation dessen, was das Wohngeschehen von innen her bestimmt.
((13)) Photoreport. Die vierte und letzte Perspektive versucht nebst konkreten und biographischen Bezügen Werthaltungen und Einstellungen zum Thema "Wohnen und Daheim-Sein" zu erfassen, wie sie sich beim Wohnen dieser konkreten Personen in dieser konkreten Wohnung geltend machen. In dieser Perspektive nähern wir uns Fragen, welche die durch die Wohnbedingungen mitgetragene persönliche und soziale Identität der Wohnenden betrifft. Die Wohnenden machten für uns in der und um die Wohnung Fotos unter der Leitfrage: "Was heisst für mich Wohnen und Daheim-Sein?"; die Fotos dienen als Grundlage eines ausführlichen Interviews.
((14)) Integrative Aspekte. Die vier Perspektiven sind inhaltlich durch das Wohngeschehen und theoretisch durch die Funktionskreissemiotik aufeinander bezogen, ergänzen sich gegenseitig oder können Widersprüche und Spannungsfelder aufzeigen. So können Erzählungen im Interview Sinn und Bedeutung der Dinge und Einrichtungen im Gesamtzusammenhang der Wohnbiographie reflektieren, die Bewertung von Situationen im Repertory Grid die konkreten beobachteten Wohntätigkeiten verständlich oder erneut erklärungsbedürftig machen, die konkreten Tätigkeiten selber die erfassten Nutzungsspuren mit Leben füllen, die Eigentümlichkeiten der konkreten Gestaltung beobachtbare Tätigkeitsmuster erklären oder diesbezüglich weitere Fragen aufwerfen, und so weiter und so fort.
((15)) Alle vier methodischen Perspektiven zusammen spannen auch einen Bogen vom konkreten, jeweils aktuellen Wohngeschehen im Funktionskreis zu den überdauernden Gewohnheiten und Haltungen; sie referieren sowohl auf tatsächliche Wechselprozesse zwischen Personen und Wohnung wie auch auf deren Voraussetzungen und Verarbeitungen in Erinnerungen, Erwartungen und in den wertenden Reflektionen dieser Personen, wenn man will, zu so etwas wie den personinternen und den umwelttypischen (also organismus-externen, aber dennoch dieser oder jener Person zugehörigen) Funktionsdispositionen und -wirkungen. Die Möglichkeit, die Beschreibungs- und Deutungsgesichtspunkte zwischen solchen Ebenen wechseln zu können und eine bestimmte Ebene auf die anderen beziehen zu können, ist vielleicht für kulturpsychologisches Forschens ein Kennzeichen von grösster Bedeutung.
((16)) Mit der Erhebung und Verarbeitung dieser vier Perspektiven auf verschiedenen Ebenen haben wir das "Wohnen" acht verschiedener Wohngruppen -- kleine Familien oder Paare -- zu zwei Zeitpunkten im Abstand von drei Monaten bis zu einem Jahr beleuchtet -- teilweise gezielt nach einem Umzug in eine neue Wohnung -- und uns damit in rudimentärer Weise der systemischen Entwicklung von Person-Kultur-Einheiten angenähert. Im Sinne von Lebensnähe ist das gesamte gesammelte Material die angemessenere Darstellung des Wohnens; im Sinne von Verständlichkeit ist jedoch eine der durch Theorie gesteuerten "höheren" Auswertungsstufen, die auf mutmasslich Wesentliches abstrahiert haben und damit wissenschaftlich die eher mitteilbaren Darstellungsformen sind. Die letzten dieser Stufen, welche idealerweise Interpretationen des Wohnens von möglichst vielen verschiedenen Wohngruppen sowohl synthetisiert wie auch in systematischer Weise diversifiziert darzustellen versuchen, kann man als das angestrebte Hauptergebnis unserer Forschung betrachten. Wir können heute noch zu wenig genau zeigen, wie das aussehen wird. Aber es scheint wahrscheinlich, dass es sich nicht in eine Form zwingen lassen wird vom Typus: dieserart ist Wohnen. Vielmehr sind Darstellungen unter explizierten theoretischen Perspektiven angezeigt, welche Rezipienten der Forschung -- das können Wohnende selber sein wie Fachpersonen, welche "Bestandteile" zum Wohnprozess planen, herstellen, bereitstellen, darüber reflektieren etc. -- verständlich machen, in welchen verschiedenartigen Weisen Menschen mit ihren Räumen und Dingen und wie Räume und Dinge mit "ihren" Menschen operieren können. Darüber hinaus interessiert, was für verschiedenartige Wirkungen und Entwicklungen dadurch in diesem Feld und in in seinen weiteren Rahmenbedingungen jeweils hervorgebracht werden können.
((17)) Die Anlage des Projekts ist in einer Phase des Uebergangs von einer dominant umwelt- zu einer explizit kulturpsychologische Forschungsstrategie entworfen worden. Das findet Ausdruck beispielsweise darin, dass die Bezüge der vier methodischen Perspektiven untereinander und zum Ganzen des Funktionskreises erst im Laufe der Durchführung in ihrer Tragweite erarbeitet worden sind und zweifellos weiterer Klärung bedürfen. Klar genug ist freilich schon früh gewesen, dass kulturpsychologische Forschung auf die konkrete Ebene des Austausches zwischen Menschen und ihrer Umwelt gehen muss und dass den Personen eine Chance gegeben werden soll, ihr Handeln in einer nicht vom Forscher vorbestimmten Weise in Umweltgestaltungen oder -überformungen zu konkretisieren. Denn Menschen sind ebenso Schöpfer ihrer Umwelt wie Geschöpfe von Situationen, die ihresgleichen und sie selber im Rahmen einer Tradition geschaffen haben. Als wichtig hat sich auch der Gesichtspunkt erwiesen, der Entwicklung der Personen-Wohnungs-Systeme nicht bloss durch retrospektive und prospektive Auskünfte sondern durch mehrmalige und aufeinander beziehbare Datengewinnung gerecht zu werden. Kulturpsychologische Forschung ist ungemein aufwendig und kann auf Dauer nicht mit Einzelprojekten sinnvoll vorangetrieben werden; die Forschergemeinschaft wird sich daran gewöhnen müssen. Es ist mehr als nur wünschbar, die Projekte so anzulegen, dass Methoden, Material und Ergebnisse Bestandteile einer wachsenden Sammlung werden können, auf welche im Fortschreiten der Einsichten in ähnlicher Weise zurückgegriffen werden kann, wie wir heute über vergangene Kulturen aus Museen und Sammlungen erfahren können.
((18)) Das Ganze unseres Projektes dürfte deutlich machen, dass wir mit kulturbezogener Psychologie ein Programm bezeichnen wollen, welches das Werden individueller Personen in ihrer Bedeutung für das Leben ihrer Gemeinschaften ebenso systematisch und empirisch auf Begriffe bringen will wie die Bedeutung von Traditionen in allmählichem Wandel als zentrale Bedingung für das Leben jener Personen. Ein Zugang dazu über den ökologischen Funktionskreis, welcher die Prozesse der Herausbildung jener korrespondierenden Strukturen in und zwischen den Individuen begreift, welche zusammen mit ihren stabilisierenden Wirkungen zugleich die Träger des Wandels sind, hat sich im Feld des Wohnens als äusserst fruchtbar erwiesen. Wir schlagen vor, die Frage zu diskutieren, ob dieser Zugang ein Modell für andere Felder kulturbezogenen Geschehens mit Menschen sein kann und an welche Grenzen er stösst. Die Erarbeitung von äquivalenten Modellen von verschiedenen Feldern her und im Hinblick auf ein übergeordnetes Verständnis einer Wissenschaft von der menschlichen Kondition dürfte das geeignetste Vorgehen sein, zu einem Programm einer Psychologie zu gelangen, welche die Kulturalität und Geschichtlichkeit der Menschen ebenso ernst nimmt wie ihre biotische und logische Konstitution.
Boesch, Ernst E. (1997) Haus und Heim, oder die zwei Sehnsüchte. Publikation vorgesehen in: Boesch, Ernst E. (im Druck bei Huber, Bern, 1998) Von der Sehnsucht. Ausarbeitung eines Vortrags 1995 im Institut Européen d'Ecologie in Metz.
Lang, Alfred (1992) Kultur als 'externe Seele' -- eine semiotisch-ökologische Perspektive. (Beiträge zum 2. Symposium der Gesellschaft für Kulturpsychologie, Mittersill, 9.-12.5.91.) Pp. 9-30 in: Christian Allesch; Elfriede Billmann-Mahecha & Alfred Lang (Eds.) Psychologische Aspekte des kulturellen Wandels. Wien, Verlag des Verbandes der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs.
Lang, Alfred (1993) Non-Cartesian artefacts in dwelling activities -- steps towards a semiotic ecology. Schweizerische Zeitschrift für Psychologie 52 (2) 138-147.
Lewin, Kurt (1943-47/1951) Psychologische Ökologie. (Concstructs in psychology and psychological ecology.) Pp. 206-222 in: D. Cartwright (Ed.) Feldtheorie in den Sozialwissenschaften: ausgewählte theoretische Schriften. Bern, Huber, 1963. (Nachdruck 1982 in Kurt Lewin Werkausgabe 4.291-312).
Slongo, Daniel; Schär Moser, Marianne; Richner, Margrit; Billaud, Chantal; Schläppi Schreiber, Sabineet al. (1995) Über die Regulation psycho-sozialer Systeme durch architektonische und alltagsdingliche Kultur - Ansatz, Methodik und erste Ergebnisse deskriptiver Wohnpsychologie. Forschungsberichte, 95-02, Bern, Institut für Psychologie der Universität Bern. 181 Pp.
Slongo, Daniel; Schär Moser, Marianne; Billaud, Chantal; Schläppi Schreiber, Sabine & Lang, Alfred (1996) Über die Regulation psycho-sozialer Systeme durch architektonische und alltagsdingliche Kultur (II) - Weitere Ergebnisse deskriptiver Wohnpsychologie. Forschungsberichte, 96-01, Bern, Institut für Psychologie der Universität Bern. 222 Pp.
Valsiner, Jaan (1996) Development, methodology, and recurrence of unsolved problems: on the modernity of "old" ideas. Swiss Journal of Psychology 55 (2/3) 119-125.