Alfred Lang

University of Berne, Switzerland

info@langpapers.org

Newspaper Column 1991

5 KB @ResPub

Bund-Kolumne. Der Bund (Bern) Nr. 281 vom 30.11.91 Pp. 15

 

Stoppt "Brüssel", rettet Europa!


Einen Tag nach den Parlamentswahlen, nicht etwa drei Wochen vorher, hat der Bundesrat seine neue Europapolitik angekündigt. Was ist das für eine Demokratie? Was für ein Verhältnis hat diese Politische Klasse zu ihren Wählern, zu ihrem Volk? Nach einer Wahlschlappe überdies!

Auch die Presse hat nur kurz gehüstelt und ist sofort zur neuen Tagesordnung übergegangen. EG-Beitritt oder Alleingang. Jetzt ist EG-Propaganda Trumpf, entweder dafür oder dagegen. Ueberwiegend malt man uns den Schrecken der Isolation an die Wand und preist die Sicherung des Wohlstands im wirtschaftlich und politisch "Vereinigten Europa". Man stellt die Bewahrer, die Ewiggestrigen, gegen die Progressiven, die Aufbrecher zu neuen Ufern. Ist es wirklich ein so simples Entweder-Oder? Sind denn in dieser Sache unsere Medien mit dem Opportunismus der Wirtschaftsführer und der Politischen Klasse dermassen verwoben, dass sie ihre kritische Pflicht so leicht vergessen?

Ich will, so sachlich und so scharf, wie das die Kürze erlaubt, zu zeigen versuchen, warum ich den EG-Europa-Plan für die letzte Verrücktheit halte, für einen tödlichen Amoklauf der Menschen gegen sich selbst. Meine Argumente sind nicht von gestern, sondern für morgen. Denn in seiner Konsequenz zerstört dieses weiter auf Wirtschaftswachstum setzende Programm erstens radikal unsere Lebensgrundlage. Mit seiner ungeheuren Regelungsverdichtung und Güterüberschwemmung nimmt es zweitens unserem Leben die Qualität. Und drittens entzieht es uns vollends die menschliche Würde durch seinen menschenverachtenden Diskriminierungszwang.

1. "Brüssel", wie es jetzt als Programm angelegt ist, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Leben von Menschen und vielen anderen Arten auf diesem Planeten mittelfristig verunmöglichen. Der Beweis ist im wesentlichen einfach: um den Wirkungen des Treibhauseffekts zu entgehen, müssten wir die Verbrennung fossiler Energie besser heute schon halbiert haben als erst morgen; "Brüssel" wird sie in wenigen Jahrzehnten allein im europäischen Raum verdoppeln und die Dritte Welt in Zugzwang setzen. Man kann aber das CO2 weder wegkatalysieren noch sonstwo verstecken.

2. "Brüssel" ist ein Inbegriff moderner Formen von Herrschaft. Herrschaft, d.h. den andern zwingen, gegen das eigene im fremden Interesse zu handeln, kommt hier und heute nur selten als rohe Gewalt und Willkür daher. Der Rechtsstaat, diese grosse Leistung des Abendlandes, ist am Verkommen zu einem Vorschriftenkorsett mit herrschaftlicher Bürokratie. Diese wunderbaren "Dinge", die den Menschen zum Menschen machen: die Kultdinge, die Werkzeuge, die Kleidung, die Häuser, Dörfer und Städte, die symbolischen Welten von Schrift und Bild, mit einem Wort, die menschliche Kultur, sind zum Output einer durchdrehenden Produktionsmaschinerie pervertiert. Als ihre Sklaven bedienen wir Menschen sie, und sie ertränkt uns in Fluten von Plasticartikeln und Desinformationen.

Anstatt die Konsequenz aus der bedrohten Lebensqualität in den bereits überdrehenden Industriegesellschaften zu ziehen will das "Brüsseler" Programm die noch halbwegs heilen süd- und osteuropäischen Kulturen und den Rest der Welt mit demselben Einheitsbrei von überflüssigen Vorschriften, Industrieprodukten und Dienstleistungen überschwemmen.

3. Ein wirtschaftlich, monetär und und politisch unifiziertes Europa ist weltpolitisch eine derartige Ungeheuerlichkeit, dass man nur staunen kann, mit welcher Arroganz es nach der Pleite anderer Imperien immer noch angezielt wird. Ein handlungsfähiger 400- oder 700-Millionenstaat mit dem technischen und wirtschaftlichen Potential eines Vereinigten Europa wäre auf einen Schlag in der Rolle der ersten Weltmacht: darauf angewiesen, ihre weltweiten Ressourcen- und Absatzinteressen gegebenenfalls mit Gewalt zu sichern und durchzusetzen. Am Beispiel des Golfkrieges etwa kann man sich ausmalen, welche Dynamik dadurch losgetreten würde.

Auch wir Schweizer sind Enkel und Urenkel von Generationen, welche sich im Namen des Fortschritts herausgenommen haben, tausende von Gesellschaften und Kulturen auf dieser Erde, nämlich praktisch alle, zu zersetzen und die Bodenschätze und Menschen dort auszubeuten. Wir alle sind heute mit unserem übersteigerten Wohlstand die Nutzniesser davon. Und wir haben noch nicht einmal ein Schuldgefühl dafür entwickelt. Jetzt sollen wir Teilhaber eines Programms werden, das durch Blockbildung die Ausbeutung perfektioniert und verfestigt! Alle Menschen auf der Erde können nicht unseren Komfort bekommen; und wir werden ihn nicht aufgeben wollen. Europa als Weltmacht wird die Scheidelinie hart machen müssen. Ein solches Programm ist mit Menschenwürde nicht vereinbar, weder mit derjenigen der Ausgebeuteten noch mit derjenigen der Verantwortlichen und ihrer Mitläufer.

Eigentlich müsste ich laut schreien: Das "Brüsseler" Programm, falls es nicht fundamental abgedreht werden kann, ist das ruchloseste Verbrechen gegen die Menschheit, das je erfunden worden ist, weltumspannend und absolut kalblütig geplant! Stoppt "Brüssel", rettet Europa und mehr! Es muss doch ein klügeres Europa möglich sein!


Alfred Lang's Homepage | Top of Page

© 1998 by Alfred Lang, scientific and educational use permitted, last revised 98.03.05