Alfred Lang | ||
Position Paper 1993 | ||
Die Teilung der Philosophischen Fakultät, zum Beispiel die Psychologie: | 1993.20 | |
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Zur Anregung einer Diskussion über Geschichte und Entwicklung der Universität am Münchenwiler-Gemeinschaftsseminar der phil.-hist. Fakultät der Universität Bern,1.6.1993 | © 1998 by Alfred Lang | |
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1. In der Fakultätenstruktur und Wissenschaftsorganisation manifestiert sich ein ratioïder Mythos: der "Geist-Materie-Dualismus". In seiner idealisierenden Ohnmacht des Geistes hat er durch seine Instrumentalisierung der Dinge die Natur stärker getroffen und die Menschen gründlicher ausgebeutet als vielleicht jeder andere Mythos zuvor.
2. Die frühe Differenzierung der ursprünglichen philosophischen bzw. "Artisten"-Fakultät (artes liberales) in eine selbständige Gymnasialstufe und eine sich in der Folge zunehmend durch Fachhochschulfunktionen (Lehrerausbildung etc.) legitimierende Philosophische Fakultät hat der Kanonisierung dieses Mythos Vorschub geleistet.
3. Die nachfolgende Aufteilung der Philosophischen Fakultät im späten 19. und frühen 20 Jahrhundert wurde zum Sündenfall wider den Geist von Lehre und Forschung. Die wissenschaftliche Reflexion oder die Selbst-Kontrolle der Entwicklung der sozialen und kulturellen Systeme (einschliesslich der Selbstkontrolle des Subsystems der Scientific Community), also die dritte Hauptaufgabe der Universität, wurde dem Einsatz der Wissenschaftler für die Fortschrittsherstellung geopfert: der selbstentwickelte und oft genug von der Allgemeinheit bestätigte Reflexionsauftrag zur menschlichen Lage wurde zu Dienstleistungsaufgaben für Partialzwecke banalisiert.
4. Die Fakultätenteilung über den dualistischen Riss war das sicherste Verfahren zur Verhinderung des selbst-reflexiven Dialogs. Wer die Universität trotz dieser Erfahrung und ohne Korrektiv weiter aufgliedern will, muss partikuläre Motive dazu haben oder hat nichts verstanden.
5. Die Zweiteilung der Grundwissenschaften, besonders die Zweiteilung der Wissensschaften vom Menschen muss als tragischer Skandal der Wissenschaften endlich institutionen- und ideengeschichtlich untersucht werden. Weder die Wissenschafts- noch die Universitätsgeschichte hat das Theme bisher "entdeckt"; ideengeschichtlich ist es wiederholt von Aussenseitern bearbeitet worden, findet jedoch im epistoemologischen oder wissenschaftsphilosophischen Diskurs kaum Raum.
6. Universitätsgeschichten erzählen tabu-getreu grosse Linien zu Freiheit und Wahrheit, Universitäts-Belletristik und -Ethnographie detail-selig universitären Alltag; aber die tatsächlichen Wirkungen der Universität in die moderne Gesellschaft bleiben unklar, überdeckt vom Mythos des Fortschrittsglaubens. Eine Handvoll unerschrockener Wissenschaftstheoretiker und einige weitere Skeptiker konnten die immunisierte Masse der Wissenschaftler nicht davor bewahren, sich selbst und die ihnen anvertraute Jugend dem Machtstreben aus Politik und Wirtschaft zu verkaufen.
7. Die Anthropologie und die Psychologie haben sich tatsächlich im 18. Jahrhundert auf dem Wege zu einer Wissenschaft von den Menschen in ihren Kulturen befunden; sie schickten sich an, das gemeinsame Werden von Menschen und selbstgenerierter Umwelt und deren dialogisches Weiterschreiten zu untersuchen. Sie galten vielen als die für alles wissenschaftliche Tun strategisch entscheidende Wissenschaften. Warum sind solche Entwicklungen für weitere zwei Jahrhunderte durch Fiktionen ewig-allgemeingültiger Gesetzlichkeiten -- der Natur und der Vernunft -- blockiert worden? Warum gilt Anthropologie den meisten Philosophen als abseitig, warum ist die moderne wissenschaftliche Psychologie so belanglos?
8. Anthropologie und Psychologie könnten zusammen mit anderen Wissenschaften vom Menschen die besondere Aufgabe wahrnehmen, den dualistischen Mythos aufzulösen. Denn im Menschen kommen ja Geist und Natur nicht erst extra zusammen sondern sind zum vornherein eins, sind miteinander so geworden, wie sie jeweils zusammen wirken können. Bedenklicherweise hat sich die Psychologie selbst ihrer eigenen Teilung unterzogen, obwohl sie spät genug gekommen ist, um die Sache besser sehen können.
9. Gefragt sind Wissenschaftler und Institutionen, welche die Kraft und den Mut aufbringen, den dualistischen Mythos zu unterlaufen und abzulösen.