Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Newspaper Interview 1998

Lindacher Nachrichten im Gespräch mit Prof. Dr. Alfred Lang, Herrenschwanden

1998.00
@PsyHist @SciPol

9 / 18KB + 2 Bilder
Last revised 98.11.18

Lindacher Nachrichten 20 (4) vom 22. August 1998

© 1998 by Alfred Lang

info@langpapers.org

Scientific and educational use permitted

Home ||

 

Am 23. Juni 1998 hielt unser Gemeindebürger Alfred Lang, ordentlicher Professor für Psychologie an der Universität Bern, seine Abschiedsvorlesung. Den würdigenden und ehrenden Einführungsworten des Dekans folgte die Vorlesung des scheidenden Professors. Alfred Lang gab der zahlreich erschienenen Zuhörerschaft Einblick in sein vielschichtiges Denken und wissenschaftliches Wirken. Dabei unterliess er es nicht, gesellschaftliche und universitäre Fehlentwicklungen aufzudecken, zeigte aber auch mögliche Wege auf, den Menschen wieder als Ganzes zurück ins Zentrum zu rücken. Die Vorlesung verlangte von den Zuhörern höchste Aufmerksamkeit und Konzentration. Der langanhaltende Applaus zum Schluss war Ausdruck der Wertschätzung des Professors im Wissen um seine grossen wissenschaftlichen Verdienste.

Im Bewusstsein, weder der Person Alfred Lang noch seiner wissenschaftlichen Arbeit an dieser Stelle gerecht werden zu können, habe ich mir trotzdem erlaubt, mit einigen Fragen an ihn zu gelangen.

1994, Foto Peter Friedli

Vielen Gemeindebürgern ist Professor Alfred Lang von seiner publizistischen Tätigkeit her bekannt, die Person Alfred Lang kennt man jedoch schlecht. Liegt das an Ihrer Tätigkeit, oder haben Sie kein Interesse am öffentlichen Gemeindeleben?

Nein, es ist nicht Desinteresse. Als Wissenschaftler bin ich mir bewusst, dass Wissenschaft nicht getrennt von Mensch und Gesellschaft betrieben werden kann. Im Grunde genommen bin ich ein sehr politischer Mensch. Ich weiss auch, dass jegliche politische Tätigkeit auf Gemeindeebene beginnt und in der Regel verbunden ist mit der Entscheidung für eine bestimmte Partei. Letzteres war und ist für mich unmöglich. Einerseits gibt es keine Partei, die meinen Werthaltungen ausreichend entspricht, andererseits erachte ich die üblichen Polarisierungen zwischen links und rechts, Stadt und Land etc. als problematisch. Einseitige Betrachtungsweisen dienen nicht dem Gesamten.

Mit der Zeit wurde mein Engagement an der Universität so gross, dass auch aus diesem Grund ein aktives Mitwirken in der Gemeinde ausser acht gelassen werden musste.

Was ein Betriebspsychologe oder ein Psychiater für eine Aufgabe hat, kann ein Normalbürger nachvollziehen. Was macht aber ein Psychologieprofessor?

In erster Linie bin ich Wissenschaftler, in traditionellen Worten ausgedrückt: ein Forscher und Lehrer. Ich verstehe mich als Person, die anhand eines abstrahierenden und beobachtenden Verfahrens an gewisse Ausschnitte der Welt herangeht, um sie auf Begriffe zu bringen. Das Streben eines Wissenschaftlers geht dahin, das Funktionieren der Welt zu begreifen, die Welt zu verstehen; und für einen Psychologen im Besonderen steht das Verhältnis des Menschen zu seiner Welt im Zentrum.

Die Wahrnehmung dieser zentralen Aufgabe ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu kurz gekommen, weil sich die Universität und die Wissenschaft allzu sehr auf unmittelbar nützliche Aufgaben ausgerichtet haben.

Sind Sie mit der zunehmenden Öffnung und der Entwicklung der Universität nicht einverstanden?

Die allgemeine Bewunderung für die universitäre Elite und deren Prestige führten dazu, dass jedermann und jede Frau an die Universität will. Der Staat gibt diesem Drängen nach, öffnet Tür und Tor, ohne die Universität dementsprechend aufzustocken. Heute gehen in der Schweiz 20% der Jungen an die Universität; in Frankreich sind es bereits 70%. Zwangsläufig kann die Universität ihre eigentliche Aufgabe, eben das «alles auf den Begriff bringen», nur noch am Rande wahrnehmen. Sie läuft Gefahr, zur Schule für Leute, die Karriere machen wollen, abzusinken. Mit der steigenden Zahl der Studierenden sinkt aber auch das Prestige. Diese Entwicklung grenzt an Selbstzerstörung; und dagegen wehre ich mich.

Die Wissenschaft ist eine der Säulen unserer Gesellschaft. Parallel dazu gibt es auch noch Kunst, Religion und Politik, die versuchen, etwas zum Verständnis und zur Verbesserung des Zusammenlebens beizutragen. Die Mittel und Wege sind anders, die Ziele jedoch ähnlich.

Meiner Meinung nach hat man nun die Säule "Wissenschaft/Universität", vom Staat her ziemlich verkommen lassen. Aber auch von der Universität selber gehen selbstzerstörerische Kräfte aus. Der ungeheure Wettbewerb unter den Wissenschaftlern weltweit hat zwar etwas Fruchtbares, wird aber sinnlos, wenn er wie heute überbordet. Alles, besonders auch der Mensch, wird aus seiner Welt isoliert, in Teile aufgespalten und separat untersucht, ohne den Zusammenhang wieder herzustellen. Auch mein Fachgebiet macht da leider keine Ausnahme. Seit die Psychologie auch praktisch betrieben wird (psychologische Beratung, Therapie, Psychiatrie etc.) hilft sie mit, Fehlentwicklungen zu tolerieren, zu reparieren, anstatt ihnen Einhalt zu gebieten. An der Universität werden heute überwiegend hochspezialisierte Experten herangezüchtet statt Fachleute, die ihre Rolle im weiteren Zusammenhang verstehen. Wenn wir nur noch mit Hilfe von Experten leben können, so ist das doch kein Leben mehr!

Worauf führen Sie den Zerfall der Werte in unserer Gesellschaft zurück, und warum hat sich das menschliche Zusammenleben geändert?

Als Hauptursache sehe ich das Sonderstellungs-Selbstverständnis des Menschen. Mit dem Verlust der mittelalterlichen Überzeugung, Kinder Gottes zu sein, erhebt sich der Mensch, wie in der Aufklärung propagiert, selber zu einer Art Gott und macht sich zum Herr über die restlichen Menschen und die Natur. Dabei werden auch die ethischen Grenzen immer weiter zurückgesetzt. Bei einseitiger Förderung von Technik, Wissenschaft und Wirtschaft, die vor allem auf diesem Selbstverständnis der Menschen als "berechtigter Herrscher" bauen, ist es nicht möglich, eine für alle Menschen lebenswerte Welt zu schaffen. Jedoch bin ich sicher, dass das heutige Menschenbild keine Zukunft hat. Der Mensch muss wieder lernen, dass er Teil der Natur, eines grösseren Ganzen ist.

Welchen Einfluss nimmt die Wirtschaft auf unsere Gesellschaft?

So wie es heute in der ganzen westlich orientierten Welt läuft, ist die Wirtschaft die zentrale Macht. Zusammen mit dem heutigen Menschenbild, dem Bild des Beherrschens, kann freizügig Wettbewerb gespielt, über die Menschen grosszügig hinweggegangen werden. Es gibt ja Auffangbecken wie Psychiater, Sozialhilfe etc., die das Schlimmste verhindern, die die Menschen «reparieren» sollen. Es wäre Aufgabe der Politik, der Wirtschaft Grenzen zu setzen. Die Wirtschaft bildet aber zusammen mit der Politik und den Medien eine Art Kartell. Sie sind alle voneinander abhängig.


Professor Dr. Alfred Lang

  • 1935 geboren in Bern
  • 1957 bis 1963 Studium der Psychologie, Philosophie und Psychopathologie an der Universität Bern, 1965-67 zweijähriger Studienaufenthalt in Kanada
  • 1971 Habilitation an der Universität Bern
  • 1972 Ernennung zum ausserordentlichen Professor am Psychologischen Institut und
  • 1981 Ernennung zum ordentlichen Professor. Leiter zahlreicher Forschungsprojekte
  • 1983/84 Dekan der philosophisch-historischen Fakultät
  • Zwischen 1984 und 1993 Beauftragter der Fakultät für die Planung im Unitobler-Areal
www.langpapers.org

Nun zurück zu Ihrer Person. Was hat Sie als junger Student in diese Studienrichtung geführt? Wollten Sie Veränderungen bewirken?

Das Verändern war nicht die primäre Ausgangslage, sondern das Verständnis. Als Nichtpolitiker kann ich nur indirekt Veränderungen bewirken. Ich kann nur anhand von Analysen und publizistischen Hinweisen auf Dinge aufmerksam machen und Zusammenhänge aufzeigen, die den Menschen erlauben, aus dem Verständnis heraus ethisch sinnvoll zu handeln.

Ursprünglich wollte ich Schriftsteller werden. Weil das nicht einfach so geht, fasste ich anfänglich den Lehrberuf ins Auge. Psychologie oder Sinologie (Chinakunde) wurden dann meine Favoriten. Als Psychologieprofessor konnte ich gleich alle meine Neigungen vereinigen.

Gibt es für eine denkende Persönlichkeit überhaupt einen Ruhetag, ein Abschalten?

Ich kann kaum eine feste Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit ziehen. Ich bin immer voller Ideen und Gedanken, auch wenn ich spaziere oder handwerklich tätig bin. Ich habe das grosse Glück, eine Gattin zu haben, die meiner Arbeit grosses Verständnis entgegenbringt, mich unterstützt, aber auch immer wieder Wege findet, mich aus meiner Gedankenwelt wegzulocken. Solange unsere Kinder zu Hause waren, gehörte der Samstag der Familie.

1992, Herrenschwanden, Foto Christian Helmle

Was macht nun ein Alfred Lang nach seiner Pensionierung? Er wird wohl kaum in einen geistigen Ruhestand treten!

Ich glaube nicht, dass sich etwas grundsätzlich ändern wird. Bestimmt aber werde ich an keinen Kommissionssitzungen mehr teilnehmen, auch die regelmässigen Vorlesungen fallen nun weg. Aber ich werde mit meinen Studenten und Kollegen weltweit weiterhin in engem Kontakt bleiben. Dazu bin ich froh, endlich genügend Zeit vor mir zu sehen, um grössere Publikationen zu schreiben. Diese Arbeit benötigt sehr viel Konzentration und kann nicht ständig unterbrochen werden.

Gibt es nun Zeit, einen langgehegten Wunsch zu erfüllen?

Nein, ich bin fast wunschlos glücklich, ausgefüllt und habe mein Leben bis jetzt nach meinen Vorstellungen leben können.

Herzlichen Dank für das Gespräch

Stephanie Schwarz

Top of Page