Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Journal Article 1980

Gegen die Funktionalisierung des Existentiellen

Diskussionsbeitrag

1980..03

@Ethic @SciPol

10 / 21KB  Last revised 98.11.01

Bulletin der Schweizer Psychologen (BSP), 1980, 1 (6), 49-52.

© 1998 by Alfred Lang

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In einigen Reaktionen (z.B. HOBI 1979) auf meine Position bezüglich der Psychotherapie-Reglementierung (LANG 1979) glaube ich Missverständnisse zu entdecken, zu deren Klärung die nachfolgenden Bemerkungen in aller Kürze vielleicht dienen können. Sowohl die anthropologischen Voraussetzungen meiner Position wie auch meine wissenschaftstheoretische Orientierung sind in diesem Aufsatz aus naheliegenden Gründen nicht expliziert worden; dies ist auch hier nicht möglich; doch können einige Hinweise zum besseren Verstandnis beitragen.

Ich bin in meinem Beitrag (1979), dessen in weiten Kreisen erstaunlich positive Aufnahme ich eigentlich nicht erwartet hatte, von der Unterscheidung zwischen funktionalen und existentiellen Lebensbereichen ausgegangen. Funktional ist, wofür bei gegebenen Voraussetzungen auf explizierbare Ziele hin spezifizierbare Mittel eingesetzt und das Erreichen jener Ziele mit diesen Mitteln rational überprüft werden kann. Rational heisst dabei einfach: grundsätzlich vernünftig nachvollziehbar; wer sich einer solchen funktionaler Mittel-Ziel-Relation bedient, ist nicht auf Glauben angewiesen, sondern kann mit den Mitteln des Verstandes einigermassen lückenlose Verbindungsglieder zwischen den Vorbedingungen, den einsetzbaren Mitteln oder vermittelnden 'Mechanismen' und den angestrebten Zielen oder zu vermeidenden Zuständen aufzuzeigen.

Wissenschaft ist eine sozial besonders wichtige Form solcher Rationalität, weil sie sich bemüht, über die individuelle Rationalität hinaus eine intersubjektive (manchmal 'objektiv' genannte) Gültigkeit funktionaler Zusammenhänge aufzuzeigen. Angewandte Wissenschaft ist darauf angelegt, alles, was ihr unter die Finger kommt, zu funktionalisieren; es gibt für sie keine andere mögliche Vorgehensweise. Natürlich liegt darin, hat man einmal wie in unserer Kultur mit dieser Weise der Welt- und Lebensbewältigung angefangen, sowohl eine grosse Chance wie eine grosse Gefahr. Obwohl mit wissenschaftlich fundierten Problemlösungen viel Angenehmes geschaffen wird, zeigt die Erfahrung, dass immer zugleich neue Probleme entstehen; das sind die Nebenwirkungen oder die 'Umweltverschmutzung', weil Funktionalisierung immer nur von abgegrenzten Teilbereichen, nie des Ganzen möglich ist. Es ist also unbedingt notwendig, der Wissenschaft und ihrer immanenten Ausdehnungsdynamik Schranken aufzustellen. Ich versuche, solche Schranken in der individuellen Existenz des Menschen und in der autonomen Existenz natürlicher Gruppen zu sehen und zu fördern. Ich komme darauf zurück; man erwarte allerdings nicht, dass ich sagen kann. was das ist: das Existentielle.

Die Psychotherapie oder die Psychologie überhaupt als einen wissenschaft1ich fundierten Beruf auszuüben bedeutet also notwendig eine (wenigstens teilweise) Funktionaliserung der betroffenen Lebensbereiche. Man kann nun die anderen Menschen wie irgendeinen Objektbereich behandeln und eine funktionelle 'Technologie' in verschiedenen Formen auf ihn anwenden. Ich glaube, man muss dies wirklich ein Stück weit tun, einfach weil uns sonst die Funktionalisierung der anderen Lebensbereiche und ihrer Folgen (der Technik, der Arbeitsteilung, der Bevölkerungszunahme, der Urbanisierung, des Verkehrs usf.) über den Kopf wächst. Psycho-soziale Technologie ist dann eine Art Gegen-Technologie oder einfach ein weiteres Glied in der Kette der Technologien, deren spätere immer auch Versuche sind, die von den früheren angerichteten Schäden zu beheben. Psychologen müssen daran interessiert sein, dass ihre Technologie in einer ähnlichen Weise wie die anderen Technologien öffentliche Anerkennung findet. Der Ruf nach Psychotherapeuten-Reglementen und anderen Regelungen ist daher begreiflich. Unter den Psychologen insgesamt bestehen aber immerhin Interessengegensätze, die man nicht übersehen sollte. Ich versuche, die hauptsächlichen Positionen aufzuzeigen:

Nun werden sich freilich die meisten tiefenpsychologisch orientierten,. die 'humanistischen' und andere Psychotherapeuten gegen eine Bezeichnung ihres Tuns als 'Technologie' wehren. Ich möchte hier nicht um eine Terminologie streiten, aber immerhin die Frage aufwerfen, ob eben nicht mit der Charakterisierung des psychotherapeutischen Tuns als 'wissenschaftlich' und mit der Forderung, dieses Tun beruflich nur bei entsprechender Ausbildung und Erfahrung ausüben zu dürfen, genau jene Funktionalität angesprochen ist, auf die ich oben hingewiesen habe.

Auch wenn man betont, dass Psychotherapeuten versuchen, in ihren Klienten nicht nur ein zu behandelndes 'Objekt', sondern auch ein handlungsfähiges 'Subjekt' (in welchem Stadium einer 'Krankheit'?) zu sehen, wird man akzeptieren müssen, dass hier ein fundamentales Dilemma besteht: je mehr auf Wissen und Können abgestellt wird, desto geringer ist der Platz für das Existentielle der betroffenen Person oder Gruppe.

Aufgrund dieser Überlegungen müsste man erwarten, dass die Vertreter verschiedener Therapie-Richtungen umso stärker für Zulassungs- und Kontrollverordnungen eintreten, je mehr sie die funktionalen Aspekte ihres Tuns für wichtig halten. Das ist in einem gewissen Ausmass der Fall (z.B. bei Verhaltenstherapeuten auf der einen, bei 'eigentlichen' Psychotherapeuten auf der anderen Seite). Insoweit diese Korrelation nicht stimmt, wäre denkbar, dass andere als sachliche Motive die Einstellungen bestimnen könnten.

Man wird mir auch entgegnen, dass die verschiedenen Psychotherapeuten-'Schulen' ja gerade mit ihren anthropologischen Ansprüchen dem Existentiellen im Menschen gerecht werden wollen. Die Intention sehe ich wohl und ich schätze sie nicht gering; indessen stört mich, dass zusammen mit den funktionalen Aspekten der Psychotherapie gewissermassen die Menschenbilder mitreglementiert werden müssten. Neuere Wissenschaftstheorie macht offensichtlich, dass wissenschaftliche 'Traditionen' niemals eine ihnen immanente Rechtfertigung haben können (GOEDEL; FEYERABEND 1979). Menschenbilder bedürfen eben so sehr oder mehr noch als andere Projekte des Menschen des harten Windes offener Konkurrenz, nicht staatlich geregelter Schutzzonen.

Ich wende mich aus zwei Gründen gegen die professionalisierte und gross angelegte Funktionalisierung des Existentiellen: erstens ist das funktionale Verständnis psycho-sozialer Prozesse viel zu partiell und auch (noch?) zu wenig gut; und zweitens bewegt mich die Sorge um das Existentielle.

 

Literaturangaben

FEYERABEND, P.: Erkenntnis für freie Menschen. Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1979.

HOBI, V.: Antwort auf die Stellungnahmen zur Reglementierung der Psychotherapie. Schweiz. Zeitschrift für Psychologie 38 (4) 1979 337-349.

LANG, A.: Stellungnahme gegen die Reglementierung der Psychotherapie aus der Sicht eines allgemeinen Psychologen und eines besorgten Bürgers. Schweiz. Zeitschrift für Psychologie 38 (4) 1979 290-299.

PERREZ, M. & DIAS, B.: La psychothérapie est-elle efficace? Bulletin Suisse des Psychologues, Mai 1980, 9-14.

WINTER, E.: Staatsrechtliche Beschwerde in Sachen Tessiner Psychologen- und Psychotherapeuten-Reglement: Sachlage und Begründung. Schweiz. Zeitschrift für Psychologie 38 (4) 1979 322-336. 

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