Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Conference Presentation 1989

Bauen und Wohnen:

Aspekte einer psychologischenTheorie

1989.03

@DwellTheo

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Bearbeitung der Vorlage eines Gastvortrags an der Technischen Universität in Delft, Fakultät für Baukunde, am 7. April 1989. Als Skript im Unterricht benutzt.

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt
 


"Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. (Man kann es nicht bemerken -- weil man es immer vor Augen hat.)"

Ludwig Wittgenstein

 

[Die vorliegende Fassung der Wohnpsychologie ist unterschiedlich ausgearbeitet, teils in Stichworten, teils schon formuliert, ein etwas provisorisches Papier.]

 Inhalt

1. Bauen und Wohnen

1.1 Wozu Sozialwissenschaftler beim Bauen?

Historisch: Fourier und Owen als sozialistische Utopisten wollen eine Architektur für den Menschen. Allerdings wissen sie recht genau, für was für einen Menschen sie bauen wollen, Bauen als Empanzipation: Fourier will den Bau seinem Menschen anpassen, Owen will die in seinem Bauten Wohnenden zu freien Menschen entwickeln; beide mittels Formen des Zusammenlebens, die vom Bau bestimmt werden. Die emanzipatorische Absicht, von einer starken Einflussnahme auf die betroffenen Menschen begleitet, relativiert die Emanzipationsidee weitgehend. CIAM ist in hohem Masse sozialer Dogmatismus. Ähnliches gilt für weite Teile des sozialen Wohnungsbaus überhaupt (das soll nicht von seinen humanitären Erfolgen ablenken, bloss die mit ihm verbundene Wertehierarchie relativieren).

Dem Austoben des internationalen Stils und der grenzenlosen Massentechnik war der Wohnungsbau in den industrialisierten Ländern vor allem nach dem 2. Weltkrieg erlegen. In Holland haben sich die Bürger am frühesten und vor allem an wirksamsten dagen gewehrt und seit den späten 60er Jahren humanere Alternativen verwirklicht. Namen wie Habraken, van Eyck, Hertzberger sind uns dafür symbolisch. Aber richtiger wäre es sicher, nicht nur von Architekten zu sprechen, sondern von Bewegungen, Gruppen, Individuen, Projekten, die eben gerade nicht mit allesbestimmenden Persönlichkeiten charakterisiert werden können.

Wir bewundern diese Entwicklung, versuchen sie besser zu verstehen. Gewiss sind auch im Wohnbereich die Architekten bescheidener geworden sind. Sie beanspruchen nicht mehr, dass sie wissen, was dem Bürger gut tut.

Aber wissen die Bürger, was ihnen gut tut? -- Dies unsere Neugier, das heimliche Lernziel unserere Exkursion. Natürlich ist jetzt keine Antwort darauf möglich. Die Geschichte muss das zeigen.

Hingegen war unser Antwortversuch auf diese Frage als Nichtarchitekten ein anderer: Eine Rolle für den Psychologen. Zu unterschieden vom Soziologen, oder Soziographen, der mit seinen Befragungsmethoden die Architekten anfänglich so fasziniert und dann so enttäuscht hat. In meinem Verständnis ist der Sozialwissenschaftler, der Psychologe ein Rückkoppelungs-"Mikroskop", ein Ersatz für die korrigierende Wirkung langsamer Änderungen der Bautraditionen bei der heutigen explosiv raschen Bauentwicklung .

Er soll nicht sagen, was gut oder falsch ist, sondern zeigen, welche Bauweisen, Wohnformen welche psychosozialen Folgen erwarten lassen. Dies nicht so sehr am Einzelfall als an einem allgemeinen Erklärungsmodell, einer psychologischen Denkweise über Bauen (Arbeitsteilung).

Vgl. das härtere Kriterium des Zoodirektors bei der Fortpflanzung der Tiere im Unterschied zum sehr anpassungsfähigen Menschen; aber nicht nur pathol. Symptome vermeiden, nicht nur kurativ, auch nicht nur präventiv, sondern vor allem konstitutiv. Verstehen, was zwischen Menschen und Bauten passiert, um besser damit umgehen zu können.

 

1.2 Firmitas, utilitas, venustas reichen nicht!

Bezugnahme auf Vitruv, dessen Architekturtheorie nun seit rund 2000 Jahre das Bauen bestimmt hat: firmitas (Festigkeit, Konstruktion), utilitas (Nützlichkeit, Funktion), venustas (Anmut, Ästhetik). Es geht ja hier um konstitutive Kriterien jeden Bauens, welche durch alle stilistischen Variationen in den Zeitläufen hindurch immer bestimmend waren. Daran ändert nichts, dass neuerdings mindere Aspekte hinzugetreten sind, welche vor allem die Variationsmöglichkeiten innerhalb der 3 Kriterien erhöht haben: zB Materialien, Maschinen, Massenherstellung.

Die abendländische Architekturtheorie, von Vitruv angefangen ist eine Theorie von Objekten. Zwar macht der Mensch die Bauten, aber einmal gemacht, sind sie etwas von ihm unabhängig Gegebenes. Ästhetische Objekte, nützliche Objekte, praktische Objekte, mit denen man umgehen kann, wie es einem halt so dient.

Mir fehlt hier etwas. Gebautes sei auch irgendwie ein Agens, eine Art Subjekt, das mit uns umgeht, auf seine Weise. Wir machen Häuser, was machen diese Häuser mit uns? Menschen und Gebautes sind in einem Funktionskreis zu betrachten. Es scheint mir, dass eine Hausform oder eine Stadtstruktur das Leben nachhaltiger bestimmen kann als zB Gesetze.

Das alles ist uns nicht sehr bewusst. Ich glaube deshalb, weil Bauen und Gestalten selbst eine Sprache ist, und zwar eine sehr urtümliche Sprache, vielleicht etwas gleichzeitig, vielleicht sogar in Wechselwirkung mit der gesprochenen Sprache entstanden.. Darum ist es nicht nötig, die Inhalte und die Formen dieser Sprache imBewusstsein abzubilden und in der Sprache zu verdoppeln. Man weiss ja um die grossen Schwierigekeiten vieler Architekten, mir ihren Klienten zu kommunizieren. Darum ist es nicht in die Architekturtheorie des Vitruv und seiner Nachfolger eingedrungen. Aber es scheint ein viertes Prinzip oder Kriterium für das Bauen nötig. Es könnte uns aus den Fesseln der Subjekt-Objekt-Spaltung hinausführen.

 

1.3 Dogma, Populismus oder Theorie als viertes Gütekriterium?

Noch habe ich keinen guten Namen dafür. Sicher hat es etwas zu tun mit Humanitas, mit menschlichem Sinn oder Bedeutung. Ich will hier versuchen, Aspekte meines Spekulierens über dieses Vierte, meinen Ordnungsversuch darzulegen. Vorwegnehmen kann ich, dass dieses Vierte etwas mit den menschlichen Beziehungen zu tun hat, zu den zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch zur Beziehung jedes Menschen mit sich selbst.

Unser Interesse deshalb für die neue. speziell die holländische, Tradition der Bürgerbeteiligung kommt von da her. Die Frage ist aber offen, inwieweit der Bewohner selbst als Kriterium für langfristig sinnvolles Bauen ausreicht (bei aller Achtung für seine Selbstbestimmung!). In Ergänzung der technischen, funktionellen und ästhetischen Kriterien muss eingebracht werden, was die einzelne Generation oder Mode übersehen könnte. Populismus vs. Reflexion als Problem.

Derjenige, der ein Haus bewohnt ("in Gebrauch genommen hat"), versteht tatsächlich mehr davon als derjenige, der es gebaut hat (Idee von Aristoteles, vgl. Eisfeld 1981). Aber die Sorge, dass derjenige, der es ständig braucht, anfängt die Sicht auf das zu verlieren, was das Haus zu einer überindividuellen, auch Zeit und Raum, die Kleingruppe, das Dorf und Städtchen etc. übersteigenden Sache macht. Die These von Eisfeld (1981), dass Leute auch die Stadt selber gestalten können, wenn sie das mit ihrer Wohnung können, ist gut; der Sozialwissenschaftler ist aber nötig für das Erkennbar machen dessen, was nicht unmittelbar wirkt (was in der langsamen Tradition ein Chance hatte, bei der schnellen kaum), doch keinesfalls als Experte, der weiss und sagt, was richtig ist und was nicht.

Wenn Sie wollen habe ich ein ähnliches methodisches Misstrauen gegenüber dem Populismus wie gegenüber dem Dogmatismus des einflussreichen Baukünstlers oder einer Stiltradition. Ich versuche, mithilfe von Theorie diesem Dilemma zu entgehen. Ich hoffe, dass Sie der Theorie ebenfalls zunächst mit Misstrauen begegnen, und gründlich prüfen, ob sie vielleicht ermöglicht, aus dem zu kurz geschlossenen Bewertungskreis hinauszutreten.

 

1.4 Bauen und Wohnen sind zwei Aspekte desselben und sind psychologisch zu verstehende Sachverhalte

Es wäre jetzt auszuholen über eine Seltsamkeit der Psychologie, welche in Übereinstimmung mit dominierendem Menschenbild Stimulus-Reaktionsprozesse zu ihrem Thema gemacht hat. So ists denn auch der übliche Wohnbegriff in der Umweltpsychologie zu einer Sache der Determination des Menschen durch die gebaute Umwelt geworden. Es wird, so gesehen, deutlich, dass die Umweltpsychologie auch nur nachbetet, was in anderen Denkspielen üblich geworden ist. So suchen Umweltpsychologen, analog zum Corbusianischen Denken und zu den Propagansaaktionen der Bau- und Einrichtungsdindustrie, ihre Marktlücke im Aufzeigen des "idealen Heimes". Es soll nicht geleugnet werden, dass solche Prozesse vorkommen; eine andere Frage ist, welche Rolle sie spielen.

Und da möchte ich nun mit allem Nachdruck der Frage nachgehen, wrum sich die Psychologie nicht mit der Tatsache beschäftigt hat, dass wir überhaupt bauen. Warum wir bauen, geht als Frage derjenigen nach den Bedingungen und Wirkungen des Gebauten, und damit des Wohnens voraus. Eine kleine etymologische Betrachtung (etwas weniger beliebig als diejenige Heideggers) macht zwei Dinge deutlich:

a) Wohnen und Bauen gehören untrennbar zusammen, und

b) beides sind eminent psychologische Gegenstände.

Bauen und wohnen haben eine gemeinsame indogermanische Wurzel:

uen = streben, erzeugen, lieben

Deutsche Wörter mit dieser Wurzel sind

wünschen; Wunsch

to wish, to desire; wish, desire

ge-winnen; Ge-winn

to win, to gain; winnings, price, profit

Wonne

happiness, delight, bliss

wähnen; Wahn

to presume; illusion, delusion, folly

ge-wöhnen; Ge-wohnheit

o accustom, to domesticate; habit

gewohnt

accustomed, habituatet, familiar with

ge-wöhnlich

usual, ordinary, common, vulgar

Bauen ist ein Versuch, wohnen zu machen.

Bauen ist der Wunsch, etwas zu gewinnen, nämlich andere Menschen sich gewohnt("familiär") zu machen und ihnen Wonne zu verschaffen; in der Regel ist das gewöhnlich, gelegentlich ein Wahn.

Damit scheinen bauen und wohnen ein psychosozial orientierter Prozess zu sein, nicht einfach die Herstellung und Nutzung von Objekten, genannt Wohnung.

Die Wohnung ist ein Träger psychosozialer Prozesse: wie der Organismus ein Träger der Person, ist die Wohnung das Gefäss der Familie oder einer ähnlichen Gruppe.

Vgl. die Arbeitsdefinitionen von Wohnen und von Familie in Lang 1988:

Familie: " Jene Kleingruppe von wechselseitig miteinander vetrauten Individuen, welche in weitgehender Rollendifferenzierung an einem bestimmten Ort eine verhältnismässig überdauernde, im jeweiligen Alltag aktualisierte und vom übergeordneten Sozialverband relativ separierte, wenn gleich auf ihn bezogene soziale Gruppe bilden." (S. 252)

Wohnen: "Wohnen betrifft jene mensch- und objektbezogene Tätigkeit von Menschen in kleinen und stabilen Gruppen, die örtlich konzetriert und zeitlich repetiert sich von öffentlichen Tätigkeiten abgrenzen" (S. 257)

 Inhalt

2. Warum bauen wir eigentlich?

"Wenn wir Häuser bauen, sprechen und schreiben wir."

Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion. (hrsg. von C. Barrett) Göttingen, 1968, S. 21, Anm 3.

 

2.1 Kleiner Ausflug in die Wahrnehmungslehre

Wahrnehmung ist ein Prozess der Organisation: was in der Welt unverbunden sein kann (natürlich auch schon Verbundenes, aber davon "wissen" die Lichtstrahlen vom Objekt ins Auge nichts), wird in der Wahrnehmung zu einem Ganzen, zu einer differenzierten Gestalt. Von den wichtigeren Gruppierungsprinzipien (Gestaltprinzipien) möchte ich drei herausgreifen:

Nähe: das Benachbarte vs. das voneinander Fernere

Zentralität: das in einer Ordnung auf eine Mitte orientierte vs. das den Bezug verlierende

Begrenzung: das Innere vs. das Äussere bezüglich einer Ein- und Ausgrenzung

Da Menschen immer aufgrund ihrer Wahrnehmung handeln, ähnliche Prinzipien auch das Vorstellen, Denken, Handeln bestimmen, ist zu erwarten, dass unser Verändern, Gestalten der Welt sich auch danach richtet.

 

2.2 Faszinierender und verwirrlicher Begriff "Umwelt"

2.2.1 Welt als das für alle und alles überhaupt Existierende generall Interaktionsfähige

Anscheinend zunächst das, was wir erfahren können, einschliesslich uns selber. Bei näherer Betrachtung wird allerdings klar, dass dieses auch Eigenschaften haben muss, die wir nicht direkt erfahren können (Naturwissenschaft), und dass dieses in der Erfahrung (in jeder möglichen Erfahrung) nicht zu trennen ist von unseren Erfahrungsmöglichkeiten (Kant). Dennoch ist der Schluss zwingend, dass etwas (uns selbst einschliessend) existieren muss, von dem wir allerdings nicht wissen können, was es als solches (Ding an sich) für Eigenschaften hat: das nennen wir die Welt.

Etwas salopper billigen wir ihm alle Eigenschaften zu, auf die wir uns verlassen können, das sog. objektiv Gegebene. Das Objektive ist aber eigentlich nicht mehr als das Vorhersagbare, also ein Weltbild, das "jemand", die Gemeinschaft, die Allgemeinheit, hat. Also eigentlich eine Konvention!

 

2.2.2 Umwelt als von und für jemanden organisierte Welt, spezfisch Interaktionsfähige

Umwelt ist die Welt von jemandem oder für jemanden. Das ist so, weil ja jeder Anschein von Erkennen von Welt von jemandes Erfahrungsmöglichkeiten abhängt, diese ihrerseits von seinen Verhaltensmöglichkeiten bestimmt sind (biologische Evolution; von Uexküll).

Jemand kann Individuum oder Gruppe sein. Das Weltbild von jemand ist seine erkannte Welt; seine Umwelt als ganze ist umfassender, weil auch nicht Erkanntes auf ihn wirken kann und er auch unbemerkt auf sie wirken kann.

Der Ausdruck Umwelt sollte immer einen Index tragen: wessen Umwelt. Das öffentliche Reden über "die" Umwelt ist also äusserst problematisch. Kommunikation über die Welt betrifft immer eigentlich die Umwelten der Kommunikationspartner und ist notwendig missverständlich. Missverständnis kann auf zwei Arten reduziert werden: entweder werden die Umwelten der Beteiligten (v.a. Artgenossen) sehr gleich "gemacht" (mittels gleicher, v.a. angeborener Erfahrungsmöglichkeiten, Tier), oder mittels Aufstockung eines zusätzlichen "gleicher-geschalteten" Repräsentations- und Kommunikationssystems wie zB der Sprache, Kultur (Mensch; die in der individuell je verschiedenen Entwicklung entstehende Erfahrungsvielfalt und damit das Spektrum verschiedener Umwelten ist enorm; deren Verminderung durch (sub-)kulturelle Gewohnheiten und sprachliche Konventionen ist zwar gross, lässt aber viel Spielraum).

Wenn wir aus der Welt unsere Umwelt machen, durch bauen , durch gestalten, hat das damit zu tun, dass wir Zusammenhänge, Organisationen, die wir wahrnehmen können, verstärken möchten, dass wir unsere Organisation auch anderen zugänglich machen möchten. Also die Wahrnehmung, und hinterher auch das handeln der Andern in unerer Weise beeinflussen möchten. Und übrigens auch unser eigenes Wahrnehmen und Handeln.

 

2.3 Formen des Gedächtnisses

Lebewesen sind deshalb relativ unabhängig von ihrer Umgebung, weil sie eine Art Pufferung errungen haben: Energiereserven, Stoffvorräte, Informationsspeicher ermöglichen, dass nicht jederzeit unmittelbar Input aus der Umgebung nötig ist (vgl. trad. Maschine, die aufhört bei Energieunterbruch oder leerläuft bei Materialzufuhrstörung). Hier interessieren die Informationsspeicher, die Gedächtnisse: diese informieren über die Umgebung, weil viel, nicht alles, was man zur Aufrechterhaltung des Kontakts mit der Umgebung und zur Aufrechterhaltung dieser Unabhängigkeit von der Umgebung braucht, verfügbar ist; auch das nicht jetzt und hier gerade Präsente, also die potentielle Umwelt.

Zellen mit Genom: mögliche Zustände der Welt, die als Umwelt für das Lebewesen (Einzeller oder Zellgruppe = Organismus) revelant sind, in seiner Entwicklung zumindest relevant waren und so vermutlich auch in Zukunft sein werden. Das Genom enthält Umgangsweisen mit der Umwelt. Beispiel.

Individuen mit Erfahrungsgedächtnis, macht seine Persönlichkeit aus.

Gruppe oder Gemeinschaft ? Wie können die Erfahrungen früherer Generation an spätere weitergegeben werden? Nur indem je ein Einzelnen einem andern Einzelnen oder einer Kleingruppe beibringt? Sehr aufwendiges Verfahren und sehr unsichere Tradition! Sobald man an Schrift, Zeichnungen etc. denkt, Ausstellungen, Archive etc.wird klar, dass die Herstellung von Spuren, Repräsentationen auch im Zwischenmenschlichen gewinnen von Unabhängigkeit und Einbettung bedeutsam sein könnte. Generell Zeichensysteme.

 

2.4 Die interne und die externe "Seele"

Hinweis auf die übliche Subjekt -- Objekt -- Spaltung.

Keine guten Gründe, die materiell gegeben scheinende Trennung zwischen Innen und Aussen so scharf durchzuführen. Warum sagen wir, wir seien im Innersten getroffen, wenn uns ein sehr wichtiger Gegenstand abhanden kommt, wenn unsere Wohnung ausgeraubt wird etc.? Warum versuchen Menschen, andere durch Vernichtung ihrer Häuser unschädlich zu machen?

Das führt zu einem heuristischen Axiom (das sich nicht bestätigen noch widerlegen lässt, das aber Zusammenhänge stiftet, deren Stimmigkeit beurteilt werden kann):

Gebautes, Gestaltetes ist externalisierte Erkenntnis- und Handlungsstruktur. Das Gebaute überdauert länger und zuverlässiger als das interne Gedächtnis, aus dem unsere Handeln zusammen mit der Wahrnehmung der aktuellen Situation gesteuert wird. Und insofern das Gebaute unmittelbar allen Anwesenden zugänglich ist, sich sogar aufdrängt, ist es die verlässlichere und effektivere Steuerungsquelle für einem selbst und für die Andern. Das Gebaute informiert, kommuniziert, beeinflusst, steuert, Menschen (einem selbst, die Gruppe, die Andern) und sogar Artfremde (Weg, Grenze als Zaun oder Mauer etc).

So gesehen ist das Gebaute ein überindividuelles Gedächtnis, das für einem selbst und für die Andern einen überdauernden Rahmen für das Handeln setzt. Das Gebaute ist nicht nur viel dauerhafter als des flüchtige Erinnern, das wir im Kopf haben; es ist auch mehreren Menschen gemeinsam, ist also ein kollektives, oder soziales Gedächtnis. Das Gebaute ist demnach ein Vorläufer der geschriebenen Sprache, der Schrift; nicht ein Archivgedächtnis, sondern ein Aktivgedächtnis, eines von dem Wirkungen ausgehen. Bauen scheint die älteste menschliche "Schrift-Sprache" zu sein, und ein Enkulturationsmittel par excellence.

Das Bauen nimmt ganz besonders jenen Aspekt der Sprache vorweg, der den Andern, auch einem selbst, zur etwas bringen will; es hat mit dem "Verschreiben", dem Anweisen zu tun hat (appellative oder Signalfunktion; Perlokution in der Sprechakttheorie): wir bauen Häuser - was machen die Häuser mit uns? Bedeutsam ist aber sicher auch die expressive oder Symptomfunktion des Gebauten: das einem Menschen oder einer Gruppe zugeordnete Gebaute repräsentiert ihn oder sie, macht in einer bestimmten Weise auf ihn aufmerksam (Illokution); es ist damit natürlich auch verwandt mit den Kleidern: seht her, das bin ich, das sind wir, oder das möchten wir wenigstens sein! Die darstellende Funktion ist schwächer ausgeprägt.

 

2.5 Die Regulation von Autonomie und Integration

Die These vom Bauen als externales soziales Gedächtnis ist zunächst allgemeiner als Wohnen; also einschränken: Wohnung, Wohnumgebung ist Gebautes mit besonderer Bedeutung betreffend unmittelbare Bezugspersonen und einem selbst. Fast überall beobachten wir, dass Bauten, speziell Wohnbauten einen sozialen Integrierungs- und zugleich Segregierungseffekt ausüben bzw. die soziale Differenzierung stabilisieren, die Grossgruppen gliedern in verhältnismässig kleine, überschaubare Gruppen, zB Familien, Produktionsgemeinschaften, Bekennntisgemeinschaften u.dgl.

Dies wird u.a. und im wesentlichen durch die Einführung von Grenzen erreicht. "Spiegeln" also Wohnbauten die soziale Organisation der Gruppen? Bilden und festigen sie die Trennung zwischen verschiedenen Gruppen und steuern sie die sozialen Interaktionen innerhalb von ihnen? Sind Wohnungen "Gefässe" für die Familie, die über allem Wandel dieser sozialen Gebilde im Generationenzyklus eine gewisse überdauernde Stabilität (überindividuelles Gedächtnis!) bereithalten? Das Individuum, die Person, hat im Organismus ein solches Gefäss, die kleine Gruppe hat von der Biologie her keins; sie ist primär durch soziale Instinkte, sekundär durch soziale Normen zusammengehalten, oder eben durch Bauten. Ich halte die Bauten für stärker als die meisten Normen.

Einige exemplarische Konkretisierungen: Wie schon angedeutet ist das Grundelement des Bauens die Grenze, die räumlich Teilung von eins in zwei usf. Wenn ich mich (und die Meinen) einem Ort zuordne und diesem Ort eine Grenze gebe, einen Wall, eine Mauer, eine Wand, so habe ich mich ausgesondert, habe mich Einflüssen ein Stück weit entzogen, habe meine Eigenständigkeit manifestiert, habe mich unabhängiger gemacht. Auch sicherer für die allfällige Begegnung mit dem Andern, Äusseren; denn ich bin von ihm ein Stück weit gesondert und zugleich den Meinen etwas mehr verbunden. An der Grenze können wir einander besser begegnen. Das gilt für den Einzelnen wie für Gruppen.

Derjenige, der nun erstmals in die Wand eine Öffnung gemacht hat, war mE noch genialer als der Erfinder des Rades (vermutlich geschah beides mehr als einmal). Denn er hat die Absonderung noch expliziter zugleich aufrechterhalten und überwunden und der räumlichen Strukturierung eine zeitliche hinzugefügt. Er kann nun nach Belieben die Andern herein(sehen)lassen bzw. sich selbst den WEg zu den Andern öffnen und schliessen. Die gewonnene Unabhängigkeit ist mit der Eingliederung verbunden, durch zwei zueinandergehörenden Bauformen ist zugleich Autonomie und Integration geleistet.

Inhaltliche Hauptthese: Gebaute Strukturen (spez. im Wohnbereich, aber grundsätzlich ganz allgemein) sind kulturelle Regulatoren der Autonomie und der Integration des Individuums bzw. der Gruppe in die umgebende (soziale) Welt (der Gruppe bzw. der Grossgruppe).

Gebaute Strukturen: Wände, Türen + Fenster, Räume, Häuser, Siedlungen, Strassen und Plätze, Städte, aber auch Objekte wie Möbel, bildliche Repräsentationen, Geräte etc.

Regulatoren: vermitteln, haben instrumentale Bedeutung, können gemacht und gewählt werden in dem Sinne, dass sie vermehren oder vermindern; sind also eine Art Trägerprozess, dem Bedeutung aufruht, aufmoduliert ist, welche sich nicht nur in ihm selbst, sondern anderswo auswirkt und später. Regulatoren sind etwas Anderes als

(a) Repräsentanten (weiter, weil sie nicht darstellen, sondern bewirken) und

(b) Ursachen (weiter, weil nicht eine energetische, sondern eine informatorische Beziehung zur Wirkung) und

(c) Auslöser (enger, weil das Bewirkte seine Eigenschaften nicht ausschliesslich aus sich selbst bezieht, sondern zum Regulator schon ein inhaltlicher Bezug besteht).

kulturelle Regulation: Gebaute Strukturen haben neben den räumlichen und materiellen Eigenschaften auch symbolische, sind ja externale Erkenntnisstrukturen; und zwar abbildartige (ikon: etwa gross-klein, zentral-perifer, rund-organisch - eckig-mechanisch etc. dh zB Dorfplatz, Villa, Fassade etc), hinweisartige (index: stop, gehen, hier Durchgang, Widerstand, dh zB Schwellen, Geländer, Türen, Emporen etc.) und auch konventionelle (symbolische, die man gelernt haben muss: etwa Ruheort, Betriebsort, Werkort, Sakralort d Fabriken, Schulen, Kirchen, etctc) mit allen Übergängen. Kultur ist ja die Menge der Objekte und Ereignisse, die mehr sind als sie selbst, dh für eine bestimmte Personengruppe etwas relativ Bestimmtes bedeuten.

Autonomie-Integration: Pole oder Prototypen einer dialektischen Dimension: logisch schliessen sie einander aus, dh psychologisch würde die Realisation des einen unter Ausschluss des andern das Ende des Trägers von A.u.I. bedeuten.

Individuum, Gruppe: alle diese Überlegungen sind prinzipiell hierarchisch, dh auf alle Aggregatsstufen der Vergesellschaftung anwendbar.

umgebende Welt: je nächsthöhere Aggregatsstufe der personalen Ordnung, aber einschliesslich der objektalen Kultur.

Autonomie-Integration ist ein Rahmenkonzept. Es liessen sich anthropologische Betrachtungen anschliessen. Hier nicht; aber es ist nicht zu verkennen, dass dieses Konzept nicht mit beliebigen Menschenbildern durchführbar ist.

Vielmehr soll es psychologisch-inhaltlich differenziert werden, um sich beim Verständnis des Wohnens nützlich zu erweisen.

Autonomie-Integration sind gewissermassen zuständliche Beschreibungen der Person, welche durch die Regulatoren "so oder so gebaute Strukturen" erreicht oder geleistet werden. (Ein kybernetische Modell dafür wäre denkbar, ich halte das aber für verfrüht; dann wären nämlich A.-I. Sollwerte zu spezifizieren; und die Schwierigkeit entstünde, dass ein übergeordnetes Modell nötig würde, welches die Variation der Sollwerte in der Zeit betrifft; ich möchte zuerst den untergeordneten Bedingungszusammenhang konstruieren, verbales Modell, und erst später den Rahmen.)

Damit stellt sich die Frage nach "Operator"-artigen Regulatoren. Nach Prozessen, die mindestens ein Stück weit nicht Automatismen sind, also gerade nicht homöostatisch, Störungen ausgleichend, sondern vielleicht irgendwie teleonom (BISCHOF); mit denen etwas erreicht wird, nämlich verschiedene Grade von Autonomie-Integration, nicht notwendig bewusst und zielstrebig, wie es die Handlungstheorie haben möchte, sondern sehr viel impliziter, aus vielerlei Bedingungen resultierend. Mit Wohnen erreicht man (das Individuum, die Gruppe) gewisse Grade von Autonomie und Integration.

 Inhalt

3. Warum wohnen wir eigentlich?

3.1 Von der Beliebigkeit des Bedürfnisbegriffs

"Bauen ist ein biologischer Vorgang. Bauen ist kein ästhetischer Prozess." heisst es in einem Manifest von Hannes Meyer (Bauhaus) zur Promotion der Wohnmaschine. Ich glaube, dass von solchen Vorstellungen her dann die Idee der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung als Kriterium für richtiges Bauen und Wohnen aufgekommen ist. Leider von einer zu einfachen Konzeption des Lebens her, nämlich vom Einzelorganismus in einem Augenblick: der sei ein Homöostat mit Streben nach Gleichgewicht. Schon die Entwickung des Organismus selber zeigt anderes, die Folge der Generationen und Arten in der Evolution erst recht.

Und die Übertragung der Homöostat-Idee auf das Psychosoziale ist verheerend. Die Kultur ist Konstanz im Wandel in einer offenen Entwicklung, nicht Anzielen eines Stillstands und Beschäftigung mit dem Neutralisieren von Störeinflüssen.

Man kann die Rückweisung dieser Vorstellung auch rein logisch vollziehen: Wenn Bauen undWohnen Bedürnfisse erfüllen soll, dann müssten diese Bedürfnisse aufzählbar sein und wohl auch in eine Ordnung gebracht werden könnne, welche geeignet ist, allfällige Bedürfniskonflikte aufzulösen. Vgl. die Liste etwa von Spivack 1971 oder von Flade 1987: sie sind nicht nur widersprüchlich (fast jedes Bed. hat ein Antibedürfnis), sondern auch nicht in eine simple Ordnung zu bringen. Logisch sind Bedürfnisse Tautologien (oder begriffliche Verdoppelungen) jener Phänomene, die sie erklären sollen.

 

3.2 Von der Beliebigkeit des Zielbegriffs

(noch auszufühen:) Eine Handlungs- oder Tätigkeitstheorie des Wohnens. Bauen ist zweifellos zielorientiertes Handeln. Wohnen muss eher als Tätigkeit verstanden werden, welche in viele Einzelhandlungen zerfällt; denn die meisten Teile sind nur bedingt zielorientiert , hören nicht auf, wenn sei vollzogen sind, und sind wohl ehr zu schwach miteinander verbunden, als dass man von einer Wohnhandlung im ganzen sprechen könnte. Fragt man Personen nach ihren Wohnwünschen, müsssten Ziel-Eigenattributionen erkennbar werden. Wenn Handlungstheorie überhaupt einen generellan Erklärungsanspruch einlösen soll, dann müsste eine so wichtige Tätigkeit, die so viel Investitionen und Zeit beansprucht, handlungstheoretisch angehbar sein. Ich habe bisher keine Durchführung eines solchen Projektes angetroffen. Das verwundert, dass Bauen geradzu ein Prototyp planvollen Handelns darstellt.

 

3.3 Ein psychologischer Wohnbegriff

Was über die Regulation von Autonomie und Integration beim Bauen gesagt worden ist, sollte weitgehend auf die Wohntätigkeit übertragbar sein. Es geht hier zunächst ebenfalls um Gestaltungshandlungen, vor allem aber Auswahlhandlungen, welche jederzeit das Regulationsgefälle stellen und in ihren Folgen wiederum verändern.

 

3.4 Die drei Regulationsprinzipien

Was für spezifische Regulatoren der Autonomie-Integration? Ich glaube, mit drei Konzepten oder Regulatorsystemen auskommen zu können, die sich etwa in folgende Ordnung bringen lassen: ein Regulator hat mit der jeweils aktuellen Handlungsbereitschaft des Individuums zu tun: Aktivationskonzept. Ein zweites mit der künftigen Handlungskompetenz: Entwicklungskonzept, und zwar gerichtet einmal auf das Individuum selbst, sowie auf die Umwelt. Ein drittes mit dem Bezug zur Umwelt: Interaktionskonzept. Von den Begriffen her können Sie ahnen, dass versucht, wird eine Anbindung an traditionelle psychologische Erkenntnis herzustellen, ich bin weniger ein Bilderstürmer als ein Umdeuter.

 

3.4.1 Aktivation

Das Aktivationskonzept hat damit zu tun, dass jede Wohntätigkeit den je aktuellen Aktivationszustand (als psychologisches Konstrukt, mit physiologischen Parallelen) potentiell ändern kann.

Ein differenziert strukturiertes Wohn-Raum stellt Orte mit aktivationserhöhender, erregender bzw. -senkender, dämpfender Wirkung zur Auswahl zur Verfügung, ich muss jeweils nur aufsuchen oder benutzen:

die ruhige Ecke, das geschlossene Zimmer, die leise eintönige Musik, die Dunkelheit, die harmonisch und unauffällig möblierte Stube, das vertraute Inventar von Objekten, Symbolen, die mich in meine Welt einbinden, der Verlass auf was geschieht, die Respektierung meines Arbeitsplatzes durch die andern usf. sind alles prinzipiell aktivationssenkende Umstände,

und sie haben je ihr erregendes Pendant im offenen, andern zugewandten, ungeordneten, unvertrauten, unvorhersagbaren, überraschenden usf. Ambiente. Beides kommt in tausendfachen Varianten vor und ist dauernd verfügbar und weitgehend beherrschbar, während ich draussen in der Welt (wo diese Regulation ja natürlich andauernd auch spielen muss) dessen nicht so sicher bin.

In der Umweltpsychologie hat va MEHRABIAN (MEHRABIAN & RUSSEL 1974) einen solchen Regulator im alltäglichen Umweltbezug konzipiert und in methodisch allerdings etwas problematischer Weise illustriert. In der experimentellen Ästhetik gibt es viele Einzeluntersuchungen zum vorgestellten Prozess; WOHLWILL hat im Anschluss an BERLYNE einiges davon in die Umweltsychologie importiert. Lärm ist ein exemplarischer Fall. In der Wohnpsychologie taucht dergleichen häufig in Dimensionsanalysen von Umweltbeurteilungen (environmental perception, cognition) auf.

 

3.2.2 Interaktion

Das Interaktionskonzept betrifft den Grad des Involviertseins mit der Umwelt, insbesondere mit den Andern. Seine Pole sind

"Sicherheit", dh hohe Autonomie oder Freiraum: Möglichkeit, dem Einfluss der Andern zu entgehen, und natürlich auch Verzicht auf Einfluss,

bzw. "Interaktion", dh hohe Integration oder Involviertsein: Einflussnahme in beiden Richtungen.

Einzelkonzepte, die sich als Spezialfälle dieses Interaktionskonzeptes umdeuten lassen, nehmen in der Umweltpsychologie beträchtlichen Raum ein und sind eingehend, wenn auch nicht unkontrovers und durchaus mit Rest, durchdacht und erforscht worden: Territorialität ist wohl das umfassendste Konzept dieser Art; dazu kommen Privacy, Proxemics, Socio-fugal and -petal Space, Personal Space, Public vs. Semipublic Space, Defensible Space, u.a.m. Während aus dem Zwischenwohnungs-Bereich hierzu verhältnismässig viel Beobachtungsmaterial vorliegt, ist es aus der Wohnung selbst recht mager, gerade aus Gründen des Schutzes einer persönlichen Sphäre. Und es ist leider nur selten der Fall, dass die hier relevanten Fragen in der nötigen begrifflichen Schärfe gestellt werden; sie sind ja nicht auf Mensch-Umwelt-Einheiten orientiert, sondern folgen zumeist einem mehr oder weniger gelockerten Determinationsmodell: die Umwelt x, so und so geartet, hat den Effekt y auf die Menschen z (etwa STROTZKA: enge Wohnungen bewirken Symptome sozialer Pathologie wie psychosomatische Erscheinungen oder überstrenge Erziehung unter Voraussetzungen geringer Bildungshöhe).

Nur selten werden die Eigenschaften der gebauten Welt so allgemein herausgearbeitet und hinreichend speziell operationalisiert, dass wirklich über die Zusammenhänge Aussagen gemacht werden können: beispielhaft finde ich die Untersuchungen von BAUM & VALINS (zB 1977) über Studenten in Korridor- und Appartment-lebenssituationen, während die Defensible Space-Vorstellungen von NEWMAN (1972) auf der Umweltseite von recht diffus wirken. Extrem selten werden transaktionale Einflussketten untersucht, die auch beobachten, wie das Individuum im Zusammenhang der Interaktionsregulation seine Wohnsituation gestaltet und umgestaltet.

 

3.2.3 Entwicklung

Das Entwicklungskonzept schliesslich ist nicht bipolar wie die beiden erstgenannten, sondern betrachtet die Mensch-Umwelt-Beziehung in der zeitlichen Spannung der Veränderung.

Ausgehend von den umweltbezogenen Tätigkeiten des Individuums (der interessierenden Gruppe) wird einmal der Informationsfluss vom Individuum auf die Umwelt und damit die potentielle Stellung des Individuums in seiner Umwelt thematisiert: die Rede ist dann von Selbstdarstellung.

Zweitens wird nach den Rückwirkungen der umweltbezogenen Tätigkeiten auf das Individuum selbst gefragt und damit gewissermassen der selbsterzeugte Einfluss der Umwelt auf das Individuum fokussiert: Selbstpflege oder Kultivation.

Es gibt offensichtlich Umwelten, die in dieser Hinsicht extreme Beschränkungen auferlegen. So kann etwa der Bewohner einer technisch und ästhetisch durchgeplanten Wohnanlage seinem Nachbarn nichts anderes mehr kundtun als dass er im selben Boot sitzt. Seine nach aussen manifest werdende Identität reduziert sich auf das Namensschild, und selbst dieses hat sich an die Norm zu halten. Seine diesbezügliche Ohnmacht kann er vielleicht noch dadurch ausdrücken, dass er die auferlegten Balkonblumen mehr schlecht als recht gedeihen lässt. Kein Wunder, dass das Vorurteil anstelle der differenzierten Beziehung mit dem Nachbarn tritt und die Entpersönlichung des Bewohners früher oder später sich in Symptomen wie Vereinsamung, Aggression oder Krankheit niederschlägt.

 

Und damit ist auch schon ein Beispiel für die Rückwirkung aufgezeigt, allerdings nicht eines das aktives Handeln impliziert. Die Idee der Selbstpflege findet einen sehr schönen Ausdruck in der von Ph. BOUDIN mit soziologischen und sozialpsychologischen Verfahren untersuchten Entwicklung der Siedlung PESSAC bei Bordeaux, in der Corbusier eigentlich entgegen seinen Wohnbautheorien so gebaut hatte, dass durch die Bewohner im Lauf der Jahre erst weitergebaut werden musste und im Laufe einiger Jahrzehnte ein Quartier von beachtlich hoher Wohnqualität entstand. Die radikale Reduktion des Entwicklungskonzeptes habe ich gelegentlich in das Schlagwort gefasst: fertigi Hüser mache d'Lüt fertig! (Fertge Häuser machen die Leute fertig!)

 Inhalt

4. Beispiele

4.1 Baum & Valins: Korridor- vs. Appartmentstudenten

4.2 Grenzen und Bereiche: Territorialität (KLEINE)

4.3 Dialektik der Familien- mit der Hausentwicklung (BOS, SCHÜPBACH & SIEGENTHALER)

4.4 Zimmer, Wohnung, Haus, Strasse, Stadt (VOGT & LODER)

4.5 Fertiges und Unfertiges (STUBER)

4.6 Ausgänge, Übergänge, Eingänge

4.7 Dielen und Korridore (BÜHLMANN &OBERLI)

4.8 Bedeutung der Einrichtungen etc. (HARNISCH & MAURER)

4.9 Gebaute Strukturen und soziale Netze (BALTISBERGER)

4.10 Plätze und Strassen (LANG)

4.11 Allein wohnen? (Projekte)

 Inhalt

5. Wohnen baut weiter und Bauen macht Wohnen und Personen

Aspekte der Bedeutung aufgezeigt. Bauen und Wohnen bekommen einen andern Stellenwert im gesamten der Kultur. Wenn das Gebaute für die Gemeinschaft das ist, was das Gedächtnis im Hirn für das Individuum: werden wir dann nicht sorgfältiger damit umgehen als dies in den letzten 100 bis 200 Jahren geschah?

Begriff ökologisch: Was eigentlich schützen? Das nackte Leben? Dagegen kann man nicht sein. Anderseits dürfte die Qualität des Lebens letzten Endes wichtiger sein. Es kommt nicht von ungefähr, dass immer wieder Menschen ihr Leben für etwas Höheres, für ein Prinzip, für Andere, für die Gemeinschaft etc. weggegeben haben. Auch für das Bauen kann dann nicht mehr allein der Mensch das Mass der Dinge sein, sondern eher jenes übergeordnete Ganze, von dem die Natur und der Mensch und die vom Menschen bauend veränderte Umwelt auch nur ein Teil sind.

 

Schneckenwohnformen

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