Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Obituary 1995  

Gertrud Meili-Dworetzki 1912-1995

1995.05

@PsyHist

4 / 9 KB  Last revised 98.10.26

Psychoscope 16 (5) 18

(Versionen auch in "Der Bund" Nr.113 vom 16.5.95 und Lokalnachrichten Muri-Gümligen Nr. xx.)

© 1998 by Alfred Lang

info@langpapers.org

Scientific and educational use permitted

Home ||

 

Am 9. April ist in Bern die Psychologin Gertrud Meili-Dworetzki in ihrem 84. Altersjahr nach längerem Leiden und kurzer Krankheit gestorben. Ihre Asche ist ihrem Wunsch entsprechend im engeren Kreis von Familie und Freunden dem Grab ihres 1991 verstorbenen Gatten Richard Meili im Friedhof Aebnit in Muri-Gümligen beigefügt worden.

In Gertrud Meili-Dworetzki verkörperte sich ein Menschenschicksal des 20. Jahrhunderts. Ein geglücktes und ertragreiches, und dennoch ein gefährdetes und eingeschränktes, dessen Vergegenwärtigung lohnt. Denn sie war Deutsche und Jüdin, Frau und Wissenschaftlerin, Fremde und Schweizerin, engagierte Humanistin und verantwortungsbewusste Bürgerin. Ihr Leben und Werk durchleuchtet Gegensätze, die man zu Widersprüchen gemacht hat, obwohl sie keine sind. Deren Überwindung ist noch keineswegs gesichert oder gar fruchtbar gemacht.

In Danzig geboren wurde ihre Familie in drei Kontinente zerstreut. Nach einem Jahr im Frankfurt von Horkheimer und Adorno, Mannheim und Tillich studierte sie nach 1933 in Bern und Genf Psychologie. Mit einer originellen Dissertation bei Claparède über die Entwicklung der Wahrnehmung im Zusammenhang mit dem Rorschachtest (1939) fand sie nach dem Krieg vor allem in den USA lebhaftes Echo. Ihrer Ehe mit Richard Meili entsprossen zwei Söhne. Nach Meilis Berufung 1949 auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Psychologie und ihre Anwendungen an der Berner Universität wurde sie seine wichtigste "Mitarbeiterin", insbesondere in der Psychologie der Persönlichkeitsentwicklung. Inoffizielle Mitarbeiterin natürlich, denn selbst die Erteilung eines Lehrauftrags in ihrer weltweit anerkannten Spezialkompetenz, dem Rorschachtest, widersprach den damaligen Grundsätzen der Personalpolitik für Ehegatten. Dass manche Studierende privat von ihrem reichen Wissen und Können profitieren konnten, war ihrem grosszügigen Wesen selbstverständlich. Man musste sie nur darum bitten.

Die Ergänzung ihrer ideenreichen Originalität mit Richard Meilis sorgfältigen Gründlichkeit war für ihre gemeinsamen Studien zur Persönlichkeitsentwicklung von der Geburt bis zum Jugendalter von grösstem Gewinn. Die wesentlich auch auf den Beiträgen etlicher Dissertationen beruhenden Ergebnisse kulminierten in dem 1972 bei Huber in Bern erschienenen gemeinsam verfassten "Grundlagen der individuellen Charakterentwicklung". In begleitenden biographischen Untersuchungen hat sie das Projekt auch auf ihre Weise bereichert.

Daneben hat Gertrud Meili intensiv ihr eigenes Forschungsfeld gepflegt. "Das Menschenbild in der Vorstellung und Darstellung des Kleinkindes" (1957). Der Titel ihrer in mehrere Sprachen übersetzten ersten Monographie beschreibt ihr Anliegen. Am Anfang sind die grafischen Formen, könnte man ihre Einsichten akzentuieren; sie differenzieren und wandeln sich mit dem Gewinn an Erfahrung; und so zeigen die Menschzeichnungen der Kinder nicht nur deren Menschenbild sondern geben auch ein Bild von sich selbst. So neugierig wie unermüdlich hat Gertrud Meili bis in ihre letzten Jahre Menschzeichnungen gesammelt und gesichtet, unmittelbar in ihrem Lebenskreise und weltweit aus verschiedenen Kulturen. Ihre zweite Monographie "Spielarten des Menschenbildes" (1982) legte eine reiche Ernte vor. Ihrer findigen und augenöffnenden Intuition blieb es verwehrt, in der Zusammenarbeit einer wissenschaftlichen Gruppe verschiedenartiger Spezialisierungen, die das Thema vereinigt, Früchte zu tragen.

In den späteren Gümliger Jahren überwand sie zunehmend die selbstauferlegte Zurückhaltung in öffentlichen Dingen und engagierte sich zum Beispiel während einiger Jahre in der Gemeindepolitik in Sachen der Frauen und der Kinder. Getrud Meili bleibt allen unvergessen, die Gelegenheit hatten, im Gespräch ihrer Neugier zu antworten, ihren Einfällen zu folgen, mit Fragen und Hinweisen ihren Ideenreichtum aufzuschliessen.

Top of Page