Alfred Lang | ||
Handout at Conference Presentation 1997 | ||
Strukturen in und zwischen den Köpfen -- Vom Wohnen in nicht-dualistischer Sicht | 1997.06 | |
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mit einem Beitrag über Wohnen von Marianne Schär Moser Innen-Leben und Aussen-Welt -- Mensch und Raum in Kunst, Literatur und kulturwissenschaftlicher Sicht: Vortragsunterlagen zum Münchenwilerseminar 1997 der phil.-hist. Fakultät der Universität Bern am 6. Juni 1997 | © 1998 by Alfred Lang | |
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1. Wovon zum Beispiel die Rede ist2. Methodologische Rahmenthesen
3. Spezielle Thesen -- semiotische Ökologie zur Situierung des Infeld-Umfeld-Problems
4. Privatwohnen -- Was man weiss und doch nicht kennt --Ansatz, Methodik und erste Ergebnisse deskriptiver Wohnpsychologie. von Marianne Schär Moser
Aus den Abschnitten 1 und 2 wurde vorgetragen, die Abschnitte 3 und 4 waren den Teilnehmern schriftlich abgegeben worden und wurden kurz erläutert.
1.1. Das Haus in seiner Nachbarschaft1.2. Das Zimmer in seinem Haus, seiner Wohnung
1.3. Die Stadt, die Siedlung in ihrem Umfeld, abgegrenzt durch Mauern mit Toren, Glacis, Grüngürtel, etc.
1.4. Der Organismus in seiner Umwelt
1.5. Die Person in ihrer Kultur
1.6. Die Kleingruppe in ihrer sozialen und physisch-kulturellen Umgebung, zB Wohnen
1.7. Nur mit Bedenken rede ich auch von Innenerleben (als Erleben von Individuen) im Verhältnis zu der ihnen gemeinsamen Aussenwelt;
- denn ersteres, das sog. Subjektive, ist privat, nur jedem Individuum eigen, durch Erlebnisbericht nur unzulänglich darstellbar, also zu erschliessen;- und letztere, das sog. Objektive, ist ebenfalls nur aus den Darstellungen, die durch einzelne Individuen in gemeinsamer Anstrengung erfolgen, konstruiert und zu erschliessen.
- Subjekt-Objekt-Sprache ist eine irreführende Denkfigur, eine "gesetzte" Trennung des Zusammengehörigen, Zusammenfunktionierenden. Die beiden ursprünglich aufeinander bezogen gedachten Bereiche haben sich je für sich verselbständigt. Der Versuch, sie wieder ins Verhältnis zu setzen, führt zu nur Scheinproblemen.
- Eine methodologische Konsequenz: der Innen-Aussenbezug sollte immer nur von einem Drittstandpunkt her dargestellt werden.
1.8. Begriffe in ihrem Begriffsfeld; Konzeptionen in ihrem Weltbild
1. Die abendländische Auffassung der menschlichen Kondition wird vom Oppositionsdenken beherrscht (Subjekt des Erkennens und des Handelns vs. Objektwelt u.ä. Dualismen). Demnach seien die Strukturen in den Köpfen fundamental anderer Natur als die Strukturen der Welt zwischen den Köpfen.
2. Menschen und Lebewesen überhaupt sind wohl freilich eher Ausgliederungen aus der einen planetaren Welt insgesamt. Sie sind Teile von einem umfassenderen Ganzen. Sie erhalten sich einige Zeit auf ihre je eigene Weise und replizieren sich annähernd in mehr oder weniger "gelungenen" Verhältnissen von (Teilsystem- oder) Binnen- und Umweltstrukturen und jeweils spezifischen Austauschfunktionen. In den beobachtbaren Evolutionen (insb. biotisch, organismisch, kulturell) kommt es unter Auflösung von bestehenden zu immer neuen Ausdifferenzierungen und ebenso zu immer neuen Ausgliederungsformen und gesamtweltlichen Strukturen und Prozessen.
3. Biotische und kulturelle Strukturen sind notwendig stofflich-energetische Formationen. Beobachtbare Formationen physiko-chemisch zu begreifen heisst ihre stoffliche und energetische Beständigkeit voraussetzen und ihre strukturellen Eigenschaften nomologisch auf die Eigenschaften ihrer energetischen und stofflichen Konstituenten (Kräfte, Atome, Moleküle) zurückführen (wollen). Sie biologisch oder kulturell zu begreifen heisst ihren stofflichen und energetischen Bestand für austauschbar halten und ihre strukturellen Eigenschaften geschichtlich auf die Wechselwirkungen mit anderen Strukturen im Lauf ihres Gewordenseins zurückzuführen. (Auch kosmische und mineralische Strukturen sind in singulärer Geschichte geworden und nicht allein nomologisch erklärbar; doch dürften sie nicht in gleicher Weise evolutiv sein wie biotische oder kulturelle Strukturen.) Im zweiten Fall sind nomothetische Verursachungsvorstellungen vom Typus: Zustand A führt notwendig (gelegentlich durch Zufall aufgeweicht) zu Zustand B nicht zureichend oder unangebracht.
Das Bemerkenswerte an biotischen und kulturellen Strukturen ist, dass sie in der Interaktion mit "ihresgleichen" zu ganz anderen Wirkungen fähig sein können als aus ihrem stofflich-energetischen Eigenschaften allein zu erwarten wäre. Sie sind zwar (von den grossen Molekülen über die Organismen und Gruppen bis zu den Metropolen und grossen Sammlungen oder Bibliotheken) physiko-chemisch mögliche Strukturen, kommen aber faktisch in bestimmten Konstellationen unendlich häufiger vor als statistisch zu erwarten wäre. Die einschlägige Bedingungs-Wirkungs-Vorstellung ist mithin unreduzierbar triadischen (tri-relationalen) Charakters und kann allgemein lauten: Das kontingent-selektive Zusammentreffen von Struktur A mit Struktur B generiert, modifiziert oder aktualisiert Struktur C.
4. Triadische Strukturbildungsvorstellungen müssen allen offen-evolutiven Vorgängen zugrundeliegen; dyadische Verursachung ist ihr Sonderfall; nicht umgekehrt. Denn notwendige Verursachung allein müsste zu letztlich zirkulären, verbunden mit Zufall zu unendlich divergierenden Strukturbildungen führen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist jedoch in der Phylogenese, im Kulturwandel wie in den individuellen Entwicklungen Divergenz stets mit Konvergenz verbunden.
5. Die triadische Bedingungs-Wirkungs-Vorstellung ist strukturgleich mit dem Zeichenprozess, insofern etwas Zeichenhaftes, wenn geeignet interpretiert, ganz anders wirken kann als das materielle Zeichen als solches. Aber die Semiotik hat bisher immer einen subjektartigen Interpreten vorausgesetzt. Die Vorstellung einer triadischen generativen Semiotik kann jedoch auf alle in evolutiven Systemen involvierten Strukturen angewendet werden.
6. Das grosse weisse Feld im Gesamt der Wissenschaften ist die Weise des Bezugs zwischen ausgegliederten Strukturen oder Subsystemen und ihren Rahmensystemen, generell das Innen-Aussen-Verhältnis von Systemen; denn in unseren Verständnisversuchen haben wir zu freizügig Strukturen nach unserer eigenen Organisiertheit und Gusto ausgeschieden und idR isoliert analysiert anstatt bezogen untersucht.
7. Alles, worüber wir uns Begriffe machen können, womit wir umgehen und worüber wir uns austauschen können, ist ein aus einem Umfeld Ausgesondertes und durch unsere Aussonderungs- und Umgangsweisen ebenso wie durch Momente seines Umfelds konstituiert.
Unsere Wahrnehmung und unsere Begriffbildung sind ihrer Natur und Gewöhnung nach darauf angelegt, uns das Figurhafte bzw. das Wesentliche einer Erscheinung herauszustellen und die Bedingungen aus dem Umfeld bzw. das Akzidentelle unscheinbar zu machen, sofern wir ihm nicht eigens unser Interesse zuwenden und es damit figurhaft bzw. wesentlich machen und damit seinen Umfeldcharakter nicht zur Wirkung kommen lassen.Aber es kann auf die Rolle des Umfeldes aus der Analyse des jeweiligen Gesamtsystems geschlossen werden. Die Untersuchung von Systemen, die als Infeld und Umfeld verstanden werden, dürfte die Strategie der Wahl zur Minderung der Problematik darstellen.
8. Alles, worüber wir uns Begriffe machen. ist demnach als Referenz ein "Innen" in seinem eigenen "Aussen" gewesen und wird als Begriffenes ein "Innen" in einem neuen "Aussen" unseres Begriffssystems.
9. Ist vielleicht die Teil-Ganzes-Relation eine sinnvollere Rahmenkonzeption zum Verständnis der Menschen in ihrer Welt als die Opposition von erkennenden und agierenden Subjekten gegenüber einer Objektwelt?
1. In einer gründlich evolutiven Sicht kann es nicht darum gehen, eine Welt, wie sie ist, zu erkennen; vielmehr sollten wir die Wechselwirkungen unter den Strukturen der Welt (wie wir sie aussondern oder erschliessen können) darstellen und damit die wechselweise Konstitution der unterscheidbaren Strukturen verstehen.
2. Solche Strukturen überhaupt, und nichts als solche Strukturen in ihrer evolutiven Herausbildung, sind die Bedingungen der Herausbildung aller weiteren solchen Strukturen, einschliesslich jener komplexen Strukturen, welche menschliche Individuen, deren soziale Organisation und deren kulturelle Erzeugnisse sind.
3. Kontinuitätsthese: Es gibt keine guten Gründe (Denkgewohnheiten reichen nicht!) in der gesamten uns zugänglichen Welt einen Bruch anzunehmen, der Erkennende zu fundamental anderen Gebilden machen würde als alle anderen.
4. Real evolutiv denken heisst, Dialektik durch Dialogik ersetzen. Dialektik operiert nominal (These und Antithese interagieren nur in der Symbolwelt des Dialektikers); dialogisch wirken ein reales Gebilde auf ein anderes reales Gebilde und dieses umittelbar oder mittelbar über dritte reale Gebilde auf jenes zurück. Dialogik tritt unweigerlich im Zusammenhang mit lebenden Gebilden auf: daran beteiligt sind immer konkrete Organismen und Teile ihrer konkreten Umwelt. Die beteiligten Gebilde können teils direkt beobacht, teils aus den beobachtbaren Gliedern in den für das Funktioneren notwendigen Ketten oder Netzen von Wirkungszusammenhängen erschlossen werden. Dialogik konstituiert besonders auch neue, dritte Gebilde; im Normalfall modifiziert oder aktualisiert sie die an der Interaktion beteiligten Gebilde.
5. Gebilde, die das Ergebnis gemeinsamer Geschiche, die also einander affin sind, können untereinander auf eine Weise zusammenwirken, welche unter irgendwelchen Gebilden nicht möglich ist. Typisch für ungeahnte Wirkungsmöglichkeiten sind die in den bioevolutionen Strömen entstandenen organismischen Strukturen; in komplexen Lebewesen werden sie durch Individualerfahrung erweitert und besonders in den in kulturellen Systemen der Menschen werden überdies gemeinsame Umweltstrukturen "zwischen" den Menschen gebildet: die kulturellen Strukturen.
6. Das impliziert, dass biotische und kulturelle Strukturen nie als solche (isoliert) in ihrer Eigenart bestimmbar sind. Ihr Wirkungspotential wird erst in Interaktion mit ihnen affinen Strukturen überhaupt manifest werden.
7. Die Interaktion zwischen biotischen und kulturellen Strukturen lässt sich durch physiko-chemische Verursachungsvorstellungen vom Typus aus A folgt notwendig (und manchmal zufällig) B nicht ausreichend abdecken; denn ohne Verletzung von Naturgesetzen von Stoff und Energie sind es die evolutiv herausgebildeten strukturellen Momente der interagierenden stofflich-energetischen Gebilde, welche weiterwirken.
8. Evolutive Bedingungs-Wirkungszusammenhänge sind triadische Relative: das Zusammenwirken von Struktur A mit der unabhängig existierenden aber mit A affinen Struktur B generiert, modifiziert oder aktiviert Struktur C.
9. Semiotische Ökologieist eine allgemeine Begrifflichkeit zur Darstellung von Strukturbildungen in Lebewesen-Umwelt- und Person-Kultur-Systemen.
10. Vielleicht am schlechtesten von allem, jedenfalls in Relation zur Bedeutung des Problems, verstehen wir das Verhältnis zwischen Innen und Aussen, von Systemen in ihrem Umfeld (Rahmensystem) allgemein, zwischen einem Wohnbereich und seiner Umgebung als Beispiel, vom Innen(er)leben oder -geschehen zum Aussenleben oder Geschehen um jemanden herum als Typus öklogischer Systeme.
10.1. Das ist nicht verwunderlich angesichts der vorherrschenden wissenschaftlichen Strategie des Isolierens von Gebilden aus ihrem Kontext zum Zweck ihrer Analyse, angesichts der viel seltener eingesetzten Strategie des Einbringens einer aufweisbaren Erscheinung in ihren Bedingungs- und Wirkungszusammenhang in der Absicht sie zu verstehen.10.2. Das Einbringen von etwas in den es bestimmenden und von ihm bestimmen Zusammenhang ist jedoch als Verstehensstrategie umso wichtiger, je komplexer die Ausgangserscheinung ist. Lebende und kulturelle Gebilde sind durch Analyse allein unverständlich; die Aufteilung in seine Bestandteile tötet etwas Lebendes, nimmt einem kulturellen Gebilde seinen Sinn.
10.3. Die Alternative zur Analyse ist jedoch nicht die Synthese. Das würde nur den Ausschneider durch den Konstrukteur ersetzen. Etwas Begreifen heisst es aus seinem Werden und seinem Wandel oder aus seinen konstitutiven Interaktionen mit den es umgebenden Gebilden, mithin als Infeld in seinem Umfeld, darstellen.
von Marianne Schär Moser
Institut für Psychologie, Universität Bern
(Aus einem Vortrag im Institut für Wohnen und Umwelt in Darmstadt vom Juni 1996; Auswahl, Auszeichnungen und Ergänzungen in [ ] von AL)
Wir meinen zu wissen, was Wohnen ist. Schliesslich wohnen wir tagtäglich. Wohnen ist etwas sehr Selbstverständliches -- aber wissen wir wirklich, was "Wohnen" ist?
Wohnen müsste eigentlich eines der vordringlichsten Themen der Psychologie sein. Wir verbringen -- das ist eine grobe Schätzung -- etwa zwei Drittel unseres Lebens in der Wohnung, die Hälfte davon wach. In der Wohnung finden ganz alltägliche Tätigkeiten statt, wir erholen uns, erziehen unsere Kinder, dekorieren die Wohnung, empfangen Gäste... Wir investieren viel Geld in die Wohnung und ihre Einrichtung und schützen sie gegen Eingriffe. Sie ist als Ausgangs- bzw. Endpunkt von Handlungen ausserhalb bedeutungsvoll. Kurz: Die Wohnung ist gewissermassen ein Teil von uns selber [ -- um nicht auch zu sagen, aus einer Perspektive von ausserhalb unser selbst: wir seien gewissermassen auch ein Teil unserer Wohnung]. Wohnungen sind also weit mehr als ein Dach über dem Kopf, sichere Schlafstätten und Schutzräume vor Kälte, Aufbewahrungsorte unserer Dinge.
Wohnen fristet als Thema innerhalb der Psychologie ein Schattendasein. Wo es untersucht wird, steht meist institutionelles Wohnen im Blickfeld. Privatwohnen hingegen wird selten thematisiert. Wo Privatwohnen untersucht wird, werden meist Meinungen und Präferenzen zum Wohnen bzw. zur Wohnung erfragt. Die tatsächlich stattfindenden Wohntätigkeiten hingegen sind kaum untersucht. Wohnen als Geschehen zwischen Menschen, Dingen und Räumen ist ein weitgehend unbekanntes Feld. [Architektonisch, technisch, ökonomisch zählt das Wohnungswesen zu den höchstentwickelten und bedeutendsten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens; demographisch, auch ethnographisch ist vieles bekannt; aber wie Menschen dazu kommen, gerade so zu wohnen, wie sie wohnen, und was die Wohnanlagen mit den Menschen "machen", ist weitgehend unbekannt.]
Rufen wir uns zunächst einmal die grundsätzlichen Voraussetzungen einer ökologischen Perspektive in Erinnerung. Ökologisch betriebene Psychologie -- und das ist wohl der Kernpunkt -- betrachtet Individuum und Umwelt als zwei gleichwertige Komponenten [eines Gesamtsystems], die je alleine gar nicht denkbar sind und somit auch nicht getrennt untersucht werden können. Auf unser Thema übertragen heisst das, dass weder Menschen noch Wohnungen mit ihren Dinge je für sich unser Untersuchungsgegenstand sein können sondern eben Menschen mit ihren Dingen in ihren Räumen.
Mensch und Umwelt als gleichwertige Teile eines Systems zu betrachten bedeutet aber auch, dass sie in derselben Begrifflichkeit gefasst werden sollten, wie das schon Kurt Lewin gefordert hat. Konkret gesagt bedeutet das, dass die "internen Strukturen" des Menschen und "externe Strukturen" in der Welt äquivalent konzeptualisiert werden müssen.
Gleichzeitig legt das systemare Verständnis nahe, Mensch-Umwelt-Systeme in ihrer wirklichen Komplexität zu fassen. Es ist unmöglich, Einzelaspekte zu untersuchen und zu glauben, so nach und nach das "Ganze" zu verstehen. Dieses "Ganze" ist ja eben -- das wissen wir spätestens seit den Erkenntnissen der Gestaltpsychologie -- etwas anderes als die Summe seiner Teile!
Mensch und Umwelt stehen in einer ständigen Transaktion, das heisst, sie beeinflussen sich wechselseitig und verändern sich [und einander] damit [in einem dialogisch-evolutiven Generationsprozess]. Menschliche Handlungen hinterlassen Spuren in der Umwelt; über die Wahrnehmung beeinflusst die Umwelt den Menschen. Das bedeutet, dass wir zwingend grössere Zeiträume und nicht lediglich "Momente" betrachten müssen, um etwas über die uns interessierenden Zusammenhänge in der Mensch-Umwelt-Transaktion zu erfahren. Das alles bedingt natürlich eine adäquate methodische Herangehensweise an unseren Gegenstand. Zunächst aber suchen wir nach einer Begrifflichkeit bzw. einem theoretischen Rahmenkonzept, das uns erlaubt, Mensch-Umwelt-Systeme in ihrer Entwicklung zu beschreiben. Es muss Mensch und Umwelt als gleichwertige Komponenten fassen, ebenso aber auch strukturelle Momente und Prozesse in einheitlicher Weise konzeptualisieren. Als derartiges konzeptuelles Framework schlägt Lang die semiotische Ökologie vor.
Kernstück dieser Idee ist ein viergliedriger Funktionskreis. Der Begriff des Funktionskreises stammt vom Biologen Jakob von Uexküll, der zu Beginn unseres Jahrhunderts für die Biologie überzeugend dargestellt hat, dass jedes Lebewesen nur mit den eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten auf die Welt hin orientiert sein kann und nur mit den ihm eigenen Handlungsmöglichkeiten auf die Welt einwirken kann. Das mag banal und selbstverständlich tönen, hat aber, wenn man den Gedanken ernst nimmt, weitreichende Konsequenzen für die Konzeption des Lebens von Menschen in ihrer selbsterzeugten Umwelt, also ihrer Kultur. Für alle Lebewesen, auch für den Menschen, gilt also, dass nur das als ihre Umwelt begriffen werden kann, was sie wahrnehmen und wo sie handeln können. Dieser Austausch zwischen dem Menschen und seiner Umwelt -- verstanden als zwei Teilsysteme in einem übergeordneten M-U-System -- muss als Informationswechsel verstanden werden. Nur durch die Konzeption des Austausches als Informationswechsel kann nämlich verständlich werden, wie ein "physischer" Gegenstand zu einem "psychischen" wird und umgekehrt. [Durch die Einführung einer generativen, nicht bloss interpretativen Semiotik] wird der verhängnisvolle Dualismus, der Psychisches und Physisches als grundsätzlich verschieden versteht, aufgehoben.
Betrachten wir den semiotisch-ökologischen Funktionskreis etwas näher. Lang geht davon aus, dass es sinnvoll ist, den von Uexküll als zweigliedrig konzipierten Funktionskreis zu einem viergliedrigen auszubauen, um ihn auf die menschliche Lebenswelt zu übertragen.
Ausgehend von der Innenstruktur -- also der psychischen Organisation des Menschen -- führen Handlungen zu einer Veränderung der Aussenstruktur, also der Umwelt. Jede Handlung hinterlässt Spuren in der Welt, seien sie dauerhaft wie Gebautes oder flüchtig wie ein gesprochenes Wort. Diese aktionalen Prozesse nennt Lang ExtrO-Prozesse.
Als Welt unterliegt diese Aussenstruktur ihren eigenen Veränderungsprozessen, sei es durch Naturkräfte oder aber durch die Wirkung anderer Personen. Diese Aussenstruktur kann allgemein als das Kulturelle verstanden werden. Die dort stattfindenden Prozesse begreift Lang als ExtrA-Semiosen [im Bezug auf das interessierende Subsystem "Individuum"].
Von der Aussenstruktur führen Wahrnehmungsprozesse -- Lang nennt sie IntrO-Prozesse -- zu Veränderungen der Innenstruktur. Auch diese Veränderungen können flüchtig oder mehr oder weniger überdauernd sein.
In der Innenstruktur kommt es wiederum zu eigengesetzlichen Veränderungen und Verarbeitungen, die Lang IntrA-Prozesse nennt. Diese entsprechen in etwa dem, was traditionellerweise als das eigentliche Gebiet der Psychologie verstanden wird, also zum Beispiel kognitive, emotionale und motivationale Prozesse [und Strukturen]. Sie bilden nicht nur die Verbindung zwischen "hereinkommenden" und "herausgehenden" Prozessen sondern sind auch die gebliebenen Spuren der vergangenen Erfahrungen im Sinne eines persönlichen Gedächtnisses und ermöglichen Erfahrungen, Vorstellungen, Phantasien usw. der Person.
[Wenn wir soeben die Aussenstrukturen in Bezug auf ein Individuum, insofern sie in seine Funktionskreise involviert sein können, als "das Kulturelle" bezeichnet haben, so bedarf das in zweierlei Hinsicht einer Qualifizierung.
[(A) Denn natürlich kann "das Kulturelle" nicht als Aussenstruktur tel quel mit "der Kultur" gleichgesetzt werden, weil diese Aussenstrukturen ja bloss perspektivisch auf das uns Interessierende Individuum zu fassen sind; unser Individuum hat im Laufe seines Lebens Teile davon selber "gemacht" und ist selber ganz wesentlich von diesen Aussenstrukturen, die natürlich zur Hauptsache von anderen geschaffen worden sind, von einem Individuum zu einer Person "gemacht" worden. Mithin ist die Gesamtheit einer kulturellen Tradition mit der Gesamtheit der Funktionskreis-Aussenstrukturen aller Angehörigen einer Gemeinschaft im Laufe der Zeit zu identifizieren. Die Kultur in diesem Sinne von gemeinsamen Aussenstrukturen ist also bloss ein Nominalbegriff, der auf eine unfassbare Menge und einen Zusammenhang von Einzelstrukturen verweist, welche in eine indefinite Menge von Funktionskreisen eingehen können.
[(B) Damit ist auch schon deutlich gemacht, dass das Kulturelle im Sinne der potentiell gemeinsamen Aussenstrukturen einer Gruppe nicht als Objektbereich der dieser Gruppe zugehörigen Subjekte begriffen werden kann und darf. Denn als aussenstrukturelle Kultur existieren alle diese Gebilde nur in ihrer jeweiligen Rolle in Funktionskreisen. Sie aus diesen herauszulösen, hiesse, sie unabhängig von diesen Rollen begreifen zu wollen, was nur zu Missverständnis führen kann. Kulturelles darf nicht "objektiviert" werden. Ebenso misslich wäre jedoch zu sagen, die Kultur bestehe aus selbständigen Objekten, die in den Funktionskreisen, in die sie eintreten, gewissermassen bloss "subjektiviert" werden. Eine solche Konzeption reduzierte das Kulturelle gewissermassen zu einer subjektiven Attribution, freilich durch viele Individuen; dadurch wird der Konflikt zwischen diesen unvermeidlich. Das mag erträglich sein, solange die meisten Interaktionen unter den Angehörigen einer Gemeinschaft erfolgen. In einer "multikulturellen" Gesellschaft bleiben nur die Alternativen einer zunehmenden "Objektivierung" des Welt- und Menschenverständnisses, wie es die Moderne sucht, und einer reaktiven "Subjektivierung" durch diejenigen, welche sich durch Herrschaft Objektivierender benachteiligt und ihre menschliche Würde bedroht sehen.
[Tatsächlich operieren wir heute mit einem diffusen Kulturbegriff, der dualistisch zwischen objektivierenden und subjektivierenden Neigungen schwankt. Man kann aber diese konfligierenden Auffassungen unserer Welt durch eine semiotive ablösen, in der alle unterscheidbaren Gebilde in ihren Funktionskreisrollen zeichentheoretisch begriffen werden (vgl. Lang 1993/97, Denkmalpflege , 1993/98, Semion ).]
Die einzelnen Prozesse im Funktionskreis werden von Lang als Zeichenprozesse verstanden -- das heisst, wie oben angedeutet, dass in jeder Phase des Funktionskreises Informationswechsel bzw. Ðverarbeitung stattfindet; die jeweils entstehenden "Spuren" müssen demnach als zeichenhafte Strukturen konzipiert werden.
Der Funktionskreis ist eigentlich spiralig zu verstehen, weil sich das System durch die ständigen Transaktionen verändert und die nächsten auf früher gebildeten Strukturen aufbauen können. Diese Veränderungen im System sind nicht zufällig -- gewisse also wahrscheinlicher als andere --; sie sind aber auch keineswegs zwingend, denn die Verursachunsvorstellungen der klassischen Naturwissenschaften, in denen A notwendigerweise zu B führt -- allenfalls durch Zufallsmomente gestört -- werden den Zusammenhängen in sich entwickelnden Lebewesen-Umwelt-Systemen keineswegs gerecht.
Dies -- in aller Kürze dargestellt -- die Kernideen des theoretischen Rahmenkonzeptes, das unserer Meinung nach den Anforderungen, die wir ausgehend von der ökologischen Perspektive gesetzt haben, gerecht wird.
Es stellt sich nun die Frage, was die ökologische Perspektive -- nun auf dem Hintergrund des theoretischen Rahmenkonzeptes -- für Konsequenzen für die Art des Zugangs zu unserem Gegenstand hat.
Es leuchtet ein, dass eine ökologische Perspektive nahe legt, einer naturalistischen Methodologie mehr Gewicht zuzumessen, als das normalerweise in der Psychologie üblich ist, zumindest in den frühen Phasen des Forschungsprozesse in einem interessierenden Bereich. Naturalistische Methoden zeichnen sich -- dies in Abhebung zu experimentellen Vorgehensweisen -- durch eine ganzheitliche Herangehensweise aus, der Einfluss der Forschenden auf das von den Versuchspersonen wählbare Verhalten ist klein, ebenso ist die Kontrolle der antezedenten Bedingungen gering.
Konkret bedeutet das, dass ausgehend von einer naturalistischen Methodologie zunächst einmal die Charakteristika des zu untersuchenden Problembereichs beschrieben werden müssen, bevor sich konkrete Fragestellungen und Hypothesen ableiten lassen. Erst nach einer naturalistischen Geschehensdeskription können mittels theoretischer Annahmen psychologische Fragestellungen und Hypothesen abgeleitet werden, die dann gezielter überprüft werden können.
Weil wir davon ausgehen, es beim Wohnen auf der Ebene des konkreten Geschehens mit einem Feld zu tun zu haben, bei dem die Deskription und die Hypothesengenerierung aber auch elaborierte theoretische Konzepte weitgehend fehlen, ist es unser Ziel, zunächst einmal eine naturalistische Geschehensdeskription zu leisten. Der Vorteil einer tiefen Reaktivität des Verhaltens bei einer naturalistischen Methodologie wiegt für unseren Problembereich die allfälligen Nachteile, die durch das geringe Ausmass an Kontrolle möglicher Einflussfaktoren entstehen, bei weitem auf, weil wir in einer frühen Phase der Forschungsprozesses daran interessiert sind, in "botanisierender" Art Phänomene zu beschreiben und konsistent zu ordnen. In dieser Phase ist eine möglichst gute ökologische Validität -- verstanden nach Bronfenbrenner (1989) als "Ausmass, in dem die von den Versuchspersonen einer wissenschaftlichen Untersuchung erlebte Umwelt die Eigenschaften hat, die der Forscher voraussetzt" -- wichtiger als logisch eindeutige Interpretierbarkeit der Ergebnisse oder deren Generalisierbarkeit.
Konkret stehen wir nun vor der Frage, welches methodische Vorgehen uns zu diesem Ziel führen könnte. Wichtig dabei ist nicht nur, dass es mit dem theoretischen Rahmenkonzept vereinbar ist, ebensowichtig oder sogar noch zentraler ist, dass es der Beschaffenheit und den Merkmalen der zu betrachtenden Phänomenen gerecht wird.
Überlegen wir uns einmal, was der vorgestellte semiotisch-ökologische Funktionskreis bezogen auf das private Wohnen heissen könnte.
Objekte, Einrichtungen, die räumlich und dingliche konstituierte Struktur der Wohnung können als Angebot und Aufforderung verstanden werden. Als Angebote sind sie in einer langen Geschichte unter Beteiligung vieler Generationen so geworden, wie sie sind: Die Einrichter und die gegenwärtigen Nutzer haben daraus ein Angebot gewählt, welches für sie selbst und für ihre Besucher einen reichhaltigen Schatz an Aufforderungen enthält. Gleichzeitig ist die Einrichtung und Gestaltung der Wohnung sichtbares und wirkungsvolles Produkt von Wohntätigkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner, die so ihre je spezifische Art zu Wohnen ausdrücken und diese gleichzeitig erhalten, stabilisieren oder auch verändern.
Übertragen wir diese Gedanken nun konkret auf den Funktionskreis. ExtrO-Prozesse erfassen demnach die Auseinandersetzung mit der Wohnumwelt durch Handlungen, die zu vorübergehenden oder andauernden Veränderungen der konkreten Wohnung führen. ExtrA-Prozesse thematisieren die Wohnung als Handlungsprodukt und Grundlage weiterer Wohntätigkeiten auch unter Einbezug Dritter, seien dies potentielle Besucher oder allgemein vermittelte kulturelle Angebote. Bei den IntrO-Prozessen geht es um die Wahrnehmung der Wohnumgebung als Ausdruck und Aufforderung -- einerseits für die Wohnenden selber, andererseits aber auch für Gäste, die in der Wohnung empfangen werden. Bei den IntrA-Prozessen interessieren wohnbezogene [und soziale] Kognitionen, Bewertungen, Befindlichkeiten, motivationale Aspekte, und so weiter.
Die einzelnen Abschnitte im Funktionskreis sind also eng miteinander verknüpft und können nicht sinnvoll alleine betrachtet werden. Wenn wir Wohnen auf der Ebene des Geschehens zwischen Menschen, Dingen und Räumen verstehen wollen, müssen wir alle Phasen berücksichtigen.Das heisst, dass wir für unsere Geschehensdeskription als Grundlage eines umfassenden Verständnisses des Wohnens alle vier Teile des Funktionskreises aufeinander bezogen und in ihrer Entwicklung fassen müssen.
Wir wollen also sowohl Tätigkeiten in der Wohnung, die Wohnung selber, die subjektive Wahrnehmung bzw. Wirkung der Wohnung auf BewohnerInnen und potentielle Dritte aber ebenso wohnbezogene Kognitionen und Bewertungen erfassen. Das aber stellt nun schon rein vom theoretischen Framework her gesehen ein Problem dar. Forschenden sind generell immer nur Daten, die Handlungsprodukte im Sinne von Spuren in der Welt sind, direkt zugänglich, die "Innenbereiche" müssen erschlossen werden. Dieses Problem lässt sich nicht auflösen. So können wir lediglich versuchen, die Beobachtungsschwerpunkte so zu setzen, dass eine Art "Rekonstruktion" des Funktionskreises und seines Wandels in der Zeit dennoch möglich wird.
Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir für den viergliedrigen Funktionskreis vier Methoden gewählt, die prinzipiell voneinander unabhängig sind, sich aber doch auf dasselbe Referenzfeld beziehen -- nämlich eine konkrete Wohngruppe in ihrem spezifischen Umgang mit ihrer konkreten Wohnung.
Ich möchte Ihnen nun zunächst einmal diese vier Methoden vorstellen.
Beginnen wir mit den ExtrO-Prozessen. Hier interessiert uns, was Menschen in Ihrer Wohnung eigentlich tun. Zur Erfassung der Wohntätigkeiten haben wir uns für eine Tätigkeits-Stichprobe entschieden. Diese soll, wie der Name schon sagt, stichprobenweise Tätigkeiten aus dem Verhaltensstrom erfassen. Unsere Auskunftspersonen wurden mit Swatch-Pagern ausgerüstet, die zwei- bis dreimal pro Stunde zufällig ein Signal aussandten. Dieses war für die Untersuchten während der in der Wohnung verbrachten Wachzeit die Aufforderung, uns auf einem Tonbandgerät zu berichten, wo sie gerade sind, was sie gerade tun, wo und mit wem sie es tun, etc. Die Tätigkeitsstichprobe hat den grossen Vorteil, dass die Berichte aktuell erhoben werden können, also ohne dass Erinnerungsleistungen nötig sind. Zudem werden so auch Tätigkeiten erhoben, die den Wohnenden als zu selbstverständlich bzw. zu "klein" erscheinen, um etwa in einem Tagebuch aufgeführt zu werden oder dort zu global als "typisch" berichtet werden.
Während drei bis vier Wochen kamen so in jeder Wohngruppe hunderte von Wohn-Episoden zusammen, aus denen sich die Dynamik des konkreten Wohngeschehens in seinem raum-dinglichen Kontext eruieren lässt.
Die Wohntätigkeiten finden in konkreten räumlich-dinglichen Strukturen statt. Dieser ExtrA-Bereich wurde mit einem von uns entwickelten "Wohnungs-Beschreibungs-System" erfasst. Lage und Standort des Hauses, Grundriss der Wohnung und deren Möblierung wurden detailliert aufgezeichnet, ein Videofilm der ganzen Wohnung zur Erfassung kleiner Gegenstände gemacht. Der Grundriss kann zunächst als Möglichkeitsraum verstanden werden, der verschiedene Einrichtungsmöglichkeiten nahe legt, andere verhindert. Die Möblierung ihrerseits kann als erste persönliche Interpretation des Grundrisses durch die Wohnenden verstanden werden; kleinere Dinge als Spuren, aufgrund derer auf mögliche dort stattfindende Tätigkeiten geschlossen werden kann.
Bei den IntrA-Prozessen möchten wir eigentlich wissen, wie Menschen ihre Wohnumwelt wahrnehmen. Dazu bräuchten wir eine Methode, die uns erlauben würde, sozusagen "mit den Augen der Untersuchten" zu sehen. Als recht gute Annäherung an dieses Ziel erwies sich ein an die Autofotografie angelehntes Verfahren, das wir Foto-Report nannten. Wir baten unsere Auskunftspersonen, uns in 12 Fotos zu zeigen "was für sie Wohnen und Daheim-Sein" bedeute. Ausgehend von diesen Fotos führten wir ein leicht strukturiertes Tiefeninterview durch. Dieses erlaubte es uns, die Fotos und deren subjektive Bedeutung besser zu verstehen, aber auch das Wohngeschehen in den grössern Lebenskontext der Menschen zu stellen.
Um die IntrA-Prozesse erschliessen zu können, haben wir mit unseren Auskunftspersonen ein Repertory Grid durchgeführt. Basierend auf den traditionellen Verfahren sensu Kelly haben wir ein Vorgehen entwickelt, das uns das Verständnis von Wohnsituation im Kontext von polar organisierten Konstrukten ermöglicht. Wir haben die Leute Wohnsituation beschreiben lassen, die ihnen subjektiv wichtig sind. Diese wurden dann als Elemente verwendet, mit denen mittels Triaden oder Paarvergleichen bipolare Dimensionen gebildet wurden. Die Ratings im Grid erfolgten mit einer fünfstufigen Skala.
[Natürlich ist die Zuordnung der Methoden zur den Funktionkreis-Prozessphasen nicht so direkt, wie diese bewusst vereinfachende Darstellung nahelegen könnte. Beispielsweise setzt jede Tätigkeit als ExtrO bestimmte IntrOs und IntrAs voraus; eine Foto machen ist mehr als ein Analog zu einem IntrO, weil ja das Fotographieren selbst ein ExtrO-Akt und die Auswahl des Sujets einen reichen IntrA-Komplex und mannigfache Kontrollen betreffend nicht nur das Verhältnis zur Wohnung, sondern auch die Auffassung des Report-Auftrags impliziert.]
Mit diesem multimethodischen Vorgehen haben wir versucht, die Mensch-Umwelt-Systeme im Sinne des Funktionskreises ganzheitlich und mit möglichst wenig a-priori-Setzungen zu fassen, um so Daten zu erhalten, die uns eine naturalistische Geschehensdeskription ermöglichen. Um wirklich Mensch-Umwelt-Systeme in Entwicklung beschreiben zu können, haben wir unser Projekt als [minimalen] Längsschnitt konzipiert, bei denselben Personen also im Abstand von einem halben bis einem Jahr zwei Erhebungen durchgeführt [und in den Gesprächen Rückblicke und Planungen gestreift]. Wir haben also der präzisen und angemessenen Analyse der Komplexität unseres Forschungsgegenstandes höchste Priorität eingeräumt. Unter den Einschränkungen der ökonomischen Möglichkeiten des Forschens zwingt uns dieses Vorgehen zu Fallstudien, bislang haben wir 7 Wohngruppen mit dieser Methodik im Längsschnitt untersucht.
Ich möchte Ihnen nun beispielhaft einige Daten aus unserem Projekt vorstellen. Auch die naturalistische Geschehensdeskription muss sich selber eine gewisse Ordnung geben, um Daten überhaupt in einem linearen Text darstellen zu können. Wir haben uns entschlossen, die Daten nach inhaltlichen Kriterien zu gliedern und Felder von Tätigkeiten zu betrachten, die sich durch wiederholtes Auftreten und Ritualisierung auszeichnen. Zwei derartiger "Wohngeschenensfelder" aus zwei unserer Fälle möchte ich Ihnen im folgenden vorstellen.
Zunächst möchte ich Ihnen vom jungen Paar Moritz und Maja berichten. Beide sind vollzeitlich berufstätig, Maja als Sekretärin, Moritz seit seinem Studienabschluss ein halbes Jahr vor der Datenerhebung als Forscher im Medienbereich. Beide sind in einem mittelgrossen Dorf in einem Schweizer Bergkanton aufgewachsen, leben aber seit einigen Jahren in der Stadt. An den Wochenenden kehren sie regelmässig zu ihren Familien in ihren Heimatkanton zurück.
Wenn ich Ihnen nun aus dem Wohnen der beiden berichte, möchte ich dabei ein Thema herausgreifen, das sich im Längsschnitt als besonders interessant herausstellen wird: etwas so alltägliches wie das Fernsehen. Ich werde dabei nicht immer explizit machen, aus welcher unserer vier Methoden die Angaben stammen sondern versuchen, Ihnen in einer Art "Erzählung aus dem Felde" die Thematik näher zu bringen.
Betrachten wir zunächst einmal die räumliche Situation. Moritz und Maja leben bei der ersten Erhebung in dieser 4-Zimmer-Wohnung in einem Vierfamilienhaus nahe am Stadtzentrum.
Für unser Thema wollen wir das Wohnzimmer detaillierter betrachten, weil sich dort das Fernsehgerät befindet. Das eher kleine Fernsehgerät wurde auf einem Regal gegenüber dem Sofa eingerichtet. Grundsätzlich ist in der gesamten Wohnung nur ein TV-Anschluss vorhanden, jener im Wohnzimmer. Wenn die Bewohner also keinen Installationsaufwand betreiben wollen, ist es naheliegend, den Fernseher ins Wohnzimmer zu stellen.
Wenn wir das konkrete Verhalten von Moritz und Maja betrachten, wird sofort klar, dass Fernsehen zumindest von der Häufigkeit her eine wichtige gemeinsame Tätigkeit des Paares ist: rund 30% aller mit der Tätigkeits-Stichprobe erhobenen Episoden wenn beide daheim sind, berichten von gemeinsamem Fernsehen. Damit ist diese Tätigkeit gleich nach dem zusammen Reden die zweithäufigste und das Wohnzimmer der vorrangige gemeinsame Aufenthaltsort -- vom Schlafzimmer während der Schlafzeiten natürlich abgesehen. Regelmässig wenn sie nicht Besuch haben, beenden die beiden ihre Abende gemeinsam vor dem Fernseher. Offenbar hat diese gemeinsame Tätigkeit im Gewohnheitsmuster des Paares einen recht grossen Stellenwert.
Genau das berichten sie uns denn auch: Gemeinsames Fernsehen ist ihnen für Ihr Wohnen und ihre Partnerschaft wichtig. Es ist für beide eine Möglichkeit, sich zusammen zu erholen, ohne viel tun zu müssen und ohne Gespräche zu führen. Die Partnerschaft wird mehr durch die körperliche Nähe beim gemeinsamen Kuscheln als durch verbalen Austausch gepflegt. Moritz drückt das im Interview so aus:
"Es ist zum Entspannen, man redet ja dann nicht immer nur gerade, man ist einfach irgendwie zusammen und sagt nichts. Das ist die Zeit, wo wir einfach zusammen sind, wirklich um zusammen zu sein, ohne etwas zu diskutieren, oder. Es hat etwas zu tun mit Erholung, man kann noch ein wenig gemütlich sein, ein wenig ungezwungen."
Und Maja:
"(...) hier, wo du dich gemütlich entspannen kannst, wo du die Beine hochlagern kannst, wo du fernsehen kannst, und es ist gemütlich auf dem Sofa mit Moritz"
Auch in der Konstruktwelt des Repertory Grids zeigt sich sehr deutlich, dass das Fernsehen eine gemeinsame Tätigkeit ist, die ohne Aufwand Geborgenheit, Entspannung und Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt. Beide erleben diese -- doch eher passive -- Art von Partnerschaftspflege offenbar nicht wesentlich anders als aktivere Formen.
Eigentlich erstaunt diese durchwegs positiv erlebte Haltung gegenüber einer Partnerschaftspflege vor dem Fernseher, bei der explizit das "nicht-zusammen-Reden" genossen wird, zumindest zum Teil. Wir erinnern uns, dass Moritz Akademiker ist und dass es -- dies als subkulturelle Norm -- unter Akademikern zumindest in der Schweiz üblich ist, dem Fernseher als Unterhaltungsmedium kritisch gegenüber zu stehen. Wenn man einen hat, so versteckt man ihn im Schrank und stellt ihn nicht an dominante Stelle, an der ihn jeder Gast zwingendermassen sieht. Bei Moritz und Maja ist das nicht nur anders, sie beschreiben dieses Zusammensein sogar als äusserst positiv und erachten es für ihre Partnerschaft als wichtig und bereichernd. Um diese offensichtliche Diskrepanz ein wenig klären zu können, ist es nötig, dass wir noch einmal die räumlichen Gegebenheiten im Detail betrachten.
Der Fernseher steht, wie erwähnt, auf einem Regal im Wohnzimmer und ist dort in Dekorationsgegenstände eingebettet. Moritz erklärt, dass dieses Regal für ihn das Wohnzimmer ausmacht:
"Es ist der Fernseher und das Regal, die in dem Sinn unser Wohnzimmer ausmachen. Wir legen überhaupt keinen Wert darauf, dass wir eine riesige Wohnwand hätten oder so. Das möchten wir beide eigentlich nicht. (...) Ja, und das ist dann ein Stück weit eben zeigen, wie man wohnt."
Zu diesem "zeigen, wie man wohnt" gehört der Fernseher also durchaus dazu. Zur Wichtigkeit des Gestells tragen aber wesentlich auch die Dekorationsgegenstände bei, auf die beide im Gespräch eingehen. Es wird deutlich, dass diese kleinen Gegenstände -- Karten, Bücher, Fotos und mehr -- allesamt eine Verbindung zu den Herkunftsfamilien oder dem Herkunfstort von Moritz und Maja symbolisieren. Gleichzeitig beziehen sie sich auch auf die Akzeptanz der jeweils anderen Familie für den Partner; da die beiden im Konkubinat leben, ist das durchaus nicht selbstverständlich. So berichtet Moritz, dass Maja beim Kind seiner Schwester Patin geworden ist, was ihn sehr gefreut habe, weil man das eigentlich nicht mache, wenn man nicht verheiratet sei. Die Aufrechterhaltung der Beziehung zu ihren Familien aber auch zu ihrem Heimatkanton, ist beiden sehr wichtig, auch dass der Partner von der Familie akzeptiert ist. Dass gerade um den Fernseher prominent derartige Gegenstände plaziert sind -- und dass die beiden eben häufig gemeinsam dorthin schauen -- kann so interpretiert werden, dass die Beziehungspflege vor dem Fernseher in einem Zusammenhang mit den Herkunftsfamilien steht. Der Fernseher ist also in einer so gestalteten Umgebung, dass schon rein die Betrachtung der Gegenständen klar macht, das Fernsehen bei ihnen nicht nur aus Informationsaufnahme oder Unterhaltung bestehen kann.
Der Kontext, in dem das Fernsehen stattfindet ist also mit Heimat, Familie und gegenseitiger Wertschätzung zu charakterisieren. Offenbar -- und das zeigen unsere Daten deutlich -- haben beide gemeinsame Vorstellungen von Familie und Heimat. Dadurch, dass sie sozusagen in der "Fremde" leben, ab und zu Sehnsucht und auch die gemeinsamen Pläne haben, dorthin zurück zu kehren, kann dieser Kontext wichtig werden. Diese Komponente innerhalb der Partnerschaft muss nicht besprochen werden, sie ist für beide klar. Beim gemeinsamen Fernsehen können somit gewisse Zukunfstvorstellungen beim einfachen Beisammensein erlebt werden, was natürlich die Beziehungsstrukturen festigt, weil sie tiefes, nicht hinterfragtes Verständnis erleben lässt. Sie kultivieren also ihre Partnerschaft, indem sie Nähe und Geborgenheit erleben -- damit präsentiert sich eine Paaridentität, die stark durch Harmonie und Stabilität geprägt ist.
Dies die Situation bei unserer ersten Datenerhebung. Bis zu unserer zweiten Datenerhebung ist im Leben von Moritz und Maja viel passiert. Moritz und Maja sind umgezogen. Grund dafür war, dass Moritz eine Stelle in einer kleinen Stadt in seinem Heimatkanton gefunden hat. Das Paar sah darin die Möglichkeit, den Wunsch, in den Heimatkanton, in dem Stellen für Akademiker eher rar sind, zu realisieren. Diese neue Stelle bedeutete für Moritz gleichzeitig den Einstieg in ein neues Berufsfeld, weg von der Forschung in die berufliche Praxis, zusätzlich in einen anderen Themenbereich, nämlich die fürsorgerische Jugendarbeit. Maja hat ihre Stelle ebenfalls gewechselt, musste sich allerdings mit einer für sie weniger befriedigenden Stelle zufriedengeben, um Moritz sozusagen "nachzuziehen". Die beiden leben nun in dieser Wohnung in einem Zweifamilienhaus.
In dieser Wohnung gäbe es nun zwei mögliche Anschlüsse für ein TV-Gerät, im Wohnzimmer und in dem Zimmer, das Moritz und Maja als Schlafzimmer gewählt haben. Das Paar hat, wie schon in der vorherigen Wohnung, wiederum das Wohnzimmer als Standort für den Fernseher gewählt und auch das ganze Regal in ähnlichem Kontext wieder herzustellen versucht. Auf der Ebene der Dekorationen betrachtet ist allerdings eine leichte Abnahme von Gegenständen zu verzeichnen, die auf Heimat und Herkunftsfamilie verweisen, obwohl auch solche Dekorationen immer noch vorhanden sind.
Rein aufgrund der räumlichen Gegebenheiten kann aber eine analoge Rekonstruktion der "Fernseh-Sofa-Ecke" gar nicht ganz gelingen. Der Stil des neuen Wohnzimmers ist mit weissen Fliesen und Wänden, die dunkelbraunen Fensterrahmen gegenüberstehen sehr rustikal und kontrastreich. Durch die groben farblichen Kontraste verbunden mit der Tatsache, dass das neue Wohnzimmer wesentlich grösser ist, wirkt das kleine Holz-Regal leicht unpassend. Dazu kommt, dass durch die vielen Fenster die Einrichtung des Fernsehers in angenehmer Distanz vom Betrachter schwierig ist. Entweder muss die Distanz von Wand zu Wand zu gross gewählt werden oder aber der Fernseher wird im Gegenlicht aufgestellt. Das Regal mit dem Fernsehapparat wurde an die zweite, teilweise freie Wand gestellt, und steht mit einer Entfernung von 4.60 in zu grosser Distanz zum Sofa, um angenehmes Fernsehen zu ermöglichen, insbesondere mit dem eher kleinen Fernsehapparat.
So gesehen erstaunt es nicht, dass wir nun bei der zweiten Erhebung feststellen, dass Moritz und Maja deutlich weniger gemeinsam fernsehen, dafür klar häufiger zusammen reden. Die räumlichen Gegebenheiten erlauben es nicht, die "Kuschel-Fernseh-Ecke" in gleicher Weise wieder herzustellen, also schauen sie weniger fern und pflegen ihre Partnerschaft vermehrt durch Gespräche. Aber ist das wirklich Erklärung genug? Moritz und Maja hätten sich einen grösseren Fernsehapparat anschaffen können, sie hätten den Fernseher ins Schlafzimmer stellen können oder sie hätten ein neues Fernsehgestell auf Rollen anschaffen können, um den Fernseher in angenehme Distanz zum Sofa ziehen zu können. Und wirklich, die beiden berichten uns, dass sie all diese Möglichkeiten in Erwägung gezogen haben, als sie gemerkt haben, dass mit der gewählten Einrichtung Fernsehen nicht mehr in derselben Art möglich ist...
All diese Lösungen wurden in Gesprächen aber verworfen. Beide berichten uns weiterhin von gemeinsamem Kuscheln auf dem Sofa, jetzt aber verbunden mit reden oder lesen. Fernsehen ist beiden weniger wichtig geworden, ja sie äussern nun sogar -- und das in deutlichem Unterschied zur vorherigen Situation -- kritische Gedanken diesem Medium gegenüber. So erklärt Maja:
"Wenn du weniger fern siehst, hast du mehr Zeit und dann machst du in dieser Zeit auch etwas in der Wohnung, du machst etwas Kreatives, schaust nicht einfach nur so passiv fern. Du bist aktiv. Dann kannst du so sein, wie du bist, kannst dich gehen lassen, bist frei. Wenn du passiv bist, dann machst du alles, was sie dir sagen, schaust eben fern. Also du machst nicht das, was du eigentlich möchtest."
Beide bedauern es also keineswegs, dass der "Fernseh-Partnerschaftspflege" weniger Bedeutung zukommt als vorher in Bern. Sie erklären, dass sie sich jetzt häufig früher ins Schlafzimmer zurückziehen, um dort noch zusammen zu reden. Beim Zusammensein vor dem Schlafen erleben sie nun Geborgenheit, Entspannung, aber auch aktive Auseinandersetzung. Offenbar hat die Partnerschaft eine andere Qualität bekommen, sie wird vermehrt über direkten Austausch gepflegt. Das zeigt sich denn auch deutlich in der Konstruktwelt des Rep-Grids. Während Maja die Situation des gemeinsamen Fernsehens gar nicht mehr gewählt hat, was schon an sich auf einen Verlust an Bedeutung hinweist, liegt die Situation bei Moritz nicht mehr im Bereich der Partnerschaftspflege sondern sie ist geprägt durch Bedeutungen wie Zerstreuung, aber auch negative Komponenten wie Langeweile, fehlendes Engagement und Routine. Nur unter Einbezug dieser Bedeutungsdimensionen ist es verständlich, warum Moritz und Maja nicht grössere Anstrengungen unternommen haben, den ungünstigen räumlichen Strukturen durch andere Interpretationen entgegenzuwirken.
Welche Bedingungen primär ausschlaggebend waren für diesen Bedeutungswandel kann aufgrund unserer Datenlage nur vermutet werden. Eine nicht zu unterschätzende Rolle dürfte die Tatsache spielen, dass die beiden nun wieder in ihrer Heimat und damit näher bei ihren Herkunftsfamilien leben. Das eher nostalgisch-kontemplative Nebeneinandersein vor dem Fernseher in einem Kontext, der Heimat und Familie symbolisiert ist durch das konkret mögliche nun in den Hintergrund getreten. Das teilweise Wegfallen von Familien- und Heimatsymbolen auf dem Regal um den Fernseher kann diesbezüglich als Hinweis gedeutet werden.
Nicht weniger zentral dürfte aber der "Berufswechsel" von Moritz sein. Während in der Zeit seiner Forschungstätigkeit Maja bei beruflichen Fragen inhaltlich kaum mitdiskutieren konnte, stellt sich nun die Situation anders dar, weil die Thematiken, mit denen Moritz jetzt zu tun hat, weit weniger abstrakt sind sondern vielmehr "aus dem Leben gegriffen". Gleichzeitig wissen wir, dass die sozialen und menschlichen Probleme, mit denen Moritz im Beruf zu tun hat, ihn sehr belasten. Damit kann Maja vermehrt ihren Beitrag leisten und mit Moritz über berufliche Fragen reden, sie ist also stärker in seine Berufswelt integriert. Die beobachtete Zunahme von Gesprächen könnte ein Hinweis darauf sein, dass die aktive Auseinandersetzung gerade in bezug auf berufliche Probleme von Moritz zugenommen hat und deshalb das passive Beieinandersein weniger wichtig geworden ist, weil die aktive Auseinandersetzung und die Stützfunktion, die Maja gegenüber Moritz hat, vermehrt wichtig geworden ist.
In gleicher Weise möchte ich Ihnen nun in einem anderen Fall ein Thema vorstellen, um noch einmal zu verdeutlichen, welche Art von Daten aus unserem Projekt zu erwarten sind. Diesmal erzähle ich Ihnen von einer jungen Familie, Felix, Fia und ihr ein Jahr alter Sohn Freyli. Die Familie wohnt im Elternhaus von Fia in einem kleinen Dorf auf dem Land. Die Eltern wohnen im selben Haus in der Dachwohnung. Fia hat nach der Geburt von Freyli ihre Berufstätigkeit aufgegeben und ist jetzt Hausfrau und Mutter, Felix arbeitet als Landschaftsgärtner in einem Geschäft etwa 20 Kilometer von seinem Wohnort entfernt. Die Wohnung von Felix und Fia präsentiert sich folgendermassen:
Neben dieser Wohnfläche steht ihnen - in gemeinsamer Nutzung mit den Eltern von Fia - ein Kellerraum in derselben Grösse wie die Wohnung und ein grosser Garten zur Verfügung.
Bei diesem von uns untersuchten Fall möchte ich ein Thema herausgreifen, das im Zusammenhang mit dem Wohnen mit einem Kleinkinde naheliegend ist. In mehrere Hinsicht kann zwischen den Ansprüchen des Kindes und denen der Erwachsenen ein Spannungsfeld bestehen. Ein Kleinkind ist in starkem Masse von seinen Betreuungspersonen abhängig und gibt gleichzeitig seinen Rhythmus selber vor. Das führt dazu, dass die betreuende Person ihre eigenen Handlungsabläufe denen des Kindes zumindest teilweise anpassen muss. Wie Felix und Fia diese Situation erleben und wie sie mit ihr umgehen, möchte ich Ihnen im Folgenden etwas ausführen. Wieder beginne ich mit den Daten aus der ersten Erhebung.
Felix und Fia sind sehr familienorientiert, beide nehmen ihr "Elternsein" sehr ernst. Sie haben sich auch bewusst für eine traditionelle Rollenteilung entschieden, in der die Mutter ganz daheim, der Vater auswärts arbeitet. Fia erklärt, dass die Entscheidung, ein Kind zu haben, eine Grundsatzentscheidung im Leben sei, deren Konsequenzen man dann zu tragen habe. Sie hat diesen Weg gewählt und will ihn nun mit all den damit verbundenen Vor- und Nachteilen leben. Dass sie primär für das Kind zuständig ist, war nach ihren Aussagen ihr eigener Wunsch, weil sie findet, dass eine Mutter zumindest am Anfang für ihr Kind da sein sollte.
Auch bei Felix wird deutlich, wie wichtig ihm seine Familie ist, ein Tag, an dem er sein Kind nicht sehe, sei für ihn ein verlorener Tag, meint er. Seine Vaterschaft ist ihm zentral, auch wenn er im Vergleich zu Fia relativ wenig mit seinem Kind zusammen ist. Dennoch übernimmt er Verantwortung für das Kind. Neben der Ernährerrolle, die er inne hat, ist er für die Bereitstellung kindbezogener Ressourcen zuständig, so hat er zum Beispiel den Zugang zum Sitzplatz im Garten kindgerecht gestaltet und einen Sandkasten angelegt.
Diese Priorität der Familie zeigt sich auch sehr deutlich in der Einrichtung der Wohnung. Die Bereiche des Kindes und die der Erwachsenen sind sehr miteinander verflochten. Wir finden Spuren des Kindes in fast jedem Raum, also durchaus nicht einfach im Kinderzimmer. Am meisten Spielzeug befindet sich im Wohnzimmer, das damit als eigentliches Spielzimmer erscheint. Im Wohnzimmer fehlt bei der Sofa-Ecke auf ein Tischchen - als Grund dafür geben Felix und Fia an, dass ein Tischchen für ein Kind gefährlich sei und zudem zuviel Platz zum Spielen wegnehmen würde.
Spielzeug finden wir aber auch in den andern Räumen der Wohnung und in weiten Teilen des Gartens. So gibt es keinen Bereich in der Wohnung, der allein den Erwachsenen zugänglich wäre. Die Tätigkeitsdaten zeigen denn auch deutlich, dass sich das Kind - wenn es nicht schläft - immer in nächster Nähe seiner Betreuungsperson aufhält.
Wie erleben nun Felix und Fia den Alltag mit dem Kind? Ausgehend von der gelebten Rollenteilung wird klar, dass primär der Alltag von Fia durch das Kind geprägt ist. Unsere Daten zeigen sehr schön, dass Freyli, wenn er wach ist, permanent in der Nähe seiner Mutter ist und ihre Aufmerksamkeit erfordert. Das liegt ein Stück weit in der Natur der Situation. Fia findet - wenn überhaupt - im Alltag dann kurz Zeit, etwas für sich zu tun - wie lesen, telefonieren oder ähnliches - wenn das Kind seinen Mittagsschlaf macht. Fia schildert im Interview farbig, wie ihr Alltag vom Kind bestimmt ist, wie es sozusagen ständig "an ihrem Hosenbein" hängt. Diese Situation erlebt sie als ambivalent, einerseits will sie ihre Aufgabe als Mutter möglichst gut erfüllen und dann gehört für sie dazu, ständig für das Kind da zu sein; andererseits hat sie Mühe, für sich Freiräume zu finden aber auch die Hausarbeit neben dem Kind zu erledigen.
Interessant ist nun natürlich die Frage, ob Felix, wenn er am Abend und an den Wochenenden daheim ist, die Betreuung des Kindes übernimmt oder ob sie weiterhin in den Zuständigkeitsbereich von Fia fällt.
Die Betrachtung der Episoden in der Tätigkeits-Stichprobe zeigen, dass Felix durchaus auch bei Kinderbetreuung und Hausarbeit mithilft. Gleichzeitig übt er aber wesentlich häufiger als Fia Freizeittätigkeiten aus, pflegt also seine Hobbys, die zum Teil sehr anfällig auf Störungen durch das Kind sind wie Stretching oder lesen. Dazu kommt, dass Felix ein sehr zeitintensives Hobby ausser Haus pflegt: er ist Mitglied in einem Hockey-Club und besucht dort regelmässig Trainings und spielt an Matchs. Fia ermöglicht ihm die ungestörten Zeiten, indem sie die Betreuung des Kindes übernimmt und Felix so seinen Freiraum lässt.
Selbst wenn Felix nicht seinen Hobbys nachgeht - auch das zeigen die Tätigkeitsdaten deutlich - ist Fia weit häufiger mit dem Kind beschäftigt als ihr Mann. Wenn wir aber nun den Inhalt der "Zuständigkeiten" näher betrachten, erkennen wir ein interessantes Detail: Fia ist in familiären Situationen zwar weitaus häufiger als ihr Mann für das Kind zuständig, sofern dieses Pflege im weitesten Sinn - also füttern, anziehen, ausziehen, waschen, etc. - erfordert. In Situationen, in denen es darum geht, das Kind zu unterhalten, wenn also mit ihm gespielt wird, ist die Zuständigkeit der beiden etwa gleich häufig. Das heisst also, dass Felix wenn er daheim ist das Kind zwar selten pflegt, dass er aber ebensohäufig mit dem Kind spielt wie Fia.
Ausgehend von einem traditionellen Rollenverständnis ist es naheliegend, dass Felix seine Vaterrolle durchaus im Kontext des Spielens mit dem Kind, kaum aber im Kontext der Pflege des Kindes lebt. Genau diese Einstellung berichtet uns Felix auch im Interview: Er kümmert sich dann direkt um das Kind - und dann primär, indem er mit ihm spielt - wenn er auch selber Lust dazu hat. Ansonsten überlässt er das gerne Fia und nimmt es für sich in Anspruch, die Dinge zu machen, die er jetzt gerade möchte. Das heisst nun aber nicht, dass er weniger familienorientiert wäre, denn er verhält sich so, wie man es ausgehend vom traditionellen Rollenverständnis erwarten kann.
Wenn wir im Rep-Grid die Konstruktwelt von Felix und Fia in bezug auf kindbezogene Situationen betrachten, erstaunt deshalb keineswegs, dass Felix nur harmonische Situationen mit dem Kind thematisiert. In seiner Konstruktwelt gibt es keine Hinweise auf Einschränkungen durch Kind oder Familie; er kann auch daheim dann etwas für sich tun, wenn er das will. Wenn er sich mit dem Kind beschäftigt, tut er es dann, wenn er das selber möchte.
Fia hingegen thematisiert im Rep-Grid harmonische und die disharmonische Musterungen mit dem Kind. Die negativ bestimmten Situationen sind geprägt durch sozusagen "berufsbedingte" Konflikte: Fia verbringt den ganzen Tag mit dem Kind und muss es verstehen, die von ihr verlangten Arbeiten im Haushalt und die vom Kind verlangte Aufmerksamkeit unter einen Hut zu bringen. Tätigkeiten, die nichts mit Mutter- und Hausfrauendasein zu tun haben, also sozusagen "Freizeitbeschäftigungen" scheinen im Alltag von Fia kaum lebbar - sie hat bereits Mühe mit der Erledigung des Haushalts neben dem Kind, um Hobbys nachzugehen findet sie dabei überhaupt keinen Raum.
Dies die Situation bei der ersten Erhebung. Als wir fast ein Jahr später wieder bei Felix und Fia hineinschauen, hat sich auch in ihrem Leben einiges verändert. Zunächst einmal ist - banal, aber wichtig - Freyli grösser und damit doch etwas selbständiger geworden. Gleichzeitig hat Fia 30% aussser Haus auf ihrem alten Beruf als Drogistin zu arbeiten begonnen, Freyli wird in dieser Zeit ausser Haus von beiden Grosseltern und einer Kollegin betreut. Und last but noch least - Fia ist wieder schwanger und steht damit erneut vor der Entscheidung, ob sie die Berufstätigkeit aufgeben will oder nicht.
Betrachten wir zunächst wieder Fias Alltag. Er ist nun schon rein durch die Tatsache der Aufnahme der Erwerbstätigkeit nicht mehr ausschliesslich vom Kind geprägt. Fia hat mehr Abwechslung und bezeichnet sich selber als viel zufriedener. Obwohl sie nun weniger Zeit für Hausarbeit hat, hat sie das Gefühl, es falle ihr alles leichter. Die Zeit, in der unsere erste Datenerhebung fiel, betrachtet sie rückblickend selber sehr kritisch. So sagt sie im Interview:
Und damals habe ich gekündigt, weil mein Idealbild von Mama-Sein war eigentlich daheim-sein. Also ich habe mir vorgestellt, das gefalle mir dann und das sei dann wunderbar und ich hätte dann schön viel Zeit und so, eben eine schöne Wohnung, eine aufgeräumte, und geputzt und Bilder und Dekorationen und so. Und das konnte ich dann einfach überhaupt nicht, weil... ja, eben das Dach fällt mir einfach auf den Kopf, wenn ich drei, vier Tage lang einfach hier bin.
Fia hat nun also neu neben den Ansprüchen des Kindes auch ihre eigenen vermehrt ernst genommen. Das trägt zu ihrem besseren Wohlbefinden bei. Der Alltag mit dem Kind fällt ihr nun sehr viel leichter, nicht nur, weil Freyli schon eher etwas für sich selber tun kann sondern ebenso, weil sie nun besser mit seinen Ansprüchen umgehen kann, weil die Betreuung des Kindes nicht mehr vollständig ihr Leben ausfüllt. Diese Zufriedenheit zeigt sich in der Konstruktwelt des Rep-Grids insofern, als die belastenden Situationen mit dem Kind gegenüber den befriedigenden deutlich an Gewicht verloren haben. Allerdings - und dies festzuhalten erscheint mir wichtig - fühlt sich Fia weiterhin für Kind und Haushalt zuständig. Sie erachtet es als ihre Aufgabe, zu organisieren, dass alles so läuft wie bisher. Sie bringt sich damit selber in eine Doppelbelastung, die sie aber durchaus nicht als solche empfindet, weil es ihr viel besser geht.
Hat diese - zumindest zum Teil erfolgte - Abwendung von der traditionellen Mutter- und Hausfrauenrolle auch bei Felix zu Veränderungen geführt? Wenn wir die Tätigkeitsdaten aus den Situationen, in denen die ganze Familie daheim ist, betrachten, zeigt sich zunächst kein wesentlich anderes Bild als vor einem Jahr: noch immer ist es die Mutter, die vermehrt für das Kind zuständig ist, noch immer spielt Felix zwar mit seinem Sohn, übernimmt aber seltener als Fia Pflegetätigkeiten.
Auf der Einstellungsebene finden wir allerdings auch bei Felix deutliche Veränderungen. Er fühlt sich vermehrt für das Kind zuständig, auch im Alltag, denkt darüber nach, nicht mehr vollzeitlich zu arbeiten. In der Konstruktwelt des Rep-Grids tritt bei ihm die neue Dimension auf, dass er sich bewusst wird, dass er nur dank Fia daheim seinen Hobbys nachgehen kann, was im Vorjahr noch Selbstverständlichkeit war wird nun bewusst geschätzt.
Diese Einstellungsänderungen haben in den konkreten Handlungen noch kaum Niederschlag gefunden. Noch immer nimmt er sich daheim mehr als Fia Freiheiten heraus, Dinge für sich zu tun, die mit dem Kind nicht vereinbar sind. Dennoch scheint sich Felix in einer Entwicklung zu befinden, in der er über seine Aufgaben als Vater vermehrt reflektiert. Zumindest als Indiz dafür darf gewertet werden, dass Felix seine Mitgliedschaft im Hockey-Club aufgegeben hat, er besucht zwar nun Trainings in Karate diese sind aber weniger häufig und weit weniger Zeitintensiv.
Global gesehen erhalten wir den Eindruck, dass das Familiensystem von Felix und Fia in Entwicklung ist. Während sich bei Fia auf der Verhaltensebene schon viel geändert hat, sie aber gleichzeitig auf der Einstellungsebene an traditionellen Vorstellungen festhält, zeigen sich diese Entwicklungen bei Felix bisher primär auf der Einstellungsebene. Aber auch auf der Ebene der konkreten räumlichen Gegebenheiten stellen wir in bezug auf die Fokussierung auf das Kind eine Veränderung fest: So finden sich in diesem Jahr im Wohnzimmer deutlich weniger Spielsachen. Fia erklärt, dass sie zunehmend möchte, dass Freyli in seinem Zimmer spielt. Gleichzeitig haben sich Felix und Fia ein Sofatischchen angeschafft - das obwohl sie es für ein Kind noch immer gefährlich finden und obwohl sie bald wieder ein Kleinkind haben werden. Die Eltern nehmen sich also gegenüber dem Kind bzw. den Kindern vermehrt Autonomie heraus, erobern sich Raumecken zurück. Offenbar wird es ihnen nun wieder wichtig, neben "Familienräumen" auch Räume für ihre Partnerschaft zu haben. Das erstaunt insofern nicht, als sich offenbar die beiden bezüglich ihren Rollenvorstellungen in einer Entwicklung befinden, was zu vermehrten Auseinandersetzungen in der vorher durch die nicht-hinterfragte Familienorientiertheit stabilisierten Partnerschaft führen muss. Dies bedingt Raum und Zeit füreinander.
In dieser Art können wir ganz verschiedene Themenfelder des Wohnens bei den von uns untersuchten Wohngruppen aufzeigen. Ich hoffe, dass anhand der von mir vorgestellten Beispiele deutlich geworden ist, wie beim Wohnen auf der Ebene des Geschehens zwischen Menschen, Dingen und Räumen raum-dingliche, soziale und individuelle Aspekte ineinandergreifen. Wir können nie sagen, dass etwas eine zwingende Folge von etwas anderem ist. Das Wohngeschehen resultiert aus einer System-Dynamik, die mit allgemeinen Kausalgesetzen nicht zu fassen ist - das macht unsere Geschehensdeskription deutlich.