Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Conference Presentation 1994

Evolutive Semiotik -- generative Semiose

1994.11

@GenSem

47 / 63KB  Last revised 98.10.25

Vorlage zu einem Vortrag vor dem Beirat der Deutschen Gesellschaft für Semiotik, Bonn am 8.7.94, in Überarbeitung zu Aufsatz für Kodikas (in process)

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt


Inhalt  

Semiotik als der bedeutendste Versuch, das Problem der Bedeutung auf Begriffe zu bringen, hat eine lange Geschichte. In vielen inselhaften Beiträgen seit den Griechen sind fast unendlich viele Bausteine zusammengekommen; aber ein allgemein akzeptierter Satz von Begriffen und Fragen oder gar eine kohärente Sicht des Problems stehen bis heute aus. Die moderne Semiotik seit Saussure und Peirce hat dem Unternehmen einen ungeheuren Impetus verliehen und zweifellos viel begrifflichen Fortschritt gebracht, zugleich aber die Diversität semiotischen Denkens in den Bereich geradezu grotesker Vielfalt gesteigert (vgl. Nöth 1990; Lang 199).

Nun möge man bedenken, was für ein pervasives Problem der menschlichen Kondition Semiotik auf einen Nenner bringen will oder soll. Würde dies gelingen, so wären penetrante Folgen in allen Bereichen der Wissenschaft zu erwarten, die ja alle nichts anderes als Bedeutungsangebote und -rechtfertigungen darstellen, auf denen sich auch Techniken oder Bedeutungsverkörperungen aufbauen lassen. Das begriffliche Tohuwabohu und der Mangel an durchgehenden Perspektiven in der Vielfalt der heutigen Semiotiken sprechen jedoch für sich. Semiotiker in allen Wissenschaften machen sich leicht zu Aussenseitern. Soll man den Versuch dazu aufgeben, wie wohl eine Mehrheit der Wissenschaftler empfiehlt? Sind die so Urteilenden Unkundige oder haben sie recht? Oder liegt es an den historischen Bedingungen semiotischen Denkens, dass so viel Aussaat und so viel Pflege noch keine Ernte gebracht hat, aus welcher man leben kann?

Hier wird die überkühne These vertreten und erläutert, die vorliegenden Semiotiken basierten ausnahmslos auf Grundannahmen, welche zwar die abendländische Ideengeschichte ganz und gar bestimmt haben, deswegen freilich keineswegs weniger fragwürdig seien, sondern vielleicht gerade aufgrund der damit gewonnen Erfahrungen höchst ersetzungsbedürftig. Denn Semiotik ist ja in "guter" Gesellschaft mit anderen pervasiven Programmen, in scheinbar präzis gestellten Fragen zu "sicheren" Lösungen zu kommen. Sie harren seit Jahrhunderten der akzeptierten Antworten. Könnte es sein, dass man in diesen Grundfragen der Ontologie (was ist überhaupt?) oder Epistemologie (wie können wir wissen?) oder Logik (was ist wahr, falsch?) oder Ethik (was ist gut, schlecht?) oder Ästhetik (was ist schön, hässlich?) von fragwürdigen Annahmen ausgeht? Von Fragen nämlich, die formuliert worden sind nach einer Dezision, die Welt als eine nur scheinbar sich ändernde, vielmehr als eine in Wirklichkeit "seiende" zu begreifen. Das weite Feld dieser Fragen steht hier nicht zur Debatte, obwohl Querbezüge unvermeidlich sind. Aber man könnte erneut von der Annahme ausgehen, Veränderung sei geradezu das Wesen dieser unserer Welt und dennoch kein Grund zu Verstörung. Die hier unter dem Evolutionsaspekt skizzierte generative Semiotik ist ein Vorschlag, das Problem der Bedeutung einmal anders zu stellen. Der Vorschlag ist nicht als eine Lösung, sondern als eine Auflösung dieser alten Probleme gedacht. Ob er das ist oder wird, wird sich weisen, zu gegebener Zeit. Meine eigene "Problemlage", wenn man das Insgesamt der Unordnung von offenen Fragen so nennen kann, hat sich jedenfalls durch die hier dargestellte Sicht der menschlichen Kondition geradezu gewaltig vereinfacht.

Vielleicht hilft geneigten Lesern ein Hinweis darauf, was sie hier nicht erwarten mögen. Ich werde das Problem der Bedeutung nicht auf eine präzise Frage reduzieren wollen, ja nicht eimal auf eine einigermassen vage; und ich werde schon gar keine Definition dieses Begriffes einführen. Schon eine verhältnismässig weite Problemformulierung, etwa: wie kann etwas anstelle von etwas anderem stehen oder wirken? impliziert nämlich präjudizierende Setzungen oder deszisionistische Aufforderungen: dass "etwas" einfach und zweimal bestimmt werden kann; dass "anstelle von" spezifiziert werden muss; dass zwischen der statischen ("stehen") und der dynamischen Auffassung ("wirken") entschieden werden soll. Nach einer kurzen diagnostischen Skizze der Ausgangslage in der heutigen Semiotik werde ich vielmehr ein konstruktives Verfahren einsetzen, um das Feld der Möglichkeiten dessen, was wir mit "Bedeutung" zu fassen versuchen und worin "Bedeutung" eine Rolle spielen könnte, auszustecken. Ein Verständnis dafür, was für Rollen durch "Bedeutungen" gespielt werden können, wird erst aufzuweisen vermögen, wie denn nun solche Rollen tatsächlich gespielt werden. Ein solches Vorgehen gleicht und verallgemeinert den Vorschlag Wittgensteins, die Bedeutung eines Wortes aus seinem Gebrauch in der Sprache zu erklären. Natürlich muss die Idee von Bedeutung weit über die Sprache hinaus tragfähig gefasst werden; denn nicht nur Taubstumme, sondern auch viele Tiere gehen ja sourverän mit Bedeutungen um. Kann man sich dann in Feldern, wo Bedeutungen vorkommen, nicht nur bewegen sondern auch reflektiert bewegen, so hat man wohl Bedeutung verstanden. Überraschenderweise wird sich in evolutiver Sicht "Bedeutung" nicht als ein Gegensatz zu, sondern als der allgemeine Fall von "Verursachung" erweisen.

Der Aufsatz ist als ein Bericht aus einem Prozess der Generation einer generativen Semiotik gedacht. Eine systematische Darstellung und Verankerungen in Ideengeschichte und exemplarischen Erfahrungsfeldern steht noch aus. Bis dahin zugängliches Material wird mittels Autorenverweisen erschlossen.

Inhalt

Drei Ausgangsbefunde

[AB 1] Die moderne Semiotik hat die grundlegendste Konstituente des Lebens und der Kulturen kaum wirklich ernstgenommen: nämlich die Tatsache ihrer Evolution oder offenenEntwicklung.

Zum Beleg will ich nur wenige Beobachtungen anführen:

In den wichtigen Handbüchern der Semiotik und andern einschlägigen Werken führen Entwicklungsfragen ein Nebendasein

Nöth 1990 (1985)

Development kommt nicht vor;Diachrony und Generative, Generativity, etc. kommen nur im Sprachzusammenhang vor (*Chomsky etc.); Passagen zu Evolution, cultural, verweist einzig auf die von Dawkins (1976), sowie von Lumsden & Wilson (1981) vorgeschlagene Analogie von Genen und Memen, ohne auf das generative und selektive Evolutionsgeschehen einzutreten.Es wird Semiogenesis, sprachlich und allgemein, als "the evolution of semiotic behavior, and with it, of culture" (1990:156). Dass Semiose eine Genese hat, gilt als einigermassen selbstverständlich, ist aber wenig erforscht (vgl. Nöth 1994); ihre Rolle im evolutiven Geschehen überhaupt scheint jedoch das Interesse der Semiotiker nicht zu finden.

Sebeok et al. 1986

Developmental Semiotics ist ein Stichwort (von Martin Krampen) und wird verstanden als "ontogenetic evolution of the capacity to use different sign systems in children", zB der Sprache und anderer Zeichentypen wie Gesten, Zeichnungen. Als Haupttheoretiker wird Piaget beigezogen, der in der Tat gerade nicht eine Theorie der Entwicklung von Zeichen liefert, sondern eine Theorie der Entwicklung von kognitiven Strukturen in den Individuen, welche Zeichenhaftes, anhand dessen handelnd erkannt werden kann, voraussetzt und deren Entwicklung in der Kultur nicht oder kaum thematisiert.

Es gibt kein Stichwort Evolution; in verschiedenen Beiträgen wird auf die biotische und kulturelle Evolution bezuggenommen, aber überwiegend nur in kurzen Hinweisen auf Diachronie. Ein Thema wie Communication etwa wird abgehandelt, wie wenn es ein zeitloses, ewig gleichbleibendes wäre.

Aesthetics

Anthropology

Architecture

Code

Communication

Culture

...

Ethology

Posner et al. 1997ff.

Noch nicht beurteilbar. Legt sicher grössten Wert auf die Geschichte der Semiotik und ihre Geschichtsschreibung.

Kapitel III wird "den Gegenstand der Semiotik unter dem Gesichtspunkt der Evolution behandeln". Einleitend wird die These verfolgt, Zeichenprozesse seien zusammen mit der Entwicklung von Leben entstanden. Kapitel 17 bis 22 sollen "die für die wichtigsten Gattungen von Organismen tpyischen Zeichenprozesse" sowie Zeichenprozesse untersuchen, die von Menschen eingeführt worden sind:

Stoffwechsel der Einzeller -"Mikrosemiose"

zwischen den Organen eines Lebewesens -Endosemiose

parasitäre Prozesse, in die Pilze ihre Wirtsorganismen einbeziehen -Mykosemmiose

Reize und Reaktionen im Leben der Pflanzen -Phytosemiose

Interaktionen der Tiere -Zoosemiose

die zusätzlich vom Menschen entwickelten Semiosetypen -Anthroposemiose

durch den Menschen mit zeichenverarbeitenden Maschinen (Messgeräte, Automaten, Computer, Roboter) eingeführte Prozesse -Maschinensemiose

Aber es scheint, soweit ich sehe, kein Kapitel zu geben, welches die konstitutive Rolle semiotischer Prozesse für die Entwicklung thematisiert.

zB schreibt Wuketits (Kap. 22): " ([Anthropo-]Semiosen sind [...] Gegenstand einer umfassenden Theorie der organischen Evolution." (Ms. S. 2)

Die Evolution selbst ist aber typtisch unter rein funktionalistischere Betrachtung dargestellt, zB bei Schuler (Kap. 21): "Wir können [...] davon ausgehen, dass ein derartiger Signalaustausch [hier Töuschung mit oder ohne Intentionalität; gemeint sind aber wohl sämtliche Formen von Zeichenprozessen] sich im Verlaufe eines Evolutionsprozesses herausbildete, weil er sich als vorteilhaft erwiesen hat." (Ms. S. 9)

Einige Ausnahmen:

Koch 1982, 1984 et passim seit 1974

Lotman 1990

So berechtigt Lotmans (1990: ZfS und "Universe of the mind") Vorwurf ist, Saussureanische und Peirceanische Zeichentheorie gehe immer "vom Einzelzeichen oder vom einzelnen Code aus" statt von "der Gesamtheit aller Zeichenbenutzer, Texte und Kodes einer Kultur als semiotischen Raum" oder als "Semiosphäre", so wenig hat er eine Konzeption entwickelt, welche die Semiosphäre als Zeichen und aus dem Wirken von Zeichen konstituiert sein lässt.

Esposito 1980 (Evolutionary metaphysics Ñ Peirce, mir noch nicht bekannt)

Hausmann 1993 (Evolutionary philosophy Ñ Peirce)

Endlich ein Peirceaner, der die Offenheit des unendlichen Zeichenprozesses, den "evolutionary realism" von Peirce, für wichtiger nimmt als seine teleologische Gezieltheit auf "the ultimate truth"

Aber auch Hausmann verharrt im wesentlichen in einer Interpretationssemiotik

......

Vorgeschichte

Vico 1725/44

Condillac 1746 Essai sur l'origine des connaissances humaines; Maupertuis 1748 Refléxions philosophiques sur l'origine des langues et la signification des mots (vgl. Pross 2:895ff.)

Condillac hielt die Herausbildung von (Sprach-)Zeichen für die gleichzeitige Herausbildung von Bedeutungen aufgrund der Differenzierung der Wahrnehmung; widerrief die grosse Bedeutung der Zeichen für Sprache1752

Maupertuis' Idee (nach Nöth, mit Fehler?) dass Ursprung des Zeichengebrauchs in der allmählichen Differenzierung der Wahrnehmung von Sprache, Geste liege. Das sei eine Vorwegnahme der Strukturalsimus-Idee wenigstens auf der Seite der Zeichenträger

Herder 1772, 1774, 1784

Fazit: Es werden von den Semiotikern wohl die Diachronie von Zeichensystemen oder die Geschichte von Textklassen, also die Tatsachen der Veränderung von Zeichenhaftem über die Zeit, beobachtet und beschrieben; doch dominieren erstaunlich "statische" Konzeptionen der Zeichensysteme und es gibt, so weit ich sehe, kaum systematische Bemühungen, Zeichenprozesse als konstitutiv für systematischen Wandel zu verstehen. MaW die Schicksale und Geschichte von Zeichen und Zeichengebrauch wird geschrieben; aber die Zeichen erleiden diese Geschichte. Sie werden verstanden, als ob sie diese Geschichte nicht bedingten und nicht laufend die Bedingungen dieser Geschichte änderten.

Peirce hat in meiner Auffassung genau das vorgeschlagen und die dreistellige Semiotiki genau dafür entwickelt; aber er hat es nicht durchgeführt. Herder hat dasselbe hundert Jahre vorher ebenfalls vorgeschlagen; aber er hatte keine dafür geeignete Semiotik.

 

[AB 2] Trotz vieler anticartesianischer Beteuerungen ist Semiotik im Kern immer noch dualistisch angelegt, da Zeichen als etwas verstanden werden, was zugleich einer materiellen wie einer Bedeutungswelt angehört bzw. (ev. als eine dritte Welt) zwischen einer materiellen und einer geistigen Welten eine Brücke schlagen soll. M.a.W. Zeichen werden zumeist als Zusammensetzungen von Zeichenträgern und Zeichenbedeutungen begriffen.

Kontinuitätsthese (herder, Peirce, Dewey u.a) nicht ernst genommen

Popper als Beispiel, der ein Übel mit der Erfinung eines neuen flicken will

u.v.a.m.

 

[AB 3] Auch die moderne Semiotik ist dem dualistischem Denken entsprechend im wesentlichen eine Theorie der Interpretation von Zeichen geblieben, die ein Interpret oder Interpretant vorfinden kann bzw. von solchen zu solchen erst "gemacht" werden. Obwohl die meisten Zeichen von Menschen wirklich gemacht worden sind, bevor sie von andern und ihnen selbst gedeutet werden, wurde die Frage der Zeichengeneration noch kaum aufgenommen.

Auch hier will und kann ich kein abschliessendes Urteil geben sondern nur ein paar Indizien zusammenstellen:

Meine intensive Suche nach entsprechenden Arbeiten oder Autoren zeitigte bisher ganz erstaunlich magere Ergebnisse, zB

Handbücher

Nöth 1990

?

Sebeok et al. 1986

ebenfalls weder sign generation noch sign production

unter Sign jede Menge von sign functions, sign types, sign classification etc. aber kein Hinweis auf seine Entstehung, weder als einzelnes noch als Typus.

Posner et al. 199?

?

Ungeheuer, Gerold (1987, posthum, Vor-Urteile über Sprechen, Mitteilen, Verstehen. Pp. 290-338 in: Juchem, Johann G. (Ed.) Gerold Ungeheuer Kommunikationstheoretische Schriften I.

es bleibt aber bei sehr allgemeinen programmatischen Skizzen, so anregend sie auch sind

Herder 1772, 1774, 1784: Sprachschrift u.a.

sieht klar, dass die Wirkungen von Gebilden wie Poesie durch die Zeichenträger allein (Laute, Buchstaben, Posen, Bewegungen) nicht erreicht werden können, sondern durch etwas Weiteres, ihren Sinn, ihre Kraft (KW1/16 DKV 2:193ff.

sieht klar, dass Zeichensysteme wie Sprache und Kultur überhaupt auf anfänglich wohl zufälligen Akten von individuellen Menschen beruhen (Lautäusserungen, Gesten, Produkte), welche dann von andern aufgenommen und ähnlich bzw. in fortlaufenden Ketten und systembildend wiederholt bzw. gewandelt werden.

Aber die Idee geht eigentlich schon bald nach 1800 verloren. Schon bei Herbart und bei Humboldt überlagert sich das evolutive Offene dieser Sicht mit der Idee einer guten Ordnung, transzendenten Zweckbestimmungen etc. und im 20 Jh. dann vollends mit der Idee des Kode.

Fazit: Obwohl die Differenzierung zwischen natürlichen und artifiziellen, konventionellen, menschgemachten Zeichen eine lange und wichtige (und unabgeschlossene) Diskussion darstellt, ergab sie kaum ergiebige Gesichtspunkte zu einer allgemeinen Theorie der Zeichengeneration, sondern verstellt das Problem durch die Regel, dass letztlich erst der Zeicheninterpret etwas zum Zeichen macht. Auch Peirce, der durch seine evolutionäre Anlage des Zeichenproblems und die These, (fast) alles, jedenfalls der Mensch und seine Werke, sei zeichenhaft, alle Voraussetzungen für diese Problemstellung schuf, hat sich mit seiner Vorliebe, die Semiose stets vom Zeichen oder Repräsentamen her aufzurollen und dessen Bezug auf "sein" Objekt und seinen Interpretanten anzuschliessen, im wesentlichen als Zeicheninterpret eingeführt. Auch die Idee der unbegrenzten Reihe von Folgeinterpretationen (in bezug auf ein erstes Objekt und sein Zeichen) meint Interpretation.

Und obwohl es Peirce vor allen andern war, der behauptete, die Interpretation von Zeichen bestehe in nichts anderem als der Erzeugung von neuen Zeichen, ist seine Semiotik eine Interpretationssemiotik geblieben. Sie geht von Zeichen aus, die interpretiert werden, und deren Interpretant (der nicht selten mit der Zeichenbedeutung für einen interpretierenden Geist (Mind) gleichgesetzt wird) über das Zeichen auf (s)ein Objekt verweist. In der Folge kann diese triadische Relation (die in einigen Formulierungen seltsam dyadisch erscheint, weil der Interpretant ja nicht direkt, sondern bloss über das Zeichen auf das Objekt verweist) weitere Semiosen bedingen, insofern der Interpretant als Zeichen aufgefasst eine weitere Interpretation gewinnen kann; das Objekt scheint in dieser nun offensichtlich dyadischen Relation nur noch implizit.

Diese hier sehr verkürzt und überzeichnet wiedergegebene Beschreibung der Lage bedarf einer gründlicheren Klärung.

Inhalt

Drei Programm-Thesen

[PT 1] Eine allgemeine Semiotik ist die Alternative der Wahl zur physikalistischen oder materiellen Reduktion bei der Konstruktion eines umfassenden Erklärungsmodells der Welt, insbesondere in Hinsicht darauf, dass uns bedeutende Teile der Welt als Systeme in Entwicklung erscheinen und wohl am besten so auch begriffen werden.

Wenn die Annahme sinnvoll ist, dass biotische, psychische, soziale und kulturelle Gebilde oder Systeme und deren systemische Integrale durch Evolution nicht nur charakterisiert sondern durch Entwicklung überhaupt entstanden und auch auseinander hervorgegangen sind, dann müssen die den Entwicklungsprozess tragenden Gebilde, so verschiedenartig sie erscheinen mögen, und die diese Systeme erzeugenden und erhaltenden Prozesse in einund derselben Konzeptualität begriffen werden können.

Man bedenke etwa

wie Kant dem Entwicklungsgedanken, den er im kosmischen Bereich für angebracht hielt, im Humanund Erkenntnisbereich ausgewichen ist.

wie Hegel und andere vorher und seither den Entwicklungsgedanken nicht nur mit dem Fortschrittsgedanken, sondern noch viel bedenklicher mit dem Zielbestimmtheitsgedanken verwechselt haben.

Obgleich Entwicklung deren Rahmen weder verletzt noch sprengt, ist der Rückgriff auf stofflich-energetische Erklärungsmodelle unzureichend; nicht nur weil es sich um stofflich-energetisch extrem unwahrscheinlich zustandekommende, und dennoch real recht häufige Gebilde handelt, sondern auch, weil die Eigenschaften und das Wirkungspotential dieser Gebilde typischerweise deren stofflich-energetische Wirkungsmöglichkeiten weit hinter sich lassen. Die blosse Funktionalisierung von Evolution bzw. von aus ihr geschnittenen Stücken -dies ist so geworden, weil es jenes bewirken kann -ist keine befriedigende Erklärung.

 

[PT 2] Eine der grundlegenden Einsichten von Peirce besagt, dass die Interpretation von Zeichen nur durch weitere Zeichen erfolgen kann. Wie denn sonst? Und wenn in der Folge weite Teile der Welt aus Zeichenhaftem bestehen, dann wäre die grundlegendere Aufgabe der Semiotik die Klärung der Zeichengenerierung. Was wir Zeicheninterpretation nennen, klärte sich damit von selbst, insofern sie nichts anderes sein könnte als als eine besondere Ansicht von Zeichengeneration.

Semiotik als Theorie der Zeicheninterpretation setzt eine Zeichendefiniton voraus. Wenn aber Zeichen überwiegend Ergebnisse von generativen Prozessen sind, dann sollte ihre Definition nicht unabhängig vom Verständnis solcher generativen Prozessen erfolgen; also nicht phänomenologisch klassifizierend, sondern genetisch-konstruktiv.

Von Zeicheninterpretation als einem Besonderen kann dann nicht gültig auf Zeichengeneration geschlossen werden.

 

[PT 3] Zeichenhaftes hat in der Welt keinen Sonderstatus: Einsichten, Gefühlszustände, Pläne sind ebeno zeichenhaft wie sprachliche Texte, Tänze, organismische Formen oder Städte. Entscheidend ist die realistische Rekonstruktion der Wirkungszusammenhänge aller von uns unterscheidbaren Entitäten. Eine allgemeine Semiotik wird so auch zur Alternative der Wahl zur mentalen oder linguistischen Reduktion der Konstruktivisten.

 

Inhalt

Ein paar Sachthesen

[ST 1] Fasst man Semiotik, wie dies traditionell und immer noch überwiegend geschieht, als die Untersuchung der Zuordnung von Bedeutung zu diese tragenden Strukturen oder Prozessen, so ist sie entwicklungstheoretisch ebenso uninteressant und unbrauchbar wie jede strikte oder dyadische Kausaldynamik von der Form: wenn A, dann B. Denn dies zwingt dem Bild der Welt einen statischen, zirkulären oder allenfalls zufälligen Charakter auf, der den Tatsachen der Evolution nicht gerecht wird.

Entwicklung oder Evolution (insbesondere von biotischen, psychisch-personalen, sozialen, kulturellen Systemen und deren systemischen Integralen) heisst Wandel in der Zeit, der weder voll vorausbestimmt noch beliebig ist; maW, Entwicklung ist das Wirklichwerden von genau einem von vielen Möglichen zwischen Notwendigkeit und Zufall derart, dass Früheres über eine in die Gegenwart vermittelte Wirkung Späteres bestimmt.

Damit ist Entwicklung mit der Zeit und nicht umkehrbar; sie ist durch ihren bisherigen Verlauf gerichtet, doch ohne Ziel (denn sonst müsste das Spätere das frühere bestimmen).

Ich weiss nicht ob die Kosmogenese Entwicklung in diesem Sinne ist

Aufbau-, Erosionsoder Ablagerungsprozesse wie zB bei Gebirgen ist nicht Entwicklung, obwohl ein früheres Ereignis ein späteres bestimmen kann: wo schon etwas ist, kann nichts mehr; nur Freilgelegtes kann fallen; etc.

Verlagerungsoder Umformungsprozesse von Stoff und Energie in der Zeit wie zB durch Wetter, obwohl sie phasenweise hochsystematisch und doch nicht vorausbestimmt sind, ist wohl nicht Entwicklung, weil auch hier das (eben) Vergangene direkt auf das (unmittelbar) Künftige wirkt

Entwicklung setzt Gedächtnisbildung und Gedächtnisverwertung voraus; denn Früheres kann in der Gegenwart nicht als Früheres, sondern nur durch eine Repräsentanz des Früheren wirken.

Strikte Kausalgesetze sind ja zeitlos. Die Wirkung ist nicht nach der Ursache, sondern muss mit ihre gegeben sein. Deshalb ist Entwicklung nur mit einer Begrifflichkeit zu fassen, welche Zeitlichkeit genuin impliziert.

Man kann sich einen Grenzfall denken, dass Strukturen tel quel aufbewahrt werden und später dann zur Wirkung als solche kommen. Wären alle Wirkungen von früher auf später von dieser Art, so käme es jedoch nicht zu Entwicklung, sondern allenfalls zu zyklischen Prozessen

Damit ist die Annahme nahegelegt, dass das Frühere, in welchem Wirkungszusammenhang es immer damals gewesen ist, heute in einem anderen Wirkungszusammenhang anders wirken kann als damals. Gedächtnis ist mithin nicht Aufbewahrung tel quel, sondern die Möglichkeit, dass etwas zu einer späteren Zeit oder an einem andern Ort zu einer neuen, nicht notwendig gleichen, wenngleich normalerweise verwandten Wirkung kommen kann.

Entwicklungstheorie verlangt mithin eine Beschreibung nicht nur des Wandels, sondern dessen generativen Charakters; sie muss mit der Möglichkeit operieren, dass Neues entsteht.

Entwicklungstheorie muss über die Gesetzmässigkeit hinausreichen, die das Bestehende in seinem Gewordensein vollständig beschreibt. Obwohl alles Gewordene seine zureichende Ursache gehabt hat, würde eine Fortschreibung dieser Ursachen gerade die Idee der Entwicklung verfehlen.

Sie muss also zeigen wie Früheres vermittelt (nicht direkt) in der Gegenwart zu wirken und mithin das Künftige zu bestimmen vermag

Beispiele dafür, wie unzulänglich die theoretische Behandlung von Entwicklung ist

Hoffmeyer 1989 biologisch

Begriffe wie Information, Programm, genetischer Code, Feedback haben im Weltbild der klassischen Physik keinen Sinn. Sie kamen um 1950 in der Gedankengang: (Mikro)Biologie auf, die Biologen haben aber die Ungereimtheit überspielt, indem sie "genetische Information" mit "Gen, das die Information trägt" gleichsetzen; damit wurden Gene wieder (beruhigend) zu soliden physikalischen Entitäten. Aber Gene sind so wenig mit Information identisch wie die Botschaft eines Briefes mit der schwarzen Tinte auf dem Papier. [La: es braucht ein Drittes beteiligtes, was die Anordnung der Tinte lesen kann]

 

ökonomische Vorhersagen sind nur Extrapolationen

Entwicklung muss mithin als aus dreistelligen Relationen generiert gedacht werden:

Entwicklung verlangt Möglichkeiten der Variation (a) vom Bestehenden (a) und die wirkliche Selektion (c) oder Beibehaltung einer dieser Möglichkeiten.

Die Gegenwart "wählt" eine Zukunft und macht sie zur Vergangenheit.

Aus eine Spektrum von Möglichkeiten (a) wird eine (b) zur Wirklichkeit (c).

In der Vergangenheit ist eine Gewohnheit gebildet worden: deren simple Ausübung ist dyadisch; deren Variation macht Geschichte oder Entwicklung.

Die Bildung einer Gewohnheit ist Entwicklung, insofern jetzt etwas anderes der Fall wird als vorher.

Ich behaupte, dass die modernen Wissenschaften von den Naturwissenschaften bis zur Psychologie und Ökonomik weitgehend über keine brauchbaren Entwicklungstheorien verfügen; die vermutlich bisher einzige Ausnahme ist die biologische Evolutionstheorie.

Das liegt an der durchgehenden Dominanz dyadischen Denkens in den empirischen Wissenschaften

Entsprechend sind die traditionellen, einschliesslich der Saussureanischen, dyadischen Semiotiken so erstaunlich statisch

Etwas als eine Funktion der Zeit darzutellen, ist natürlich nie ein Entwicklungstheorie und kann im Regelfall nur zu irrigen Erwartungen über die Zukunft führen, solange man nicht versteht, wie eines aus dem andern hervorgeht.

Das Fehlen von guten Entwicklungstheorien im psycho-sozio-kulturellen Bereich hat tragische Folgen für die Qualität der Ethik. An die Stelle der Bewertung des Handelns aus seinen möglichen und wahrscheinlichen Folgen hat man zeitlose Prinzipien zu setzen versucht, die sich jeweils mehr oder weniger rasch als zeitgebunden erweisen und dem Handeln und einen Wirkungen hintennachzueilen versuchen.

Die biologische Entwicklungstheorie profitiert vom Umstand, dass zwei gut unterscheidbare Strukturtypen existieren, die ein-eindeutig mit den zwei grundlegenden Prozesstypen verbunden sind:

Strukturbildung zum Genom kann Variation am Genotypus erzeugen und tut das in der Regel in einem kleinen Ausmass, egal, ob dies durch Mutation oder durch Replikationsfehler oder durch die geschlechtliche Kombinatorik oder was immer zustandekommt.

Strukturbildung zum Organismus unterliegt dem Selektionsprinzip am Phänotypus: in allen Phasen der Ontogenese bis zur weiteren Fortpflanzung können ungünstige Bedingungen zum Abbruch führen, so dass der Variationszweig ausfällt,

Heuristisch bedeutsam für die Untersuchung anderer Entwicklungsformen scheint mir die Beobachtung, dass sowohl die Variation wie die Selektion wesentlich durch ein zu den beiden Strukturen Drittes, ein Milieu, ein gemeinsamer Grund, mit bestimmt sind.

 

[ST 2] Insofern Evolution Gedächtnisbildung und spätere Wirkungsmöglichkeit voraussetzt ist sie nur denkbar als Dialektik von Struktur und Prozess; oder als in der Zeit verwirklichter "Dialog" zwischen Strukturen in einem gemeinsamen Milieu, welcher Prozess neue Strukturen generiert.

Meine bevorzugte Manifestation dieses Gedankens ist dieVorstellung, dass Strukturbildungsprozesse von der Art, wie sie Evolution tragen, im Vergleich mit anderen Formierungen notwendigen oder zufällgen Charakters überhaupt (wie zB die Ergebnisse von rein dynamischen oder rein chemische Reaktionen), zu Strukturen führen, welche gegenüber ihrer Umgebung eine gewisse Widerständigkeit oder Einflusspufferung, relative Autochthonie aufweisen (wie zB Organe oder Organismen mit ihren Membranen und ihrer relativen Selektivität bezüglich stofflicher und energetischer Interaktionen).

Wie zB Mayr, Ernst (1991) [Eine neue Philosophie der Biologie. (Erweiterte deutsche Ausgabe der Aufsatzsammlung (1988) Toward a new philosophy of biology.) München, Piper. 470 Pp. ] findet, bedarf das Anpassungsaxiom der Evoltuionsbiologie eines Komplements durch ein Axiom, welches diese Eigenständigkeit von Organismen betont.

Solche beständigen und selektiven Strukturen, die den Einflüssen aus ihrem Milieu teilweise erliegen, teilweise widerstehen, geben dem für jede Evolution unentbehrlichen aber nicht ausreichenden Moment des Zufalls eine völlig neue Dimension. Denn zufällige örtliche und zeitliche Zusammentreffen solcher Strukturen mit affiner Selektivität füreinander erweitern die Möglichkeiten sowohl von Variationswie auch von Selektionsvorgängen ganz beträchtlich

Prozess als Möglichkeit der Einführung von Variation und als der Vorgang, welcher die Selektion vollzieht.

Struktur als Gedächtnis, welches einen Zustand zu einer späteren Zeit vertrittt und an welcher Selektion angreifen: wird ein Gedächtnis wieder benutzt oder fallengelassen?

In Bioevolution sind dafür zweierlei Strukturen "zuständig": eine zur Erzeugung von Variation und eine andere zur Selektion

 

[ST 3] Struktur und Prozess, die uns phänomenal so verschieden erscheinen, werden sinnvollerweise als zwei Erscheinungsformen desselben begriffen: jede Struktur als ein langsamer Prozess und jeder Prozess als eine schnelle Struktur.

Um Entwicklung angemessen zu beschreiben und damit auch zu verstehen (was ist möglich? was ist wahrscheinlich unter welchen Bedingungen? welche Bedingugen würden das Wahrscheinlichkeitsgefälle in welcher Weise ändern? etc.), muss man also den Wechsel zwischen Struktur und Prozess verfolgen können

 

[ST 4] In Bezug auf Menschen lassen sich zur Hauptsache biotische, cerebrale, soziale und und kulturale Strukturen auf dem Hintergrund einer allgemeinen raum-zeitlich-mineralischen Welt unterscheiden. DerenAuseinanderhervorgehen und Aufeinanderbezogensein ist zu jedem Zeitpunkt ihrer gemeinsamen Entwicklung eine empirische Frage. Zur Beschreibung dieser Prozesse und Strukturen eignet sich eine semiotische Begrifflichkeit, die den Akzent auf die Zeichengeneration seztzt.

Im individuellen (cerebralen) Erfahrungsgedächtnis lässt sich eine solche strukturelle Unterscheidung (bisher oder prinzipiell) nicht durchführen, jeder Genotypus ist auch ein Phänotypus und umgekehrt, aber als Phänotypus nicht zugänglich, sondern nur insofern er neue Strukturen (mit)generieren kann

Im kulturellen sozialen, kollektiven Gedächtnis sind Genound Phänotypen wieder anders geschieden: der Phänotypus ist das externale Ding, Symbol etc.; allein ist es ohne Bedeutung oder Belang; in Verbindung mit einem seinem Genotypus irgendwie verwandten Gebilde kann es aber eine Rolle spielen in allerlei Entwicklungsprozessen, insofern ...

 

[ST 5] Zeichengeneration als Prozess heisst Bildung oder Aktualisierung von Strukturen aufgrund zweier gegebener Strukturen. Ihr Anlass ist die Begegnung einer Referenzstruktur mit einer Interpretationsstruktur; das Ergebnis ist eine neue oder aktualisierte dritte Struktur, transient oder überdauernd, welche das kombinierte Wirkungspotential ihrer Vorgänger zu weiteren Wirkungen präsentiert.

 

[ST 5a] In einer logischen, von Zeit und Prozesshaftigkeit abstrahierender Betrachtung lässt sich keine Priorität der drei involvierten Strukturen ausmachen. Referenz, Interpretanz und Präsentanz konstituieren einander wechselweise. Gemeinsam stellen sie eine Wirklichkeit dar, welche, analog den Ionen in der Chemie, für ihr Bindungspotential interessiert; ich nenne dies deshalb Semionen.

Dass die Komponenten von Semionen räumlich und zeitlich separiert existieren können, hindert ihr Zusammengehen nicht grundsätzlich, da ja ihr Wirkungspotential in jeder der drei Komponenten impliziert ist. Hier findet der traditionelle Gedanke der Stellvertretung des Zeichens für sein Objekt eine erweiterte Auffassung.

Illustration etwa mit der Tradition einer Wophnungseinrichtungsweise, die in Millionen von Objekten dargestellt ist und immer wieder neu zur Wirkung kommt.

Wieder prozessbetrachtet heisst das, dass insbesondere Präsentanzen als die potentiell innovativen Momente der Strukturbildung durch ihren Verweis auf ihre Referenzen und Interpretanzen die Kontinuität von Tradition weiterführen.

 

[ST 6] Zeichenhaft sind Strukturen, welche unter besonderen Bedingungen (in einem affinen Milieu) Wirkungen hervorbringen, welche aus ihren eigenen Eigenschaften selbst nicht verstanden werden können.

 

[ST 7] Am Affinitätsbegriff lässt sich die Kontinuität dieser zeichengetragenen evolutiven Welt mit der mineralischen Welt und auch der entscheidende Unterschied festmachen. Die chemischen Valenzen einfacher Stoffe sind gegeben und erschöpfen sich im Eingehen und Lösen von immer wieder gleichen Bindungen. In Gebilden wachsender Komplexität entstehen jedoch neue Valenzformen und damit die Möglichkeit zu immer noch weiteren und komplexeren Gebilden. Jedoch können sie nur dann untereinander in Wirkung treten, wenn Affinitätsbedingungen eingehalten sind. Durch Koevolution von Gebilden ist solche in unterschiedlichen Graden wahrscheinlich aber nie garantiert. Wenig affine Gebilde haben in einem fremden Milieu kaum eine Chance, ausser sie können in relativer Isolation vom Rest der Welt gewissermassen ihr eigenes Affinitätsmilieu bilden.

Inhalt

Ein Beispiel vom Wohnen

Ich füge diese Konkretisierung hier ein, weil Verstehen einer Theorie nicht selten wesentlich leichter ist, wenn man weiss, an welchem Bereich von Erscheinungen der Autor seine Überlegungen konkretisiert, vielleicht sogar gewonnen hat.

Das hindert nicht, dass mitgedacht wird, in welchem Ausmass die Theorie für allgemeiner -hier in äusserst extensivem Masse -gelten soll.

Aus Untersuchungen, die wir über Geschehen mit Menschen mit ihren Dingen in ihren Räumen machen.

Unsere Darstellungsformen beziehen sich

auf die Räume und ihre Ausstattungen, mittels Plänen, Fotos, Listen, Beschreibungen etc.

auf die wohnenden Menschen, ihre Lebensgeschichte, ihre Beziehungssysteme zu Mitmenschen, Dingen etc.

bevorzugt auf das transaktionale Geschehen in diesen M-U-Systemen in Entwicklung

Zeitstichproben des Handelns oder der Tätigkeiten: was, wann, wo, mit wem, mit was, weshalb, wozu, in welchem Rahmen?

Foto-Report: die Wohnenden fotographieren nach bestimmten Kriterien ausgewählte Wohnsituationen oder lassen sich in solchen fotographieren

Auskünfte über ausgewählte Dinge oder Orte der Wohnung und ihrer Umgebung, erhoben im Rahmen von Gesprächen, teilstrukturiert oder teilformalisiert, bis hin zu qualifizierend-quantifizierenden Beurteilungsverfahren, zB Repertory Grid Test

deutend-integrierede Gespräche über die Befunde der übrigen Methoden im Lebenszusammenhang

[Video-Aufnahmen des Wohngeschehens; bis jetzt zurückhaltend (Aufwand!); Absicht, Spielfilme auszuwerten]

alle diese Verfahren bilden die Grundlage einer theoriegeleiteten Rekonstruktion des Wohngeschehens mit verbalen und graphischen Mitteln unter Betonung von Entwicklungsgesichtspunkten

Angestrebt wird zunächst Beschreibung des Geschehens, idealtypisch eine dreidimensionale unbegrenzte diskreten Matrix der Akte von

Personen

mit Dingen and Orten

über die Zeit

Diese Matrix hat insofern generativen Charakter, als die Realisierung oder Aktualisierung jeweils eines Feldes zu einem gegebenen Zeitschnitt aus den im vorausgehenden Schnitt und dem was dieser impliziert, hervorgehen muss.

Die der Matrix innewohnende Ordnung, ausreichend abstrahiert, stellt eine Theorie des Wohnens, eben der Entwicklung von Menschen mit ihren Dingen in ihren Räumen dar.

Ich greife ein Grenzbeispiel "Einstuhl-Wohnzimmer mit Matraze" heraus, weil es durch seine Ungewöhnlichkeit geeignet ist, den uns allen so vertrauten und damit kaum zugänglichen Vorgang zu durchleuchten

Bei der Ankunft zu einem Gespräch über einige Dinge in der Wohnung, "die dir wichtig sind", wird der Interviewer nach einem üblichen Empfang an der Wohnungstür und im Entrée in ein "Wohnzimmer" (der Einzimmer-plus-Küche-Wohnung) komplimentiert, das neben einem Schrank, einem Tisch und einem mit Kleidern belegtem Stuhl und einem alten, weich belegten Bett nur noch eine mit einem blauen Überwurf bezogene Matraze am Boden enthält. Die Auskunftsperson setzt sich auf die Matraze und deutet dem Interviewer an, ebenfalls darauf Platz zu nehmen.

Dieser tut es mit einigem kurzem inneren Widerstreben und ist (zum Glück) sensibel genug, sich den Vorgang und seine Gefühle und Erwägungen dabei nach dem in sonstiger Hinsicht wie üblich ablaufenden Gespräch festzuhalten. Der Interviewer berichtet, sein anfängliches Unbehagen am Boden auf der Matraze bald überwunden zu haben, weil er sich erinnerte, ja vor einigen Jahren ebenfalls ähnlich "am Boden" gelebt zu haben. Das aufgenommene und transkribierte Gespräch selbst scheint nach dem Vergleich mit anderen Protokollen in keiner Hinsicht auffällig.

Eine vollständigere Rekonstruktion dieser Begrüssungsund Gesprächsrahmensituation könnte exemplarisch etwa so erfolgen:

Empfang an Wohnungstür durch eine bisher nur telefonisch begegnete, über gemeinsame Bekannte vermittelte Person mit den dabei üblichen Anspannungsund Lösungmomenten im Ablauf weniger Minuten. Das bezieht sich etwa auf die kleinen oder grösseren Unsicherheiten und ihrer Überwindung der eigenen Plazierung im Raum und zum andern, der Blickzuwendungund -abwendung, der Frage der Initiativen beim Handgeben, beim Eintreten, beim Voranoder Hinterhergehen, bei der Vergewisserung der Nichtgefährdung der Umgebung beim Mantelausziehen, bei der Orientierung auf eine Ablage, etc. Die aber im übrigen weitgehend zu Routinehandlungen gewordenen oder gar ritualisierten Vorgänge laufen nach regulären Berichten aus ähnlichen Situationen weitgehend ausserhalb des bewussten Erlebens und können hinterher mehr rekonstruiert als wirklich erinnert werden. Es wurde ausreichend etwa im Zusammenhang mit Zeugenaussagenanalysen gezeigt, dass die Rekonstruktionen zu einem schönen Teil einem allgemeinen Schema folgen, welches durch wirklich erfahrene und behaltene Einzelheiten mehr moduliert als wirklich bestimmt wird. Aktuell erlebt und zum Teil später erinnert werden überwiegend Aspekte der Situation, die neu sind: auffallende Erscheinungsformen der Person; Grösse, Enge oder Weite, Farbigkeit, Ausstattungsweise des Raumes; etc.

Um von der beschreibenden und Vergleichsmaterial beibringenden Ebene auf eine deutende Ebene überzugehen:

Diese Routinen oder Alltagsrituale sind nicht zu verstehen, wenn man nicht annimt, dass in entsprechend enkulturierten Menschen eine Kognitions-, Bewertungsund Handlungsstruktur wirksam ist, welche ein Menge von Variablen (breit oder generell bestimmte, dh verhältnismässig unbestimmte (vgl. Peirce 5.448 und 5.448n1=Robin 283)

Die durch die bisherigen Interviewerfahrungen bestärkten Erwartungen des Interviewers werden nun beim Eintritt in das Wohnzimmer recht überraschend widerlegt. Denn üblich ist in solchen Situationen, in eine auf schräg oder direkt Gegenüber-Sitzen möblierte Situation (typisch Tisch mit Stühlen oder Sitzgruppe mit oder ohne Salontisch dazwischen oder eine diesen Muster leicht modifizierende Anordnung) geführt zu werden, die normalerweise den zwei Gesprächspartner verhältnismässig gleichartige Positionen zuordnet. Im Zimmer ist Im Moment, wo die AP sich neben (nicht: an) den Tisch setzt, realisiert der Interviewer, dass kein zweiter solcher Stuhl vorhanden ist, dass die AP keine Miene macht, einen weiteren Stuhl zu holen, vielmehr lächelnd per Gesten, vielleicht auch mit Worten, dazu ermuntert, der I. möge sich auf die Matraze setzen.

Der I. tut das natürlich. Was will er anderes? Er ist darauf eingestellt, dem generösen Entgegenkommen der AP weder irgendwelche beeinträchtigenden Hindernisse entgegenzusetzen, noch sie in irgendeiner Weise suggestiv zu beeinflussen, in der Absicht, ein möglichst freies, ungehindertes, Informationen persönlicher Art zum Ausdruck bringendes Gespräch zu führen. Der I. weiss, in welchem weitgehenden Ausmass die AP sich dabei im Sprechen über die Dinge unwillkürlich als Person bis nahe an den privat-initimen Bereich darstellen. Er weiss auch, dass die AP mit grösster Wahrscheinlichkeit zwischen dem telefonischen Abmachungsgespräch und der Begegnung wenigstens ein Stück weit realisiert, dass das Sprechen über Dinge der Wohnung unvermeidlich mehr ist als das. (Denn es hat hie und da eine AP gegeben, die das Gespräch mit direkten oder verkappten Begründungen dieser Art abgesagt hat.)

 

Gesprächsprotokoll über die Matraze

B Das, was mir das wichtigste ist, ist das worauf du jetzt sitzt. Das ist meine Matraze. Und, ja, irgendwie ist das für mich ..., das ist mein Typ, ich bin irgendwie so ein Bodenmensch. Also ich muss, auch zum Beispiel in den Ferien, wenn man dauernd unterwegs ist, hab ich immer das Gefühl, ich muss am Nachmittag eine Stunde lang oder so am Boden sein oder auf dem Bett oder so. Also. Geschichte hat die nicht so eine besondere. Das ist einfach so eine Matraze, die ..., sie war früher auf meinem Bett, sie ist irgendwie von meiner Grossmutter ursprünglich, es ist eine Rosshaarmatraze.

I eine uralte

B Ja, eine uralte und eigentlich kann man sie wirklich nicht mehr so gebrauchen, aber gerade so für in das Zimmer find ich das gut. Hm, ja, ich find man kann ganz viel darauf machen. Andere Leute haben irgendwie so Polstersessel, oder ich weiss nicht was und, eben, ich brauch es zum Ausruhen oder zum Schreiben, zum Lesen. Das ist so ein Allzweckding. Wenn ich mal Besuch hab, dann kann man darauf schlafen, das ist eine gute Schlafgelegenheit Oder auch sogar essen oder (lacht) . Meine Mutter bringe ich zwar nicht dazu, hier drauf zu essen, sie hat das Gefühl, sie kann nicht mehr aufstehen.

I Hast du die von Anfang an in deine Wohnung genommen oder ist sie später dazugekommen?

B Hm, ich weiss gar nicht, (...) ob ich sie gerade mit dahin gezügelt habe. Also sehr schnell am Anfang hab ich sie gehabt.

I Vorher hast du Zuhause gewohnt, bevor du hierhin gekommen bist?

B Nein, da hab ich in einem Zimmer gewohnt im Studentenheim. Aber dort hat es keinen Platz gehabt. Also dort hab ich einfach einen Liegestuhl gehabt, einen Liegestuhl zum liegen. Ja (...) ich find es auch praktisch, man kann sie auch schnell wegräumen, dann hab ich viel mehr Platz zum irgendetwas machen. Dann kann man beispielsweise den Tisch nach vorne nehmen und an den Tisch sitzen. Das ist vielleicht auch etwas typisches: Ich habe nicht gerne fixe Sachen, ich möchte nicht irgend ein Möbelstück, das sehr teuer ist und das dann einfach irgendwohin, zum Beispiel in diese Wohnung passt, und wenn ich zügeln würde, dann passt es dann nicht mehr. Ich hab es einfach noch gerne, wenn es noch so lebendig ist. Was ich jetzt im Moment brauchen kann und nachher... ja, es war dann nicht so teuer und so, und dann ist es auch nicht so schlimm, wenn man es nachher nicht mehr hat.

I Es kommt dir also weniger auf genau die Matraze an, sondern dass du eine derartige Martraze hast, die am Boden ist.

B Ja, genau. Das ist es. (...) Und was jetzt? [Wir haben ausgemacht, dass ich ihr in der Anfangsphase des Interviews einige Gegenstände nenne]

I Das blaue Tuch da, auf der Matraze.

Inhalt

Ökologisches Funktionskreisdenken

Hier nicht mit der Herausbildung von beständigen Strukturen befassen

Wenn sie einmal sind, so werden und bestehen sie im Austausch mit ihrer Umgebung nach denen ihnen gegeben Möglichkeiten

Diese werden sie je nach ihrer Umgebung, wie die auf sie wirkt, erweitern, anpassen müssen, da sie sonst einfach untergehen

Sie können sie anpassen, indem sie sich strukturell erweitern

bioevolutiv in selektionstüchtiger Variation

dh stoff- und energiewechselbezogen, morphologisch, instinktmässig

 

Generative Elementarsemiose (vgl. Grafik: der semiotische Pfeil)

Wie lässt sich das Geschehen im Funktionskreis, als aktuelles und in seiner entwicklungskonstitutiven Bedeutung, fassen?

Einstieg auf Basis Organismen und ihre Umwelt (wie diese gebildet werden wäre analog zu behandeln)

Die relative Eigenständigkeit der Organismen, aber Orientiertheit auf Umwelt; Strukturen oder Zeichenbündel (Semionen) im Fliessgleichgewicht

Diagrammatisch:

Organismen ("Kondensationen")

Der Grund des Blattes stellt die Umgebung dar; jene Teile des Blattes, die augezeichnet sind, die Umwelt des Gebildes wofür wir uns interesieren

IntrO oder Rezeption heisst interne Strukturbildung in Funktion der schon bestehenden Sturktur (eines einschlägigen Teils) und eines Aspekts der Umwelt

IntrA oder "Innenleben" heisst autochthone Veränderung des Innensystems; seine eigene Komplexität, Gegliedertheit in teilautononome Gebilde erlaubt das.

ExtrO oder "Handeln"

ExtrA oder der kulturelle Prozess um eine Person herum

Inhalt

Literatur

Nöth, Wilfried (Ed., 1994) Origins of semiosis Ñ sign evolution in nature and culture. Berlin, Mouton de Gruyter. 501 Pp.

Nöth, Winfried (1990) Handbook of semiotics. Bloomington Ind., Indiana Univ. Press. 576 Pp. (Enlarged translation of Handbuch der Semiotik 1985).

Posner, Roland; Robering, K. & Sebeok, T.A. (Eds., 1997) Semiotik: ein Handbuch zu den Zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. 3 Berlin, DeGruyter.

Sebeok, Th. A. (Ed.) (1986) Encyclodepic Dictionary of Semiotics. 3 Vols. Berlin, Mouton de Gruyter. 1179 + 452 Pp.

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