Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Newspaper Column 1993

Der feine Unterschied

1993.24

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Bund-Kolumne. Der Bund (Bern) Nr. 88 vom 17.4.93, S.13

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Bund-Kolumne. Der Bund (Bern)

 

 


Kennen Sie den Unterschied zwischen Korruption in Tangentopolis und in Chelvetien? -- Eigentlich nicht. -- Das ist ganz einfach, in Chelvetien ist sie, wie sich's gehört, legal.

Der chelvetische Zuhörer wehrt sich, wie sich's gehört. Hierzulande gibt es das doch nur vereinzelt. Ja, er müsse zugeben, man kann Bestechungsgelder in gewissen Fällen als Gewinnungskosten von der Steuer abziehen. Aber das ist die Ausnahme. Korruption ist eine Erscheinung von Unterentwicklung, zumindest partieller Unterentwicklung, eine Folge von miesen Verhältnissen.

Der Witzemacher lächelt fein. Vielleicht sei sie eher die Ursache von ungerechten Verhältnissen, meint er. Es pflege halt jede Kultur ihre eigene Form von Korruption. Er kenne keine Gesellschaft, in der es nicht üblich sei, beidseitigen Vorteil auf Kosten Dritter auszuhandeln. Die Frage sei bloss, welche Deals als fein und welche als unfein gelten. In diesem feinen Unterschied freilich variierten die Kulturen. Da dürfe man aber nicht die eine vom Standpunkt einer anderen aus bewerten. Und da niemand seine eigene Lebensform gern für korrupt halte, gelte eben in jeder Kultur die vorherrschende Korruptionsform für legal oder wenigstens für sportlich. So sei Chelvetien auch in dieser Hinsicht ein Sonderfall wie jeder andere.

Unvermeidlich bricht damit ein Streit aus, was denn nun Korruption eigentlich sei.

Das Wort stammt aus dem Lateinischen und meint ursprünglich einfach den Vorgang des "Verderbens". Erst in der Neuzeit erhält es den moralischen Beigeschmack von verachtenswertem Handeln für zweifelhafte Interessen, von Bestechung, Vetternwirtschaft, Erpressbarkeit und finsteren Machenschaften. Die Wörterbücher sind sich einig in der moralischen Linie ihrer Erläuterungen. Verstellen sie uns damit vielleicht den Blick auf den Vorgang?

Korruption und ihre Folgen werden so nämlich auf einen Zwei-Parteien-Handel reduziert. Korrupt sei, wer besticht oder sich bestechen lässt. Das verdeckt, dass unfreiwillig eine dritte Partei involviert ist.

Denn Bestechung hat nur Sinn, wenn beide Parteien gewinnen. Die bestechende gibt zwar, rechnet aber mit einem Gewinn, der das Gegebene übersteigt. Die bestochene nimmt, muss aber natürlich mindestens ebensoviel geben, sonst käme ja die bestechende nicht auf die Rechnung. Auch bestechen lässt man sich nur, wenn der eigene Vorteil das zu Gebende übersteigt. Wenn aber beide mehr bekommen als geben, dann kann die Rechnung zwischen den zwei Parteien nicht aufgehen. Der Gewinn der beiden muss einer dritten Partei genommen werden. Wie das Strafrecht ist leider unser Umgang mit Korruption auf die Täter fixiert und vergisst die Opfer.

Der Begriff der Korruption ist also dreistellig. A gibt an B und nimmt von B und C -- B gibt an A und nimmt von A und C -- C gibt an A und an B und bekommt nichts, ist betrogen. Das erklärt, warum Korruption blüht, wenn die Betrogenen sich nicht wehren können, weil sie vom Handel nichts wissen oder ihn nicht beeinflussen können. Wenn die handlungsunfähige Allgemeinheit oder die zukünftige Generation das Opfer ist. Wenn der Korruptionsgewinn klein gestückelt aus tausenden von anonymen Beutelchen gezogen werden kann. Gebirge von Korruption sind zu erwarten, wenn die Bestechenden und die Bestochenen zusammen die Regeln machen, nach denen die Opfer geben müssen. Damit erweist sich der anonymisierte Staat und sein Umfeld als warme Brutstätte für Korruption.

Der Platz fehlt, um legale Korruption in Chelvetien, auch nur aufzuzählen: Wirtschaftkartelle, Geld- und Bodenspekulation, Exklusivrechte und -verbote im Gesundheits- und Bildungswesen, Subventionsordnungen, Submissionsordnungen, die Konkordanzdecke über den politischen Parteien, usw., usw. Betrogen sind die Konsumenten und die Steuerzahler.

Die Medien unterhalten uns fleissig mit Korruptionsgeschichten aus aller Herren Länder. Gelegentlich zur Abwechslung ein hiesiges Skandälchen. Damit lenken sie geschickt von der Frage ab, wie die Legalitätsgrenze zwischen akzeptabler und inakzeptabler Korruption eigentlich gezogen ist und wie sie verschoben werden könnte und sollte.

Eine breite Tabuzone ist über Jahrzehnte um diesen feinen Unterschied herum ausgesteckt und eingenebelt worden. Der Vater der Korruption ist die Gier, ihr Ziehvater die Angst, den eigenen B-Status zu verlieren, wenn man eines andern A-Status ans Licht bringt. Ihre Mutter das geltende Recht, da es nur die Arrangements von natürlichen Personen verfolgen kann, jene von juristischen Personen aber oft genug zu schützen vermag und damit die Legalitätsgrenze offensichtlich falsch legt.

Oder glauben Sie etwa, in Tangentopolis seien nur die paar hundert "Millionen" den paar tausend Politikern in die Taschen geflossen, denen jetzt die Hosen abgesägt werden? Nach bald einem halben Jahrhundert wird dort die politische Kaste endlich einmal ausgewechselt; dann kann das Spiel von neuem beginnen. In Chelvetien hat der fast gleiche Klan seit bald anderthalb Jahrhunderten einen beneidenswerten Zauber-Kuchen legaler Proporz-Konkordanz-Korruption im warmen Ofen. Wie wär's mit einem Aufstand der Betrogenen?


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