Alfred Lang | ||
Journal Article 1984 | ||
Von der Verantwortung der Psychologen für die intelligenten Maschinen | 1984.01 | |
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Bulletin der Schweizer Psychologen (BSP) 5 (Nr 8, September 1984) 263-273. | © 1998 by Alfred Lang | |
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Zusammenfassung: Von der Verantwortung der Psychologen für die intelligenten Maschinen. Es wird für eine aktivere Rolle der Psychologen in der Gestaltung einer Informatik-bestimmten Welt plädiert. Vor allem sollte uns die Frage der gemeinsamen Systembildungen von Menschen und Computern interessieren. Neben ergonomisch-technischen und organisationspsychologischen Problemen sind besonders auch die kognitionspsychologischen und die epistemologisch-anthropologischen Folgen der Informatisierung unserer Kultur wichtigen Aufgaben der Psychologie. Der Verfasser skizziert einige Einsichten und Anregungen. Dabei unterscheidet er den instrumentellen, auf technische Zielerreichung gerichteten Computereinsatz von einem partnerschaftlich-reflexiven, bei dem die aktuellen und überdauernden Wirkungen auf den computerbenützenden Menschen ebensosehr oder mehr interessieren als seine Leistungen.
Computer sind informationsverarbeitende Maschinen. Sie haben eine ähnliche Grobstruktur wie der Mensch. Sie nehmen Information aus der Umgebung auf, "verarbeiten" sie und geben sie wieder in die Umgebung ab. Beim Menschen wie beim Computer können Aufnahme und Abgabe direkt (z.B. ikonische Wahrnehmung, Verhalten bzw. "Sensoren", "Roboter") oder in symbolischer Form (z.B. Sprache bzw. Lochkarten, alphanumerische Zeichen) erfolgen; die innere Verarbeitung ist ebenfalls beidemale symbolisch, d. sie beruht auf einer Verschlüsselung der Information in einem oder mehreren spezifischen Medien (psychologisch oder neurophysiologisch bzw. elektronisch oder als Binärcode etc. beschreibbar).
Damit sei nun keineswegs behauptet, Menschen und Computer seien ein und dasselbe, im Gegenteil, ich vermute mit guten Gründen ihre fundamentale Verschiedenheit; doch halte ich die Frage nach Gleichheit oder Verschiedenheit für weniger fruchtbar als Fragen nach der Art und Weise ihrer gemeinsamen Systembildungen. Immerhin fordert die geschilderte Parallele zum Vergleich heraus. Der Vergleich ist verschiedentlich angestellt worden, meist mit zum vornherein festgelegtem Ergebnis. So lehnt man beispielsweise unter als "humanistisch" oder ähnlich bezeichneten Voraussetzungen die Vergleichbarkeit schlechthin ab und versperrt sich dieserart vermutlich wichtige Strassen der Welt. Umgekehrt nimmt man in Kreisen der sog. "künstlichen Intelligenz"-Forschung in der Regel zum vornherein an, dass alle Tätigkeiten des Menschen durch Computermodelle grundsätzlich abbildbar seien, und verschliesst sich damit anderen Betrachtungsweisen des Menschen. Dass ein aus eigenem Entschluss Blinder und ein ebenso freiwillig Tauber einander nicht gut verstehen werden, ist nicht verwunderlich.
Bezeichnend dafür ist die ebenso traurige wie wahre Geschichte vom "Psychotherapeuten" Dr. Otto Matic, besser bekannt unter dem Namen ELIZA (Pygmalions Geschöpf). Joseph Weizenbaum, ein kluger Computerwissenschaftler, versuchte Mitte der 60er Jahre eines der schwierigen Probleme dieses Gebiets praktisch anzugehen, nämlich das Verstehen von Sprache. Dies war zu einer Zeit, als jedermann in kürzester Zeit Wunder von den Computern erwartete, allen voran die Computerfachleute. Weizenbaum schrieb ein Programm, das so tat, wie wenn es Sprache verstünde, dies um zu zeigen, wie weit entfernt man in Wirklichkeit vom Spracheverstehen durch Maschinen entfernt war (vgl. Weizenbaum: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt, Suhrkamp, 1979).
Sein Programm imitierte als Beispiel einen Gesprächs-Psychotherapeuten im Dialog mit dem Patienten. Auf der Eingangsseite war das Programm in der Lage, eine Reihe von Stichwörtern zu identizifieren, die typischerweise in Patientenäusserungen vorkommen. Auf der Ausgangsseite zeigte das Programm eine Kombination von Wortfolgen aus einem vorgegebenen Repertoir, wie sie typischerweise ein Psychotherapeut äussert, zu Sätzen zusammengestellt, zur Hauptsache aufgrund der erkannten Stichwörter, teils mithilfe einer Zufallsfunktion. Varianten des Programms sind heute auf Mikrocomputern allgemein zugänglich. Obwohl die Grenzen rasch sichtbar werden, verblüfft anfangs, wie sehr der "Dialog", den man da mit dem Computer führen kann, einem diagnostisch-therapeutischen Interview gleicht. Aber das Interessante ist nicht Weizenbaums Programm, sondern die Wirkungen, die es hatte.
Das Programm wurde nämlich von weiten Teilen der psychiatrisch-psychotherapeutischen Gemeinschaft als eine neue Technik (miss)verstanden und je nach dem eingangs erwähnten ideologischen Apriori als vom Teufel verschrien oder als die neue Wunderwaffe im Kampf gegen das psychische Elend hochgejubelt. Zwei Fragen wurden heiss diskutiert, für welche die Antworten dementsprechend für die Teilnehmer an der Diskussion vorgegeben waren: eine philosophische, nämlich ob die Psychotherapie, d. eigentlich der Mensch, denn rational sei oder nicht, und eine moralische, nämlich ob es denn anginge, die menschliche Teilnahme durch die Kälte der Maschine zu ersetzen. Darob wurde eine dritte und offene Frage, um deretwillen Weizenbaum sein Programm geschrieben hatte, übersehen: nämlich in welchem Verhältnis denn das Umgehen mit Information durch den Menschen mit dem Informationsverarbeiten des Computers stehe. Das Beispiel ist besonders instruktiv, weil es Mensch und Computer in einem direkten "Dialog" einander entgegensetzt, und weil es nicht nur mit grundlegenden Erkenntnisfragen zu tun hat, sondern zugleich auch in einem pragmatisch interessierten Milieu sich abspielt.
Es besteht heute ein starkes Spannungsfeld um den Computer. Das reicht vom Arbeitsplatzfresser und Traditionenzerstörer bis zum idealistischen Spielzeug und macchiavellistischen Herrschaftsinstrument. Wir werden in den kommenden Jahrzehnten solche Polaritäten zu entschärfen haben. Ich denke, wir sollten den Computer mehr als eine Aufgabe, denn als eine Gabe (des Teufels oder der Engel) zu verstehen. In wenigen Jahren wird der Computer - er ist es in gewissen Lebensbereichen jetzt schon - ein durchgängiger und unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur sein. Der Computer wird für jederman eine Funktion haben wie die Prothese für den Behinderten. Nur in einer Art ~Symbiose~ mit dem Computer wird die Gesellschaft funktionsfähig sein.
Ich möchte hier für eine aktivere Rolle der Psychologen in den computerbetroffenen Lebensgestaltungen plädieren. Wir sollten das nicht den Technikern überlassen und hinterher die entstandenen Übel zu reparieren versuchen. Kein anderes Fach, so scheint mir, steht in einem derart vielfältigen Verhältnis zum Computer. Wenn technische Entwicklungen, ihrer Eigengesetzlichkeit folgend, negative Nebenfolgen zeitigen, und wenn diese Nebenwirkungen durch den Einbezug von auf das Umfeld dieser Entwicklungen gerichtetem Analysieren und Handeln gemildert werden können, so müssen wir wünschen, dass die Psychologie neben andern Disziplinen an prominenter Stelle sich im Umfeld der Informatik bemerkbar macht.
Ich sehe zumindest vier Wirklichkeitsbereiche, die durch den Computer massive Änderungen erfahren und zu denen die Psychologie etwas zu sagen hat. Im ergonomisch-technischen Bereich sind vergleichsweise massive Neuerungen in kürzester Zeit zu verkraften; ein breiter Erfahrungsschatz aus der Arbeits- und Organisationspsychologie ist einschlägig und wird für die Bewältigung der anstehenden Probleme nutzbar gemacht. Im psycho-sozio-organisatorischen Bereich haben wir mit revolutionsähnlichem Wandel der Kommunikation, der Arbeitsformen und der Arbeitsverteilung fertig zu werden; Gruppen und Organisationen aller Grössenordnungen sind betroffen. Im kognitionspsychologischen Bereich müssen wir uns darauf vorbereiten, dass der Computer unser Denken verändert; hier ist die Psychologie als Grundlagenwissenschaft angesprochen und kann möglicherweise einen genuinen Beitrag zu leisten. Im epistemologisch-anthropologischen Bereich bringt der Computer unerhörte Ausweitungen und zugleich Kanalisierungen unserer Handlungsmöglichkeiten; die damit verbundenen Folgen für das Menschenbild und die ethischen Probleme sind unabsehbar.
Dieser Aufsatz will nicht die einschlägige Literatur referieren, die vor allem im ergonomisch-technischen und im psycho-sozio-organisatorischen Bereich mit explosiver Geschwindigkeit wächst. Vielmehr möchte ich mit einigen skizzenhaften Überlegungen forschendes und praktisches Denken und Handeln von psychologisch Interessierten im Zusammenhang mit dem Computer anregen; der Akzent ist auf dem Kognitionspsychologischen und dem Anthropologischen. Weder Vollständigkeit des Überblicks noch Endgültigkeit des Urteils wird beansprucht.
Obwohl heute bei Vielen das Stichwort "Computer" Angst und Sorge auslöst - und das ist zweifellos ein psychologisches Thema - möchte ich mit einer anderen Emotion beginnen. Der Computer fasziniert viele Menschen, die mit ihm umgehen lernen. Ich möchte ihn mit dem Fliegen vergleichen. Der Wirklichkeit gewordene Traum, im Fliegen das Materielle zu überwinden, wiederholt sich in der Welt des Geistes. Denn das Denken und das Mitteilen stossen in den natürlichen Sprachen immer wieder auf Schranken.
Am Computer jedoch erlebt der Benutzer, wie er seine Grenzen ausweiten und durchbrechen kann. Obwohl strikter Logik verpflichtet, ist das Programmieren häufig eine schöpferische Erfahrung. Weit intensiver als der Entdecker unbetretener Landstriche erfindet und vermisst der Programmierer am Bildschirm "neue Welten"; man kann sagen, er konstruiert neue Welten nach seinem Entwurf und konkretisiert sie in Abläufen und Resultaten. So kann er nicht aufhören, die faulen Stellen im Algorithmus, Zeugen seines Ungeschicks, zu eliminieren, bis der Ablauf stimmig und schön ist, und bis das Resultat dem entworfenen Ideal entspricht. Die Amerikaner nennen diesen Programmierer den "hacker", das ist eine Anspielung auf den Blockhausbauer, der mit seiner Axt so grobschlächtig ins Zeug haut, so ungeschickt im Vergleich zur Klarheit des "Fliegens" in der verdünnten Luft der absoluten Logik. Leider hat der Ausdruck "hacker" durch einen Kino-Film neuerdings die negative Bedeutung eines Computer-Einbrechers bekommen.
In den natürlichen Sprachen des Menschen wurde eine symbolische Welt errungen: man kann mit den Dingen umgehen, ohne mit den Dingen zu sein. Ein Name steht für ein Ding oder für eine Klasse von Dingen, ein Name steht für einen Menschen oder für eine Klasse von Menschen. Immerhin, die Namen und ihre Verknüpfungen repräsentieren (einigermassen) die Dinge und ihre Beziehungen. Um den Preis einer gewissen Entfremdung von den Dingen gewann man eine unerhörte Macht über sie.
Strukturen von Symbolen (Namen), welche Regeln folgen, heissen allgemein Sprachen; was wir im Alltag als Sprache meinen, ist nur ein kleiner Ausschnitt davon. Eine andere Bezeichnung für Strukturen von Symbolen ist "Information".
Bereits mithilfe der Formalismen der symbolischen Logik hat das rationale Denken eine enorme Ausweitung erfahren. Den Namen werden neue Namen zugeordnet, die Namen von den Namen bekommen ihrerseits Namen, und diese treten in Relation zu den Namen von den Namen von den Namen... Zwar bringt der Computer in dieser Hinsicht nichts grundsätzlich Neues. Doch ist die quantitative Ausweitung der Möglichkeiten der Algorithmenkonstruktion derart, dass unerhörte Wirkungen erzielt werden. Dagegen hat auch der schärfste menschliche Logiker Grenzen und ist nicht gefeit vor Mehrdeutigkeiten, Verwechslungen, Irrwegen. Dass ein Programm läuft, ist ein vorzüglicher Test für die Stimmigkeit des Formalismus und für die Korrektheit des Algorithmus (allerdings auch dann, wenn es nichts Sinnvolles tut).
Mit der Steigerung des Komplexitätsgrades von informatischen Prozessen ergibt sich ein überraschender Umschlag von Rationalität in A-Rationalität, wenn man so sagen kann. Man findet nämlich, dass selbst unter Beizug der leistungsfähigsten Computerhilfsmittel die Menge der konzipierbaren rationalen Lösungsverfahren für gewisse Problemkreise nicht ausreicht. Man ist genötigt, a-rationale Lösungswege beizuziehen, etwa sogenannte Heuristiken. So ist beispielsweise ein rationaler Schach-Computer, obwohl Schach ein durch und durch rationales Spiel ist, ein recht unbeholfener Schachspieler, dem menschlichen Spieler oder einem heuristisch (d. aufgrund von Annahmen anstatt von Schlüssen) op
Mit der Steigerung des Komplexitätsgrades von informatischen Prozessen ergibt sich ein überraschender Umschlag von Rationalität in A-Rationalität, wenn man so sagen kann. Man findet nämlich, dass selbst unter Beizug der leistungsfähigsten Computerhilfsmittel die Menge der konzipierbaren rationalen Lösungsverfahren für gewisse Problemkreise nicht ausreicht. Man ist genötigt, a-rationale Lösungswege beizuziehen, etwa sogenannte Heuristiken. So ist beispielsweise ein rationaler Schach-Computer, obwohl Schach ein durch und durch rationales Spiel ist, ein recht unbeholfener Schachspieler, dem menschlichen Spieler oder einem heuristisch (d.h. aufgrund von Annahmen anstatt von Schlüssen) operierenden Programm deutlich unterlegen.
Ferner kann im Computer das Verknüpfen von Namen vermutlich mehr als nur vervielfacht werden. Mir scheint, dass sich in der Möglichkeit von sogenanntem "objeet-oriented code" ein vielleicht grundlegender Schritt andeutet. Während in der symbolischen Logik Operatoren und Operanden und in herkömmlichen Computerverfahren Prozeduren und Daten grundsätzlich voneinander verschieden sind und stets sorgfältig aufeinander abgepasst werden müssen, entfällt diese Unterscheidung im "object-oriented code". "Objects" sind sowohl Daten wie Prozeduren, so dass sie in beiden Richtungen aufeinander wirken können. Vergleichsweise wäre das Handeln von Menschen mit Dingen dem herkömmlichen Code ähnlich; das wechselseitige Wirken von Menschen aufeinander, die nacheinander die Rolle von Subjekt und Objekt einnehmen, jedoch dem "object-oriented code".
Computer-Algorithmen konstruieren also ihre eigenen Welten, vom Menschen angeregt und ausgelöst, aber menschliches Denken weit hinter sich lassend. In der Science-Fiction machen sich Computer selbständig und werden zu allmächtigen oder teuflischen Partnern oder Opponenten des Menschen. Sie bringen die Herrschaft des Menschen über das Weltall und sie bringen die totale Versklavung des Menschen unter der Herrschaft des allmächtigen neuen Geistes. Obwohl ich nicht für möglich halte, dass autonome Computerwesen entstehen, zeigt wohl die überschiessende Phantasie zu Recht, was auf dem Spiel steht; schon als Instrumente in der Verfügung von handelnden Menschen sind sie mächtig genug. Und dennoch fehlt uns konkretes Wissen um "informatische Welten" und ihre Konsequenzen, ähnlich wie dem mittelalterlichen Menschen das Wissen um Automobile, Kunststoffe, Weltwirtschaft und andere Errungenschaften unserer Zivilisation fehlten; erst hinterher können wir die Folgen halbwegs überblicken. Können wir die Entwicklung sich selbst überlassen? Müssten wir nicht wenigstens "Spiele" über informatische Welten entwerfen, die uns zum Umgang mit ihnen befähigen und uns Freiheitsgrade in ihrer Gestaltung aufzeigen,
Der Computer bringt aber noch ein Weiteres. Und das ist es, meine ich, was die Revolution so tiefgreifend macht. Die Informatik ermöglicht nämlich rationale Metasprachen von fast beliebiger Ordnung.
Metasprachen sind Sprachen, welche anderen Sprachen übergeordnet sind, diese gewissermassen in sich enthalten. Jeder Vergleich von Sprachen erfordert den Beizug einer Metasprache, in welcher die zu vergleichenden Sprachen Untersprachen sind. Nun erfolgt aber jeder Bezug auf die Wirklichkeit in Form einer Sprache; dann wenn er für mehr als einen Menschen von Bedeutung sein soll, in Form einer öffentlichen Sprache. Wir haben in der abendländischen Zivilisation insbesondere die Form von wissenschaftlichen, d.h. rationalen Sprachen bevorzugt, welche - zumindest in kritischen Aspekten - eindeutiger sind oder sein sollen als die natürlichen Sprachen.
Jeder Vergleich von zwei Wirklichkeitsausschnitten kann nur dann gelingen, wenn die beiden Wirklichkeiten in ein und derselben Sprache dargestellt sind. Denn die Sprache ist ja das tertium comparationis. Ohne diese Bedingung wüsste man nicht, ob eine festgestellte Gleichheit oder Verschiedenheit eine solche der Wirklichkeiten oder bloss eine solche der Sprachen ist.
Nun haben die verschiedenen Wissenschaften je ihre eigene Sprachen entwickelt. Insofern sie quantitative Aussagen machen, finden sie eine gemeinsame Metasprache in mathematischen Formalismen. Darüberhinaus war bisher zum zwischen-wissenschaftlichen Argumentieren nur die natürliche Sprache mit ihren Vieldeutigkeiten verfügbar. In gewissen Fällen war es möglich, mithilfe der symbolischen Logik Diskurse zwischen Wissenschaften zu führen; allerdings stiess man in empirischen Wissenschaften rasch auf Unvergleichbarkeiten der Referenzbegriffe, die ja von Ausnahmen abgesehen in jeder Wissenschaft separat, d.h. induktiv gewonnen wurden und also synthetischen Charakter haben. Das heisst aber, dass zwischen-wissenschaftliche Vergleiche in nicht-quantitativen Belangen bisher überwiegend nicht ganz rational waren. Und in der Tat entspricht dem die weitgehende Insularisierung der Einzelwissenschaften und die Schwierigkeit interdisziplinärer Dialoge (mit der Ausnahme einiger Wissenschaften über Energie und Materie, wo das Quantitative im Vordergrund steht).
Die Informatik mithilfe des Computers könnte diese Begrenztheit der Beziehung zwischen den verschiedenen Sprachen durchbrechen helfen. Wenn wir mit allgemeinen Metasprachen so effektiv umzugehen lernen wie bisher mit den quantitativen Metasprachen, so ist zu erwarten, dass die wissenschaftlichen Einzelsprachen nach und nach durch Sprachen ergänzt und vielleicht abgelöst werden, welche vorwiegend analytisch sind, d.h. zum vornherein im allgemeinen Rahmen einer übergeordneten Metasprache konzipiert und deshalb problemlos zum Sprachvergleich und zum Objektvergleich über die Wissenschaften hinweg geeignet sind. Obwohl diese Überlegung nun eher langfristig gedacht ist, sollten wir uns darauf einstellen: Der vom Menschen geschaffener Computer könnte das dem menschlichen Denken nicht Mögliche leisten. Der Computer bewirkt einen Kultursprung ähnlich demjenigen der Erfindung der Schrift.
Und wie das Fliegen natürlich nicht wirklich entmaterialisiert, wird auch die Computerei zwar den Geist potenzieren, zugleich aber unsere Begrenztheit in einem bestimmten Geist nur umso deutlicher offenbaren. Denn für das geistige Fliegen, für die Gewinnung "informatischer Welten" ist ein Preis zu bezahlen. Ich will einiges von diesem Preis aufzuzeigen versuchen, indem ich Menschliches und Informatisches einander gegenüberstelle und vergleiche.
Eines der grossen ungelösten Probleme des Wissens über den Menschen betrifft das Verhältnis zwischen Denken und Fühlen, zwischen Ratio und Affekt, zwischen Ordnung und Antrieb. Die Philosophen und Psychologen haben sich fast stets entweder dem einen oder dem andern zugewandt, Descartes und Piaget dem Denken, Nietzsche und Freud dem Affekt.
Die Einen denken sich die Natur des Menschen von rationalem Charakter, also letztlich von der Art einer Maschine wie der Computer. Ja ist dann ja, und nein ist nein; ein Drittes gibt es nicht. Alles Diffuse, alles Ungefähre, aber auch alles Einmalige, alles Schreckliche, auch alles Heilige ist dann bloss ein Flecken im Reinheft, eine vorläufige Unvollkommenheit, vielleicht sogar ein Fehler, den es auszumerzen gilt. Für diese Sicht der Menschennatur ist der Computer eine Hoffnung. Er repräsentiert die absolute Rationalität. Und wenn schon der Mensch immer wieder unter Stimmungen und Schwächen leidet, so hat er doch wenigstens in seiner Maschine sich vervollkommnet.
Für die Andern ist der Computer eine Gegenwelt zum eigentlichen Menschsein, zum Leben. Durch ihn droht die Erstarrung, die Zerstörung des Einzigartigen, des Schöpferischen, des Individuellen. Lebendige Systeme sind offene Systeme und sie befinden sich in einer prinzipiell nicht vorhersagbaren Entwicklung. In der Tat schreitet die Evolution der Arten zwar fort, aber sie hat kein Ziel. Ähnlich ist es mit der Entwicklung der individuellen Person vom Säugling bis ins hohe Alter. Wohl sind bei bekannten Rahmenbedingungen angenäherte Vorhersagen über Entwicklungen möglich. Aber entscheidend für die Existenz der Person ist eine Freiheit, eine wirkliche oder eine vorgestellte Freiheit. Im Verhältnis dazu ist der Computer eine Maschine, d. unfrei, berechenbar, vorausbestimmt. Und damit haben wir die Wertfrage gestellt, von der wir ausgegangen sind.
Denn die Trennung von Ratio und Leben hat auch eine moralische Dimension. In einer durchrationalisierten Lebenswelt gibt es keine Moral mehr, weil es keine Freiheit gibt. Gut und schlecht werden durch richtig oder falsch abgelöst, und es gibt eine einzige Instanz, eben die Ratio (oder diejenigen, die darüber verfügen), welche darüber entscheidet, was man zu tun hat und was nicht.
Eine rational organisierte Gemeinschaft kann funktionieren, weil sie einem Ameisenstaat gleicht. Die abendländische Zivilisation ist durch ihre Rechtsinstitutionen einen Schritt in diese Richtung gegangen. Sie hat eine blühende Kultur hervorgebracht. Der umfassende Machbarkeitsglaube, vom Umgestalten der Erde bis zur Manipulation des Lebens und der Psyche, entstammt dem Vertrauen in die Ratio. Es ist allerdings bedenklich, dass diese Tendenz zur Herrschaft der Ratio, die ja eigentlich in der weltweiten Wohlfahrtsidee gipfelt, so eng mit einem schrankenlosen Hedonismus einhergeht, sei es, dass sie ihm entstammt, sei es, dass sie ihn hervorbringt. Einige fürchten heute, dass die Ratio, d. die Wissenschaft, Amok läuft. Immerhin haben wir bis jetzt, wenigstens in den westlichen Gesellschaften, vermieden, die Freiheit der Person und die Schuldfähigkeit des Individuums ernstlich anzutasten. Der Computer bringt die Fähigkeit dazu und damit die Versuchung, die totale Gesellschaft, das verschriebene Glück für alle, zu realisieren, in einem stärkeren Ausmass als alle früher erfundenen Maschinen.
Muss man also, sofern man der Faszination der totalen Sozialutopie nicht erlegen ist, den Computer bekämpfen, ihn im Interesse des Lebens einschränken oder gar vernichten? - Ich glaube, dass eine solche Konfrontation genau den Fehler der Trennung zwischen Denken und Fühlen wiederholt und grundfalsch ist. Dazu kommt, dass, wer den Siegeszug des Computers verhindern will, ziemlich sicher seine Stärkung bewirkt, die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit seiner Herrschaft. Weil nämlich schwach ist, wer den Computer nicht kennt, im Vergleich mit dem, der ihn zu seinen Zwecken einsetzt.
Man darf nicht vergessen: der Computer ist ein Bestandteil einer kulturellen Evolution. Er ist nicht denkbar ohne den Untergrund der biologischen Evolution, welche das rationale Denken hervorgebracht hat. Ein wesentliches Merkmal der erfolgreichen Evolution lebendiger Systeme ist ihr Vermögen, Bedingungen, die ihnen auferlegt sind, in irgendeiner Form in sich selbst zu integrieren. Der Computer ist eine solche auferlegte Bedingung. Die Frage ist also nicht, ob wir den Computer wollen oder nicht, sondern auf welche Art und Weise wir den Computer in die menschliche Lebenswelt integrieren.
Es gibt zwei unterschiedliche Verwendungsweisen des Computers. Manchmal sind sie nicht leicht auseinanderzuhalten, und doch sind sie grundverschieden.
Wie die mechanischen Maschinen kann man den Computer einsetzen als Verstärker der Kraft, die der Mensch ohnehin hat: der Denkkraft, wenn man so sagen kann. Der Computer rechnet um Potenzen mehr, schneller und zuverlässiger. Der Computer verarbeitet in kürzerer Zeit grössere Mengen von Information als man sich vorstellen kann. Er trifft Entscheidungen aufgrund von Datensätzen, die so komplex sind, dass sie kein Mensch überblicken kann. Er leistet in Sekunden, wozu hunderte von Menschen viele Jahre bräuchten. Aber immer sind es Vorgänge, die aus einem definierten Anfangszustand einen definierten Endzustand herstellen, sie dienen unmittelbar einem Zweck. Ich nenne dies den instrumentellen Einsatz des Computers. Es ist dies die heute vorherrschende Verwendung des Computers. Ihr Symbol ist die grosse und schnelle Maschine, die Zentralisierung der Computerkraft. Je grösser die Datenbank, je schneller der Zugriff, je effektiver die Datenverarbeitung, desto mehr ist dem zweckrationalen Tun gedient. Der instrumentelle Computer tut das Geschäft desjenigen, der ihn laufen lässt. Übrigens auch das Geschäft des sozialen Utopisten. Der instrumentelle Einsatz des Computers ist es, welcher die Ängste weckt, die hybride Computerkraft der Macher.
Keineswegs will ich den instrumentellen Computer schlecht machen. Wir haben ihn und wir brauchen ihn. Aber ich möchte ihn wegen seiner Einseitigkeit wenigstens ein Stück weit neutralisieren. Dem Gift, das er auch ist, ein Gegengift zulegen. Und das führt mich zu einer Verwendung des Computers, die ich nicht so leicht beschreiben kann. Ich nenne sie den partnerschaftlichen oder reflexiven Einsatz des Computers.
Ich meine natürlich nicht, dass Partnerschaft nicht auch auf ein Ziel orientiert ist. Doch ist eine Partnerschaft, die sich mit dem Erreichen des Ziel erschöpft, keine erfüllte Partnerschaft. Wichtiger noch als die vielleicht nie so ganz klaren und auch nie so ganz erreichbaren Ziele sind die Wege, welche die Partner gemeinsam gehen.
Der partnerschaftlich-reflexive Computer fasziniert mich. Nicht weil ich ihn laufen lassen kann, sondern weil ich ihm Probleme zu lösen geben kann, und weil er mir mit den Lösungen stets neue Probleme stellt, weil er auf mich zurückwirkt.
Partnerschaft ist gemeinsame Entwicklung. Wenn ich vom Computer als einem Entwicklungspartner spreche, dann meine ich nicht, dass ich ihn vermenschlichen möchte, keineswegs; ich bediene mich nur dieser Sprache, weil es in einer Mensch-Computer-Partnerschaft zu teilweise ähnlichen Austausch- und Beeinflussungsprozessen kommt, wie wir sie von der sozialen Interaktion her kennen.
Zum Beispiel machen Mutter und Kind gemeinsam einen Lern- und Entwicklungsprozess durch, der für beide Partner, für ihre persönliche Existenz, von grösster Bedeutung ist. Aber die beiden hören nicht auf, sich aneinander zu freuen und sich aneinander zu "reiben", wenn ein bestimmter Entwicklungsstand erreicht ist. Die Interaktion als ganze hat nicht ein bestimmbares, erreichbares Ziel, und man kann schon gar nicht von den einzelnen Begegnungs-Akten sagen, sie bewirkten genau dieses oder jenes. Es ist der Prozess, der interessiert, ja, der für beide lebenswichtig ist. Der Computer ist eine völlig andere Art Partner als die Mutter; und doch gibt es eigenartige Parallelen.
Auch in der reflexiven Computer-Verwendung verschiebt sich der Akzent vom Ziel auf den Prozess, vom Laufenlassen auf die Konstruktion. Ich stelle dem Computer eine Aufgabe; er löst sie vielleicht teilweise, nicht so, wie ich gerne möchte; das fordert mich heraus zu verstehen, warum er sie nicht löst und woran es liegt; ich ändere meine Anweisungen und beobachte das veränderte Ergebnis; der Vorgang bewirkt eine Änderung meiner kognitiven Strukturen, verändert mein Denken. Es steht plötzlich nicht mehr der Computer im Zentrum unseres Interesses, sondern ich, der Mensch, der mit dem Computer umgeht und dabei selber eine Entwicklung vollzieht. In seinem Buch "Mindstorms - Kinder, Computer und Neues Lernen" (1980, deutsch 1982 bei Birkhäuser in Basel) schildert Seymour Papert auf der Grundlage der Entwicklungspsychologie von Jean Piaget, was für Entwicklungen der Umgang mit dem Computer bei Kindern bewirken kann.
Es ist wichtig zu unterscheiden: Im computergesteuerten, programmierten Lernen wird das Kind wie ein geistiges Zirkuspferd programmiert; das Ziel ist vorgegeben, der Computer sucht den effizientesten Weg. Im partnerschaftlichen Umgang mit dem Computer programmiert das Kind den Computer, dass er bestimmte Dinge tue; aber der Lernprozess im Kind, der dabei entsteht, ist was wir suchen. Es ist ein autonomer Vorgang in einem sich entwickelnden System; wir wissen nicht, wohin er führt. Und genau das ist es, was die Freiheit der Person, die menschliche Existenz ausmacht.
Ich meine, dass es darauf ankommt, wie wir mit dem Computer umgehen, wenn wir feststellen, dass er so massive Rückwirkungen auf uns ausübt. Zauberlehrlinge, die wir sind, könnten wir uns durch den ausschliesslich instrumentellen Einsatz zu seinen Sklaven machen. In der reflexiven Verwendung bleibt der Mensch Meister, weil er zusammen mit dem Computer sich entwickelt und stets eine ganze Person bleibt, zugleich rational und lebendig.
Das Symbol des reflexiven Computers ist die relativ geschlossene Mensch-Computer-Dyade. Der autonome Kleincomputer ist überschaubar; seine Prozesse finden in den kognitiven Prozessen eine adäquate Repräsentation; die Verfügbarkeit über den Partner ist gegeben, seine Widerständigkeit einsichtig. Anders als beim Grosscomputer, der nur dem Spezialisten zugänglich ist, besteht beim Kleincomputer die Chance, dass jedermann ihn sich zu eigen macht. Ich erwarte, dass die Generation unserer Kinder, unserer Enkel mit dem Computer so selbstverständlich leben wird, wie unsere Generation gelernt hat, mit dem Auto zu leben. Wie soziale Dyaden sich immer wieder öffnen für neue Begegnungen, soll auch die Mensch-Computer-Dyade nicht eine ausschliessliche sein. Die Vernetzung von Kleincomputern scheint eine adäquate Lösung. Die Universitäten haben begonnen, den zentralen Grosscomputer mit Netzwerken von autonomen Kleincomputern zu ergänzen. Ich halte dies für einen sehr bedeutsamen Schritt.
Reflexive Computer-Verwendung entsteht nicht von selbst. Hier ist eine grosse Aufgabe, speziell für die Psychologie. Ganz im Gegensatz zum instrumentellen Einsatz könnte der reflexive Computer vielleicht beitragen zur Milderung des Lebensproblems unserer Generation. Ich formuliere es, wie alles in diesem Aufsatz, stark vereinfacht: Über Jahrhunderte haben wir jetzt mithilfe der naturwissenschaftlich fundierten Technik die Welt (fast) beherrschen gelernt. Der Mensch droht dabei unter die Räder zu geraten. Wir müssen ihn also stärken, seine Ganzheitlichkeit, seine Autonomie. Gegen die Technik leben zu wollen führt ins Abseits. Gibt ihm eine Entwicklung zusammen mit dem Computer eine Chance?
(Dieser Aufsatz übernimmt Teile eines in Unipress (Bern) Nr. 41, Dez. 1983, erschienen Artikels.)