Alfred Lang | ||
Journal Article 1992 | ||
Fünfzig Jahre Schweizerische Zeitschrift für Psycholologie - Impressionen einer Geschichte | 1998.00 | |
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Schweizerische Zeitschrift für Psychologie 51 (4) 211-220.(Extensive summary in German Journal of Psychology 1993.) | © 1998 by Alfred Lang | |
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Die neue Zeitschrift für Psychologie will:Die einzelnen psychologischen Richtungen und Vereinigungen in der Schweiz sammeln und ihnen ein Zentrum sein.
Die Beziehungen zum Ausland pflegen und damit beitragen zur Erfüllung der übernationalen Aufgaben und zum kulturellen Aufbau.
Auf dieser Grundlage wird sie die Psychologie als Wissenschaft sowie die praktisch psychologischen Disziplinen pflegen und dem Suchen nach dem Seelischen und dem Menschlichen entgegenkommen. 1
Mit diesem bemerkenswerten Programm hat Walter Morgenthaler 1942 die neue Zeitschrift für Psychologie eröffnet. Ergänzt um das Anliegen der Brückenfunktion zwischen den deutschund den romanischsprachigen Schweizer Psychologen, hat es die bisherigen 50 Jahre der Zeitschrift geprägt und in der Geschichte ihres Faches doch einige bedenkenswerte Eindrücke hinterlassen. So komme ich gerne der Bitte der Redaktion nach, einige Impressionen festzuhalten und weiterzugeben, welche die Entwicklung dieser Zeitschrift auf einen gemacht hat, der mehr als die Hälfte ihres Weges mit ihr gemeinsam gegangen ist, zuerst als Assistent des Redaktors, dann als ausführender («Redaktionssekretär») und schliesslich als verantwortlicher Redaktor in der Funktion des Herausgebers. Natürlicherweise ergibt sich eine Gliederung der Entwicklung der Zeitchrift in Jahre des Aufbaus, eine Phase des Gewinns internationalen Profils und eine Periode der Konsolidierung. In dem halben Jahrhundert hat sich auch das Umfeld einer psychologischen Fachzeitschrift, ihre fachlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Existenzbedingungen nicht wenig geändert. Der Geschichtsschreibung dieser aufregenden Jahre des Werdens einer Psychologie in der Schweiz soll freilich nicht vorgegriffen werden.
Die Zeitschrift wurde in einer Krisenzeit und im Bewusstsein davon gegründet. Nicht nur war es eine Zeit des erzwungenen Selbständigwerdens schweizerischer Kultur und Wissenschaft, sondern auch des Krachens und Wankens in der Psychologie (1, 1942, 5, Morgenthaler). Der eben sich abzeichnenden Wende im Zweiten Weltkrieg entsprach ein Gefühl der Befreiung dieses Faches als Wissenschaft und Praxis aus den Zwängen von Schulen und Dogmen. So konnte sich die Zeitschrift bewusst nicht nur für «solides Wissen und Können, Erfahrung, Kritik und klaren Blick» (1, 1942, 6, abgedruckt in diesem Heft) einsetzen, sondern auch für einen Pluralismus in diesem Fach -- dies bevor allgemein davon die Rede war und vielleicht eben auch im Geiste schweizerischen Zusammenlebens.
Walter Morgenthaler, ein Berner Psychiater (s. u.), begründete die Zeitschrift zusammen mit zwei weiteren Medizinern und einem Psychologen. Jean Piaget (1896-1980, vgl. 25, 1966, Heft 3; 39, 1980, 288-293) hatte nach dem Hinschied Edouard Claparèdes (vgl. 33,1974, Heft 3) den reputierten Genfer Lehrstuhl für Psychologie, den damals einzigen im Gebiet der Schweiz, übernommen und stand am Beginn seines weltweiten Ruhms. Carl Gustav Jung (1875-1961, vgl. 4, 1945, Heft 4) hatte sich aus den engeren medizinischen Traditionen weitgehend gelöst und weckte bei hohem Ansehen seiner einzigartigen Leistung auch mancherlei Widerstand. Der philosophisch gebildete, sozial engagierte und dynamische Oscar Forel (1891-1983, vgl. 10, 1951, 265-267), der Sohn des Psychiaters und Ameisenforschers Auguste Forel, vertrat die romanische Psychiatrietradition.
Im ersten Jahrgang wird über die erfolgte Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Praktische Psychologie (SGPP) und über die geplante Gründung der Schweizerischen Cesellschaft für Psychologie (und ihre Anwendungen, SGP oder SGPA) berichtet (1, 1942, 228-232). Die SGPP war ein Zusammenschluss psychotherapeutisch tätiger Ärzte und Nichtärzte, in mancher Hinsicht von den Anliegen von C.G. Jung und seinen Schülern geprägt. Die SGP wurde von den Gründern der Zeitschrift initiert. Ihre Konstituierung unter dem Vorsitz von J. Piaget erfolgte im Juni 1943, «nicht nur ..., um der Zeitschrift eine Grundlage zu geben, sondern vor allem auch, um der zwangsläufig immer grösser werdenden Spezialisierung ... entgegenzuarbeiten» (2, 1943, 125).
Die beiden Gesellschaften standen während Jahrzehnten in einem gewissen Spannungsverhältnis, in Kooperation und Distanz geprägt von denselben Themen, die auch heute noch die Diskussion bestimmen. Während in der SGPP im weiten Sinn psychotherapeutische Anliegen dominierten, strebte man in der SGP ein breiteres Spektrum verschiedenartiger psychologischer Praxis an und orientierte sich deutlicher auch an den akademischen Traditionen des Faches. Vor den beiden Gründungen war ein «Zusammenschluss der bestehenden einschlägigen schweizerischen Gesellschaften und Vereinigungen zu einer losen Dachorganisation» gescheitert (2, 1943, 141). Auch ein anderer «Dauerbrenner» der schweizerischen Psychologenschaft erscheint früh in der Zeitschrift: ein Gesetz «betreffend Ausübung des Berufes eines praktischen Psychologen durch Nichtmediziner» bleibt, wie mehrfach später, ein Entwurf (2, 1943, 156-159).
Natürlich hat diese Gründeraktivität wesentlich mit der weltpolitischen Lage und der relativen Abgeschnittenheit, faktisch und mental, von den wissenschaftlichen und kulturellen Traditionen in den Nachbarländern zu tun. Äusserer Anlass war vielleicht eine erst später öffentlich bekannt gewordene Kampagne, mit der Psychologen und Ärzte in der Schweiz einzeln und direkt eingeladen worden waren, in die deutschen Berufsverbände einzutreten (vgl. 11, 1952, 2; Balmer, 1966: 235). Solche Versuche der «Gleichschaltung» weckten wohl bei Morgenthaler und anderen den Widerstand, dem wir unsere Zeitschrift gewissermassen verdanken.
Das Infeld der frühen Jahre (1942-1952)
Das wechselseitige Interesse aneinander und der offene Austausch zwischen «Psychologen» mit unterschiedlichem Hintergrund charakterisiert das Umfeld dieser Gründerjahre. Die für jene Zeit charakteristischen sogenannten «Schulen» oder Richtungen der Psychologie sind für den Leser dieser Bände wohl spürbar, aber nie aufdringlich. Obwohl psychotherapeutisch tätige Ärzte dominieren, reicht das thematische Spektrum von der Tierpsychologie bis zur Theologie und umfasst neben der Experimentalpsychologie und der Entwicklungspsychologie vielfältige Bereiche von der Erziehung bis zum Mythos, vom Zahlenpsychologischen bis zur seelischen Entwurzelung, von Problemen der Arbeit bis zu den Ehestörungen, von der philosophischen und kulturellen Anthropologie bis Psychometrie und Faktorenanalyse. Eine bedeutende, aber durchaus nicht dominierende Rolle spielen Beiträge aus den verschiedenen Tiefenpsychologien.
Bis 1952 erscheinen fast 250 Originalbeiträge, geschrieben von gegen 150 Autoren, etwa ein Fünftel davon mit Wohnsitz im Ausland; klangvolle Namen sind darunter ebenso wie nicht wenige von den Zeitenläufen Vertriebene. Ein Fünftel der Beiträge ist in französischer, vereinzelte in englischer und italienischer Sprache. Dazu kommen um die 700 Buchbesprechungen und rund 150 Berichte und Mitteilungen. Die Zeitschrift wird zu einem wesentlichen Teil von Autoren geschrieben, die auch ihrem Leserkreis angehören. Dennoch ist sie weltoffen; in den späten 40er Jahren mehren sich die Nachrichten aus dem Ausland, und obwohl bei den Buchbesprechungen die Titel einheimischer Autoren dominieren, macht sich die wissenschaftliche Internationalität immer wieder geltend.
Der Charakter der wissenschaftlichenBeiträge kann in dieser frühen Phase als ein gemischter beschrieben werden. Neben empirischen oder theoretischen Untersuchungen, wie sie in guten wissenschaftlichen Fachzeitschriften der Zeit erschienen sind, gibt es Erfahrungsberichte aus der Praxis oder spekulative Erwägungen zu Zeitthemen aus psychologischer Sicht, die einen solchen Rahmen sprengen. Sie zeugen von regem gedanklichen Leben und offenem Interesse in einer doch relativ kleinen und zunächst auf sich selbst angewiesenen Welt. Das Themenspektrum ist nicht nur psychologisch vielfältig, sondern im Vergleich mit dem heute für Psychologen typischen Bildungshorizont erstaunlich interdisziplinär. Die Qualität der Beiträge ist unverkennbar sehr heterogen. Die Zeitschrift hat überwiegend den Charakter eines «Bulletins».
Von Anfang an kommen in informeller Folge verschiedenePsychologengruppen, vor allem lokale Gesellschaften und psychoanalytische und andere tiefenpsychologische Vereinigungen oder Berufsgruppen, in der Form von Tagungsoder Jahresberichten zum Wort. An den SGP-Tagungen dieser Jahre sind übrigens Teilnehmerzahlen von gegen 200 keine Seltenheit. Davon konnten spätere Tagungsveranstalter trotz vervielfachter Psychologenzahl oft nur träumen. Ein beträchtlicher Teil der Originalartikel in der Zeitschrift beruht auf Beiträgen, die an den Tagungen der verschiedenen Gruppierungen vorgetragen worden sind; teils sind sie in Zusammenfassung, teils in extenso wiedergegeben, teils in schriftliche Versionen umgearbeitet. Nach wenigen Jahren öffnet sich der Horizont auch auf das internationale Tagungs- und Fachgeschehen.
In diesen Jahren wird die Zeitschrift von der erwähnten Gruppe geleitet, zu denen 1947/48 an Stelle von Jung und Forel der Basler Psychiater Hans Christoffel tritt (1888-1959, vgl. 7, 1948, 85-86;18,1959, 89-91). Von 1945 bis 1951 wird das Redaktionssekretariat von Esther (Keller-)Bussmann betreut, einer Berner Arbeitspsychologin und späteren Gattin des Zürcher Ordinarius für Philosophie und Psychologie, Wilhelm Keller. In Anbetracht des Umstandes, dass Piaget sich infolge seiner rasch zunehmenden internationalen Verpflichtungen nicht beständig aktiv beteiligt, drängt sich die Feststellung auf, die Zeitschrift verdanke nicht nur ihre Gründung, sondern auch ihr frühes Profil zu wesentlichen Teilen der Offenheit von psychologisch «infizierten» Ärzten, durchaus nicht nur Psychiatern übrigens. Besonders Hans Christoffel spielt in den Jahren um 1950 eine sehr aktive Rolle in der Redaktion. Dem Wissenschaftlichen Beirat, im schweizerischen Understatement schlicht «Mitarbeiter -- Collaborateurs» genannt, gehören jedoch neben neun Medizinern doppelt so viele Nichtmediziner an, neben Psychologen auch Pädagogen, Theologen, Biologen und Wirtschaftsfachleute. Und noch deutlicher in Richtung psychologischer Ausbildung und Tätigkeit geht das Verhältnis bei den Autoren. Zum grössten Teil sind Mitarbeiter und Autoren Praktiker, etliche freilich mit den Universitäten durch Lehraufträge verbunden. Man muss sich vergegenwärtigen, dass um die Jahrhundertmitte in der Schweiz nur in Genf ein Lehrstuhl für Psychologie bestand und in Bern und Neuenburg eben einer eingerichtet wurde; an den andern Universitäten gab es zwar Lehrangebote, aber sie wurden im Rahmen der Philosophie, Pädagogik oder Wirtschaftslehre ausgerichtet.
WalterMorgenthaler (1882-1965), dessengeschickte redaktionelle Hand lange Zeit spürbar ist, verdiente eine ausführlichere Würdigung, als sie hier gegeben werden kann (vgl. 11, 1952, 1-18; Balmer, 1966, 1972). Sohn des Berner Regierungsrates Niklaus Morgenthaler und älterer Bruder des Bienenforschers Otto und des Malers Ernst Morgenthaler, hatte er nach dem Medizinstudium infolge eines Gehörleidens die Psychiatrie gewählt und war als Oberarzt an der Berner Waldau und anderen Institutionen tätig gewesen, bevor er sich trotz seiner 1917 erfolgten Habilitation und erfolgreichen Dozentur von der Universität enttäuscht als psychotherapeutischer Privatarzt in Bern niederliess. Ohne jede öffentliche Unterstützung entfaltete er eine ganz ungewöhnlich fruchtbare Tätigkeit im Dienste der Menschlichkeit und seelischen Kultur. Bekannt geworden ist er als Entdecker und Förderer des «Geisteskranken als Künstler» Adolf Wölfli und als Freund und Herausgeber der «Psychodiagnostik» von Hermann Rorschach. Deren Weg zum Welterfolg unterstützte er im Verein mit dem Verleger Hans Huber während Jahrzehnten geschickt, um schliesslich die Internationale Rorschach-Gesellschaft zu initiieren. Seine wichtigste Leistung besteht in der Begründung der Fachausbildung des psychiatrischen Pflegepersonals. Gegen enorme Widerstände und langezeit so kühn wie hartnäckig im Alleingang errichtete er in den 20er Jahren diese Ausbildung, schuf und schrieb in den ersten Jahren weitgehend persönlich die Personalzeitschrift «Kranken- und Irrenpflege» und verfasste das während Jahrzehnten massgebende international verbreitete Lehrbuch «Die Pflege der Gemüts- und Geisteskranken». Nebenbei schrieb er eine «Geschichte des Bernischen Irrenwesens von den Anfängen bis zur Eröffnung des Tollhauses 1749», ein vielgelesenes Ehebuch «Der Mensch in Geschlecht, Liebe und Ehe» und noch mit 80 Jahren eine Studie über den Menschen Karl Marx. Walter Morgenthalers selbstlose und einsatzfreudige Persönlickeit, auch mit 80 so neugierig wie unabhängig im Urteil hat mich tief beeindruckt, als ich ihn um 1960 als regelmässigen Teilnehmer an den Vortragsreihen der Berner Psychologischen Gesellschaft, die er übrigens 1917 mitbegründet hatte und als deren Kassier ich diente, kennenlernen durfte.
Morgenthaler hat charakteristischerweise ausser dem publizierten Werk nichts Schriftliches hinterlassen (H. Balmer, pers. Mitteilung März 1991). Über die näheren Umstände der Zeitschriftengründung ist nur wenig bekannt, die diesbezüglichen Dokumente müssten aus verstreuten Quellen erst zusammengesucht werden. Walter Morgenthaler verdankt die schweizerische Psychologenschaft nicht nur Entscheidendes zu ihrer institutionellen Existenz; er hat auch einen Geist der Offenheit für die Meinungen Anderer im Verein mit Bestimmtheit für das grundsätzlich Menschliche eingebracht, den zurückzuwünschen wir heute oft genug Grund haben könnten. «Das Gute, Echte und Wahre durchzusetzen und zu behüten, war immer das Grundmotiv seines Wesens und Handelns» (21, 1962, 158-159, R. Meili).
Die Einrichtung der Zeitschrift basiert auf einem «Verlagsvertrag» vom 25. Juli 1942 zwischen Walter Morgenthaler als «Herausgeber» und dem Verlag Hans Huber in Bern. Der Text besteht überwiegend aus technischen und finanziellen Details, deren Wiedergabe uninteressant wäre. Bis zu einer Schwelle von 400 vollzahlenden Abonnenten war «der Verlag zur Leistung eines Beitrages an die Kosten der Redaktion nicht verpflichtet». Darüber hinaus wurde eine mit zunehmender Auflage steigende Vergutung von 600 Franken vereinbart. Im Rahmen dieser Abmachung, meist darunter und nicht teuerungskorrigiert, blieb übrigens die Vergütung der Redaktionsarbeit bis 1989. Das finanzielle Risiko bis zu einer Auflage von 300 trug der Herausgeber (!). Autoren erhielten (und erhalten bis heute) kein Honorar, jedoch 30 Separata ihres Beitrages gratis. Der Vertrag, ergänzt um gelegentliche Besprechungsprotokolle oder Briefwechsel, blieb bis zu seiner Erneuerumg 1987 in Kraft. So einfach handelten damals mutige Leute; und es waren gewiss schwierigere Zeiten als heute.
Der Gewinn internationalen Ansehens (1953-1968)
«Die Psychologie in der Schweiz stellt sich in einem zwiespältigen Lichte dar. In den Augen mancher Psycholocen des Auslandes erscheint die Schweiz manchmal fast als das Eldorado der Psychologen. Piaget auf der einen, lung auf der anderen Seite und manche andere, die ich nicht nennen will, aus Angst jemanden zu vergessen, tragen dazu bei, der Schweiz den Ruhm eines psychologisch sehr fruchtbaren Landes zu verleihen. Verschiedene Schweizer Verlage gehoren zu den größten auf dem Gebiete der Psychologie, und unsere beiden Zeitschriften, die Archives de Psychologie und die Zeitschrift unserer Gesellschaf~, finden im Ausland viel Anerkennung. Von diesem Bilde ausgehend, sind dann diese ausländischen Psychologen erstaunt, zu *ernehmen, daß die Ausbildung in Psychologie in der Schweiz sehr unterschiedlich und zum Teil recht ungenügend an den Universitäten beheimatet ist, daß wir in dieser Hinsicht mit zum Teil noch größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als dies in andern Ländern der Fall ist, daß die Zahl der an öffentlichen Stellen wirksamen oder in der Industrie an~estellten akademisch voll ausgebildeten Psychologen relatigering ist, und daß keinerlei of fizielle Anerkennung für den Psychologen besteht.»
Mit diesen Sätzen begann Richard Meili in seiner Funktion als Präsident der SGP seinen Jahresbericht für 1955/56 (16, 1957, 65). Sie drücken die zentralen Motive seines Wirkens als Redaktor der Zeitschrift aus: Qualität als Schlüssel einer klugen Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis auf dem Weg zur öffentlichen Anerkennung der Psychologie.
Richard Meili (1900-1991) war ein ebenso präzisionsbesessener Wissenschaftler wie hochengagierter Praktiker der Psychologie (29, 1970, 5-6; 39,1980, 63-65; 50,1991, i-iii; Meili, 1972; Lang, 1991). Nach einem vielseitigen Studium bei den Berliner Gestaltpsychologen abgeschlossen, arbeitete er am Genfer Institut J.J. Rousseau unter E. Claparede und neben J. Piaget im experimentalpsychologischen Bereich und über die Formen der Intelligenz. Während der Kriegszeit nahm er eine Stelle als Leiter der Winterthurer Berufsberatung an. 1948 wurde er auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Psychologie und ihre Anwendungen an die Universität Bern berufen und entfaltete bald bei einer zunächst eher kleinen Studentenzahl ein langfristig auf qualitätvolle Synthese von Forschung und Praxis angelegtes Programm.
Meili wurde bei der Gründung der SGP als Sekretär in den Vorstand gewählt, war dann während Jahren deren Kassier und erscheint von den ersten Jahrgängen an regelmässig als Autor von Originalarbeiten und Buchbesprechungen in der Zeitschrift. Er war ähnlich wie Morgenthaler, und vielleicht in jüngeren Jahren nicht immer mit dessen Konzilianz, eine Persönlichkeit, die über eine für richtig befundene Sache leicht ein sehr offenes Wort sprechen konnte und auch Kritik weniger in Rücksicht auf die Folgen als im Interesse einer Sache einsetzte.
Die Zeitschrift kämpfte eigentlich seit ihrer Gründung mit «verschiedenen Schwierigkeiten» (11, 1952, 71f.). Zwar hatte sie um 1950 etwas über 500 Abonnenten, davon rund ein Viertel im Ausland, weniger als 10~7o in der französischen Schweiz. Was wir als ihre Vorzüge erkennen eine Vielfalt von Interessenrichtungen zu integrieren und Brücken zu schlagen zwischen Psychologie und Psychopathologie/Psychotherapie, zwischen experimenteller Psychologie und Tiefenpsychologie, zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Deutsch und Welsch wurde bei der resultierenden Heterogenität des Inhalts und infolge steigender Herstellungskosten anfang der 50er Jahre angesichts der Normalisierung in den Nachbarländern zu einer existentiellen Belastung. Zum Glück wurden ernsthafte Fusionsverhandlungen mit deutschen Zeitschriften rechtzeitig abgebrochen (11, 1952, 175). Dies wäre wohl «gleichbedeutend mit dem Verlust des schweizerischen Gepräges [gewesen~ sowie der Möglichkeit, die schweizerischen Interessen wahrzunehmen» (11, 1952, 71).
Nach 10 Jahren aufopferungsvollen Einsatzes für die Zeitschrift regte Morgenthaler im Alter von 70 Jahren eine Erneuerung der Redaktion an, nicht zuletzt in der Absicht, die Zeitschrift endlich stärker in den universitären Institutionen zu verankern (Brief vom 5.3.92 von Morgenthaler an Christoffel). Bei dem Zusammentreffen so verschiedenartiger Interessen war die Nachfolge nicht leicht zu lösen. Im Vorstand der SGP, der die Frage zu regeln hatte, kam es in 4 Sitzungen zu einer eigentlichen Zerreissprobe. Meili war im Dezember 1951 als Mitredaktor vorgeschlagen worden, hatte dies aber mit der Begründung ausgeschlagen, «dass eine Zeitschrift einen einzigen verantwortlichen Redaktor haben müsse, dem aber wohl ein Komitee beigegeben wird, dessen Hilfe er in Anspruch nehmen kann, wenn er es nötig findet und das immer wieder von Zeit zu Zeit die Gesamtlinie kontrolliert und Vorschläge macht» (Brief vom 25.2.52 von Meili an Christoffel). Man dachte zunächst nicht daran, ihn zum Alleinredaktor zu machen, weil sich Anhänger dessen, was man später als die «weichere» Psychologie bezeichnet hat, durch ihn nicht vertreten fühlten.
Heft 2 des Jahrgang 1952 erscheint dann aber unvermittelt unter der Leitung einer neuen kollektiven Redaktion, der K. W. Bash, A. Friedemann, R. Meili, Ph. Muller und als einziger von den alten Mitarbeitern J. Piaget angehören. Die neue Redaktion bekräftigt in einer kurzen Mitteilung «Zum Übergang» ausdrücklich die Zielsetzung von 1942: «Keine spezielle Richtung, sondern allein wissenschaftliche Strenge soll für die Aufnahme von Arbeiten massgebend sein, denn nur damit kann die Psychologie sich Achtung verschaffen und in ihren Anwendungen fruchtbar gefördert werden» (11, 1952, 98). Meili war auf Antrag von Piaget und Muller schliesslich als «allein verantwortlicher Redaktor» gewählt worden (Protokoll der Vorstandssitzung vom 9.5.52), figurierte zunächst als geschäftsführendes Mitglied der Redaktionskommission, übernahm aber faktisch und bald auch offiziell die Herausgeberrolle.
Zweifellos hatte der Vorgang auch persönliche Hintergründe, und einige der üblichen, sonst die Zeitschrift kaum belastenden Intrigen und Missverständnisse spielten mit. Wesentlich ist er aber als Schritt der langfristigen Entwicklung der Psychologie auch zur institutionellen Selbständigkeit in der Schweiz zu sehen. Die in der SGP und der Zeitschrift führenden Psychologen waren offensichtlich den medizinischen «Geburtshelfern» dankbar und echt an Kooperation interessiert, und sie versuchten konstruktiv mit den gelegentlichen Dominationsversuchen einiger Psychiater fertig zu werden.
Anderseits wollten und mussten sie der Psychologie in der Schweiz als einer selbständigen Wissenschaft und Praxis zu Geltung verhelfen. Sie waren insofern an zwei Fronten engagiert, als sie gleichzeitig einem Druck einer breiten Popularisierungsbewegung für Psychologisches ausgesetzt waren. Auch auf dieser Seite war während Jahren eine ebenso heikle Identitätsarbeit nötig, welche Ausund Eingrenzungen erforderte. Die ganzen Berichtsjahrzehnte hindurch, und besonders stark Ende der 40er Jahre, waren wiederholt Versuche zur Gründung eines psychologischen Berufsverbandes unternommen worden und bis zur Gründung der Föderation der Schweizer Psychologen 1987 wurde realistisch und taktisch mit den drei Möglichkeiten von selbständigen Parallelverbänden, Sektionen innerhalb der SGP und Realisierungsversuchen eines Dachverbandes operiert. Die Zeitschrift war dabei wegen ihres wissenschaftlichen Charakters ein Stein des Anstoßes und, in dieser frühen Phase, auch ein Eroberungsziel.
Die neue Redaktionskommission brachte zwei Ärzte-Psychologen und zwei Psychologen zusammen. Kenower W. Bash (1913-1986; 42, 1983, 199-201; 44, 1985, 315-316) hatte ein Medizinstudium und ein Psychologiestudium biologischer Richtung absolviert und ist als Lehranalytiker am Jung-Institut, als Präsident der Internationalen Rorschachgesellschaft, als origineller Forscher in verschiedenen Bereichen, als Verfasser eines eigenständigen Lehrbuchs der Psychopathologie, als psychiatrischer Experte der WHO im Vorderen Orient u.v. a. m. bekannt geworden; er war als Vizedirektor an der Bernischen Waldau tätig. Adolf Friedemann 1902-1981; 40, 1981, 380-381) leitete, ebenfalls nach einem Medizin- und Psychologiestudium, seit 1949 das Psychohygienische Institut in Biel, welches mit einem für die Zeit ungewöhnlich breiten Spektrum interdisziplinären Denkens Praxis realisierte; Friedemann lehrte auch an der Universität Freiburg i.B. Auch PhilippeMuller (geb. 1917; 41, 1982, 57-58) verweigerte sich einer Festlegung auf eine Spezialisierung: Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität Neuenburg, reicht sein Feld von der philosophischen Anthropologie bis zur Industriepsychologie, von der Erforschung projektiver und Leistungstests bis zur Berufsberatung; auch er ein humanitär und kulturell Engagierter. Im Jahre 1967 stiess noch Vincent Lunin dazu, Leiter der akademischen Studienund Berufsberatung Zürich. Der weitere redaktionelle Mitarbeiterstab wurde ebenfalls erneuert und umfasste jetzt 19 Fachleute, davon 8 Ärzte, die ein breites Spektrum verschiedenartiger Psychologiebereiche und Nachbargebiete vertraten.
Für sein Programm der Qualität fand Meili rasch Unterstützung. So heisst es im Jahresbericht der SGP: "Plus encore que dans le passé, la Revue s' est efforcée des se conformer au principe suivant: faire l' éducation du public psychologique suisse plus que de s' adapter à son niveau moyen. Selon le voeu de son comité de rédaction et de son principal responsable, R. Meili, «ce n' est qu' au prix d'une rigueur toujours plus grande que la psychologie acquerra le respect qu'elle mérite et que ses applications seront réellement fécondes!»" (12, 1953, 305).
Dem Leser der Bände dieser Jahre muss auffallen, dass die Zeitschrift bis zur Mitte der 50er Jahre einen durchaus neuen Charakter gewinnt. Das bedeutet in keiner Weise eine Abwertung der Arbeit des ersten Jahrzehnts; der Übergang ist ein sanfter. Aber es heisst, dass das kluge Programm Morgenthalers, das im Spannungsfeld heterogener Kräfte zu verflachen drohte, nun eine eindeutige Richtung gewinnt und die Zeitschrift mit hartnäckiger Geduld ihre eigene Identität in Wissenschaft und Praxis verwirklicht.
Natürlich können hier weder die wissenschaftlichen Inhalte der in der Zeitschrift publizierten Arbeiten noch deren Wirkungen auf ein Umfeld von Forschung und Praxis in irgendeiner angemessenen Weise gewürdigt werden. Doch seien mit der Evokation der Inhalte von Themenheften wenigstens einige Striche einer Skizze gezogen. Aktuelle Probleme der Gestalttheorie wurden 1954 und Themen aus der Psychoanalyse 1962 von massgeblichen Vertretern und Kritikern behandelt. Zum 100. Geburtstag von S. Freud 1956 und zum 100. Jahrestag des Erscheinens von G. Th. Fechners «Elemente der Psychophysik» erschienen Würdigungen, die nicht einfach dem Gedenken, sondern der kritischen Aktualisierung und Einordnung dienten. Wiederholt standen Gruppen von Beiträgen zu Themen aus der Entwicklungspsychologie und der Persönlichkeitspsychologie oder der Intelligenzund der Lernforschung im Zentrum, die meisten davon in Verbindung mit Tagungen oder Weiterbildungskursen der SGP.
In den Jahren 1953-1968 publizierte die Zeitschrift rund 350 wissenschaftliche Originalbeiträge, davon ein knappes Drittel in französischer Sprache, die meisten bei hohem Niveau allgemein zugänglich. Zusätzlich erschienen jährlich im Durchschnitt 150 Buchbesprechungen aus dem ganzen Gebiet der Psychologie und unter Einbezug von manchen Nachbardisziplinen. Weitere Literaturberichte aus Zeitschriften oder Archiven dienten einem breiten Fachleserkreis ebenso wie die Nachrufe und Würdigungen verdienter schweizerischer Psychologen anlässlich runder Geburtstage. Berichte über institutionelle Aktivitäten nationalen oder internationalen Charakters stellen einen weiteren wichtigen Schwerpunkt dar. Wiederholt werden Grundsätze und Einzelheiten der Verbesserung der Psychologenausbildung diskutiert, und die Verfahren der Forschungsförderung oder die Stellung der Schweiz in der Psychologie der Gegenwart werden analysiert. Regelmässig erscheinen die Regeln und die Liste der Inhaber des «Ausweises über genügende psychologische Ausbildung» (z.B. 16, 1957, 57).
Seit 1959 erhält die Zeitschrift eine kleine finanzielle Unterstützung aus den Mitteln der eidgenössischen Wissenschaftsförderung. Die verkaufte Auflage steigt zunächst nur langsam an. Um 1960 beträgt sie etwa 600, doch geht rund die Hälfte der Hefte ins Ausland. Dem Verlag erwachsen jährlich beträchtliche Fehlbeträge, bevor 1965 die obligatorische Verbindung des Abonnementes mit der SGP-Mitgliedschaft eingeführt wird. Dies erhöht die abgesetzte Auflage auf rund 700 und bringt ein etwas günstigeres Aufwand-Ertrags-Verhältnis. In den 70er Jahren erreicht die Zeitschrift dann allmählich eine verkaufte Auflage von 1000 bis 1200 Exemplaren, bevor sie in den 80er Jahren entsprechend der allgemeinen Tendenz auf etwa 900 zurückfällt. Die Zusammenarbeit mit dem Verlag ist effizient und verständnisvoll.
Von den vielen interessanten Aspekten der Zeitschrift sei noch der umfangreiche Buchbesprechungsteil hervorgehoben. Im Jahresdurchschnitt der 50er bis 80er Jahre wurden 130 bis 150 Neuerscheinungen analysiert, teils im Sinne einer informativen Inhaltsangabe, teils kritisch bewertend. Vielen Lesern brachte und bringt dieser Teil der Zeitschrift den offenbar unmittelbarsten Gewinn. Die Flut der Buchpublikationen ist freilich in den vergangenen Jahren so gross geworden, dass es kaum mehr möglich ist, eine einigermassen repräsentative Auswahl davon zu behandeln. Es ist jener Zeitschriftenteil, in dem das Prinzip "von den Lesern für die Leser" am unmittelbarsten fortleben konnte, waren doch zeitweise an die 300 Rezensenten mit einer gewissen Regelmässigkeit an dem Unternehmen beteiligt.
Generalismus im Zeitalter der Spezialisierung (1969-1991)
Es darf hier mit Hochachtung angemerkt werden, dass Meilis Programm der Qualitätssteigerung mit Kompetenz und Geschick durchgeführt worden ist und relativ rasch entsprechende Beachtung fand, auf dem internationalen Feld vielleicht mit grösserer Bewunderung als auf dem nationalen. Auch wenn die Beurteilung im einzelnen für die verschiedenen Zielpunkte verschieden ausfallen mag, darf man feststellen, dass den gesamtschweizerischen, den internationalen, wie den richtungsbezogenen Synthesezielen im wesentlichen ein Erfolg beschieden war. Obwohl eine beträchtliche Anzahl von Mitarbeitern in den verschiedensten Funktionen beigezogen wurden, war die Zeitschrift doch im wesentlichen ein «Einmann-Produkt».
Ich erlaube mir diese Feststellung, weil sie mir heute gar nicht mehr so selbstverständlich erscheint wie damals, als ich bei Meili das psychologische und wissenschaftliche Handund Denkwerk erlernte und ab 1960 als Hilfsassistent allmählich ins Zeitschriftenmachen eingeführt wurde. Zunächst las ich Korrekturen, überprüfte zweifelhafte bibliographische Angaben, fertigte das Jahresinhaltsverzeichnis an; dann kam das Schreiben von Rezensionen dazu, das sprachliche Überarbeiten einzelner Beiträge, das Verfassen oder Übersetzen von Zusammenfassungen. Es war das Privileg einer Lehre im Prozess, wie sie wohl kaum durch irgendwelche Kurse ersetzbar ist. Als ich 1967 von einem zweijährigen Kanada-Aufenthalt zurückkehrte -- das Berner Institut und Meilis Pflichten waren inzwischen massiv gewachsen -- und Meili mich fragte, ob ich nicht das Amt eines Redaktionssekretärs übernehmen möchte, war mein Ja ohne Zögern. Die Aufgabe faszinierte mich und forderte mich heraus. Bald leitete ich den Besprechungs- und Nachrichtenteil selbständig.
Von Meili lernte ich im Verlauf ungezählter Meinungsaustausche anhand konkreter Fälle seine Art und Weise der Beurteilung von Manuskripten, einschliesslich des Einholens von Expertenmeinungen, in der für ihn so typischen Weise, nämlich mit einer Mischung von informierter Intuition und überprüfender Rationalität. Es gab bald kaum ein Manuskript, wo wir nicht unabhängig voneinander zu weitgehend übereinstimmenden Urteilen kamen, sowohl in der Annahme oder Ablehnung wie in Fragen der erwünschten Revisionen. Als Meili mich zunehmend allein entscheiden liess und wir nur noch besonders heikle Fälle ausführlich besprachen, bekam ich das Bedürfnis, die Kriterien der Beurteilung etwas expliziter und das Verfahren etwas formaler zu machen. Dies wohl auch unter dem Einfluss damaliger Diskussionen über das Peer-Review-System der Fachzeitschriften, welche ja in der Fachwelt periodisch virulent werden. Aus dem Jahr 1973 finde ich in meinen Papieren Kopien amerikanischer Vorbilder und Entwürfe für einen eigenen Beurteilungsbogen, mit dem mir die Experten ihre Eindrücke und Empfehlungen etwas systematisiert hätten mitteilen können. Ich habe den Bogen dann allerdings nach wenigen Versuchen nicht weiter benutzt, weil mir das informellere, teils briefliche, teils telefonische Verfahren mit seiner höheren Sensibilität für Kontext und seinen Möglichkeiten für Zwischentöne einfach angemessener schien. Der Versuch behielt aber seinen Wert durch die Explikation der Kriterien.
Inhaltlich erstreckte sich die Beurteilung von Beiträgen einerseits auf deren Bedeutung für die potentielle Weiterentwicklung der Psychologie, anderseits auf das Verhältnis der zur Bearbeitung des Problems eingesetzten Methodik. Es schien (und scheint mir auch heute) entscheidend, nie eine Arbeit abzulehnen, weil sie sich mit einem bestimmten Inhalt beschäftigt, egal ob er gerade aktuell ist oder nicht. Die Psychologie hat keinen Kanon; jedes mit Gründen als psychologisch aus~eisbare Problem soll eine Chance haben. Empirische Untersuchungen wie theoretische Abhandlungen sollten einer Fragestellung gelten, welche in irgendeiner Weise eine Problemlage in ein neues Licht stellte oder ihr neue Tatsachen hinzufügte, egal ob konstruktiv Neues erschliessend oder vermeintlich Sicheres widerlegend. Dabei ist wichtig, dass das Neue gebührend in den Zusammenhang des schon Bekannten gestellt werde. Was die Methodik betrifft, fand ich es unrichtig, ihre Aktualität und Korrektheit zum Hauptkriterium zu machen, wie das bei vielen Fachzeitschriften beobachtet werden konnte, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil es den Begutachtern gewissermassen die Verantwortung für ihre Entscheidung abnehmen, wie man dann sagte, ein objektives Urteil, erlauben soll. Entscheidend fand ich die Verhältnismässigkeit von Methode und Inhalt. Ein neues oder noch gering erforschtes Problem verlangt eine andere Methodik als eine auf sichere Wissensfundamente aufbauende Untersuchung. Und nicht selten könnte auch einem alten Problem eine neue Methodik einen bleibenden Dienst erweisen. Selbstverständlich erwartete ich von jeder Methode, sei sie rein begrifflich oder sei sie qualitativ oder quantitativ empirisch, Stimmigkeit in sich selbst und Schlüssigkeit in bezug auf Fragestellung, Verfahren, Befunde und Folgerungen.
Zu diesen substantiellen Beurteilungskriterien traten einige formale Momente und einige besondere Gesichtspunkte. Formal sollte ein Beitrag begriMiche und terminologische Konsistenz, einen der Bedeutung des Inhalts angemessenen Umfang aufweisen, sinnvoll gegliedert und in einer verständlichen und eindeutigen Sprache abgefasst sein, welche einem allgemein psychologisch vorgebildeten, aber nicht unbedingt spezialisierten Leser den Nachvollzug des Verfahrens und des Ertrags ermöglichte. Die Manuskriptqualität sollte den Experten und dem Setzer zumutbar, die Unterlagen vollständig sein. Anweisungen zur Manukriptgestaltung hatte ich seit 1968 ausgegeben. Ich legte Wert auf ein in sich konsistentes Literaturverzeichnis, schützte aber etwa die Freiheit der Autoren, ihre Kommas oder Doppelpunkte so zu setzen, wie sie es für informativ hielten. Besondere Gesichtspunkte ergaben sich aus der Besonderheit dieser Zeitschrift als einer mehrfachen Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen germanophonen und romanischen Sprachen und Welten der Psychologie, zwischen den verschiedenartigen Weisen, die wissenschaftliche Psychologie zu betreiben. Das «Schweizerisch» im Titel verpflichtete nicht nur zu angemessener Darstellung der beiden wichtigsten Landesteile, sondern implizierte auch, dass wir auf der Plattform für Autoren aller psychologischen Richtungen aus der Schweiz stets auch eine Auswahl guter Beiträge aus aller Welt präsentieren wollten; «schweizerisch» sollte in der Bedeutung von «weltoffen in beiden Richtungen» verstanden werden (vgl. dazu 40, 1981, 183-188).
Das heisst, die Zeitschrift war für Meili wie für mich und für die Mitglieder der Redaktionskommission stets eine «Generalisten-Zeitschrift». Das war so selbstverständlich, dass ein (Jargon-)Name dafür erst nötig wurde, als ringsum die Zahl der Fachzeitschriften des zunehmend sich zergliedernden Gebiets der Psychologie förmlich wucherte, von den 50 oder so überschaubaren qualitativ hochstehenden Organen in den Weltsprachen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Verlauf der 70er und 80er Jahre um nahezu eine Grössenordnung explodierte.
Spezialisierung hat Folgen, nicht nur erwünschte, und es könnte sein, dass einige von ihnen zu spät erkennbar werden. Ein Beispiel mag indizieren, was freilich nur einem Leser auffallen dürfte, der die Zeitschrift auch dazu benützt, von Forschung zu erfahren, die er nicht aus dem unmittelbaren Bedürfnis seiner eigenen Spezialiserung heraus lesen würde. Man versuche, einige Jahrgänge der Zeitschrift als ganze sich zu vergegenwartigen und vergleiche beispielsweise ein so ge~ onnenes Bild aus den 50er Jahren mit einem aus den 70er oder 80er Jahren. Obwohl auch die späten Bände noch vergleichsweise *iele Beiträge aufweisen, welche auch einem Nichtspezialisten wichtige Einsichten vermitteln können, ist der Fragmentierungszuwachs der Psychologie nicht zu übersehen. Beispielsweise waren psychoanalytische Beiträge in frühen Jahrgängen eine Selbstverständlichkeit, und sie waren zugänglich. Später musste sich die Redaktion eigens darum bemühen, und sie wirkten wie eine Zeitschrift in der Zeitschrift. Ein thematisches Heft im Jahre 1972 alarmierte die Redaktion in einem Ausmass, dass Meili, der mit redaktionellen Kommentaren noch zurückhaltender war als ich, zur Feder griff und dem Beispiel ein flammendes Plädoyer zur Integration entgegensetzte (31, 1972, 144-148). Als Argument benutzten wir gelegentlich den Hinweis auf die Pflichtabonnente der SGP-Mitglieder, um dem integrativen Anliegen Geltung zu verschaffen, aber bei uns beiden lag die Motivation tiefer.
Ein Grundsatz unserer Arbeit war stets, dass ihr Resultat in der Zeitschrift zum Ausdruck kommen soll und, wenn dies gelingt, keines Kommentars bedarf. Freilich änderten sich im Lauf der Jahrzehnte die Rahmenbedingungen nicht wenig, und nicht selten wurden der Zeitschrift gegenüber Erwartungen gehegt, die sie weder erfüllen konnte noch aus den erwähnten Gründen erfüllen wollte. Der Publikationsdruck auf jüngere Wissenschaftler stieg freilich an und verlangte zunehmend und vor allem Veröffentlichungen in den reputierten Spezialisten-Zeitschriften. Man mochte es niemandem verargen, der solche Organe unserer Zeitschrift vorzog oder uns allenfalls seine zweitbesten Arbeiten einschickte. Eine gelegentliche Spannung, wenn redaktionelle Auflagen zur Verbesserung der Allgemeinzugänglichkeit gemacht werden mussten, war in Kauf zu nehmen. Umso grösser hinterher die Genugtuung bei Autoren und beim Redaktor, wenn einige Zeit später eine Anerkennungsmeldung eintraf und wiederholt mit dem Ausdruck des Erstaunens verbunden wurde, dass eine starke und weltweite Nachfrage nach Sonderdrucken alle Erwartungen übertroffen habe.
In den Jahren 1969 bis 1991 wurden weitere nahezu 500, insgesamt in den 50 Berichtsjahren 1072 Originalbeitrage publiziert, davon 30% in französisch. Erneut wären eine Reihe von thematischen Schwerpunkt-Heften zu erwähnen: Verhaltenswissenschaften, Verhaltenstherapie, Psychotherapie, Psychoanalyse, Computerisierte Diagnostik, Verkehrspsychologie, Arbeitspsychologie und, mehrfach, Themen aus der Entwicklungspsychologie. Dazu kamen ausführliche, diskussionsorientierte Behandlungen berufsständischer Probleme der Psychodiagnostik und der Psychotherapie, insbesondere auch der gesetzlichen Absicherung ihrer Ausübung.
Die seit 1968 geführte Eingangsstatistik weist jährlich zwischen 14 und 46 spontan eingesandte Originalmanuskripte nach, im Durchschnitt pro Jahr 25, Ein Viertel davon französisch. Rund die Hälfte oder 325 davon (zwei Drittel der französischesprachigen) wurden angenommen und zusammen mit 160 Beitragen auf Einladung., publiziert. Die Buchbesprechungen gingen in den 80er Jahren etwas zurück, ebenso die sonstigen berufsstandsorientierten Berichte. Es wurde immer deutlicher, dass die lokalen und aktuellen Informationsbedürfnisse mit den wissenschaftlichen Langzeitinteressen nur schwer vereinbar waren. Mit einem Versuch 1977 und definitiv 1980 gelang die Gründung des Bulletins der Schweizer Psychologen -- Bulletin Suisse des Psychologues, seit 1991 Psychoscope, das 1988 durch die Föderation der Schweizer Psychologen übernommen wurde und diese Informationen und auch einen Teil der praxisorientierten Beiträge rascher und besser an eine breitere Leserschaft vermitteln kann.
Nach dem Tod von Jean Piaget wurde 1981 eine Erneuerung der Redaktionskommission und des Mitarbeiterstabes fällig: Meili trat vom Amt des Herausgebers zurück und der Vorstand der SGP wählte Alfred Lang zu seinem Nachfolger. Auf dessen Antrag wurden fünf Professoren aus den grösseren Universitätsinstituten, die zusammen praktisch alle wichtigen Teilgebiete der Psychologie und ihrer Anwendungen abdeckten, als Mitglieder der Redaktionskommission eingeladen (40, 1981, 183-185). Sie waren, einzeln und als Gruppe, eine starke Unterstützung. Als Mitarbeiter der Redaktion zeichneten weitere 20 Persönlichkeiten aus den Universitäten und der Praxis. Eine jüngere Kraft trat 1988 zunächst dem Redaktor zur Seite, bis dieser zwei Jahre später, etwas «gesättigt», seine Pflicht als erfüllt betrachten konnte (49, 1990, 3-5). Das Programm der Zeitschrift findet er nach wie vor aktuell, vielleicht sogar noch aktueller als damals. Denn es soll, wie Kulturen, viele verschiedene Psychologien geben; aber sie müssen voneinander wissen und lernen.
Fussnote
1(1, 1942, 3) Mit der Angabe von (Band, Jahr, Seitenzahl) verweise ich auf Passagen in der Schweizerischen Zeitschrift fiir Psychologie (SZP).
Balmer, Heinz (1966). Walter Morgenthaler 1882-1965 (mit Bildnis und Verzeichnis seiner Arbeiten). Drei bernische Forscher. Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft 225-246.
Balmer, Heinz (1972). Aus der Geschichte der Familie Morgenthaler. (Der Psychiater Walter Morgenthaler, S. 53-59.) Jahrbuch des Oberaargaus 37-93.
Lang, Alfred (I991). Nachruf auf Richard .Meili (l900 199l). Psychologische Rundschau 42 (4) 219-221.
Meili, Richard (1972). Richard Meili. Pp. 159-191 in L.J. Pongratz, W. Traxel & E. G. Wehner (Eds.) Psychologie in Selbstdarstellungen. Band 1. Bern: Huber.
Die zitierten Protokolle und Briefe befinden sich im Nachlass von Richard Meili im Archiv der Universität Bern.