Alfred Lang

University of Berne, Switzerland

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Newspaper Contribution 1991

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Der Bund Nr. 223 (Beilage: "Bauen - Wohnen 1991" vom 24.9.91).

(Vorbereitet für die Presseinformation, Kongress DGP i nKiel, 1990. )

 

Wohnraum als Aussenraum des Innenlebens --

ein Dialog zwischen Bürgerin und Wohnpsychologe

mit einer Bande dessinée über die Seele in Bauten und Dingen

 


W:Warum wohnen Sie?

B: Weil ich mich vor schlechter Witterung und bösen Leuten schützen möchte.

W:Könnten Sie das nicht auch, wie Tausende von Menschengenerationen, unter einem Baum, in einer Höhle, mit einem Mantel, in einer starken Gruppe von einander Wohlgesinnten?

B: Genau genommen schon, aber heute haben (fast) alle eine Wohnung oder ein Haus. Da kann ich doch nicht gut anders. Da hab' ich schon ein starkes Bedürfnis danach.

W:Diese Antwort ist sehr ehrlich. Doch worin besteht Ihr Wohnbedürfnis?

B: Ich möchte mich halt wohl fühlen in meiner Wohnung. Ein bisschen sein wie die andern, und vor allem mich selber.

W:Sie wollen also nicht nur ein Bedürfnis befriedigen, nicht etwas Fehlendes erfüllen; sondern Sie streben noch etwas an, wollen ein Ziel erreichen? Was denn genau?

B: Sei bringen mich in Verlegenheit. Je mehr ich nachdenkne, desto weniger kann ich das sagen. Aber so ein Stahl-und-Glas-Design wär's halt schon. Nur mein Freund will lieber eine eichene Wohnwand. Sie als Wohnpsychologe sollten uns eigentlich sagen können, wer recht hat.

 

Der fiktive Dialog zwischen Bürgerin und Wohnpsychologe soll hier abgebrochen werden. Der Wohnpsychologe wird sich nämlich weigern zu sagen, was gutes oder gar richtiges Wohnen ist. Warum?

Es hat sich eingeschlichen, manche Tatsache des Bauens und Wohnens aus der Bedürfnisbefriedigung oder als Mittel zur Verbesserung des Wohlbefindens zu erklären. Doch niemand kann sagen, was denn nun eigentlich diese Wohnbedürfnisse und Bauziele wirklich seien. Sie wirken sich angeblich gerade so aus, wie die einen bauen und die andern wohnen (müssen). Oder wie die, die nicht so wohnen können, wohnen möchten. Oder wie die, die so wohnen müssen, keinesfalls wohnen möchten, aber m,angels Geld und besseren Wohnungen nicht anders wohnen können ....

Niemand hat diese Bedürnfisse je gesehen oder sonstwie dingfest gemacht. Und ob das Wohlbefinden dann bei erfüllten Bedürfnissen erreicht wird, ist nach aller Erfahrung eine offene Frage.

Wenn wir eine Erscheinung erklären wollen, zB warum wir oft zu viel essen oder warum wir meistens mit rechten Winkeln bauen, oder warum wir manchmal Steildächer vorziehen und uns heute mit einem Raum nicht begnügen, so bringt es gar nichts zu sagen: weil wir ein Bedürfnis danach haben. Man muss vielmehr etwas aufzeigen, was unabhängig von der zu erklärenden Erscheinung existiert. Die genannten Bedürfnisse und Ziele werden aber genau us jener Erscheinung erschlossen, welche sie erklären sollen.

Haben wir denn so grundsätzlich andere Wohnbedürfnisse und -ziele als unsere Vorfahren vor Generationen, die doch ganz anders gebaut haben, oder als unsere Schwestern und Brüder im Busch oder Dschungel, die auch ganz anders wohnen als wir? Warum wechseln unsere angeblich so fundamentalen Bedürfnisse mit den Angeboten der Bau- und Einrichtungsindustrie ähnlich rasch wie die die Damenmode mit dem Pariser Diktat? Warum beanspruchen wir heute doppelt so viel Wohnfläche wie um die Jahrhundermitte, obwohl sich noch vor 200 Jahren die meisten fünfköpfigen Familien mit einem einzigen Raum von 20 m2 begnügt haben? Und warum haben einige Leute viereckige Flachdachhäuser in Höhlen gebaut, wo sie doch allen Schutz schon in ihrer Höhle hatten? Die meisten Fragen zum Bauen und Wohnen finden keine Antwort auf der Basis von Bedürfnis- oder Zweck-Ziel-Begriffen. Und doch stellen sich ohne Zweifel psychologische Fragen!

Wenn der Fall wäre, dass irgendjemand uns solche besonderen "Bedürfnisse", zB nach der prestigeträchtigen Villa am Stadtrand im Grünen, und solche Ziele, zB nach der platzsparenden egalitären Wohnmaschine im Superhochhaus, nur einfach untergejubelt hätte? Es würde unserem Klassenbewusstsein allerdings schon schmeicheln. Und wir würden sagen, wenn wir gefragt werden, ja, genau das wollten wir immer schon, das werde uns glücklich machen und gesund dazu ... Wirklich? Und wie hindern wir unsere angeblichen Wohnbedürfnisse daran, dass wir Europa flächendeckend überbauen? Wir haben es mit dem Schweizer Mittelland schon recht weit gebracht.

Was ich hier etwas plakativ skizziert und als untauglichen Erklärungsversuch der Tatsachen des Bauens und Wohnens hingestellt habe, ist aber die gängige Auffassung der Fachleute. Die Psychologen haben das Thema noch nicht sehr gründlich bearbeitet. Sie haben es bis vor kurzem den Baufachleuten überlassen, den Planern und Architekten, den Technikern und Wirtschaftern. Und diese sind an den Menschen, die ihre Häuser und Wohnungen mieten oder kaufen (müssen), nur oberflächlich interessiert. Denn für diese Fachleute ist das Gebaute ein Objekt wie jedes andere.

Für die Menschen, die darin wohnen, ist es jedoch ein Heim, ihr "eigenes" (ich meine nicht materiell!), ein kostbarer Ort, so selbstverständlich, dass die meisten ihn erst vermissen, wenn er ihnen genommen oder zerstört wird. Haben Sie schon einen Einbruch bei sich daheim erfahren? Und es ist Ihnen ausser etwas Geld eigentlich nichts Unersetzliches gestohlen, aber die persönlichen Schubfächer sind durchwühlt und alles ist durcheinandergeworfen worden. Und Sie waren "im Innersten getroffen"! Merkwürdige Redensart!

Einige Psychologen sind dabei, ein stärker auf den Menschen bezogenes Verständnis des Bauens und Wohnens zu erarbeiten. Hier folgt nur die Andeutung einer Skizze davon. Wir gehen, wie die meisten Psychologen, davon aus, dass jeder Mensch, vorgeprägt durch sein genetisches Erbe, vor allem aber im Laufe der Erfahrungen seines Lebens durch Wahrnehmen und Handeln eine "psychische Organisation" aufbaut, aus der heraus dann wiederum all sein Wahrnehmen und Handeln gesteuert ist. Herkömmlich nennt man diese einmalige und jeder Person eigene Struktur seine "Seele". Man lokalisiert die Psyche bevorzugt im Kopf jedes Individuums, weil sie sich ohne funktionsfähiges Hirn nicht manifestiert. Man "kennt" sie aus eigenem Erleben oder aus der Beobachtung des Handelns. Man kann sie nicht greifen, wohl aber ihre Äusserungen bei uns und andern beobachten oder ihren Träger, das Hirn, mittels Drogen oder Verletzungen beeinträchtigen oder ihre Funktionstüchtigkeit durch Erfahrungen in einem geeigneten Milieu für Wahrnehmen und Handeln fördern oder stören.

Aber ist die Psyche denn nur im Kopf? Beruht unsere persönliche Identität und unsere Einmaligkeit, wie sie unsere Bezugspersonen kennen und von uns erwarten, denn nur auf unserem inneren Leben und unserem Handeln? Gehören nicht auch einige unserer Dinge dazu, die wir mitgenommen haben aus lebenswichtigen Situationen und die wir bereithalten für weitere Erfahrungen und Wirkungen, die wie die Kleider und Geräte unsere Eigenart und unsere Zugehörigkeit tragen und kundtun? Und einige unserer Räume, die uns mit unseren Partnern, Kindern, Eltern, Freunden zusammenhalten, ähnlich wie unser Hirn unsere innere Seele zusammenhält? Sind unsere Wohnungen nicht Räume, in denen wir unser Innenleben ausbreiten zu einem Aussenraum der Seele, die ein Innenraum ist in unserem Haus?

Kann man einen Menschen oder eine Familie nicht beinahe so gründlich verunsichern und in ihrer Identität umbringen, wenn man über ihre Wohnung verfügt, wie wenn man den Kopf eines Menschen (hirn)erschüttert oder zerschlägt? Ist es klug gewesen, mit unserer scharfen Logik von Subjekt und Objekt eine so harte Trennung zwischen innen und aussen herbeizuführen und zuzulassen, mit persönlichen Dingen und Wohnungen von Mitmenschen, welche sich nicht wehren können, beinahe so hemmungslos umzugehen wie mit irgendeinem Stück Stein oder Holz, als gehörten sie nicht auch zu ihrer Seele? Wir sollten das Verhältnis zu Dingen und Räumen besser verstehen, um klüger bauen und wohnen zu können. Die Frage, warum wir eigentlich bauen und wohnen, hat noch keine fertige brauchbare Antwort gefunden. Der Spruch von der " Seele in den Räumen und Dingen" könnte uns führen.

 

Verstehen wir Bauen und Wohnen?

Bauen und Wohnen verdienen eine gründliche theoretische und empirische Anstrengung, wenn man einmal begriffen hat, dass diese in allen Kulturen zentralen Phänomene in erster Linie einer psychologischen Begründung bedürfen und dass sie möglicherweise deshalb in industrialisierten Kulturen soviele Probleme schaffen, weil sie unzureichend, dh zu wenig vom Menschen her und auf Mennschen hin, verstanden werden.

Ich erkenne auf dem Hintergrund psychologischen Denkens im 20. Jh. drei theoretische Ansätze des Verstehens von Bauen und Wohnen. Diese möchte ich in ihren Grundzügen aufzeigen und auf ihre anthropologischen Voraussetzungen hin befragen und auch im Hinblick auf ihre ethische Wirkungen miteinander vergleichen und bewerten.

In der Wohnpsychologie dominiert bei Psychologen und Laien eine "Bedürfnistheorie". Sie geht davon aus, dass Menschen Gebilde sind, welche wie4 andere Homöstaten zur Erhaltung innerer Sollzustände (Bedürnfisse) des Umgangs (Wohntätigkeit) mit äusseren Instrumenten (dem Gebauten) bedürfen. Die Liste der aufgewiesenen Wohnbedürfnisse ist lang und offen (zB Antje Flade) und sie vermengt Erklärendes und Erklärtes. Es gibt keine Systematik der Bedürfnisse, welche die logische Zirkularität dieser Motivationstheorie vermindern könnte. Empirisch und praktisch orientieren sich Bedürfnistheoretiker letztlich an der Wohnzufriedenheit: die Leute kenne ihre Bedürfnisse und man kann sie danach fragen.

Merkwürdig ist, dass Bauen und Wohnen nicht zu einem beispielhaften Gegenstand einer "Handlungstheorie" gemacht worden sind, wenn man von den feinsinnigen Einsichten in das Wohnen von Ernst Boesch einmal absieht (die er freilich bisher nicht in seine Theorie des symbolischen Handelns integriert hat). Hier würden Menschen als zukunftsentwerfende und planrealisierende Wesen begriffen, welche Gebautes als Selbstzweck oder instrumentell für weitere Motive herstellen und in der Tätigkeit des Wohnens vollziehen. Wohnwünsche und ihre Konkretisierungen in Architekturspielen und Kleinbürgeridyllen wären folgerichtig die empirische Grundlage. Auch nach Wohnwünschen kann man fragen. Doch wen soll man fragen: die Bewohner oder die Fachleute?

In dieser etwas überzeichneten Charakterisierung der beiden Ansätze wird vielleicht deutlich, dass beide stark auf die Motivation der Individuen zentriert sind und (deshalb?) das Verhältnis zwischen Innenbedingungen (Bedürfnissen, Zielzuständen) und Aussenbedingungen (gebaute, gestaltete Welt) nicht zu klären vermögen. Auch werden die soziale Bedingtheit des Wohnens und seine sozialen Wirkungen nur sekundär über (meist antagonistische) Bedürfnisse und Zielorientierungen eingebracht: dem Geselligkeitsbedürfnis oder -streben steht ein Privatheitsstreben oder -bedürfnis entgegen und es bleibt offen,wie der Widerspruch ins Verhältnis zu setzen ist. Die Gruppe für Umwelt- und Kulturpsychologie am Berner Psychologischen Institut entwirft deshalb eine psychologische Wohntheorie, welche eine "ökologische" Auffassung des Mensch-Umwelt-Verhältnisses zugrundelegt und die These verfolgt, gebaute Strukturen und gestaltete und angeordnete Objekte seien Bedeutungsträger oder Zeichensysteme von und für Individuen und Gruppen. Gebaute Strukturen seien den traditionell von der Psychologie betrachteten innerpsychischen Strukturen zumindest in ihrer Funktionalität gleichzusetzen. Eine semiotisch-ökologische Theorie des Wohnens richtet sich mithin auf die durch Herstellung, Veränderung und Benutzung von Wohnbauten und ihres Zubehörs geleistete Regulation der Eigenständigkeit (Autonomie) von und des Zusammenhangs (Integration) zwischen beteiligten Individuen und Gruppen.

Boesch, E.E. (1983) Die Kulturbedingtheit des Menschen. In: Gordan, P. (Ed.) Menschwerden, Menschsein. Kevelaer; Butzon & Bercker. S. 339-369.

Flade, A. (1987) Wohnen psychologisch betrachtet. Bern, Huber. 194 S.

Lang, A.; Bühlmann, K.; Oberli, E. (1987) Gemeinschaft und Vereinsamung im strukturierten Raum. Schweiz. Zeitschr. f. Psychologie 46(3/4) 277-289.


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