Alfred Lang | ||
Conference Presentation 1989 | ||
Nachdenken über die Mensch-Computer-Beziehung --Was für eine Informatik braucht / brauchen was für Lehrer? | 1989.06 | |
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Eröffnungsreferat am Forum Informatik der Erziehungsdirektorenkonferenz, Valbella, 1.Juni 1989 | © 1998 by Alfred Lang | |
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Zusammenfassung
Ausgehend von den Fragen, was für eine Informatik die Lehrer brauchen und was für Lehrer die Informatik braucht, werden Verständnismöglichkeiten der Mensch-Computer-Beziehung, die sog. "Schnittstelle" auf der ergonomischen, der mentalen und der kulturellen Ebene, untersucht. Es wird generell eine verhängnisvolle "Vereinnahmung" des Menschen durch den Computer im Sinne einer Subjekt-Objekt-Rollentausches diagnostiziert und dagegen für eine offene Informatik plädiert. Informatik-Unterricht soll bei den Benutzern ein Klima des Abstandnehmens erzeugen, einen geschärften Durchblick durch Mensch-Computer-Systeme, und einen Sinn für die Dialektik des Zusammenspiel der beiden Partner. Dadurch kann der Spielraum für Freiheit im Umgang mit diesen Maschinen erweitert werden. Schliesslich wird die Computer-Metapher als gängiges Modell des Menschen kritisiert; einige Aspekte eines Vergleichs von Mensch und Computer zeichnen ein differenzierteres Bild und betonen das Potential der Mensch-Computer-"Partnerschaft".
Die Lehrer und die neuen Informationstechnologien (NIT)
Die Veranstalter dieser Tagung unter dem Titel: "Lehrer brauchen NIT -- NIT brauchen Lehrer", haben mich gebeten, aus meiner Sicht zur "Rolle der neuen Informationstechnologien für und in der Pädagogik", speziell der Lehrer(aus)bildung, zu sprechen. Lassen Sie mich mit den beiden Thesen des von den Veranstaltern gewählten Tagungsthemas einsetzen und sie zunächst als Fragen formulieren.
Brauchen Lehrer die neuen Informationstechniken?
In den frühen 80er Jahren hätte ich als Mikrocomputerfreak der ersten Stunde und aus einer etwas radikalen Skepsis betreffend Schule heraus mit "nein" geantwortet, feststellend, dass die Schüler es sowieso besser verstehen, hoffend, dass der Computer in einer einmaligen Chance dazu genutzt werden könnte, die Schule ein bisschen auf den Kopf zu stellen, dem Lehrer sein nicht ganz zweihundertjahrejunges Übergewicht in der Bildung zu nehmen, das Schüler-Lehrer-Verhältnis um dieses gekräftigte Dritte herum, die Information, neu zu definieren usw.
Natürlich ist diese Phase jetzt vorbei. Inzwischen haben die Lehrer Tritt gefasst. Eine neue Lehrerspezialisierung ist gefunden worden. Informatik-Curricula wurden und werden konzipiert, Lehrerausbildung dazu wird jetzt auf Trab gebracht. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Informatik -- wie irgendein anderes Fach -- etabliert, mit Stoffplänen und Prüfungsverfahren kanonisiert, mit nicht unbeträchtlichen materiellen Investitionen auf Dauerexistenz abgesichert ist. Die fächerübergreifende Bedeutung der Informatik macht sie heutzutage ganz besonders attraktiv, ja unentbehrlich. Anders als mit der "neuen Mathematik" klappt die Innovation; denn Informatik verdrängt oder verändert nichts, sie stockt vielmehr auf. Schliesslich ist Informatik eine Technik, nicht bloss eine neue Sicht. Techniken sind halt einfach kräftigere Herrschaftsmittel als Ideen. Also, eine Lehrerin oder ein Lehrer ohne Informatik, das muss man jetzt festhalten, das geht einfach nicht mehr, das ist schon heute von gestern. Die erste These kann also nicht mehr eine Frage sein. Doch bleibt immerhin eine andere Frage: was für eine Informatik brauchen Lehrer?
Brauchen die neuen Informationstechniken Lehrer?
Vor 5 bis 10 Jahren, das können Sie nun schon vermuten, hätte ich ebenfalls diese zweite Frage lustvoll mit "nein" beantwortet. Aus einer mir wichtigen Verbindung von soliden Kenntnissen und ungezügelter Phantasie heraus hatte ich mir ausgemalt, wie Information mithilfe dieser Maschinen und stark verbesserten Schnittstellen, "Gesichtern" und "Händen" zum Menschen hin, im zwischenmenschlichen Umgang eine neue Rolle übernehmen könnte. Im Computer bekommt Information zum erstenmal Eigenschaften, wie sie bisher nur in lebenden Systemen beobachtet wurden. Im besonderen besteht die Möglichkeit, Zeichensysteme höherer Ordnung auszubilden, mit Repräsentationen von Repräsentationen (von Repräsentationen...) und Operationen über Operationen (über Operationen...) rational umzugehen. Die Formel von der künstlichen Intelligenz, obwohl ich sie für irreführend halte, versucht das auszudrücken.
Wenn die Computer (so damals mein konkretes Argument gegen die zweite Tagungsthese, zugleich auch Fortführung des Arguments zur ersten) wirklich ein Potential hätten, die Schule aus ihren Verfestigungen herauszureissen, dann könnte, ja, müsste dies geschehen, ohne dass Lehrer die Verantwortung dafür übernähmen. (Die Formel von der Verantwortung ist ja zweideutig: die Macht zur Bestimmung über das Lernen übernimmt man wohl; die daraus erwachsenden Konsequenzen müssen, ob sie wollen oder nicht, später die Schüler tragen, ob angenehm oder problematisch. Die unpersönliche Formulierung -- man -- sollte deutlich machen, dass ich nicht Schuld zuweisen will; die Lehrer sind hier, wie die Schüler, weitgehend Gefangene ihrer Rollen.)
Weitgehend, sage ich. Denn die Lehrer hätten diesen Vorgang, die computerunterstützte Revolution des Bildungswesens, eigentlich auch als ihre Chance wahrnehmen können, nämlich indem sie sich auf eine Rollenbereinigung eingelassen hätten. Von den mehreren, untereinander im Konflikt stehenden Aufgaben ihres Berufs hätten sie mit Gewinn einige an den Computer abgeben können, um sich auf wesentliche Bereiche zu konzentrieren:
Informationsvermittlung zum Beispiel -- das kann der Computer, einmal ausreichend entwickelt und vernetzt, graphisch und akustisch gereift, einfach besser. Die besten Didaktiker hätten sich auf die Entwicklung von modellhaften, interaktiven Lernumwelten konzentrieren können, die pädagogischen Psychologen auf das Verstehen der zwischen Lernenden und Umwelten entstehenden Austauschprozesse und ihrer Folgen.Leistungsbewertung zum Beispiel -- die Welt selber, auch eine Computermodellwelt, ist der optimale Bewerter. Statt Noten auszuteilen, verweist sie über die Konsequenzen des Handelns auf dessen Folgen und Sinn und steuert so jedes Lernen ungleich gründlicher als der abstrakte Vergleich von gesetztem Lernziel und Lernzielerfüllung oder der eklige, obwohl unumgängliche Vergleich mit den Kameraden.
Entwicklungsbegleitung zum Beispiel -- nein, das kann nur der Mensch! Der Lehrer oder die Lehrerin, von der Stoffvermittlung und von der Lernfortschrittsbewertung befreit, hätte sich dem Kind zuwenden können, und das Kind hätte sich der Lehrerin oder dem Lehrer zuwenden können. Beide gemeinsam hätten aus der Stärke ihres gegenseitigen Vertrauens heraus zum gesamten Stoff ein neues Verhältnis gewinnen können: einen selbstverständlichen Abstand vom Stoff, ein gemeinsam verabredetes Eingehen auf den Stoff. Befreit vom Zwang zur Koalition des Lehrers mit dem Stoff, die sich nur allzu oft gegen das Kind richtet, hätte das Lernen wieder ein Träger von persönlicher und gemeinschaftlicher Entwicklung werden können, anstatt ein zweifelhaftes Instrument der Lebenschancenzuteilung, das nur zu oft falsche Hoffnungen vorgaukelt und zugleich eigentlichen Lebenschancen imWege steht. Wie wunderbar leicht lernen doch kleine Kinder, lustvoll auf Neues gierig, wenn sie vertrauensvoll von der Mutter oder Andern begleitet ihre Entdeckungsreise in die Welt antreten! Und wie bereichernd ist es für Kinder, immer wieder vorübergehend in die Lehrerrolle zu schlüpfen -- lehrend lernt man am besten -- für andere, die etwas noch nicht ganz begreifen und bewältigen, bei erträglichem Wissensvorsprung aus der Sicht der Belehrten!
Mein Traum vom Computer als Kartellbrecher des Schulwesens war aber natürlich rasch ausgeträumt. Sie könnten einwenden, mein Traum sei naiv gewesen: ich stimme zu, obwohl -- was wäre das Leben in dieser Gesellschaft ohne Utopie? Und ich hätte wohl den Computer gewaltig überschätzt: diesen Einwand nehme ich ernst; nicht weil er mich trifft, sondern weil, wer so spricht, den Computer unterschätzt. Davon später mehr.
Auf das Risiko hin, dass Sie mich nachher nicht mehr ernst nehmen, musste ich aber von meinen Utopien wenigstens reden; in der Hoffnung auch, dass nach der verpassten Revolution wenigstens im Spielraum, den der einzelne Lehrer hat, mit Hilfe der Informatik die Lehrer-Schüler-Beziehung interessanter wird, wenn der Stoff und die Bewertung nicht mehr so unbedingt dazwischenstehen.
Was für Lehrer braucht / brauchen was für eine Informatik?
Widmen wir uns der Situation heute und in Zukunft. Die Schule hat, wie gesagt, Computer eingekauft -- oder sollte ich sagen, sie wurde und wird vom Computer aufgekauft? Auch die alte Koalition der Wirtschaft mit der Schule spielt. Die kurze Epoche der Polarisierung der Gesellschaft durch den Computer geht ihrem Ende zu. Sich gegen den Computer sträuben, ist genau so sinnlos, wie sich ihm ergeben.Wie können wir nun das beste aus der Situation machen?
So wie es gelaufen ist, brauchen die neuen Techniken natürlich Lehrer. Sie brauchen -- das ist der rote Faden meines Nachdenkens -- im Interesse der Menschen solche Lehrer, welche sich nicht von den neuen Informations-Techniken vereinnahmen lassen. Menschen, welche in der Art und Weise, wie sie mit Informatik umgehen, erkennen lassen, dass sie sich mit Kenntnis und Überblick über die Sache nicht begnügen, sondern Durchblick haben.
Die Sprache, in der die NIT daherkommen, verdient Beachtung. Die beiden Tagungstitelsätzchen repräsentieren Grundstrukturen unseres gängigen, abendländischen Weltbildes; sie kommen mir wie ein Schlaglicht auf unsere Zivilisation vor, dies je für sich und in ihrer Verbindung.
(1) Die sprachliche Struktur jedes Sätzchens ist: Subjekt und Objekt -- so ist die Welt eingeteilt, unsere Sprache kann eigentlich gar nicht anders: Lehrer gegen Techniken; Lehrer gegen Schüler; Schüler gegen Lehrer; wir, ich gegen alles andere.(2) Das Prädikat des Satzes, die gewählte Verbindung von Subjekt und Objekt, ist hier eine Relation des Sollens, der Forderung: "Brauchen" meint: so soll, so muss es sein, ungeachtet dessen was ist, oder dessen was auch sein oder werden könnte.
(3) Das zweite Sätzchen kehrt das erste um; das vorige Objekt wird zum Subjekt, das vorige Subjekt dann notwendig zum Objekt. Was in der Welt nicht geht, nämlich dass Dinge, Werkzeuge, Techniken handeln, schafft die Sprache spielend; und wir glauben es der Sprache, und lassen uns behandeln und ge- und verbrauchen von den Dingen, Werkzeugen, Techniken. (Am Mensch-Umwelt-Bezug allgemein interessierte Leser seien auf Lang 1988 hingewiesen.)
Die Kommission, die den Titel formuliert hat, möge meine Analyse verzeihen. Doch bin ich den Kollegen dankbar für ihre erhellende Sprache, die mich herausgefordert hat wie ein Programm, das noch nicht elegant genug ist. Und es ist ja wirklich was dran, an dieser Umkehrung von Subjekt und Objekt, ob erwünscht oder nicht. Als Tatsachenfeststellung mit der banaleren Bedeutung von "brauchen" = verwenden stimmen beide Sätzchen. Meint man sie als Sollensforderungen, muss man jedoch doppelt fragen:
Was für Lehrer braucht die Informatik? Und was für eine Informatik brauchen die Lehrer? Was ist, kann, möchte, bewirkt, soll, darf... die Informatik? Und welche Rolle können, sollen, dürfen, müssen, wollen (!)... Lehrer dabei spielen? Für unser Nachdenken möchte ich vorschlagen, das "Brauchen" als Sollen zunächst zurückstellen; um etwas unbehinderter verstehen zu können.
Die Mensch-Computer-Beziehung oder "Schnittstelle" auf drei Ebenen
Ich habe mein Nachdenken über Mensch und Computer unter das unscheinbare Wort "Beziehung" gestellt. Manchmal spreche ich auch von "Partnerschaft", was ja ein exemplarischer Fall von Beziehung ist. Partnerschaften zeichnen sich aus durch eine gewisse Symmetrie der Beziehung; das schliesst Verschiedenheit der Partner nicht aus. Partnerschaften missversteht man jedoch, wenn man nur vom einen Beziehungspartner her schaut; jeder Partner für sich genommen ist unvollständig. Man muss eine dritte Position einzunehmen versuchen, jeden Blickpunkt relativieren, die Perspektive wechseln können
Genau das will ich nun weiter tun: die Mensch-Computer-Beziehung als ganze zu verstehen suchen. Haben wir bisher von wirklichen und möglichen Partnerschaften zwischen Lehrer und Informatik und ihrer möglichen Bedeutung für Schüler gesprochen, so möchte ich nun den Blick auf die Beziehung zwischen dem typischen Computer und seinem typischen Benutzer richten. Im Vordergrund steht der sog. persönliche Universalcomputer, der in der Schule dominiert, auf der einen Seite, und ein Mensch wie Du und ich auf der andern. Interessant dürfte besonders die sog. Schnittstelle zwischen Mensch und Computer sein. Denn dort verwirklicht sich die Beziehung konkret, dort sollte ihre Bedeutung am deutlichsten ablesbar sein. Schnittstelle oder Interface (wörtlich "Zwischengesicht") heisst der Träger der Informationsaustauschprozesse zwischen den Partnern. Auch diese sprachliche Bezeichnung ist irreführend. Denn Schnittstellen haben Tiefe: nicht nur wird die darüber fliessende Information darin mehrfach im Trägercode gewandelt, wodurch sie auch im Inhalt nicht unverändert bleibt; die über die Schnittstelle kommunizierte Information stellt zudem stets einen Auszug aus der Gesamtinformation des Senders dar und muss im Empfänger in eigener Form in die schon bestehende Struktur integriert werden.
Ich sehe die Schnittstelle oder Beziehung auf drei Ebenen. Eine so umfassende "Schnittstellen"-Analyse ist in der verfügbaren Zeit nicht systematisch durchführbar; deshalb versuche ich bloss Schlaglichter auf verschiedene ihrer Aspekte zu werfen. Doch ist es wohl gut, die drei Beziehungsebenen in ihrer gegenseitigen Durchdringung stets präsent zu halten. Sicher muss man die drei Ebenen forschungsmethodisch und didaktisch auseinanderhalten; in der Wirklichkeite kommt keine davon je allein vor. Ich erlaube mir ferner, Faktenfeststellungen sowie Deutungen von und Kritik an herkömmlichen Praktiken und erhellende Hinweise auf Alternativen, also wertende Sätze, bunt miteinander zu mischen.
Mikroebene: die ergonomische Schnittstelle oder das Hin und Her von Information
Hier geht es um die Eigenschaften der Oberflächen der beiden Partner, in erster Linie Bildschirm und Tastatur auf der einen, Auge und Hand auf der andern Seite. Der Hardware-Ergonomie der Gestaltung, Aufstellung, Funktionalisierung dieser Gebilde geht die sogenannte Software-Ergonomie, Software-Psychologie oder die "Human Factors in Computing" zur Seite. Thematisiert werden hier beispielsweise Formen und Anordnungen von Material auf dem Bildschirm präsentierter Information und die vom Benutzer verlangten Verhaltensweisen. Es ist sicher in beiden Bereichen in den vergangen Jahren sehr viel Geschicktes zur Optimalisierung der Schnittstelle geschehen. Der gängige (und wiederum sprachlich fragwürdige) Ausdruck der Benützerfreundlichkeit sollte aber nicht vergessen machen, dass eigentliche Bewertungskriterien für diese so genannte bessere Anpassung des Computers an den Menschen nach wie vor fehlen, von ein paar Selbstverständlichkeiten bezüglich Variablen wie Flimmerfrequenz, Schriftbildlesbarkeit u.dgl. einmal abgesehen. Sicher darf die oft angezielte Maximierung der Bearbeitungsgeschwindigkeit nicht ein umfassendes Kriterium sein. Bei andern Aspekten wie zB der Blendfreiheit sind zwar die Probleme erkannt, ihre Umsetzung in die Praxis am Aufstellungsort der Geräte ist aber immer noch weitgehend im Argen. Und überdies lässt der um die Anpassung des Computers an den Menschen entstandene Rummel heute wieder wie einst und zum Schaden des Benutzers übersehen, dass nach wie vor der Löwenanteil der Anpassung nicht vom Konstrukteur des Computers sondern von seinem Benutzer verlangt und von diesem wohl oder übel geleistet wird.
Mesoebene: die mentale Schnittstelle oder die beidseitigen Hintergründe der Partner
Die Ergonomie droht auch abzulenken von den Tiefenstrukturen der Schnittstelle auf beiden Seiten. Ich werde in meinen weiteren Ausführungen in erster Linie klar zu machen versuchen, dass Information im Teilsystem Mensch und im Teilsystem Computer auf unterschiedliche Träger oder Codes angewiesen ist und daher auch unterschiedliche Formen und Inhalte aufweist. Mit dem aus seiner üblichen Bedeutung ausgeweiteten Begriff der Mentalität möchte ich auf dieser Ebene auf Kontraste und auch auf die daraus resultierende Dialektik an der Schnittstelle aufmerksam machen. Der Satz: Das eigentliche Bild ist nicht auf dem Bildschirm, sondern im Kopf des Benutzers, ist eine Einsicht, an die sich vermehrt Analysen der impliziten Annahmen anschliessen sollten, welche der Computerbenutzer über das Geschehen im Computer und welche der Computerkonstrukteur und insbesondere der Programmierer über das Geschehen im Kopf des Benutzers unvermeidlicherweise machen. Die Intelligenz des Computers ist eben nicht die Intelligenz des Menschen.
Makroebene: die kulturelle Schnittstelle oder die Intensivierung des sozialen Verbands
Die kulturelle Schnittstelle schliesslich bezieht sich auf etwas, was seit einiger Zeit als die gesellschaftliche Dimension der Informatik durchaus intensiv und kontrovers diskutiert wird. Es geht konkret um die Folgen, welche die Einführung der Computerei für das menschliche Zusammenleben auf kurze und weitere Sicht zeitigen wird. Wieder wäre mir lieber, wenn die sinnleeren Schwarz-Weiss-Polarisierungen (zB Frisst oder schafft die Informatik Arbeitsplätze?) von differenzierteren und kulturgeschichtlich fundierten Analysen abgelöst oder wenigstens komplementiert würden (zB was für Arbeitsvorgänge verändern oder schaffen diese neuen Maschinen?). Betrachtungen über gesellschaftliche Funktionen der Informatik kann ich aber hier aus Zeitgründen nur andeuten.
Damit kann ich meine nun schon vorbereitete zentrale These formulieren und erläutern.
Bei den neuen Informationstechniken darf man nicht die Technik für sich sehen. Ein Computer ist ein wertloser Klumpen Plastic, Kupfer und Silikon; als Bestandteil eines Systems Mensch-Computer ist er jedoch ein aussergewöhnliches Produkt und Instrument der kulturellen Evolution des Menschen auf der Basis seiner biologischen Evolution.
Erläuterungen zum Systemcharakter von Benutzer und Computer
Den Computer kann man als ein Objekt sehen, vom Menschen gemacht und daher im Belieben des Menschen. Mit diesem engen Blick wird man ihn missverstehen. Auch das Rad ist so ein Objekt. In Verbindung mit menschlichen Aktivitäten ist es weit mehr: aus dem Karren zum Gütertransport sind umfassende gesellschaftliche Vernetzungssysteme geworden: die Räder an den Fahrzeugen haben dann Strassen, Städte, Nationen hervorgebracht, die Räder in den Uhren und den Maschinen haben die arbeitsteilige Industriegesellschaft ermöglicht, haben Fabriken erzeugt, die Städte zerstückelt und das Land zersiedelt. Von der Töpferscheibe bis zur Werkzeugmaschine haben Räder zusammen mit Menschen eine unglaubliche Dynamik entfaltet. Alle diese Räder und was an ihnen hängt, sind längst nicht mehr im Belieben des Menschen, der sie brauchen oder nicht brauchen, oder der sie lieber auf eine andere als die von ihnen erzwungene Weise gebrauchen möchte.
Der Ausdruck "Technologie", Informationstechnologie, ist auch noch nahe beim Objekt, beim instrumentell gedachten Objekt: eim verallgemeinertes Werkzeug, das in unserer Hand ist, nach unserem Belieben eingesetzt werden kann. Darin, dass der Ausdruck sprachlich monströs ist, drückt sich vielleicht unser diesbezüglich schlechtes Gefühl aus: Gemeint ist ja einfach eine allgemeine Technik, ein praktischer Vollzug von Ideen zu Zwecken. "Technologie" wäre wörtlich die Lehre, unser Verständnis von Technik. Ich denke nicht dass wir ein solches in ausreichender Tiefe haben; der Ausdruck lügt. Wir sollten im Auge behalten, dass wir vom Computer im günstigen Fall etwa so viel oder wenig verstehen, wie die Römer vom Rad: eine nützliche Transporttechnik, noch kaum Kenntnis von ihrer Wirkung als eine gesellschaftliche Kraft.
Der Ausdruck Informatik ist von allen üblichen derjenige, der am meisten auf die Mensch-Maschine-Einheit bezugnimmt. Wenn er nicht so abstrakt wäre, könnte er darauf verweisen, dass es um ein System mit Teilsystemen geht, zwischen denen ein Informationsfluss besteht. Die Teilsysteme sind zunächst der Computer und der Mensch; beide sind ihrerseits in Subsysteme differenzierbar. Die beiden Teilsysteme können wir als materiell-energetische Gebilde betrachten, deren Zustand sich raum-zeitlich von Zeitpunkt zu Zeitpunkt verändert, und deren primären Sinn wir darin erblicken, dass sie auf Informationsverarbeitung angelegt sind.
Unter Information verstehe ich mögliche Zustände, dh die systematische Zustandsvariation eines Gebildes, sofern diese für ein anderes Gebilde etwas bedeutet (zB für andere Teile eines gemeinsamen Systems, seien sie Super-, Neben- oder Subsysteme). Der Informationsfluss vom einen zum anderen Gebilde bewirkt im empfangenden Gebilde eine Veränderung derart, dass der bisherige Zustand des empfangenden Gebildes kombiniert mit der vom sendenden hereinkommenden Information einen neuen Zustand hervorruft. (Es wird häufig zwischen kommunikativer Information (zwischen Systemen) und signifikativer Information (eines Systems für sich) unterschieden; das ist nur sinnvoll, wenn man nicht übersieht, dass auch Signifikation nur für einen Betrachter zustandekommt. Die Bits und Bytes im Computer-Memory allein sind nicht für sich schon Information, sondern bloss ein Informationspotential für andere Gebilde.)
Die Psychologie beschäftigt sich allgemein mit dem Informationsaustausch von lebenden Gebilden mit ihrer Umgebung (so meine etwas ungewöhnliche Definiton dieses Faches). Das ist analog dem Interesse der Biologie für den Stoffwechsel und Energieaustausch von lebenden Gebilden mit ihrer Umgebung. Die beiden Vorgänge sind nicht ganz voneinander zu trennen, weil ja die Information, wenn sie in einem Gebilde als Potential gespeichert ist und wenn sie von Gebilde zu Gebilde fliesst, stets einen materiell-energetischen Träger braucht.
So gesehen ist der Mensch ein informationsverarbeitendes System, und es besteht offensichtlich eine Analogie zu den "intelligenten" Maschinen. Und es wäre nun, wenn wir die Schnittstelle oder Beziehung zwischen den beiden "intelligenten" Systemen unter dem Aspekt ihres Informationsaustausches verstehen wollen, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Menschen und Computern zu reden. Bevor ich darauf komme, möchte ich einen kulturgeschichtlichen Hintergrund evozieren.
Die Gegenüberstellung von Mensch und Computer
Ich habe Ihnen jetzt schon einiges von der Gegenüberstellung von Mensch und Computer als Subjekt und Objekt und von ihrem gelegentlich vollzogenen Rollentausch erzählt. Wenn wir von Information und ihrem Fluss sprechen, so bewegen wir uns primär auf der mentalen oder Mesoebene, die allerdings auf der Mikroebene konkretisiert werden muss. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass ergonomisch dieser Gegensatz so plump seinen Ausdruck findet. Wir stellen den Computer zumeist als einen groben Kasten direkt vor uns hin, so dass er unser Gesichtsfeld und unseren Arbeitsplatz fast ganz ausfüllt. Sein "Gesicht", der Bildschirm, von dem wir den Informationsfluss ablesen, muss ja schon gegenüber stehen, das leuchtet funktionell ein; aber er könnte ohne funktionellen Schaden auch so stehen, dass man ihn neben anderen Informationsflüssen freier wählen könnte.
Ich kenne eine Sekretärin, die hat den Schirm ihrer Textmaschine seitlich auf ein ziemlich hohes Gestell plaziert. Sie schaut nur ausnahmesweise hin; weil sie so gut blind schreiben könne, sagt sie. Ich denke, sie versucht gegen beträchtlichen Widerstand des normierten Industrieprodukts und gegen den Konformismusdruck arbeitsbezogener Rituale ihr Verhältnis zum Computer auf eigene Weise zu finden, für sich selbst zu definieren -- vermutlich nicht nur zu ihrem Vorteil.
Noch stärker gilt diese Vereinnahmung des Menschen durch sein selbstgeschaffenes Objekt für die Tastatur, diesen technischen Saurier, den man mit Beifügungen wie Maus und Tablett nur noch monströser gemacht hat. Die Tastatur stiehlt uns den zentralen Teil unseres Pultes, macht ihn für andere Tätigkeiten unbrauchbar, stellt sich platzfüllend vor uns hin, merkwürdige Verhaltensweisen von uns fordernd. Natürlich passt sich, wie immer, der Mensch an; das zum Subjekt gewordene Objekt Computer ist stärker.
Ich will das alles nicht weiter ausführen, möchte aber die Entwicklung von Übungen empfehlen, in denen man mittels Spiel mit unterschiedlichen räumlichen Anordnungen von Mensch und Computer beim Benutzer ein Sensorium für die Mehrschichtigkeit entwickeln, den Sinn für verschiedene Rollenzuteilungen in der Partnerschaft fördern könnte. Eine kecke Idee und Sache ist zB ein Lesepültchen zwischen Tastatur und Bildschirm. Vom Ergonomischen gehen nicht unbeträchtliche Auswirkungen auf das Mentale aus (das war schon immer so); und (ich will nicht übertreiben) ganz ohne Relevanz für das Sozio-Kulturelle ist es auch nicht, wie wir mit diesen Gebilden unsere Welt möblieren. Nichts gegen die technische Optimalisierung der Mensch-Computer-Schnittstelle (zB Streitz 1988, Balzert 1988 u.a.); sie greift mir nur etwas kurz, braucht technikübergreifende Perspektiven.
Soweit meine rudimentären Hinweise gewissermassen auf aktuelle und künftige Geschichten des Computers in unserer Materialkultur. Mich reizt auch eine rückwärtige Betrachtung, und die beginnt wieder auf der mentalen Ebene und weitet sich dann ins Grosse und Kleine aus.
Das Ende des Dualismus oder Descartes' zweifelhafter Triumph
Wenn ich den Ausdruck "Gebilde" als den neutralsten bezüglich der Natur von beobachtbaren Gegebenheiten gewählt habe, so deswegen, weil wir in dieser Hinsicht leicht Vorurteilen verfallen, indem wir etwas bezeichnen, bevor wir verstehen, was es ist. Der Mensch ist lebend, der Computer nicht -- das will ich akzeptieren; der Mensch agiert, der Computer reagiert (wie er programmiert ist) -- da habe ich schon Mühe, so klar geschieden ist das nicht; der Mensch ist ein geistiges Wesen, der Computer ein materielles -- da weiss ich nicht, was das bedeuten soll. Mit Vorurteil weise ich hier auf das abendländische Erbe des ontologischen Dualismus. Mit der Behauptung, alles sei materiell und das Idelle Schein, ist der Dualismus natürlich genau so wenig aus der Welt geschafft wie mit der gegenteiligen Behauptung, das Materielle sei einfach eine Konkretisierung von Ideen.
Um diese Geschichte zugänglicher zu machen, möchte ich sie personalisieren in der fiktiven These, der Computer sei Descartes' wahrer Triumpf. Betrachtet man aber Mensch-Computer-Systeme, so gilt die Antithese, es sei gerade durch den Computer, der seine Methode in so hohem Masse erfülle und vollziehe, Descartes gründlich widerlegt; und mithin sei jetzt gewissermassen das Ende der Neuzeit nahe.
Descartes, der französische Universalgelehrte der ersten Hälfte des 17. Jh. gilt als einer der wichtigsten Begründer des wissenschaftlichen Zeitalters. Er ist nicht nur der Erfinder der analytischen Geometrie, sondern hat mit der Loslösung der Methode (cogito: was denkt, was gedacht wird) von ihrem Gegenstand (sum: was ist) dem Dualismus der Neuzeit wohl den stärksten Impuls gegeben. Was "klar und deutlich" im Geiste (res cogitans) repräsentiert ist, das ist die wahre Erkenntnis von der gefühlten, diffusen, täuschenden Wirklichkeit des Leibes und der materiellen Körper (res extensa). In der analytischen Geometrie schaffte er es, den unzulänglichen, weil bloss anschaulichen Umgang mit der räumlichen Welt in scharfe, rationale Formeln der Algebra umzusetzen: ein Triumph des Geistes über das Materielle, die totale Beherrschung des Materiellen durch das Geistige, eine der Geburtsstunden modernen Machertums. Mit dieser Trennungslogik ist die Entwicklung unseres Wissenschaftensystems und der daran anschliessenden Techniken bzw. Technologien angelegt. Was im Binärsystem abgebildet werden kann, kann auch der binären Logik (dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten) unterzogen werden, wird, wenn die Logik aufgeht, "klar und deutlich" erfasst und handhabbar. Für Descartes müsste der Computer die Erfüllung seiner kühnsten Träume sein. Der Computer, eine Emanation der res cogitans, verkörpert den Gipfel des rationalen Zeitalters.
Bis man den Menschen in die Betrachtung mit einbezieht. Dann zerfällt unmittelbar der Dualismus; denn er führt zu absurden Konsequenzen. Offensichtlich ist der Computer eine Maschine, ein Automat,wie Descartes sagen müsste, da er Tiere als Automaten beschrieb, also das rein Körperliche, nämlich Maschinen ohne den rationalen Geist. Wenn jetzt aber das "Klare und Deutliche" ausgerechnet in und durch eine Maschine zustandekommt, dann kann etwas nicht stimmen mit der Unterscheidung; dann ist entweder der Mensch nichts so besonderes mehr, weil auf einer Stufe mit dem Materiellen, oder das Materielle, Täuschende macht sich auf seine Weise und völlig überraschend geltend.
Es ist in diesem (metaphysischen) Zusammenhang äusserst spannend zu beobachten, wie Computer immer wieder heftige Gefühle, Faszination und existentielle Bedrohung auslösen bei Menschen, die sich ungesichert durch Routine auf sie einlassen (vgl. etwa die Beispiele bei Volpert 1985, Rosemann 1986 oder Faulstich & Faulstich-Wieland 1988). Die amerikanische Ethnologin Sherry Turkle (1984) hat besonders aufschlussreiche Beobachtungen und Befragungen von Kindern aller Altersstufen dazu vorgelegt. Offenbar fordert der Computer als ein "evokatorisches" (Turkle 1984) oder magisches Objekt (vgl. Boesch 1983) im unbefangenen Benutzer massive metaphysische Auseinandersetzungen heraus, die genau mit dem traditionellen Dualismus bzw. dem daraus hervorgegangenen seichten Materialismus unseres gängigen Weltbildes konfrontiert sind und damit zu Rande kommen müssen
Turkle hat bei Kindern und Erwachsenen typische Entwicklungsstufen dieser Auseinandersetzung unterschieden. Zunächst werden der Maschine menschliche Eigenschaften zugeschrieben; dann beginnt aber der Mensch rasch, über sich selbst nachzudenken, und zwar bevorzugt in Termini der Maschine (ich komme auf die Computer-Metapher als psychologische Theorie noch zu sprechen). Nach dieser Anthropomorphisierung der Maschine und dieser Mechanomorphisierung des Menschen (Caporael 1987), die beide genau dem dualistischen Denkschema verhaftet sind, folgt im günstigen Fall die Relativierung von beidem. Der Mensch befreit sich von der subjektzentrierten wie von der objektzentrierten Sicht der Welt; er sieht dann ein, dass beide Sichten nicht Welteigenschaften sind, sondern bloss Ergebnisse von Wechselwirkung im System Mensch und Maschine (vgl. auch Lang 1988).
Dass man Kinder und Erwachsene bei diesem Stufengang behutsam unterstützen sollte, scheint mir eine wichtige Aufgabe des Informatiklehrers. Das braucht nicht so abstrakt-philosphisch vor sich zu gehen, wie ich es hier beschreibe. Die metaphysischen Abenteuer von Vor- und Grundschulkindern, wie sie Turkle berichtet, sie sind oft spannender als ein Kriminalroman; und sie sind nicht nur stellvertretend existentiell.
Es ist auch nicht nur ein individueller Einsichtsprozess, der hier sichtbar wird, sondern ein allgemeiner Vorgang der Erkenntnisgewinnung über die Erkenntnismittel, bei der die Informatik Geburtshelfer spielt. Ich kann noch einmal an Descartes anknüpfen. In der Tat ist der Computer einsame Spitze im Rationalmachen von sonst nicht bewältigbaren Zuständen und Vorgängen. Wenn das Programm stehen bleibt, dann stimmt etwas nicht mit der Theorie bzw. dem die Theorie verkörpernden Algorithmus. Descartes müsste begeistert gewesen sein über so viel "Klarheit und Deutlichkeit", falls er den Schock über die Materialisierung der res cogitans rasch überwunden hätte.
Das stimmt aber wieder nur, wenn man den Computer allein betrachtet. Nimmt man den Menschen dazu, so ist heute schon offensichtlich, dass der Computer immer wichtiger wird als Verfahren zu Anschaulichmachung von komplexen und dynamischen Zusammenhängen. Er erlaubt gewissermassen, die analytische Geometrie auf den Kopf zu stellen: Was äusserst komplex, aber durch gute Theorie klar und deutlich geworden ist, kann nun mit geschickter Modellierung wieder in eine solche Form gebracht werden, dass es menschlichem Denken, nämlich der Intuition, überhaupt zugänglich wird, so zugänglich wird wie der Umgang mit den alltäglichen Dingen. Denken Sie an dynamische Computermodelle von Naturgesetzen wie Ballistik oder von menschgemachten Komplexen wie Industrieanlagen. Und sie können erst noch interaktiv sein, im ausprobierend spielerischen Umgang mit den Modellwelten ist für jedermann und jedefrau zu spüren, nachzuerleben, mit lebensnaher Aufregung durchzumachen, was das abstrakte Gleichungssystem wirklich enthält. Bisher konnten das nur die begabtesten Mathematiker einigermassen; und sie konnten es nicht weitergeben.
Programme zum Abschnurrenlassen oder der kreative Dialog mit einer Programmstruktur
Die Überwindung dieser Dualismen von Materie und Geist, von Denken und Fühlen, von Subjekt und Objekt hin zu einer konstruktiven Dialektik zwischen beiden möchte ich noch anhand eines ebenfalls der Didaktik näherkommenden Vorgangs verdeutlichen. Ich meine den Unterschied zwischen dem Ablaufenlassen eines Programms und dem kreativenDialog mit einer Programmstruktur.
Informatik ist eine Chance, auf normative Setzungen verzichten oder sie jedenfalls abschwächen zu können, weil die Informationsstruktur einer im Computer modellierten Sache ähnlich wie eine zugängliche Wirklichkeit selber erklärt, ob sie funktioniert oder nicht. Vergleichen Sie dies mit Unterricht in Grammatik von Sprachen beispielsweise: hier muss per Konvention eine Norm festgelegt und ihr Erwerb und ihre Einhaltung durch den Schüler vom Lehrer überprüft werden; auch dann, wenn der Lehrende diese Norm längst in Frage stellt. Auswendiglernen(lassen) der Norm ist der für beide Beteiligten naheliegende "Ausweg", über dessen Absurdität die meisten Beteiligten sich einig sind.
Man kann natürlich auch in der Informatik Programmziele normieren und Algorithmen zum Abschnurrenlassen herstellen. Aber ähnlich wie beim kreativen Umgang mit Sprache (ob Texte oder grammatische Sichten darauf) ist gute Software wie ein Gebirge, in dem jedes geglückte Wegstück mehr ist als ein erreichtes Ziel, nämlich auch die Eröffnung neuer Sichten und neuer Wege, neuer Möglichkeiten und Herausforderungen; und man kommt um das Herausgefordertsein, Abwägen und Wählen gar nicht herum. Beim Programmieren ist das wohl am ausgeprägtesten der Fall. Es ist bedauerlich, dass der Ausdruck "Hacker" seinen ursprünglichen Pioniersinn so rasch einem Widersinn hat lassen müssen.
Aber es gibt durchaus auch spezielle und universellere Standard-Applikationen in bestimmten Sachbereichen, die durchaus mit dem Programmieren verglichen werden können, die manchmal widerständige, manchmal anregende Partner sind für Dialoge im beschriebenen Sinn. Ich möchte solche Strukturen im technischen Sinn als offene Informatik bezeichnen. Dabei denke ich an manche Grafikprogramme, an Modellsimulationen, sogar an kreativ betriebene Tabellenkalkulation oder Textbearbeitung; gerade im Umgang mit dem Wort scheint sich Einiges anzubahnen, was wir noch schlecht absehen können. Leider erfüllt Spiel-Software solche Kriterien heute noch selten. Mir scheint, dass Informatikunterricht darauf hin angelegt werden kann und soll, den Benutzer für die kreativen Angebote des Computerpartners zu sensibilisieren.
Von der Computermetapher als Menschenbild
Nun habe ich Manches über die Gegenüberstellung der beiden Teilsysteme und ihre mögliche Relativierung gesagt, und es wird Zeit, dass ich auf die Teilsysteme selber inhaltlich eingehe. Will man eine Beziehung verstehen, muss man sich auch den Partnern widmen, jeden für sich kennenlernen und sie dann vergleichen, den einen auf dem Hintergrund des andern, und beide auf einem gemeinsamen "neutralen" Hintergrund. Das will ich nun ansatzweise tun. Und ich stosse dabei auf, wie mir scheint, Missverständnisse und Entwicklungen, die zu denken geben. Deren Bearbeitung, so glaube ich, gehört ebenfalls in ein didaktisches Programm zum Erwerb von Durchblick durch Informatik.
Was ist ein Computer?
Wir wissen recht gut, was ein Computer ist. Dies deshalb, weil der Computer von Menschen entworfen und gebaut wurde.
Ich brauche das hier nicht zu erklären, doch sind wohl Hinweis zur Sicherung gemeinsamen Sprachgebrauchs am Platz: mit Computer meine ich eine von Neumann-Konkretisierung der allgemeinen Turing-Maschine. Auf die sogenannten Neuronal-Computer will ich hier nicht eintreten, weil mir noch nicht klar ist, ob sie wirklich anders sind; derzeit werden sie ja überwiegend auf Digitalcomputern, also Turing-Maschinen, emuliert.
Als wesentliche Merkmale der Turing-Maschine seien die beiden Voraussetzungen genannt:
* Annahme eines unendlichen, aber diskreten Zeichensystems,* Die prinzipielle Möglichkeit der logischen Inbezugsetzung all dieser Zeichen mit allen (mittels Operationen).
Mir schwebt dabei stets das (ich glaube, von Turing stammende) Bild einer unendlich grossen Klopapierrolle vor, die an einem Lese-Vergleichs-Schreib-Apparat entlang vor- und zurückgedreht wird. Das ist anschaulicher als 0 und 1. Mit dem Bild will ich einerseits deutlich machen, dass es sich beim Computer um eine für sich genommen völlig triviale und unvermeidlich eigene Welt handelt, welcher erst dadurch, dass menschliche Kultur sie in bestimmter Weise behandelt, insbesondere auch, ähnlich wie Sex, tabuisiert (vgl. Turkle 1984), zu einem so gewaltigen kulturellen Faszinosum wird. Anderseits veranschaulicht das Bild in aller Deutlichkeit die wesentliche Voraussetzung aller Digitalisierung: die willkürliche Einteilung der Welt in "Coupons".
Die von Neumann-Konkretisierung dieses Prinzips wird als Prozess in Raum und Zeit realisiert, indem:
* ein endlicher Zeichenvorrat im Binärsystem darstellbar gemacht wird (mechanisch, elektronisch, etc),* in jedem Augenblick eine kleine Auswahl A aus diesem Zeichenvorrat in einem Speicher konkretisiert wird (im Bild also n Coupons mit je gerade einem aus k möglichen Zeichen),
* und noch einmal eine kleinste Auswahl aus A in einem Zeitpunkt untereinander so prozessiert werden,
* dass der konkretisierte Zeichenvorrat A zu A'verändert, erweitert oder reduziert wird.
Charakteristisch erscheinen mir:
* die Trennung von Speicherung und Prozess* dennoch die Darstellung von Objektzeichen und Operatorzeichen mit dem gleichen Zeichensatz
* die Tatsache, dass es sich um ein rein syntaktisches System handelt, dh dass Regeln bestehen, wie Zeichen gebildet und transformiert werden, nicht jedoch, was die Zeichen bedeuten (Sie erinnern sich dass die Sprache ebenfalls ein syntaktisches Zeichensystem ist, von dessen Semantik man aber nicht absehen kann -- also vom Umstand, dass die Zeichen Referenten haben, sich auf etwas Nichtsprachliches beziehen --, weil die Syntax allein jeden Text mehrdeutig lassen würde.)
Wenn der Computer mehr als ein in sich geschlossenes Zeichen- oder Glasperlenspiel sein soll, muss man ihm eine Semantik beifügen, dh er muss eine Einrichtung erhalten, durch welche wenigstens einige seiner Zeichen Referenten bekommen, also auf etwas ausserhalb seines konkreten Zeichenschatzes verweisen. Weil er in der Zeit arbeitet, braucht er eine Input- und eine Output-Funktion, an welche ein oder mehrere "Partner" des Computers angeschlossen sind. Ein solcher Partner kann natürlich eine andere Zeichen-Maschine sein; das erweitert allerdings nur die Turingmaschine, bzw. integriert deren beider Syntax zu einer neuen, semantiklosen Supermaschine. Der Computer braucht also einen "semantischen Partner".
Möglicher Partner könnten Sensoren und Effektoren sein, mittels derer der Computer über wechselnde Weltzustände informiert werden und solche beeinflussen kann. Abgesehen davon, dass hinter solchen Zuordnungen natürlich immer ein Mensch steht, interessiert uns hier der Mensch als direkter "semantischer Partner" des Computers. In der Tat verfügt der typische heutige Computer über eine Tastatur als primäre Input-Einrichtung und über Bildschirm oder Drucker als primäre Output-Einrichtung, welche zusammen mit den zugehörigen Treiberprogrammen offenbar in erster Linie dazu gedacht sind, einem Menschen als Benutzer zu ermöglichen, wenigstens einen Teil der Zeichen semantisch zu lesen. Damit sind wir wieder beim Gegenüber, beim andern Systemteil angelangt.
Was ist ein Mensch?
Recht viel schwieriger ist, zu sagen, was ein Mensch ist. Obschon ich ja hier gewissermassen als ein Experte gelten muss, bin ich nicht in der Lage, eine definitive Antwort zu geben. Denn der Mensch ist nicht nach einem rationalen Bauplan gemacht. Es ist deshalb nicht möglich, ihn als Konkretisierung eines allgemeinen Prinzips zu verstehen; hingegen kann man sehr wohl versuchen, auf induktivem Wege aus seiner manifesten Erscheinung Prinzipien zu konstruieren, die dann ähnlich wie ein Bauplan wesentliche Merkmale zusammenfassen. Man darf aber dabei nie vergessen, dass der Mensch und seine Umwelt, seine materielle und ideelle Kultur, nicht nach einer Zielvorstellung hergestellt, sondern Ergebnis evolutionärer Prozesse ohne Ziel sind.
Unter solcherlei Vorsichtswarnungen versuche ich nun, ein paar Züge des Menschen aufzuzeigen, natürlich im Hinblick auf die Betrachtung des Menschen als Computerpartner, auch im Hinblick auf Vergleich mit den beim Computer aufgezeigten Merkmalen. Getreu den Grundsätzen empirischer Wissenschaft konstruiert die Psychologie dieses Bild vom Menschen von aussen her, also öffentlich nachvollziehbar; auch wenn wir uns beim Bilden von Hypothesen ebenfalls von unseren privaten Erlebnissen im Umgang mit uns selbst und mit der Welt inspirieren lassen.
Gebilde in Evolution
Zweifellos ist der Mensch ein Regeln folgendes Gebilde; und zwar ein Gebilde, das nicht nur in der Zeit existiert, sondern sich in der Zeit auch wandelt. Wir können uns demgemäss ein grobes und lückenhaftes Bild seiner Entstehung im Rahmen der kosmischen, biologischen und kulturellen Evolution machen; hingegen wissen wir nichts Sicheres über seine Zukunft. Und wie bei aller induktivenErkenntnis können wir nie sicher sein, dass unser Bild vollständig ist, alles Wesentlich erfasst. Jederzeit können bisher von uns unerkannte Eigenschaften zum Vorschein kommen, oder es können beim Menschen selbst neue Eigenschaften überhaupt erst herausentwickelt werden, die uns zu einer Revision unseres Bildes nötigen müssten.
Computer sind, das sollten wir auch nie vergessen, nichts anderes als Hervorbringungen der kulturellen Evolution von Menschengruppen, aufbauend auf den relativ stabilen physischen und biologischen Eigenschaften dieser Menschen und ihrer Umwelt.
Pluralismus im Menschenbild und Rekursivität im Gebilde
Die Bilder die wir uns vom Menschen machen, sind sehr vielfältig, nämlich verschieden voneinander, je nach dem, was für Aspekte wir an seiner Erscheinung herausgreifen und welche seiner manifesten oder erschlossenen Eigenschaften wir für zentral und welche wir für akzidentell betrachten. Mit dem Pluralismus anthropologischer oder psychologischer Erkenntnis haben wir zu leben. Ausschliesslich naturwissenschaftlich gebildeten Menschen scheint das oft unangenehm, ja unerträglich; manche tendieren dazu, es zu verleugnen.
Die Schwierigkeiten reichen aber noch weiter: der Umgang mit dem Menschen ist immer potentiell rekursiv: über den Menschen gewonnene Erkenntnis besitzt ein Potential, gerade den Menschen zu ändern, indem er diese Erkenntnis zur Kenntnis nimmt und entweder mehr oder weniger danach handelt oder sich weigert, danach zu handeln.
Der Computer ist ein besonders überzeugendes Beispiel rekursiver Entwicklung, wie Douglas R. Hofstadter in seinem Gödel - Escher - Bach so schön gezeigt hat. Dies aus zwei Gründen: (a) weil Computer die Modellierung rekursiver Prozesse so eindrücklich aufzeigen können, und (b) weil der Computer selbst, da von Menschen gemacht, Erkenntnis über Menschen darstellt, welche dann Menschen verändern kann.
Ein informationsverarbeitendes System
Eine heute in weiten Teilen der Psychologie dominierende Auffassung des Menschen ist die eines informationsverarbeitenden Systems (einen aktuellen Zugang zu dieser Auffassung vermitteln u.a. Mandl & Spada 1988). In der Tat ist nicht zu verkennen, dass wir mit den Sinnesteilsystemen Information über die Umwelt aufnehmen und auf dem Weg über Drüsen- und Muskeltätigkeiten Information an die umgebende Welt abgeben. Dadurch bewirken wir vorübergehende oder überdauernde Veränderungen im raumzeitlichen Muster der Verteilung von Materie und Energie, welche zB für uns selbst oder für andere Menschen und Lebewesen wiederum etwas bedeuten können (vgl. meinen Informationsbegriff weiter oben in den "Erläuterungen zum Systemcharakter"). Ich verweise beispielhalber auf Verhalten wie Körpergeruch (die Drüsen), Lokomotion (Änderung des Bezugs zur Welt), Gesichts- und Handverformungen (Mimik, Gestik), Schallerzeugung (Sprechen, Singen) oder Umweltgestaltung (Herstellen von Dingen, Häusern, Städten, Texten, Bildern, Maschinen, Computern etc.).
Von zentraler Bedeutung ist dabei auch das Konstrukt eines Speicherteilsystems oder Gedächtnisses, in welchem, vorgeformt durch die Erfahrungsakkumulation in der Stammesgeschichte, alle oder viele Erfahrungen eines Menschen in Form von Repräsentanten niedergelegt, geordnet, systematisert, verknüpft, transformiert, restrukturiert,... werden, derart, dass für das Verhalten des Systems dann mehr als der unmittelbare Informationsinput relevant wird, nämlich auch Erfahrungen aus der Vergangenheit und sogar Möglichkeiten der Zukunft.
Wie vergleichen sich Mensch und Computer?
So gesehen hat der Mensch einen ähnlichen Aufbau wie der Computer, ist der Mensch sicher auch ein Zeichensystem, das in Raum und Zeit als ein Prozess realisiert wird, welcher syntaktischen Regeln folgt. Unter Klarstellung, dass es mir nicht um die als solche sinnleere Frage geht, ob Mensch und Computer gleich oder verschieden sind, möchte ich jetzt einmal die erwähnte Gemeinsamkeit weiterverfolgen und aber auf einige interessante Unterschiede hinweisen.
Der Mensch ist ein semantisches System, ...
Im Unterschied zum Computer ist beim informationsverarbeitenden System Mensch die Semantik nämlich immer schon mit dabei, dh die Zuordnungen von Zeichen und Referenten oder die Bedeutungen sind nicht beliebig und willkürlich wie im Computer, sondern jeder konkrete (zB neurophysiologisch oder biochemisch realisierte) Informationsträgerprozess "weiss" gewissermassen um die von ihm getragene Information, ist also - wie der Computerwissenschaftler sagen würde - für die getragene Information nicht transparent. Wir sprechen im modernen Jargon von informationsspezifischen "Kanälen"; eine frühe Formulierung (1820, Johannes von Müller) sprach vom "Gesetz der spezifischen Sinnesenergie". Beispiel: Wir sehen, egal, ob wir das Auge mit Licht oder mechanischer oder den Sehnerv mit elektrischer Energie reizen. Wenn wir anatomisch den Sehnerv aufs Hörzentrum und den Hörnerv aufs Sehzentrum umleiten könnten, würden wir den Blitz hören und den Donner sehen. Ich muss beifügen, dass wir darüber einigermassen genau nur im relativ peripheren Bereich Bescheid wissen; eines der allergrössten, bisher ungelösten Welträtsel ist die Natur der informationsverarbeitenden Code (also wie Information in der Nerventätigkeit encodiert ist) und insbesondere die Natur des Gedächtnisträgers - ich komme gleich darauf zurück.
Im Computer ist alle qualitativ oder quantitativ unterschiedliche Information in völlig gleicher Weise im Binärsystem encodiert. Um noch einmal das Bild von der Turing-Maschine aufzunehmen: dort nimmt jeder Coupon jede legale Information auf; beim Menschen ist das sicher nicht der Fall, ja es ist fraglich, ob die Annahme der Existenz von Coupons angemessen ist (bzw. in den Konsequenzen von allzu grober Approximation zwischen Abbildung und Sachverhalt allzu irreführend ist).
Genau das ist wohl eine seiner stärksten Stärken, dass der Computer auf Wunsch des Programmieres Äpfel und Kartoffeln völlig gleich behandelt. (Oder wenn Sie wollen, eine seiner bedenklichsten Schwächen, dass er auf Wunsch des Programmierers oder seines Auftraggebers Kartoffeln und Menschen gleich behandelt!)
... mit selbstaktiven und ineinanderfliessenden Speicher- und Verarbeitungsprozessen, ...
Ähnlich bedeutsam wie der materiell-energetische Stoffwechsel ist für Lebewesen der nicht allerprimitivsten Organisationsstufen was ich oben schon den Informationswechsel oder -austausch mit der Umgebung genannt habe. In beiden Fällen treten nicht nur Assimilationen oder Aneignungen derart auf, dass selektiv Teile oder Aspekte der Umgebung "herausgenommen" und neu, auf die eigene Art zusammengefügt werden, sondern es ist auch in beiden Fällen ein "Puffereffekt" zu beobachten, welcher das Lebewesen ein Stück weit unabhängig von aktuellem Input, von der unmittelbaren Umwelt macht. Das Individuum als Organismus baut Energie- und Stoffreserven auf, um nicht in jeder Hinsicht ständig am "Ernährungsschlauch" hangen zu müssen, sogar Notzeiten überbrücken zu können; und als psychische Organisation äufnet es einen Wissensschatz, "Wissen" hier äusserst allgemein als verfügbare Information verwendet: Knowthat als Wissen wie die Welt ist, und Kowhow als Wissen wie man mit ihr umgehen kann.
Übrigens ist die psychische Organisation genau so "süchtig" nach ihrer Information wie der Organismus nach Nahrung der passenden Art, was darin zum Ausdruck kommt, dass jemand, dem man die Inputkanäle zustopft (man spricht von sensorischer Deprivation), nach wenigen Stunden anfängt "durchzudrehen". Die Kanäle fangen dann an, Input vorgaukeln, zB in Form von Halluzinationen: gespeicherte Information (Erfahrungen), aktuell erzeugte Information (Vorstellungen) und Inputinformation (Wahrnehmungen) gehen dann durcheinander und in (nicht nur) extremen Zuständen ist ihre Unterscheidung nicht mehr möglich. Es handelt sich also beim Menschen um ein höchst selbstaktives Informationsverarbeitungssystem: die gespeicherte Information wartet nicht wie im Computer, bis sie von aktivierten Operatoren abgerufen wird, sondern sie macht sich so und so oft von sich aus geltend. Es wäre wohl sogar angemessen zu sagen, dass die Inputfunktion nicht so sehr das Material für die Speicherung liefert, als dass sie die Eigentätigkeiten des Systems bloss moduliert. Die Belege für eine solche Aussage, kann ich nicht in zwei, drei Sätzen geben; und ein Literaturverweis ist problematisch, weil das eine in der Psychologie, die wie die anderen empirischen Wissenschaften materialistische Vorannahmen macht, noch eher unübliche Auffassung ist. Sicher ist der Computer nicht süchtig, weder nach Energie noch nach Information; dh er unternimmt nichts, wenn ihm der Strom fehlt, noch kommt er ins Zittern, wenn er keine Information erhält oder ausgeben darf. Der Hacker (im alten Sinn des Pioniers, der mit der Holzhackeraxt seinen Westen erobert) muss den Strom einschalten und dem System etwas anbieten, um seine (des Hackers) Informationssucht halbwegs beschwichtigen zu können.
Ich habe vorhin angedeutet, dass wir nicht wissen, wie Information im menschlichen System enkodiert ist; das steht in starkem Gegensatz zum entsprechenden Wissen über die Informationsträger im Computer. Plausiblerweise sind Hirnstrukturen und - mehr noch - Hirnprozesse beteiligt, neuronale Netzwerke (im echten Wortsinn, da ist wieder so ein Etikettenschwindel!) und synaptische Transferprozesse, getragen von biochemischen und elektrophysiologischen Abläufen. Von einigen peripheren Inputprozessen, in den Sinnesorganen wissen wir einigermassen, wie Teile der im Licht oder Schall enkodierten Information in neuronale Entladungsmuster umgesetzt werden; nachher, weiter zentral, ist es sehr dunkel. Wie ein Informationskomplex zusammenbleibt oder aufgeteilt wird, wissen wir nicht (vieles spricht für erstaunliche Aufbröselung der Trägerprozesse über weite Hirnbereiche bei gleichzeitig gesteigerter Zusammenhangsstiftung der Information). Ebenfalls nichts Sicheres wissen wir über seine Speicherung. Werden überdauernde Strukturen aufgebaut, analog den DNA-Ketten im genetischen Speicher der Zelle, und später wieder abgelesen (das Turing-von-Neumann-Computermodell mit seinen Schubladenstöcken lässt grüssen)? Oder werden Prozesse im Sinne von Fliessgleichgewichten gebildet und als standing patterns bei geeigneten Bedingungen gleich oder ähnlich rekonstruiert, zB auf dem Weg über veränderte Synapsen-Kennwerte (wie dies in "Neuronal-Network-Computers" zu emulieren versucht wird)? Man vergleiche Matthies 1986 zum aktuellen Kenntnisstand. Und noch weniger (das ist hier die Steigerung von "nichts") wissen wir um die schliessliche Übersetzung der Information in Verhaltensmuster oder in Erlebnismuster.
Funktionelle Aussagen darüber, unter welchen Voraussetzungen diese Prozesse was für Leistungen vollbringen, sind natürlich viele möglich, und wir verfügen über einen grossen Schatz solcher Aussagen faktischer wie hypothetischer Art (vgl. Mandl & Spada 1988). Die Schwierigkeit mit ihnen ist jedoch, dass wir sie nicht elegant auf einen Nenner bringen können. Unter all jenen, die mir unter dem hier interessierenden Gesichtspunkt relevant scheinen, will ich eine Hypothese herausgreifen, die einen wichtigen Unterschied zwischen Mensch und Computer auf ein Schlagwort bringt: Information ist im Computer ortsadressiert, im Menschen scheint sie inhaltsadressiert.
... inhaltsadressiert (Affinität), nicht ortsadressiert (Zusatzcode), ...
Einer RAM- oder Disk-Adresse ist egal, was ihr Inhalt ist; das hat zur Folge, dass ihr Inhalt für einen Abrufoperator verloren ist, wenn dieser ihre Adresse nicht bekommen kann. In der psychischen Organisation scheinen die Informationen aufgrund der verschiedenen Affinitäten ihrer Inhalte und ihrer Form zugreifbar zu sein (wie gesagt, wissen wir nicht ob sie auch so organisiert sind). Zwei oder viele Erfahrungen ähnlichen Inhalts bilden wohl einen "Klumpen", ja zugleich viele, aber aufeinander bezogene Klumpen, nämlich nach allen möglichen und oft auch "unmöglichen" Eigenschaften, welche die Erfahrungsanlässe haben. Und später sind sie dann von fast beliebigen dieser Partialeigenschaften her mehr oder weniger zuverlässig wieder aufgreifbar.
Ähnliches suchen wir in Computerrepräsentationen mittels Relationensystemen ab- oder nachzubilden. Und zwar müssen alle diese Relationen aktiv gebildet und dann ihrerseits gespeichert werden. Obwohl darüber seit einigen Jahren sehr viele Experimente und Theorien gemacht werden, wissen wir nicht, wie dies in der psychischen Organisation vor sich geht. Das umfangreiche Korpus an Untersuchungen und Theorien bezieht sich übrigens fast ausschliesslich auf sprachliches Material; und das ist wohl ein Spezialfall.
Es geht aber noch weiter: in der psychischen Organisation bilden fast alle diese Informationsklumpen nach verschiedenen Gesichtspunkten, man könnte sagen: inter- oder extrapolierte Inhalte aus, welche fast wie Erfahrungen behandelt werden, obwohl sie niemals als solche vorgekommen sind; das sind dann zB Idealtypen, nicht a priori gegebene Relationen mit andern Inhalten, mögliche Erfahrungen; nach Robert Musil hat der Mensch nicht nur einen Wirklichkeitssin, sondern auch einen Möglichkeitssinn. Die psychische Organisation schafft sich, oder besser: ist, durch diese Verwobenheit aller Inhalte ihre eigene Welt, ohne in der Regel den Kontakt mit der umgebenden Welt ganz zu verlieren. Ein Programmierer muss hingegen für alle Inhalte und alle ihre Aspekte Adresslisten führen, alle Relationen eigens stiften und dafür wiederum Adresslisten anlegen - und wehe, wenn ein einziges Bit verloren geht oder zufällig den Wert wechselt! Man muss sich dies drastisch vor Augen führen: wenn Sie die Adresse Ihrer Freundin in Florenz verloren haben, gehen Sie zu einer sinnvollen Abendzeit auf die Piazza; und aus tausenden von promenierenden Damen kennen Sie sie wieder, selbst wenn sie inzwischen ihre Haare gefärbt hat und Hosen trägt.
... aber dennoch mit separaten Operanden- und Operatoren-Repräsentanten, ...
Eine der folgenreichsten "Erfindungen" der modernen Computerpioniere, theoretisch Alan Turing oder John von Neumann, praktisch nach heutigem Wissen erstmals John V. Atanasoff (und nicht Mauchly und Eckert, vgl. Mackintosh 1988), war die Idee, Operanden und Operatoren im gleichen Medium darzustellen, konkret mittels elektronischer oder magnetischer Prägnantzustände im Binärsystem.
Natürlich ist ihre interne Unterscheidbarkeit und Unterscheidung damit nicht aufgehoben, und auch die Tatsache, dass Operatorengruppen ihrerseits in gewissen Zuammenhängen als Daten behandelt werden können (rekursives Programmieren) oder dass Operanden und Operatoren zusammen in gewissen Fällen zu neuen Paketen geschnürt und dann zusammen wie ein Superoperand oder -operator behandelt werden können (object oriented programming) lässt die Trennung auf einer tieferen Ebene bestehen. Obwohl ich nun mit meinen paar Verweisen auf die kognitionspsychologische Literatur den Eindruck erweckt habe, nichts sei sicher, ist eine der stützbaren Aussagen, dass auch in der psychischen Organisation diese Unterscheidung unentbehrlich ist. Sie spiegelt sich elementar in der Logik (Terme und Relationen), in der propositionalen Sprache (Subjekte und Objekte einerseits, Prädikate und Attribute anderseits) und auch im Handeln, wo stets jemand oder etwas handelt oder leidet in Bezug auf etwas oder jemanden. Es dominieren zweifellos im Handeln (und im Denken) die dreistelligen Relationen in der prozeduralen Form, dass etwas durch einen Akt in etwas übergeführt wird. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass ich die Terminologie Operator und Operand gewählt habe; sie ist eben auch in den Computerprozeduren fundamental. Auch das logische Programmieren darf einem ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass Relationen im Computer durch Prozeduren realisiert werden; und möglicherweise gilt dasselbe auch für Netz-Strukturen. Sie sehen: im zweiten Teil meines Vortrags habe ich alles getan, um die Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung in ihrer Übersteigerung mieszumachen; aber niemand kommt aus ohne sie.
Nun muss ich dieser Feststellung einer relativen Gemeinsamkeit von Mensch und Computer aber noch eine Beifügung machen, die wieder auf eine Unterscheidung hinausläuft. Wenn wir feststellen, dass also der aktuelle Zeichenvorrat im Computer eine Menge von Operanden und Operatoren darstellt, wobei die Operatoren bloss selektiv auf ihnen affine Operanden (Datentypen) anwendbar sind und die möglichen Operationen gewissermassen das Relationenpotential aller Operanden untereinander definieren, so trifft das in informationsorientierter Sicht auch auf die psychische Organisation zu. Die Menge der möglichen Operanden und ihrer Relationen untereinander entspricht dann etwa dem, was man das Weltbild, die innere Repräsentation der umgebenden Welt, eines Menschen nennen kann; im Psychologenjargon heisst das auch etwas "die kognitive Struktur".
... sowie mit Identität und Selbstreflexion.
Während nun aber die Operatoren im Computer untereinander nur durch Logik bzw. durch die ihnen zugehörigen Operanden verbunden sind, kommt bei der psychischen Organisation von Mensch und Tier (zumindest der höheren Arten) etwas hinzu: die Gesamtheit der Operatoren (und vielleicht auch der Operanden) sind durch ein integrierendes Prinzip zusammengehalten. Wir erleben dies beispielsweise als "Ich Selbst" oder als Identität, also als die Tatsache, dass wir uns über eine ganze Lebensspanne, trotz vielerlei Wandel in unserem Wissen und Können, mit uns selbst identisch erfahren; oder auch, dass wir in der Regel nicht zulassen, dass wir einmal so und einmal ganz anders handeln, von schwer pathologischen und extrem seltenen Ausnahmen der Persönlichkeitspaltung einmal abgesehen. Auch für einen Dritten erscheinen wir, oder ein Dritter erscheint uns, als über das ganze Leben mit sich identisch; wir erkennen ihn nicht nur trotz vielerlei Wandel wieder, wir hegen auch recht bestimmte Erwartungen bezüglich seines Handelns und können schwer enttäuscht sein, wenn er oder sie diesen Erwartungen nicht gerecht wird. Die Möglichkeit moralischen Handelns und die Verantwortlichkeit haben natürlich damit zu tun.
Und damit verbunden ist vermutlich eine weitere Seltsamkeit psychischer Organisation, wenigstens auf ihren komplexeren Entwicklungsstufen beim Menschen und vielleicht teilweise bei einigen Tierarten: wir erleben das Ich nicht nur als ein uns vereinheitlichendes Prinzip, sondern zugleich als etwas von uns selber Abstand Nehmendes. Voraussetzung dazu ist eine partielle "Verdoppelung" der kognitiven Struktur, die uns erlaubt, uns selber in unserer Umwelt zu denken, zu erleben, uns beim Handeln zuzuschauen, mit uns selbst zu rechnen, usf. Geläufige Namen für jeweils spezielle Aspekte davon sind unter anderen Selbstreflexion, Bewusstsein, Sprache. Ohne das ich das hier ausführen kann, nehme ich an, dass solche Erscheinungen auf Repräsentationen zweiter Ordnung beruhen, dh also auf Repräsentationen von Repräsentationen, die allerdings nicht ein-eindeutig zueinander sind. Eine Folge davon ist die Erfahrung der Freiheit des Handelns.
Kritik der Computermetapher zur Erklärung der psychischen Organisation
Damit habe ich einige Punkte herausgegriffen, nach denen Computer und Menschen unter dem Gesichtspunkt des "information processing" verglichen werden können. Ich möchte nun diesen Gesichtspunkt selbst noch kurz reflektieren. Ich habe angedeutet, dass dieser Gesichtspunkt heute in der Kognitionspsychologie und darüber hinaus dominiert, aber durchaus nicht von allen geteilt wird. Es kommt nicht von ungefähr, dass dieser Gesichtspunkt heute gängig, ja modisch ist: es ist die Computer-Metapher: da wir den Computer so gut verstehen, setzt man ihn als Modell für das noch nicht Verstandene, das Funktionieren des Menschen ein. Ich versuche Ihnen kurz deutlich zu machen, warum ich selber die Computer-Metapher für problematisch halte, dies bei allem Interesse für viele Einzelbefunde, die sie hervorbringt; und ich benutze sie ja auch als eine Redeweise, um leichter über Mensch und Computer und ihre Schnittstelle sprechen zu können.
Mein Haupteinwand betrifft das Zirkularitätsrisiko oder das Fehlen eines unabhängigen tertium comparationis. Kein System kann seine Begründung aus sich selber beziehen; der Computer ist aber eine Hervorbringung des Menschen; also kann man den Menschen nicht aus dem Computer begründen. Etwas banaler gesagt: die information processing Modelle des Menschen stecken hinein, was sie herausbekommen wollen. Sie sind als formale Modelle nützlich, also solche jedoch auch beliebig auf alle Sachverhalte anwendbar und daher deskriptiv sehr praktisch, explikativ aber wertlos. Dumm ist freilich, dass sie uns den Blick verstellen (können) auf Aspekte, die ausserhalb ihres Horizontes liegen. Insbesondere sind vermutlich die Grundannahmen diskreter Informationselemente (die Coupon-Welt) und stets eineindeutiger Relationensystem der psychischen Organisation nicht angemessen.
Vom Potential der Mensch-Computer-Partnerschaft
Nun habe ich Ihnen mit meinem Nachdenken über Mensch und Computer, die Gegenüberstellung, die Ähnlichkeiten, die Gegensätze: eigentlich nur lauter Rohmaterial zum Weiterdenken gegeben. Das war meine Rolle hier, mit dem ausdrücklichen Ziel, wenigstens einige von Ihnen zu verunsichern, indem ich Ihnen Aspekte der Informatik aufzeige, die Sie als Fachleute nicht gewohnt sind.
Ich will ja nicht die technischen Aspekte der Computerei schlecht machen. Ich bekenne gerne, dass ich sie geniesse und kaum mehr ohne sie auskommen könnte. Aber den Gewinn, den mir diese materielle Manifestation menschlicher Kulturtätigkeit in ideeller Hinsicht gebracht hat, nämlich insbesondere das Verständnis der verschiedenen Formen, die Information annehmen kann, und wie sie dabei ihren Charakter ändern kann, usw.: das alles ist mir doch noch recht viel wichtiger geworden. Die Torheit der vielen Psychologen, die sich der Computermetapher als Theorie des Menschen verschrieben haben, ärgert mich, gewiss; doch bin ich ihnen auch dankbar, dass sie mit ihrem Holzweg alternative Sichten herausfordern.
Wenn Sie mich fragen, wie man das in Unterrichtsprogramme umsetzen könnte, dann muss ich sagen: das geht wohl nicht direkt. Es ist eher Hintergrundsverständnis, das jeder und jede, die mit Informatik umgehen, und ganz besonders jede und jeder, die unterrichtend mit Informatik umgehen, einmal und immer wieder zur Kenntnis nehmen sollten. Es müsste eher einfliessen in die Schaffung eines Informatik-Milieus oder -Klimas; in Curricula oder Kursprogrammen eher in Form des berühmten roten Fadens als in Form von abzuhakenden Lehrzielen.
Es geht dabei um die Entwicklung eines ständig wachen Sensoriums dafür, ob man diese rationalen Maschinen einsetzt, um dem sie bedienenden Menschen ein noch einmal zunehmendes Mass an Zwang, die totale Rädchenhaftigkeit in der grossen Maschinerie aufzuerlegen, oder ob diese externen Denkmittel eine Perspektive grösserer Freiheit eröffnen, ob sie unsere Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten, den sog. Handlungsspielraum, eher erweitern als verengen? (Hinter dieser heute sehr aktuellen Frage verbirgt sich allerdings die bange Frage von morgen, ob wir uns eine nicht-rädchenhafte Zivilisation überhaupt noch leisten können werden? Ob wir nicht möglicherweise mit der Preisgabe der Würde der Person dafür bezahlen werden müssen, dass wir wenigstens überleben?) So gesehen hat Informatik das Potential eines Bildungsfaches. Und genau das gehört in die Schule; die Ausbildung in Informatik kann man weitgehend dem Selbststudium und der Arbeitswelt überlassen.
Mich fasziniert, dass eine Übersteigerung eines Aspekts -- ich habe im Anschluss an Descartes von der totalen Rationalität des Binärdenkens gesprochen -- sein Gegenstück herausfordert: dass die Überrationalität im Computer die Freiheit im menschlichen Partner aufzeigt, zu ihrer Nutzung auffordert und den Umgang mit ihr fördert. Die computerunterstützte Schulrevolution der 80er Jahre mag verpasst sein; noch ist aber nichts verloren, wenn ausreichend viele Informatiklehrer ausreichenden Abstand nehmen von ihrem Objekt, von ihrer Technik, während sie sich für sie einsetzen. Und ihr dann in freierer Beziehung begegnen können, und diese Haltung als offene Informatik möglichst vielen Schülern und Schülerinnen weitergeben. Je mehr von dem Intellektuellen, Rationalen, Eindeutigen wir an diese Maschinen delegieren können, ohne uns ihnen zu verkaufen, desto offener werden wir im günstigen Fall für die andere Seite unserer Existenz, für unsere Gefühle, für unsere Beziehungen, für Menschlichkeit.
Erwähnte und zusätzliche neuere Literatur
Der Verfasser dankt seinem Mitarbeiter PD Dr. Urs Fuhrer für wertvolle Beiträge und Hinweise.
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