Alfred Lang

University of Berne, Switzerland

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Newspaper Column 1991

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Bund-Kolumne. Der Bund (Bern) Nr. 233 vom 5. Oktober 1991, Seite 14, revidierte Version

 

Heureka?


Ich habs! -- hat Archimedes frohlockt, als er die Gesetze des Auftriebs begriff. Er war ein grosser Mathematiker und Physiker und diente dem Herrscher von Syrakus auch als Ingenieur von fürchterlichen Kriegsmaschinen, die mit Brenngläsern die römischen Kriegsschiffe von ferne in Brand steckten. Im Krieg kam er dann versehentlich ums Leben.

"Heureka" ist der Name der nationalen Forschungsausstellung, welche schweizerische Institutionen der Wissenschaft zum Jubiläumsjahr ausrichten. Sie schliesst bald ihre Tore.

Mit einigem Vorwissen zwar, aber voll offener Erwartungen, bin ich hingefahren. Von weitem hat mich die tolle Zelt-Architektur gepackt. Wir gehen zuerst in den imposanten Galilei-Turm, ein sehr hohes, spiralig aufgetürmtes Gebilde aus Holz und Tuch, offensichtlich ein Anklang an den Turmbau zu Babel. Nun ja, wie sinnig, die Wissenschaften und ihre Folgen sind längst zu einem hyperbabylonisches Getürm geworden. Visionäre sehen den Zusammenbruch kommen, und er soll Schlimmeres als bloss Sprachverwirrung bringen.

Auch Galilei war ein sehr bedeutender Wissenschaftler. Jener, der sich seiner Obrigkeit verkaufte, der seine Erkenntnis um sein gutes Leben verleugnete. Der Turm bietet in grossen Schaubildern, Texttafeln und Demonstrationsexperimenten eine Geschichte der Wissenschaften, auch in einem ganzen Tag wohl nur oberflächlich zu bewältigen. Wer schon weiss, lässt sich gern an dieses und jenes erinnern und studiert da und dort etwas Unvertrautes.

Aber sind das die Wissenschaften? Das sind doch die Naturwissenschaften und die Technik, angereichert mit ein paar Kuriositäten aus der Lebenswelt (dem Stein der Weisen) und ein paar (falsch erklärten) sogenannten Wahrnehmungstäuschungen. Der Turm trügt: er ist kein babylonisches Menetekel. Das ist das positive Selbstbild selbst. So ists geworden. Punkt. Selbstverliebt. -- Wo doch die Entwicklung der Wissenschaften nichts anderes ist als das Ergebnis des Zweifelns an den jeweiligen Meinungen. Kaum etwas Gründlicheres über die Fragen, die uns heute beengen: wie denn der Mensch, der das alles weiss und machen kann, in dieser Natur drin steht? Was er denn bewirkt mit seinem wissenschaftlich begründeten Tun? -- Es wird Mittag, wie wir oben ankommen. Pommes-Frites-Gerüche vom Restaurant herauf erinnern an die irdische Existenz, verschärfen meine irritierte Stimmung.

Der Nachmittag gilt dem riesigen Achtmast-Zelt. Zirkus, ist meine Erwartung, grosser Spielplatz Wissenschaft! Das gibts in dem Zwischenpavillon, wo Kinder aller Altersstufen kleine Experimente und Demonstrationen durchspielen. Herrlich. Wissenschaft hautnah. Nur erfährt kaum einer, der es nicht schon weiss, warum.

In dem grossen Zelt, Entschuldigung, da gilt es ernst. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten, der die Wissenschaften auch sind. Es ist leicht zu erraten wer hier das Geld und die Mittel hat, wen auszustechen. Die Zelte sind basarartig vollgestopft. Wir werden uns am Detail delektieren müssen. Bezüge zwischen den Disziplinen? Problematik der Spezialisierungen? Kein Anlass, nein danke. Hundert oder dreihundert Themen, je nachdem wie man gruppiert, einige davon noch im Freien. Das ist wie Wissenschaft am Fernsehen: Erziehung zur Oberflächlichkeit. Pro Thema eine halbe Stunde, um ein bisschen zu verstehen, macht eine bis drei 50-Stunden-Wochen Arbeitszeit. Das meiste ist sehr kompetent gemacht, ich muss mich mit einem Generalkompliment begnügen. Gigantisch, aber was für ein Wissenschaftsbild?

Nach einigen schmetterlinghaften Blütenbesuchen versuche ich mich zu orientieren und werde zunehmend verstimmter. Die Angelsachsen machen die kluge Unterscheidung zwischen Research und Development, das eine ist Forschung oder Aufzeigen, das andere Entwicklung oder Herstellen. Bei uns geht das seit langem durcheinander. Lehrt ein Medium systematisch den Unterschied? Hier glauben schon die Wissenschaftler selbst, sich als morgen schon nützlich verkaufen zu müssen. Haben sie sonst keine Chancen im reichsten Land der Welt? Ich mache eine grobe Statistik: Je ein Viertel der Projekte sind (a) historische Demonstrationen, (b) im engeren Sinn Entwicklungsprojekte, (c) Entwicklungsprojekte mit einem allgemeinen Erkenntnisaspekt, (d) eigentliche Forschungsthemen. Also etwa die Hälfte würde ich Forschung nennen.

"Heureka" ist in weiten Teilen eine Verkaufsausstellung, auf der man (noch) nicht bestellen kann. Mit Dienstleistungsangeboten als Gratismuster. Nun ja, Wissenschaft ist wirklich auch nützlich. Galilei und Archimedes lassen grüssen. Und auch tödlich, vielleicht für uns alle.

Ich suche im Zelt und im Führer nach Projekten, die sich mit wissenschaftlicher Haltung die Wissenschaft zum Thema machen. Ich finde ein einziges! Eine Zürcher Soziologiestudenten-Gruppe hat, leider nicht überaus geschickt, den gesellschaftlichen Umgang mit der Gen- und Fortpflanzungstechnologie thematisiert. Die Koje liegt fernab von den bio-medizinischen Renommierprojekten. Beim Lesen von vielen kleinen Bild- und Textinformationen stosse ich auf den -- erschütternden, das ist wohl das richtige Wort -- Briefwechsel der Gruppe mit der offiziellen finanzierenden Instanz. Diese hat das Projekt zuerst abstoppen wollen, sich dann aber eine halbierte Zusprache abnötigen lassen. Warum hat sie nicht die Summe verdoppelt und professionelle Unterstützung vermittelt?

Heureka? In einer seltsamen Stimmungsmischung gehe ich durch die Baumalle zur Bahn zurück. Enthusmiasmus, mit dem mich Wissenschaft immer packt, ob ich will oder nicht. Ärger bis Zorn mit Resignation: sind wir Wissenschaftler schon so weit verkommen, dass wir eine solche Gelegenheit so perfekt verschlafen? Wie können wir aus diesem süssen Pflaumenmus, in dem wir schwelgen, denn je wiede aus eigener Kraftr hinaus? Wo wir doch schon längst wissen, dass kein Schlaraffenland hinten dran ist?

Dank dem Ungeschick der Organisatoren im Verbund mit dem Himmel kühlt mich auf der Station ein Regenguss; nur sehr wenig Wartende finden unter dem Perrondächlein Zuflucht.


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