Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Unpublished Manuscript 1992

Die Bezüge zwischen den Semion-Komponenten -- oder die Frage nach sinnvollen Subdisziplinenen der Semiotik

1992.09

@GenSem

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Last revised 98.11.10

Unveröffentlichtes Arbeitspapier, Herbst 1992

© 1998 by Alfred Lang

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Zusammenfassung: Obwohl Semantik, Syntaktik und Pragmatik weitherum als die wichtigsten "Dimensionen" oder "Subdisziplinen" der Semiotik gelten, besteht wenig Klarheit über ihr Verhältnis untereinander und zu weiteren Teilen der gesamten Semiotik. Im Rahmen des generativen Zeichenbegriffs der semiotischen Ökologie wird eine Systematik aufgewiesen, welche auf den Bezügen der drei Komponenten der triadischen Semiose (prozesshaft) oder des Semions (statisch) allgemein beruht. Es erweist sich dass die Pragmatik, so wie sie von Morris eingeführt wurde, nicht ins Bild passt, sondern durch die Einführung des zeichendeutenden und -benutzenden Subjekts nicht nur eine Reduktion der Peirceschen Konzeption auf einen Satz von dyadischen Beezügen reduzieren, sondern auch die Einführung von Aussenbezügen der Semiose erzwingen. Zugleich werden aber weitere Bezüge erkennbar, die ebenfalls der Klärung bedürfen und bisher nur teilweise untersucht worden sind. Die Ensichten werden anhand von Zahlzeichen, insbesondere des Nullzeichens erläutert.

Der Text ist ein Fragment, welches auf das Verständnis des Zusammenhangs zwischen dynamischen (prozesshaften) und zuständlichen (Gedächtnisfunktin) Zeichenaspekten hin angelegt ist. Das aufgeworfene Problem erweist sich als äusserst folgenreich, ist aber erst sehr unzulänglich bearbeitet.


[Der Begriff des Semions wir an anderer Stelle erläutert.]

Dieses Fragment ist ein Versuch, ein Unbehagen an der Art und Weise, wie die Semiotik betrieben wird, zu bearbeiten. Angesichts der eindrucksvollen Zusammenstellung von semiotischen Verfahren und Befunden, die Nöth (1985) in seinem Handbuch vorgelegt hat, kann man der Frage schwer ausweichen, warum denn die moderne Semiotik zwar immer wieder zu begeistern vermag und immer wieder auch nützliche Dienste leisten kann, im Verhältnis zu ihren Ansprüchen jedoch besorgniserregend geringe Verbreitung unter den Wissenschaftlern und Kulturverständigen gewonnen hat. Meine Erwägungen können und wollen diesen Umstand nicht klären. Sie möchten nur darauf aufmerksam machen, dass diese Metawissenschaft möglicherweise eine Reihe von Gewohnheiten angenommen hat, die sie unbefragt mitträgt und die dem Weiterfragen im Wege stehen könnten. Ungereimtheiten meine ich im Hinblick auf das Verständnis und die Einordnung jener Dimensionen - man könnte auch sagen - Subdisziplinen der Semiotik feststellen zu können, die eine verhältnismässig breite, jedenfalls weit über den Spezialistenkreis hinausreichende Bedeutung gewonnen habe. Ich meine die Gebiete der Semantik, der Syntaktik und der Pragmatik. Während die beiden ersten Bereiche Teile von alten Traditionen weiterführen, hat besonders Morris (1938 und später) die Pragmatik fassbarer gemacht und so etwas wie eine Systematik vorgelegt, jedenfalls durch übergeordnete semiotische Gesichtspunkte deren verstärkte Bezugnahme aufeinander angeregt. Weil mich diese Ordnung in mancherlei offenen Fragen gelassen hat, möchte ich ihr diese kleine Studie widmen.

Unabhängig davon, ob diese Subdisziplinen als einander neben- oder hierarchisch übergeordnet (Morris 1946) gedacht werden, handelt es sich um Betrachtungsweisen, welche Zeichenprozesse auf dyadische Relationen reduzieren und damit eine unvollständige Gliederung der Semiotik implizieren. Dies lässt sich leicht vergegenwärtigen, wenn man im Sinne von Ogden & Richards (1923) Zeichenobjekt (referent), Zeichenträger (symbol) und Zeichenbedeutung (reference) im sogenannten "semiotischen Dreieck" darstellt. Am ehesten lässt sich die Semantik als die Untersuchung des Bezugs zwischen Zeichenträger und -objekt, für einige Forscher jedoch bzw. auch als des Bezugs zwischen Zeichenträger und -bedeutung (A, vgl. Diagramm) sehen. Die Syntaktik untersucht bekanntlich Zeichenträger im Verhältnis zu ebensolchen. Auch die Zeichenobjekte und die Zeichenbedeutungen liegen natürlich in Vielfalt und Ordnung vor. So sind nach dem Morrisianischen Ansatz zunächst vier weitere Subdisziplinen denkbar (in der Abbildung gestrichelt und mit A, B, C, D bezeichnet) und die Pragmatik, verstanden als die Untersuchung der Zeichen (hier wohl im weiten Sinn verstanden) im Verhältnis zu ihren Benutzern, bedarf eines Bezugs über das Dreieck hinaus. Zieht man diesen nach Morris in Form des Zeichenbenutzers hinzu, so sind formal sogar drei oder sieben weitere Subdisziplinen konstruierbar, insofern die Bezüge zwischen Zeichenbenutzer und den Zeichenelementen (E, F, G) und zu Paaren von solchen (nicht dargestellt) bzw. zwischen Zeichenbenutzern selbst (H) durchaus der Untersuchung bedürfen und fähig sind.

Für die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Zeichenträger und -bedeutung (A) ist etwa die Bezeichnung "Signifik" vorgeschlagen worden; (B und auch C) müssten wohl Fragestellungen der Kognitionspsychologie korrespondieren und (E, F, G) der Untersuchung von Wahrnehmung und Handlung, vielleicht einschliesslich der Emotionalität. Man mag sich die Köpfe darüber zerbrechen, ob (C) mit dem Insgesamt der Natur- und Kulturwissenschaften oder nur mit ersteren, (D) mit letzteren oder den Geisteswissenschaften gleichgesetzt werden soll.

Die insgesamt nicht weniger als 11 oder 14 (semiotischen) Subdisziplinen werden hier nicht angeführt, um ihre Konstitutierung anzuregen oder eine semiotische Ordnung von Wissenschaften zu begründen. Vielmehr scheint mir diese Betrachtung deutlich zu machen, dass mit dem semiotischen Dreieck Unklarheiten bestehen, welche durch die Einführung des Zeichenbenutzers ohne Klärung seines Verhältnisses zum Zeichen oder seinen Komponenten noch potenziert worden sind. Die Wurzel des Übels, dem im ganzen Bereich des Semiotik eine beträchtliche Zahl von Scheinproblemen, Begriffsproliferationen, Missverständnissen u.a.m. entsprungen sein dürften, liegt wohl letztlich in einer unzureichenden Differenzierung zwischen einer dyadischen und einer triadischen Zeichenkonzeption und in der problematischen Methodik, Zeichen als Substanzen mit Prädikaten anstatt zum vornherein als Relationen begreifen zu wollen. Das "semiotische Dreieck" ist, wie schon Eco (1976) festgestellt hat, gar keine echte Triade, sondern eine Versammlung von zwei oder drei Dyaden. Mithin sind auch die drei klassischen Subdisziplinen und ihre acht denkbaren Schwestern dyadisch angelegt.

Es stellen sich mithin zwei Fragen. Einmal fordert das Fehlen einer klaren Systematik semiotischer Subdisziplinen nach rund 50 Jahren systematischer Bemühung ein weiteres Mal dazu auf, die Rolle des Zeichenbenutzers auch begrifflich zu klären und ihn nicht, wie das üblich ist, pragmatisch oder idealistisch, vorauszusetzen. Diese Frage ist allgemein der Gegenstand der semiotischen Ökologie; sie braucht hier nicht eigens thematisiert zu werden. Zweitens stellt sich die Frage Ð da offensichtlich die semantischen, die syntaktischen und die pragmatischen Fragestellungen einigermassen sachbezogen unterschieden werden können, mehr oder weniger isoliert voneinander gepflegt worden sind und zu einem riesigen Erfahrungsschatz geführt haben Ð, ob denn eine triadische Unterscheidung zwischen ihnen und eine ebensolche Bestimmung ihres Charakter möglich sei. Von der im folgenden dargestellten Skizze eines solchen Versuchs darf man überdies eine Klärung des Verhältnisses dieser drei Betrachtungsweisen untereinander und zum ganzen der Semiotik erwarten, die traditionell mit der Bezeichnung "Subdisziplinen" nicht sehr differenziert vorgenommen wird.

 

Diagramm: Übliche und mögliche Subdisziplinen der Semiotik, dargestellt anhand des "semiotischen Dreiecks" unter Einbezug des "Zeichenbenutzers"

 

 

Erläuterungen zum Diagramm (in geläufiger Terminologie)

In einer dualistischen Semiotik, also unter realer Separierung und Entgegensetzung von Zeichenträger und Zeichenbedeutung und unter Setzung des (von Peirce explizit ausgeschlossenen!) Zeichenbenutzers sind mindestens elf Beziehungen zwischen Zeichen(-Prozess)-Komponenten spezifizierbar, welche zum Gegenstand einer semiotischen Subdisziplin erhoben werden können; von ihnen hat Morris (1938 etc.) nur drei einer näheren Betrachtung unterzogen.

Semantik -- Untersuchung des Bezugs zwischen Zeichenträger und Zeichenobjekt, ev. auch zwischen Zeichenträger und Zeichenbedeutung (A).

Syntaktik -- Studium des Verhältnisses der Zeichenträger untereinander.

Pragmatik -- Untersuchung des Bezugs zwischen Zeicheninterepreten oder -benutzern zum Zeichen als Ganzem (?)

A, zB Signifik -- Untersuchung des Bezugs zwischen Zeichenträger und Zeichenbedeutung

B -- Fragestellungen der Kognitionspsychologie, ev. unter Einschluss der Emotionspsychologie

entweder psycho-physisch zu verstehen

oder auch bezüglich von Bedeutungen kognitiver Objekte (was deutlich macht, dass eine Unstimmigkeit im System ist: fordert ein Pferd im Verlgeich zu einem Einhorn grundsätzlich andere Wissenschaft?) -- das Problem scheint sich aufzulösen, wenn man die Symbolik durchgängig versteht.

C -- Gesamtheit der Natur- und Kulturwissenschaften, ev. unter Einschluss von Kognitionswissenschaften im Falle von erfundenen Objekten (wie Einhorn)

D -- Gesamtheit der Kultur- oder Geschichtswissenschaften

E, F, G -- Untersuchungsansätze zu Wahrnehmung und Handlung, vielleicht einschl. Emotion und Motivation (dh Bewegtwerden und Bewegen) -- aber so zu denken, separiert eigentlich den IntrA-Bereich zu sehr vom IntrO- und ExtrO-Prozess

H -- eine gewissermassen rein internale Psychologie (die freilich unmöglich ist ohne Zeichen) oder eine Sozialpsychologie oder Soziologie der Bezüge zwischen den Zeichenbenutzern.

 

Erläuterungen in semiotisch-ökologischer Hinsicht bzw. Kritik dieser problematischen Differenzierungen

Versuchen wir, die Semantik triadisch zu verstehen und in der Begrifflichkeit des Semions zu verankern, so ergibt sich eine einfache Umschreibung: die Semantik sei die Untersuchung der für Interpretanzen existierenden oder dargestellten Bezüge zwischen Referenzen und Präsentanzen.

Die Syntaktik klärt oder regelt faktische oder zulässige Verhältnisse von Präsentanzen (oder Präsentantenkomplexen) untereinander, das ist, auf welche Weise für eine gegebene Interpretanz eine Präsentanz die Verhältnisse in der Referenz darstellt.

Die Pragmanik untersucht die Wirkungen, die ein Semion über seine Präsentanz und natürlich bezogen auf seine Referenz und für seine Interpretanz über sich hinaus ausübt oder ausüben kann.

 

Zusammenhang, ein Beispiel

Am Beispiel des Wandels eines Zeichensystemen wie der Zahlendarstellung (vgl. Rotman 1987) lässt sich ein Einblick in die Vorzüge einer triadischen Auffassung der drei Zugangsweisen gewinnen. Die folgende Darstellung beansprucht keine kulturhistorische Gültigkeit, sondern ist rein als Gedankenexperimetn gedacht, um das mögliche Zuammenspiel syntaktischer, semantischer und pragmatischer Aspekte einer Semiose und die möglichen Wirkungen eines Semions auf seine weitere Umgebung sowie die Entwicklung beider zu beleuchten.

Man darf sinnvollerweise annehmen, dass Zahlendarstellungen zunächst von Markierungen des Abzählens einer Menge von unterscheidbaren Einheiten ausgehen. Für jedes Referenzitem wird von einem Abzähler ein Präsentanzitem her- oder aufgestellt, beispielsweise für Kind ein gestreckter Finger oder für jedes Schaf ein Strich im Sand, welcher je sein Referenzitem indiziert. Somit stellt am Ende auf der nächsthöheren Betrachtungsebene die Menge der Präs die Menge der Refs ikonisch dar, natürlich unter Abstraktion von allen denkbaren Eigenschaften sowohl der Schafe wie der Striche und ebenfalls ihrer raumzeitlichen Lage, wodurch die Striche und die Strichmenge auch einen Symbolcharakter bekommen. Die Vermutung drängt sich auf, dass in der Ontogenese und in der Kulturgenese eines Zahlensystems, wenn es sich von globalen Mengenabschätzungen (die einen stark emotiven Charakter haben und auch ein Mehr oder Weniger im Verhältnis zu Erwartungen miteinschliessen mögen) zu diskreten Stufungen fortentwickelt, aktionale und mithin externe Zahlenstrukturen den rezeptiven und den intern-kognitiven eher vorangehen in einer Genese, die vor allem aber von einem vielfachen Hin und Her des Bildens von repetierbaren und mithin allgemeinen externen und internen Strukturbildungen charakterisiert ist.

Bis dahin steht eine semantische Betrachtung im Vordergrund, also ein geregeltes Verhältnis zwischen Ref und Prä. Wir betrachten in erster Linie einen aktionalen Zeichenkomplex, wie ihn der Hirt darstellt, freilich einen entsprechenden rezeptiven Zeichenprozess voraussetzend. Dieser kann, für einen Hirten ohne Zahlsprache müsste man das annehmen, auf die tiefere Ebene der Einzelzuordnungen beschränkt bleiben; allerdings kommt die Ref auf der höheren Ebene auch so zustande, womit die Semiose in einem zweiten Sinn eine produktive ist. Im Umstand, dass Striche oder Stöcke oder Steine angesammelt und zwingend auch in eine bestimmte Anordnung, im einen Grenzfall in diejenige der Tiere auf der Weide, im andern in eine eher den Stricheigenschaften folgende, gebracht werden, kommt freilich die Rolle der Interpretanz zum Spielen. Und es wird für die Entwicklung eines Zahlensystems einen Unterschied machen, ob ein Abzählender beispielsweise verschiedenartige oder gleichartige Präsentanzen wählt und wie er sie anordnet. Pragmatisch gesehen hat er sich selbst oder seinem Kollegen auf diese Weise einen interessanten Dienst erwiesen, da er oder der Besitzer anderntags die Schafe mit denselben Steinen oder Stöcken wieder abzählen kann und damit abschätzen kann, ob er Schafe hinzugewonnen oder verloren hat. Mit einem Strichcode wird er zu einem solchen Zweck seine Prä am Ort und topographisch replizieren müssen, während er früher oder später die Tragbarkeit von beweglichen Symbolen und die Beliebigkeit von deren Anordnung entdecken wird. In solchen Variationen kommt eine einfache Syntaktik zum Ausdruck, und es wird deutlich, dass diese mit dem pragmatischen Kontext verwoben ist, weil die Art und Weise der Prääsentanz, vor allem auf der zweiten Ebene der Menge und ihrer Handhabbarkeit, zu unterschiedlichen Weiterungen führen kann.

Sowohl unter syntaktischen wie unter pragmatischer Perspektive zeigt sich, dass Veränderungen der Semionen auf beiden Ebenen von jeder der drei Instanzen ausgehen können. Die Interpretanz, besonders im aktionalen Fall, wird mit der zunächst gelegenheits- und bald auch gewohnheitsbedingten Zeichenmaterialwahl wie mit der Art und Weise des Referenzbezugs ein beträchtliches Variationspotential in die Entwicklungen einbringen. Aber auch die Referenzen sind nicht ohne Bedeutung, insofern sie sich dem Wahrnehmenden vermengt mit den materialen und topographischen Bedingungen anbieten, die Schafe als Refs der rezeptiven Semiosen vielleicht nicht alle gleichzeitig von einem Ort aus gesehen werden können und überdies in der Zeit sich bewegen; ähnlich bestimmen die Zahlzeichen, ob semiosisch als Präsentanzen oder Referenzen wirksam, je nach ihren Eigenschaften nachfolgende Semiosen in unterschiedlicher Weise; Striche im Sand haben eine örtlich begrenzte Wirkung und sie behalten die einmal getroffene Anordnung, während Steine oder Stöcke mitgenommen, durcheinandergebracht, neu angeordnet, mit anderen ihresgeleichen ohne Abzählbedeutung zugefügt und verwechselt werden können, usf.

Syntaktische und pragmatische Elaborationen dieser Semionen sind bereits mit solch elementaren Darstellungsformen möglich. So sind gewiss die Zeichenmengen zunächst rhematisch und beschreiben einfach die Menge der Schafe. Kommen zwei Hirten mit ihren in Taschen gesteckten Steinen oder Stöcken zusammen, können aus dem (autonomen) Spiel mit den Zeichen selbst leicht expressive oder gar appellative Momente erwachsen. Was bei den Schafen selbst von einer gewissen Menge und Zerstreuung kaum mehr abzuschätzen ist, kann beim Nebeneinanderliegen der Steinhaufen dicentisch Eindruck machen: mein Haufen ist grösser als deiner, du hast weniger Schafe als ich, usf. Nicht einmal argumentative Semionen sind auszuschliessen, da sich diese extern-visuelle "Sprache" über Schafmengen geradezu anbietet zu visuellen "Operationen" wie Hirt A und Hirt B zusammen haben mehr als Hirt C, usf.

Aber verfolgen wir nun die Entwicklung des Zahlensystems eher als sein Schicksal in bestimmten invididuellen oder sozialen Funktionskreisen. Nehmen wir einmal an, dass unter dem Einfluss einer perzeptiven Gruppierungsneigung und/oder unter Anleitung der topographischen Anordnung der Schafe und mithin vielleicht der Einzelreps die Idee entsteht, gewisse Submengen der Präs mittels räumlicher Nähe ebenfalls zu gruppieren und in der Folge anstatt jedem einzelnen Schaf gewissen Submengen von Schafen gemeinsam einen Stein oder Strich, vielleicht einen grösseren oder einen besonderen, zuzuordnen. Damit wird einerseits die Semantik unscharf oder unsicher (welche Gruppen sind wie dargestellt?), anderseits wird pragmatisch der Aufwand geringer; und wenn sich das aber lohnt, entsteht umgekehrt ein Bedürfnis nach Wiedergewinn der semantischen Sicherheit. Weiter könnte dadurch so etwas wie eine differenziertere Syntaktik gefördert werden, nämlich die Einhaltung von wiederholbaren Regeln bei der Zuordnung von Gruppen von Refs und Präs.

Befreien sich solche Gruppierungsweisen, die wir auch heute noch in Sonderausdrücken für kleine Mengen von spezifischen Objekten in vielen Sprachen finden, aus ihrem Kontext, so muss man bereits von einer bedeutsamen Syntaktik sprechen. Die römische Zahlenschreibweise hat genau eine solche, inhaltsunspezifische Gruppierung von IIIII = V. IV = IIII und VV=X etc. bewahrt. Mit der Einführung von an sich syntaktischen Gruppierungsregeln ist jedoch auch ein semantischer Wandel des Semions verbunden, insofern die aktionalen Präs nun auf beiden Stufen an Ikonizität verlieren und an Symbolizität gewinnen und gleichzeitig die Indexikalität variabel wird. Solcherart Gruppierungen, ob konkreter oder abstrakter, implizieren im Prinzip die Idee der Periodizität, dh der Wiederholung gleicher Gruppen beim Abzählen grösserer Mengen; dabei kann offen bleiben, ob es leichter ist eine extern durchgeführte Präetition, wenn sie vorliegt, als solche zu entdecken, oder nach einer inneren Leitvorstellung zu repetieren. Auf einer solchen Entwicklungsstufe ist nun auch eine weitere Systematisierung der externen Formen naheliegend, etwa die Erfindung und Verbreitung des Abakus. Ebenso können die internen Strukturen weitere Ausdrucksformen, zB sprachliche zum Äussern und zum Verstehen finden. Die externen und die internen Verfestigungen sind nicht funktionell ohne ihr internes bzw. externes Komplement, und sie bringen, nebenbei bemerkt, solche Zählvorgänge mit einer grossen Menge anderer Lebens- und Sozialprozesse in Zusammenhang. Damit kann sich die Semantik des Zahlensystems zunehmend von spezifischen Objektbereichen abstrahieren, dessen Syntaktik gewinnt an Verlässlichkeit und sein pragmatischer Anwendungsbereich erweitert sich.

Ein ganz wunderbarer und kulturgenetisch erstaunlich später Vorgang ist, wie Rotman (1987) sehr schön am Beispiel des Aufkommens der Null aufweist, die Eigendynamik und die generative Kraft eines solchen Symbolsystems. Jedes Zeichen oder Zeichensystem hat offenbar eine Geschichte. Das heisst, dass viele Menschen involviert sind, jedenfalls in Zeichen, besonders Symbolen wie Sprache etc. Das bedeutet, dass das Verständnis von Zeichen zwar nicht von den Menschen abegelöst werden kann, dass aber der konkrete Zeichenbenutzer nicht in die Definition des Zeichens einbezogen werden darf. Den allgemeinen Zeichenbenutzer gibt es jedoch nur in den Augen eines Betrachters dieser Geschichte, nicht in der Realität des konkreten Zeichengeschehens selbst. Pragmatik, wie sie Morris versteht, bezieht sich infolgedessen auf etwas ganz anderes als Zeichen selbst. Anders gesagt, wir dürfen zum Begreifen von semiosischen Vorgängen das (epistemische) Subjekt nicht voraussetzen, weil es selber erst durch Zeigengebrauch zu einem solchen wird.

 

Literatur

Eco, Umberto (1987) Semiotik: Entwurf einer Theorie der Zeichen. München, Fink. 439 Pp.

Morris, Charles W. (1971) Writings on the general theory of signs. The Hague, Mouton. 480 Pp.

Ogden, Charles Kay & Richards, Ivor Armstrong (1923) The meaning of meaning -- a study of the influence of language upon thought and of the science of symbolism. New York, Harcourt Brace & Co. 394 Pp.

Rotman, Brian (1987) Signifying nothing: the semiotics of zero. New York, St. Martin's Press. 111 Pp.

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