Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Course Material 1989/99

Innenleben -- Aussenwelt

Ankündigung eines Seminar im Institut für Kunstgeschichte

Kunstgeschichte und Psychologie

 Last revised 98.10.25

Prof. Norberto Gramaccini, gemeinsam mit Prof.em. Alfred Lang

Donnerstag 10-12. Beginn: Do 29. Okt. 1998, Seminarraum des KG Instituts, mit Exkursion nach Frankfurt a.M.

© 1998 by Alfred Lang

alfred.lang@psy.unibe.ch

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Menschen bauen nicht nur Wohnanlagen und statten sie mit allerlei Dingen, schönen, nützlichen etc. aus, sondern haben solche Interieurs auch bildnerisch festgehalten oder fantasiert, wirkliche und mögliche, bewohnbare und unbewohnbare; solche Darstellungen bilden nicht selten einen Teil jener Ausstattungen. Während solche Darstellungen zunächst ein reichhaltiges historisches Material bilden, anhand dessen die Entwicklung des Wohnens, des Innenlebens im wörtlichen Sinn, untersucht und rekonstruiert werden kann. Manche dieser Darstellungen bieten Blicke in die weitere Umgebung, welche wie zusätzliche Fenster und Türen Aspekte des Aussenlebens, wiederum wirkliche und erfundene zeigen. Diese Darstellungen zeigen im Epchenwandel und im Kulturenvergleich beträchtliche Variationen. Daraus lässt sich schliessen, dass das reale und das gezeigte Interieur nicht nur in einem faszinierenden Spannungsverhältnis zur weiteren Umwelt stehen, sondern überdies das Innenleben der in den Räumen Wohnenden in einem übertragenen Sinn mutmasslich ebenso sehr ausdrücken wie beeinflussen. Denn die Interieurs, ob real oder bildlich, sind ja ihrerseits Teil der Umwelt dieser Menschen. Und die Menschen machen ihre eigene Umwelt und damit auch einander selbst. Ein Indiz dafür ist, dass in der ostasiatischen Malerei, in China und Japan jedenfalls, Interieur-Darstellungen, wie wir sie kennen, vor dem europäischen Einfluss nicht üblich waren.

Wenn wir vom Ausgangspunkt "Interieur" die Spannungsfelder zur weiteren Umwelt und zur psychischen Innenwelt in Aspekten ihres historischen Werdens und in ausgewählten kulturellen Varianten zu rekonstruieren versuchen, stellen sich wichtige Fragen der begrifflichen Fassung dieser Beziehungen und der Relevanz dieser Beziehungen für das Verständnis der menschlichen Kondition. Daraus begründet sich die Zusammenarbeit zwischen Kunsthistoriker und Psychologe.

Herr Gramaccini und ich möchten in diesem Seminar theoretische Perspektiven mit einem Material in seiner Geschichte verarbeiten und präzisieren. Ich gehe davon aus, dass aus der semiotischen Oekologie einige aufschlussreiche Heuristiken zu gewinnen sind, welche die Herstellung und den Gebrauch von Interieurs sowie deren Faszination und Entwicklung zu beleuchten vermögen. Der Begriff der Sekundarisierung und die semiotische Durchdringung der verschiedenen Teil-Ganzes und Innen-Aussen-Relationen, welche zwischen Menschen und ihrer Welt, der Umwelt und der Psyche, den Darstellungen von Aussen- und Innenraum bestehen, werden eine zentrale Rolle spielen.

Der Zeitplan sieht vor, in der ersten Stunde am 29.10. anhand einiger Bilder einen Einstieg zu gewinnen. Die Sudierenden sind aufgefordert, sich ein oder zwei wichtige Bilder zu "eigen" zu machen und deren Hintergründe näher zu studieren, um Verlauf des Semesters bei sich bietenden Gelegenheiten zu verwenden.

Am 5.11. wird A. Lang anhand eines Papiers eine Skizze seiner Ideen zu den genannten Relationen darlegen.

Am 12.11. wird N. Gramaccini einen Ueberblick über die Geschichte der Interieur-Malerei geben.

Anfang Dezember werden wir eine Exkursion nach Frankfurt a.M. ins Staedel-Museum machen, wo derzeit eine Ausstellung zum Thema besteht.

Anschliessend werden wir eine Reihe von Bildern bzw. Interieurs in ihrem Entstehungs und Wirkungszusammenhang untersuchen und versuchen uns ein gründlicheres Verständnis dieses Bildtyps zu machen.

Einige Einsichten in solche Fragen lassen sich gewinnen in Langs Beitrag zu einem Gemeinschaftsseminar der phil.-hist. Fakultät

Ich werde versuchen, auf dem Netz die Unterlagen zum Seminar laufend zugänglich zu machen. Ich beginne mit den aufgrund der Diskussion im Seminar ergänzten Unterlage zu Alfred Lang's einführendem Beitrag am 5.11.

A.L.

 

Vorlesung Prof. Gramaccini: Innenleben - Die Kunst des Interieurs vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Montag 16-18. Beginn: Mo 26. Okt. 1998, Hauptgebäude der Universität, HS 57

Mich beschäftigt das sprechende Interieur als Schlüssel für vergangene und für gegenwärtige Existenz. Ich möchte erfahren, was es war, wie es war, warum es sich verändert hat und wohin es uns geführt hat. Es geht um eine Kulturgeschichte des Innenlebens, die die Positionen des Realienkundlers, des Connoisseurs, des Soziologen und des Psychologen nach Bedarf vereint. Man erwarte sich daher keine Geschichte des Mobiliars von der Antike bis zur Gegenwart wie sie Viollet-le-Duc und Jacob von Falke im vergangenen Jahrhundert veröffentlicht haben, keine Stilgeschichte des Interieurs nach Jahrhunderten in der Nachfolge von Peter Thornton, noch eine Histoire de la Vie Privée, bei der das Innenleben das Interieur kaltstellt, wie die fünfbändige Publikation von Georges Duby und Philippe Ariès. Im Vordergrund steht der Wandel. Gerade das Interieur lehrt uns, dass keineswegs alles beim Alten geblieben ist. Zwar hat es Häuslichkeit an sich schon immer gegeben. Menschen haben zu allen Zeiten unter einem Dach gewohnt. Zuhause haben sie geschlafen, gegessen, ihre Kinder gezeugt und grossgezogen, private Gewohnheiten und Bequemlichkeiten gepflegt oder nur vor sich hinsinniert, genauso wie wir es heute tun. Bei einer feineren Einstellung aber gewahrt man gravierende Veränderungen. Es ist nicht dasselbe, ob der Höhlenbewohner ins Feuer stierte, von grosser Beute träumend, oder ob die moderne Familie vor dem Fernseher sitzt. Das Gastmahl der Griechen und Römer unterschied sich von den heutigen Abendgesellschaften nicht nur hinsichtlich des Liegens oder Sitzens bei Tische, sondern auch einer grundsätzlich anderen Auffassung von Geselligkeit. Brach der Mensch des Mittelalters sein Brot bei Tische, dachte er vermutlich an etwas anderes als die Besucher eines Restaurant dieser Tage, die pane e coperto zahlen. Die Frau des Hauses in der frühen Neuzeit versah andere Dienste und hatte eine andere Stellung als ihre berufstätigen Schwestern des 20. Jahrhunderts, und auch der Hausherr war ein anderer, je nachdem ob er über ein Studiolo, ein Billardzimmer oder einen Hobbyraum verfügen durfte. In einem Haus alten Stils lebte es sich anders als in dem modernen Apartment. Die Ausstattungsgegenstände sprechen eine beredte Sprache. Es ist diese Mikroebene des tatsächlichen zwischenmenschlichen Umgangs mit dem Interieur, die interessiert. Sie erzählt vom Wandel der Menschheit

Empfohlene Literatur:

  • Peter Thornton, Authentic Decor. The Domestic Interior 1620-1920, London: 1984.
  • Jacob von Falke, Die Kunst im Hause, 4. Auflage, Wien: 1882.
  • Philippe Ariès und Georges Duby, Geschichte des privaten Lebens, 5 Bände, dt. Ausgabe, Frankfurt: 1991.

N.G.

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