Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Research Report 1984

Zur Entwicklung eines neuen Signalsystems der Schweizerischen Bundesbahnen

Eine handlungstheoretische Analyse und Grundsätze zur Signalystem-Gestaltung.

1984.03

@EnvPsy @Act

118 / 179KB, 5 Abb. div Tabellen
Last revised 98.11.01

Alfred Lang und Roland Calmonte

Psycholologisches Institut der Univ. Bern, Forschungsbericht, 61 Pp.

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt
 

1. Einleitung
1.1. Auftrag der SBB an das Psychologische Institut
1.2. Vergleich mit der Untersuchung von 1973
1.3. Aufbau der Expertise
 
2. Lokführen als Handlung
2.1. Lokführen beim jetzigen Signalsystem
2.2. Lokführen bei einem handlungstheoretisch idealen Signalsystem
2.3. Zusammenfassung in vier handlungspsychologische Prinzipien
2.3.1. Steuerungseindeutigkeit: entweder Innen- oder Aussensteuerung
2.3.2. Kompetenzbetonung: die Handlungsfähigkeit des Lokführers achten
2.3.3. Handlungsaktualität: an Zeit und Ort des Handelns signalisieren
2.3.4. Informationsprägnanz: nie mehr als eine Information aufs Mal
 
3. Beurteilung der Signalsysteme anhand der psychologischen Prinzipien
3.1. Beschreibung der fünf Signalsysteme
3.1.1. Jetziges Signalsystem mit 5 Fahrbegriffen
3.1.2. Neue Varianten mit Farblicht- und Geschwindigkeitstafel <1>
3.1.3. Neue Varianten mit Farblicht- und 2 Geschwindigkeitsanzeigen <2>
3.2. Beurteilung der fünf Signalsysteme im ganzen
3.3. Beurteilung der fünf Signalsysteme im einzelnen
3.3.1. Jetziges Signalsystem mit 5 Fahrbegriffen
3.3.1.1. Theoretische Beurteilung
3.3.1.2. Auswertung von Fehlermeldungen 1978-82
3.3.2. Neue vorgeschlagene Systeme
3.4. Gesamtbeurteilung
 
4. Vorschlag zu einem neuen System <Y> aufgrund der Prinzipien
4.1. Beschreibung des Systems <Y> mit Einheitssignal
4.2. Das Signalschema des Systems <Y>
4.2.1 Bestätigungssignal vs. Aktionssignal
4.2.2 Fahrsignal vs. Haltesignal
4.2.3 Innensteuerung vs. Aussensteuerung
4.3. Varianten im System <Y>
4.4. Handlungspsychologische Analyse des Systems <Y>
4.5. Konsequenzen für die Signalaufstellung
 
5. Bewertung der 6 Signalsysteme in praktischer Hinsicht
5.1. Bewertung nach einzelnen Kriterien
5.1.1. Sensorisch-perzeptive Aspekte
5.1.2. Verwechslungswahrscheinlichkeiten
5.1.3. Vergessenswahrscheinlichkeiten
5.1.4. Auffälligkeit von Brems- und Haltesignalen
5.1.5. Fehleranfälligkeit bei Überlastungsbedingungen
5.1.5.1 Zustandsbedingte Überlastung
5.1.5.1 Situationsbedingte Überlastung
5.1.6. Fehleranfälligkeit bei Monotoniebedingungen
5.1.7. Fehleranfälligkeit bei Ermüdungsbedingungen
5.1.8. Verhältnis von Sicherheits- und Verkehrsflusskriterien
5.1.9. Kompatibilität mit dem jetzigem System
5.1.10. Andere Kriterien
5.2. Praktische Bewertung der Signalsysteme insgesamt
 
6. Skizze einer Simulationsstudie
6.1. Beschreibung einer möglichen Versuchsanordnung
6.2. Durchführung der Simulationsversuche
6.3. Nutzen der Simulationsstudie
6.3.1. Erkenntniswert
6.3.1.1. Sensorisch-perzeptive Aspekte
6.3.1.2. Verwechslungswahrscheinlichkeiten
6.3.1.3. Vergessenswahrscheinlichkeiten
6.3.1.4. Auffälligkeit von Brems- und Haltesignalen
6.3.1.5. Fehleranfälligkeit bei Überlastungsbedingungen
6.3.1.6. Fehleranfälligkeit bei Monotoniebedingungen
6.3.1.7. Fehleranfälligkeit bei Ermüdung
6.3.1.8. Verhältnis von Sicherheits- und Verkehrsflusskriterien
6.3.1.9. Kompatibilität mit jetzigem System
6.3.1.10. Andere Kriterien
6.3.2. Demonstrationswert
6.3.3. Ausbildungswert
6.4. Aufwand für die Simulationsstud
 
7. Empfehlungen und weiteres Vorgehen
7.1. Überprüfung des Systems <Y> in betrieblicher Hinsicht
7.2. Überprüfung der Kosten der Einführung von System <Y>
7.3. Prioritätensetzung betreffend Simulationszielen
7.4. Detailplanung des Simulationsexperiments
7.5. Auftragserteilung für ein Simulationsexperiment
 
Anhang,
A Glossar: Erläuterung von Fachbegriffen
B Signalisierung: Auszug aus dem Protokoll der Projektgruppe SBB [fehlt in dieser elektronischen Edition]

 

1. Einleitung

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1.1. Auftrag der SBB an das Psychologische Institut

Mit Schreiben vom 8. Oktober 1982 wurden die Verfasser der Expertise von der SBB vertreten durch die Abteilung Zugförderung und Werkstätten der Generaldirektion angefragt, ob sie die Entwürfe zu einem neuen Signalsystem aus psychologischer Sicht überprüfen könnten. Es war vor allem daran gedacht, die Vorzüge und Nachteile von zwei Varianten eines neuen Signalsystems (genannt I und II) zu beurteilen und, gegebenenfalls aufgrund einer empirischen Untersuchung, Entscheidungshilfen für die Variantenwahl zu liefern. Im Zuge mehrerer Besprechungen der Psychologen mit den Vertretern der SBB (ZfW vertreten durch Herrn B., und Bau vertreten durch Herrn S.) erwies es sich als angezeigt, die Fragestellung zunächst etwas auszuweiten. Es sollten insbesondere auch einige weiterführende Überlegungen zum neuen Signalsystem auf der Grundlage der psychologischen Erkenntnisse angestellt werden. Ferner kamen aufgrund der SBB-internen Vernehmlassung und weiterer Studien im Lauf des Sommers 1983 zwei weitere Signalsystem-Varianten in Betracht, die mit in unsere Überlegungen einbezogen wurden (vgl. 3.1). Die seit Herbst 1983 in der Projektgruppe Signalisierung erfolgte Entwicklung konnte in der vorliegenden Expertise nicht mehr berücksichtigt werden.

 

1.2. Vergleich mit der Untersuchung von 1973

Der hauptsächliche Grund zur Ausweitung der psychologischen Studie liegt darin, dass im Vergleich zu unserem Experiment von 1973 eine grundlegend andere Fragestellung vorliegt. Mit unserer experimentellen Untersuchung zur Verbesserung des Vorsignalbildes F5* hatten wir eine wohldefinierbare Frage innerhalb eines bestehenden Systems von Fahrbegriffen zu beantworten. Ohne dass die Struktur des Signalsystems im geringsten infragegestellt worden wäre, ging es darum, eine Schwachstelle mit dem geringstmöglichen Aufwand, aber mit belegbarer Aussicht auf Erfolg, zu bereinigen. Im Gegensatz zu der zunächst besonders von betriebsärztlicher Seite vertretenen Meinung, es handle sich ausschliesslich um eine sensorisch-perzeptive Frage, machten wir geltend, dass nicht das Signalbild eines einzelnen Fahrbegriffes, sondern ein System von Fahrbegriffen mit zugehörigen Signalbildern geändert und im Experiment erprobt werden müsste. Es handelte sich also um eine perzeptiv-kognitive Fragestellung. Der Erfolg unserer aus psychologischer Erkenntnis gewonnener und im Experiment erhärteter Vorschläge bestätigte im Nachhinein unsere Problemdefinition.

Mit der Einführung eines grundlegend neuen Signalsystems, mit welchem bei Kompatibilität mit dem bisherigen System und bei gleichbleibender oder verbesserter Sicherheit wesentliche Verbesserungen bezüglich Verkehrsfluss und zugleich erhöhte Fahrgeschwindigkeiten erzielt werden sollen, ist eine grundlegend andere Fragestellung gegeben. Die sensorisch-perzeptiven Aspekte der Informationsaufnahme sind zwar immer noch präsent; doch treten kognitiv-gedächtnismässige und entscheidungsbezogene Prozesse der Informationsverarbeitung wesentlich stärker hervor, und ein erfolgreiches Signalsystem kann eigentlich erst unter Berücksichtigung seines handlungsmässigen Funktionierens, d. der Informationsnutzbarmachung im Rahmen des Fahrhandelns, konstruiert und beurteilt werden. Die Konsequenz ist, dass wir um eine handlungspsychologische Analyse der vorgeschlagenen Signalsysteme nicht herumkommen. Anders gesagt, wir sahen, dass uns eine simple empirische Gegenüberstellung der zwei Varianten in einem dem 1973er Experiment nachempfundenen Versuch keine sinnvollen Antworten liefert: auch ein allfälliger Unterschied zwischen den zwei Varianten in bezug auf Fehlerwahrscheinlichkeiten beim Signalerkennen besagte nämlich nichts über die Funktionstüchtigkeit der betreffenden Signalsysteme im Handlungskontext des Lokführens.

 

1.3. Aufbau der Expertise

Angesichts dieser im Lauf der analytischen und planerischen Arbeit im Jahr 1983 zunehmend deutlicher erkennbaren Sachlage schlugen wir unseren Gesprächspartnern am 8. Februar 1984 vor, vor einer allfälligen experimentellen Untersuchung über ein neues Signalsystem die wesentlichen Ergebnisse unserer Überlegungen im Rahmen einer Expertise vorzulegen.

Die Expertise führt im Kapitel 2 über eine handlungsanalytische Untersuchung des Lokführens beim jetzigen Signalsystem zur Formulierung von vier handlungspsychologischen Prinzipien, von denen wir fordern, dass sie durch ein reales Signalsystem möglichst weitgehend erfüllt werden sollten. Im Kapitel 3 werden wir dementsprechend das jetzige und die vorgeschlagenen 4 Varianten mithilfe dieser Prinzipien zu bewerten versuchen. Weil keine der zur Diskussion stehenden Varianten die 4 Prinzipien voll zu erfüllen vermag, sehen wir uns zum Versuch veranlasst, ein gewissermassen ideales Signalsystem zu entwerfen.

In Kapitel 4 beschreiben wir diesen Vorschlag in Form eines möglichen konkreten Signalsystems <Y>, obwohl wir uns bewusst sind, dass uns die betrieblichen und technischen Kenntnisse zu einer sachgerechten Konstruktion fehlen. Dennoch schien es uns fruchtbar, den Gehalt der psychologischen Prinzipien anhand eines (gedachten) realen Signalsystems zu überprüfen und aufzuzeigen. Es geht also in keiner Weise darum, der Projektgruppe Signalisierung Konkurrenz zu machen, sondern einzig um die Konkretisierung der gewonnen psychologischen Erkenntnisse. Unserer Absicht nach ist <Y> eine weitere Diskussionsgrundlage im Hinblick auf das bestmögliche neue Signalsystem.

Im Kapitel 5 untersuchen wir die Vorzüge und Nachteile der nunmehr 6 Signalsysteme (einschliesslich des jetzigen) im Lichte von praktischen Bewertungskriterien; dabei ziehen wir sowohl allgemeines Wissen wie übertragbare empirische Erkenntnisse bei und bemühen uns insbesondere aufzuzeigen, an welcher Stelle mit welcher Sicherheit welche Schlüsse gezogen werden können bzw. welche empirischen Befunde nötig wären, um bestimmte Schlussfolgerungen abzusichern. Es resultiert eine vorläufige Gesamtbewertung der Varianten.

Kapitel 6 ist der Entwurf einer Simulationsstudie, die dazu dienen könnte, eine Auswahl der für die Absicherung fehlenden empirischen Befunde beizubringen. Neben dem Erkenntniswert einer solchen Studie wird auch auf ihre Nützlichkeit als Demonstrations- und Ausbildungsmittel hingewiesen. Die Expertise mündet im Schlusskapitel in einige Empfehlungen bezüglich des weiteren Vorgehens.

 

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2. Lokführen als Handlung   

Das Führen einer Lokomotive wird als Handeln verstanden.

Mit Handeln ist hier eine Tätigkeit gemeint, welche ein Mensch-Maschine-System aus einem definierten Anfangszustand auf dem Wege über eine Serie von Zwischenzuständen in einen definierten oder definierbaren Endzustand überführt. Handeln wird hierbei insofern als zielorientiert oder planvoll begriffen, als eine Serie von Einzelakten oder Operationen des Menschen für die Richtung der Systemänderung ausschlaggebend ist; dabei stimmen der Endzustand und oft auch manche Zwischenzustände des Systems mit einer geistigen Antizipation durch den Menschen dieser Zwischenzustände und dieses Endzustandes in gewisser Hinsicht überein.

Zwei Arten von Operationen können unterschieden werden: (a) Steuerungsakte gehen vom Menschen aus und haben einen je bestimmten Effekt auf den Systemzustand; (b) in Prüfakten nimmt der Mensch aus dem jeweiligen Systemzustand Information auf, wodurch alternative Entscheidungen möglich werden, d.h. je nach Systemzustand unterschiedliche Steuerungsakte gewählt werden können. Man nimmt an, dass in so komplexen zielorientierten Tätigkeiten wie dem Lokführen eine grosse Zahl von je aus einem Prüf- und einem Steuerungsakt bestehenden Komponenten in einer mehr oder weniger hierarchischen Ordnung zu Handlungen organisiert sind. Jede einzelne Handlung wäre zu denken als zusammengesetzt aus einer Menge von Operationen beiderlei Art, die ihrerseits alle durch ein Zwischenziel determiniert wären. Die Handlungen ihrerseits werden hierarchisch organisiert gedacht, sodass ihre jeweiligen Ziele durch übergeordnete Ziele bestimmt sind, dies in mehreren Schichten bis hin zum Endziel der Tätigkeit. Wir sprechen vom Handlungsplan als der jeweils gerade aktuellen Konstellation von das Handeln bestimmenden Zielebenen und zugehörigen Operationen, Steuerungs- und Prüfaspekte inbegriffen.

Konkret würde das für das Lokführen als Handlung etwa heissen, dass als oberstes Ziel dem Mensch-Maschine-System "Lokführer mit Zug" die Aufgabe gegeben ist (die dem Lokführer als Antizipation des Endzustandes vorschwebt), den Zug heil und ganz und zu der vom Dienstfahrplan vorgegebenen Zeit in die Zielstation führen.

Dies wäre der gewissermassen oberste Handlungsplan. Als Zwischenziele kann man sich Zwischenhalte zu bestimmten Zeiten und von bestimmter Dauer vorstellen. Auf der nächsttieferen Ebene der Handlungshierarchie kann man sich eine Folge von Fahrzuständen, d. Geschwindigkeiten des Zuges, welche an der und der Stelle der Strecke zu erreichen sind, vorstellen. Als Operationskomponenten dieser Handlungen kann man auf der Steuerseite die Bedienung von Fahrhebel und Bremse annehmen, auf der Prüfseite etwa die Ablesung von Tachometerpositionen, das Erkennen von Streckenabschnitten, das Kontrollieren des Verhaltens der Maschine (etwa über den auditiven und den taktilen Kanal), und anderes mehr. Aufgrund einer bestimmten Konstellation solcher aufgenommener Informationen im Zusammenhang mit der aktuellen Stelle in der Hierarchie der Zielantizipationen (Dienstfahrplan, Streckenkenntnis) wird der Lokführer zu gewissen Zeitpunkten dann entweder Brems- oder Beschleunigungshandlungen vornehmen und diese entweder schwächer oder stärker dosieren. Hier kommt der Handlungsplan im engeren Sinn zum Tragen; er wird durch die ständig aufgenommene Information natürlich im einzelnen laufend modifiziert, obwohl manche seiner Komponenten, insbesondere die übergeordneteren Ziele, aber auch die untergeordneteren Operationsroutinen, natürlich die gleichen bleiben. Die Analyse könnte auf die Mikroebene der einzelnen Muskelkontraktionen und Sinnesrezeptionen weitergetrieben werden; doch bringt das für den hier diskutierten Handlungszusammenhang in der Regel keine zusätzlichen Einsichten.

Nun gleicht eine solche Beschreibung der Handlung zunächst auffallend der Beschreibung eines kybernetischen Systems innerhalb einer Maschine. Mensch-Maschine-Systeme unterscheiden sich von reinen Maschine-Systemen dadurch, dass die beiden Teilsysteme "Mensch" und "Maschine" je für sich eine gewisse Selbständigkeit aufweisen, wohl aufeinander bezogen funktionieren, aber eine nicht voll eindeutige Koppelung aufweisen, so dass jeder Prozess im einen Teilsystem nicht eine voll eindeutige Wirkung auf das andere Teilsystem ausübt.

Mensch-Maschine-Systeme wie der hier in Frage stehende Eisenbahnzug bekommen durch die relative Abkoppelung der beiden Hauptsystemteile, des Menschen und der Maschine, zugleich günstigere und ungünstigere Eigenschaften als reine Maschinensysteme. Mensch-Maschine-Systeme behalten ein gewisses Ausmass an Flexibilität oder Anpassungsfähigkeit an unvorhergesehene oder ausnahmsweise auftretende Situationen; m.a.W. sie müssen und sollen nicht vollständig im voraus programmiert sein. Anderseits ist dafür der Preis einer grösseren Fehleranfälligkeit zu bezahlen, weil zu den Ausfällen im Maschinenteil noch Irregularitäten im Menschteil hinzutreten können. Es wäre jedenfalls falsch, die gesamten Handlungsbedingungen im Menschen als zweckrational funktionierendes System vorauszusetzen oder gar als solches zu fordern. Wenn wir die Flexibilität in der Systemsteuerung wollen, müssen wir in Kauf nehmen, dass beim Lokführer hie und da zielfremde Prozesse aus seiner Gesamtpsyche vorübergehend die zielorientierten Prüf- und Steuerakte verdrängen, beispielsweise wenn er zu lange einem hübschen Mädchen auf dem letzten Bahnhof nachsinnt oder wenn er zur Unzeit überlegt, wie er den Geburtstag seiner Frau feiern will oder ob sein Kind wohl die Schulprüfung machen wird u.a.m. Gerade im Interesse der erhöhten Flexibilität des Gesamtsystems können auch tätigkeitsbezogene und dennoch teilzielfremde Prozesse interferieren, beispielsweise die Ablenkung durch ein Geräusch in der Maschine oder die Beachtung eines potentiellen Selbstmörders auf der Strecke.

Die Vorzüge und Nachteile sind in praktischen Realisierungen von Mensch-Maschine-Systemen in ein jeweils ganz spezifisch optimales Verhältnis zu bringen, wobei auch Kosten-Nutzen-Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zur Zeit ist der menschliche Lokführer auf dem Zug zweifellos die eindeutig günstigere Lösung.

Der menschgeführte Eisenbahnzug gewinnt gegenüber einem gedachten automatisch geführten Zug unter anderem dadurch, dass der Lokführer unterwegs auf vielerlei "Irregularitäten" des Bahnbetriebs (kleine Verspätungen, verkürzte oder verlängerte Haltdauern, wechselnde Gleisbenutzungen u.a.m.) regulierend reagieren kann. Wohl der wichtigste Vorteil des menschlichen Lokführers ergibt sich aber aus dem Umstand, dass auf der Strecke mittels Signalen gegenüber dem Normalfall geänderte Bedingungen eingeführt werden können.

 

2.1. Lokführen beim jetzigen Signalsystem

Wenn wir diese handlungspsychologische Analyse des Lokführens auf die Situation beim jetzigen Signalsystem konkretisieren, kann man sich - sehr vereinfacht - etwa folgendes Bild machen.

Ein festes Gerüst von übergeordneten und untergeordneten Handlungszielen und Handlungen (also ein Handlungsplan) ist in allen wesentlichen Zügen im kognitiven System des Lokführers

repräsentiert. Damit ist eine abstrakte innere Repräsentation vom Dienstfahrplan zusammen mit der Streckenkenntnis gemeint. Der gesamte Handlungsplan des Lokführers dürfte durch seine bewussten Vorstellungen und Absichten darüber, was er wann und wo tun will, einigermassen direkt "abbildbar" sein.

Er hat nun im Rahmen dieser Ziel- und Handlungshierarchie mittels seiner Steuerungsoperationen den Zug an einem bestimmten Ort der Strecke und zu einer bestimmten Zeit auf eine bestimmte Geschwindigkeit gebracht, und er reguliert die Zielgeschwindigkeit laufend bzw. in kurzen Abständen mittels Prüfoperationen, d. unter Bezugnahme auf Tachometer, Streckenmerkmale, Maschinenverhalten u.a.m. Auf ausserordentliche Ereignisse im Streckenbereich oder im Maschinenbereich soll jetzt nicht eingegangen werden, sondern nur festgehalten werden, dass für die meisten solchen Fälle dem Lokführer eine grosse Menge von anpassbaren Handlungsplänen verfügbar sind, welche bei entsprechenden Anzeichen sofort abgerufen und mit dem gerade aktuellen Handlungsplan zwecks optimaler Problemlösung integriert werden können. Dieser Hinweis macht auch deutlich, dass die Handlungspläne, obwohl im Normalfall hochgeregelte Steuerungsbedingungen, sehr flüchtige Gebilde sind, welche unter gewissen Bedingungen extrem rasch massiven Veränderungen erliegen können.

Am Streckenrand treten nun "Signale", d. die dem Lokführer bestens bekannten Raumgestalten von farbigen Lichtern auf dunklem Grund (viereckigen Tafeln) auf. Die Tafeln signalisieren jeweils einen von 5 Fahrbegriffen (F1, F2, F3, F5 und Halt) als Hauptsignal oder einen von 5 Fahrbegriffen (F1*, F2*, F3*, F5* und Warnung) als Vorsignal. In vielen Fällen treten je ein Vor- und ein Hauptsignal am gleichen Ort zusammen als Doppelsignal auf. Der Lokführer wird die (beiden) Signalbilder in geeigneter Distanz wahrnehmen und routinemässig decodieren, d. in die entsprechenden Fahrbegriffe, das sind im wesentlichen Geschwindigkeitsanweisungen meist verbunden mit bestimmten Fahrstrecken (z.B. geradeaus oder Ablenkung), umsetzen. Das Hauptsignalbild ist in den meisten Fällen weitgehend irrelevant, das Haltsignal ausgenommen; allenfalls erlauben die Fahrbegriffe F2, F3 und F5 im Vergleich mit der augenblicklichen Zuggeschwindigkeit eine Kontrolle darüber, ob das vorausgehende Fahrverhalten dem Handlungsplan entspricht, bzw. ob der richtige Handlungsplan befolgt worden ist.

Das Vorsignalbild ist von grösserer Bedeutung. Seine Umsetzung in den entsprechenden Fahrbegriff ist entscheidend für die Aktualisierung des gültigen Handlungsplanes. Der festgestellte Fahrbegriff bzw. die zugehörige Fahrgeschwindigkeit muss nämlich die Bedeutung eines Handlungszieles für die nachfolgende Strecke bis mindestens zum nächsten Signalstandort gewinnen. Der bisherige Handlungsplan wird in den meisten Fällen zur Hauptsache vom Dienstfahrplan und der Streckenkenntnis her bestimmt sein; durch vorausgehende Signale mag er schon Modifikationen erlitten haben. Die geforderte Integration der neuen Information in den bisherigen Plan scheint also prinzipiell eine recht diffizile Aufgabe zu sein, deren Erfolg ganz wesentlich von den vorausgehenden Handlungen und insbesondere vom kurz- und mittelfristigen Gedächtnis abhängig ist.

Meistens resultiert dann, wenn die signalisierten Anweisungen von den Dienstfahrplan-Anweisungen nach unten abweichen, ein aufgeschobener Handlungsplan, d. der durch das Signalbild modifizierte Handlungsplan kann nicht unmittelbar ausgeführt werden, sondern er soll etwas später auf der Strecke dann zu geeigneten Bremshandlungen führen.

In den meisten Fällen ist es jedoch so, dass Signalbild und Dienstfahrplan in Übereinstimmung sind. Allerdings findet der Lokführer dies jeweils erst nach einer vollständigen Decodierung der Fahrbegriffe und einem Vergleich mit dem Dienstfahrplan heraus. Damit wird gewissermassen nach einer labilisierenden Vergleichsoperation der alte Handlungsplan in der Regel bestätigt. Er bestimmt das Handeln bis zum nächsten Signalstandort, wo ein analoger Verarbeitungsprozess von neuem beginnt.

Beim jetzigen Signalsystem leistet der Lokführer also eine grosse Zahl von Signaldecodierungen, die sich jeweils nach ihrem Abschluss als gewissermassen unnötig erweisen, weil nichts anderes als der bereits gültige Handlungsplan (Dienstfahrplan und Streckenkenntnis) bestätigt wird. Vermutlich hat man diese Signalisierweise mit dem Prinzip des "Doppelt-genäht-hält-besser" zu rechtfertigen versucht, dabei aber übersehen, dass man dem Lokführer ständig unnötige Labilisierungen seiner Handlungsplan-Restrukturierungen auferlegt. Wie aus den Befragungen der Lokführer im Rahmen der "Stress-Studie" von Bennina ORENDI (Überlegungen zu einem arbeitspsychologischen Stresskonzept: Folgerungen aus einer Untersuchung über die Arbeitssituation von Lokomotivführern. Diss.phil. Univ. Bern, 1982) hervorgeht, erleben denn auch die Lokführer als ihre grösste Sorge, dass sie in der Fülle der dargebotenen Signale gerade ein entscheidendes Signal übersehen haben könnten. Aus der vorstehenden Handlungs-analyse geht hervor, dass dieses Belastungsproblem wohl weniger eine Folge der blossen Zahl der zu verarbeitenden Signale ist, sondern vielmehr auf der Tatsache beruht, dass die wirklich handlungsrelevanten Signale erst dann als solche erkannt werden können, wenn ihr Gehalt analysiert und mit dem gegenwärtigen Fahrzustand verglichen worden ist. Es müssen also beim gegenwärtigen Signalsystem viele Signale vollständig decodiert werden, obwohl nur ein Teil davon für Handlungsplan-Änderungen gebraucht werden.

 

2.2. Lokführen bei einem handlungstheoretisch idealen Signalsystem

Damit ist bereits die wichtigste Forderung für ein handlungspsychologisch günstigeres Signalsystem aufgezeigt. Es müsste einen hauptsächlichen Merkmalsaspekt der Signalbilder dafür einsetzen, zwischen den handlungsplanänderungs-relevanten und den handlungsplanbestätigenden Signalen zu unterscheiden. Der Lokführer könnte dann gemäss Dienstfahrplan und Streckenkenntnis fahren - das ist in der Tat der Normalfall, er ist weitaus die meiste Zeit der Fall - und einem unmittelbar, d. ohne vorherige Dekodierung und Zustandsvergleich, erkennbaren Signalaspekt jedesmal entnehmen, dass nach wie vor der vom Dienstfahrplan her bestimmte Handlungsplan "in Kraft" ist. Die Ausnahme, die Abweichung vom Normalfall, müsste ihm hingegen ebenso unmittelbar signalisiert werden, zunächst als eine Aufforderung, das Signal überhaupt in seinem Detailgehalt zu decodieren. Erst dann wäre die vergleichsweise heikle Restrukturierung des aktuellen Handlungsplanes überhaupt erst vorzunehmen. Also nur die handlungsrelevanten Signale würden auf diese Weise die vorübergehende Labilisierung des Handlungsplanes nach sich ziehen. Es wäre damit eine wesentliche Reduktion der Stellen in der Handlungssteuerung des Lokführers zu erzielen, bei denen handlungsfremde Intrusionen aus der menschlichen Seite des Systems nachteilige Wirkungen ausüben können.

Die vorstehenden Überlegungen beruhen auf der Annahme, dass der Anteil der Signalstellungen von allen Signalen einer Strecke, welche mit dem Dienstfahrplan übereinstimmen, überwältigend gross ist. Dies war nicht nur der Eindruck einer Fahrt auf der Lokomotive, sondern es wurde uns auch von allen Gesprächspartnern bestätigt. Allerdings liegt kein Zahlenmaterial vor, schon gar nicht so, dass man sich über die zeitliche Variationsbreite dieses Anteils ein Bild machen könnte, etwa an Normaltagen verglichen mit Tagen mit vielen Verspätungen oder mit vielen Sonderzügen. Die Folgerung, die wir über die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen dem Bestätigungssignal und dem handlungsrelevanten Signal ziehen, scheinen uns allerdings gültig zu sein, sobald der Anteil der Normalfälle von allen Signalstellung über lange Zeit gesehen höher als etwa 80% wäre. Wir gehen im folgenden davon aus, dass dem so ist. Je höher der Anteil, desto bedeutsamer der Gewinn durch unser Prinzip.

Eine zweite Beobachtung bei der Analyse des jetzigen Signalsystems gilt der weitgehenden Überflüssigkeit des Hauptsignals, vom Haltsignal natürlich abgesehen. Es mag dem Lokführer dazu dienen, im Fall einer unsicheren Integration des zugehörigen Vorsignal-Fahrbegriffes in den aktuellen Handlungsplan, die so wichtige Sicherheit über die Richtigkeit seines Fahrhandelns wieder zu geben. In gewissen Fällen von nicht allzu hohen Geschwindigkeiten mag sein Aufscheinen sogar eine Korrektur eines falschen Handlungsplanes erlauben. Im grossen ganzen ist es aber bedeutungslos, und wenn sein Bestätigungswert mit einer anderen Massnahme realisiert werden könnte, könnte man im Hinblick auf die Entlastung des Lokführers von überflüssigen Decodierakten ohne weiteres auf das traditionelle Hauptsignal verzichten.

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2.3. Zusammenfassung in vier psychologische Prinzipien

Ohne diese Analyse nun bis in alle Einzelheiten weiterzutreiben scheint es uns möglich, aus handlungspsychologischer Sicht vier Prinzipien zu formulieren, welche übersichtlich zusammenfassen, wie die Signalisierung in einem idealen Mensch-Maschine-System ausgestaltet werden müsste. Das gemeinsame Ziel der Verwirklichung oder Annäherung dieser Prinzipien besteht darin, die Handlungsplan-Restrukturierungen, welche durch die Signale bewirkt werden sollen, möglichst sicher und effizient zu machen. Also keine unnötigen Labilisierungen des aktuellen Handlungsplanes und damit weniger Stellen in der gesamten Handlungssteuerung, wo handlungszielfremde Intrusionen auftreten können.

Die vier Prinzipien können in einer Hierarchie gesehen werden, derart, dass das Prinzip der Steuerungseindeutigkeit den andern Prinzipien überzuordnen wäre. Es akzentuiert den Unterschied zwischen Innensteuerung und Aussensteuerung des Lokführerhandelns. Das Prinzip der Kompetenzbetonung betrifft dann insbesondere einen arbeitspsychologisch wesentlichen Aspekt der Innensteuerung, während die beiden Prinzipien der Handlungs-aktualität und der Informationsprägnanz Aspekte der Aussensteuerung, d. der Signalverarbeitung, betreffen.

 

2.3.1. Steuerungseindeutigkeit: entweder Innen- oder Aussensteuerung

Dienstfahrplan und Streckenkenntnis des Lokführers sind zweifellos die primären Steuerungsdeterminanten des Fahrhandelns. Sie werden durch die auf der Strecke auftretenden Signale überlagert. Es ist also wichtig, dem Lokführer mit jedem Signal deutlich zu machen, ob dieses Signal jetzt zu einer Änderung seines Handlungsplanes führen muss, oder ob sein bisheriger Handlungsplan weiterhin unmodifiziert gültig bleibt, durch das aktuelle Signal also bloss in seiner Gültigkeit bestätigt wird. Diese Unterscheidung läuft darauf hinaus, dass man den Lokführer unmissverständlich entweder auf die Gültigkeit des Dienstfahrplans verweist und damit also ein "von innen" gesteuertes Handeln erwartet, oder aber ihm signalisiert, dass jetzt Abweichungen vom Dienstfahrplan gelten und damit die Innensteuerung, was die wesentlichen Handlungsziele betrifft, nämlich die Fahrgeschwindigkeiten, überlagert werden müssen durch die "von aussen" gegebenen Informationen, nämlich die Signale; natürlich bleibt weiterhin partielle Innensteuerung in Kraft, nämlich in bezug auf die durch die Streckenkenntnis bestimmte Feinsteuerung.

Das Prinzip der Steuerungseindeutigkeit besagt also, dass jedes Signal in einem prominenten Merkmalsaspekt entweder Innensteuerung oder Aussensteuerung anzeigen soll. Im Fall der Innensteuerung kann sich sein Informationsgehalt auf ¢Bestätigung der Gültigkeit des Dienstfahrplans¢ beschränkenª im Fall der Aussensteuerung kommt dazu eine differenzierte Information mit dem Ziel einer bestimmten Handlungsplanänderung.

Das Prinzip kann etwas vereinfacht auch so formuliert werden: den Normalfall bloss generell bestätigen, den Ausnahmefall differenziert anzeigen.

 

2.3.2. Kompetenzbetonung:die Handlungsfähigkeit des Lokführers achten

Das zweite Prinzip kann in gewissem Sinn als Folge des ersten betrachtet werden. Wenn man durch die Signalisierung stets eindeutig macht, wann der Lokführer in eigener Kompetenz handeln soll und wann nicht, dann darf man dieses eigenbestimmte Handeln, also die Innensteuerung auch voll ernst nehmen; durch die Eindeutigkeit des Eintretens der Aussensteuerung werden anderseits auch die Grenzen der Zuständigkeit des Lokführers definiert.

Kompetenz ist ja immer ein Begriff mit doppeltem Gesicht: er verweist einerseits auf die Fähigkeit oder das Fahrenkönnen, anderseits auf die Verantwortung oder das Fahrendürfen innerhalb von gegebenen Regeln.

Allgemein ist es eines der grossen Probleme der Entwicklung von immer komplexeren Mensch-Maschine-Systemen, dass die Rolle des Menschen darin zu einer minimalen Kontrollfunktion degradiert wird, dies verbunden mit dem Erfordernis von extrem weitreichenden Eingriffsentscheidungen im extrem seltenen Störfall. M.a.W. man steigert die Können-Kompetenz immer höher und reduziert gleichzeitig die Dürfen-Kompetenz auf besonders heikle Situationen. Dies hat sich psychohygienisch und damit auch aus dem Blickwinkel der Bewertung der Gesamtfunktionsfähigkeit und Sicherheit eines solchen Systems als äusserst nachteilig erwiesen. Dass diese vielerorts in teilautomatisierten Industrieanlagen gewonnenen Erkenntnisse auch für das Lokführen gelten bestätigt die Untersuchung von ORENDI (a.a.O).

In solchen Situationen ist es wenig sinnvoll und nicht zu verantworten, den menschlichen Operateur, auf den man im Störfall ja nicht verzichten kann, im Normalfall mit Scheintätigkeiten zu beschäftigen, nur damit er jederzeit "im" System ist. Die einzig vertretbare Lösung dieses Problems scheint die zu sein, dass man einen begrenzten Kompetenzbereich ausscheidet und hier nun wirklich auf den Menschen vertraut, ihm also Können-Kompetenz zumutet und Dürfen-Kompetenz erteilt. Der damit verbundene Motivationsgewinn dürfte sich, nach allem was wir darüber heute wissen, mit grösster Wahrscheinlichkeit positiv auf Leistung und Zuverlässigkeit auswirken.

Das Prinzip der Kompetenzbetonung fordert also die Hochachtung eines Bereiches eigenständigen menschlichen Handelns innerhalb des Mensch-Maschine-Systems bei gleichzeitiger Verdeutlichung der Grenzen dieses Bereichs. Streckenkenntnis und die aktuelle Verfügbarkeit des Dienstfahrplans sind derart wichtige Bestandteile eines effektiven Fahrhandelns, und sie sind in einem Störfall von so grosser Bedeutung, dass man sie auch im Normalfall mit gebührender Betonung einsetzen, ja gewissermassen "pflegen" sollte.

Auf dem Hintergrund der bestehenden Betriebsgewohnheiten der Bundesbahnen ist ein so verstandenes Kompetenzprinzip gewiss nicht eine Neuerung; dennoch darf man wohl sagen, dass infolge der historisch gewachsenen betrieblichen Vorgänge mancherlei Unschärfen in Bezug auf Informationsverpoppelungen und Kompetenzabgrenzungen bestehen, und dass eine Verbesserung in dieser Hinsicht wünschbar ist.

Offen ist, wie eine verstärkte Kompetenzbetonung von den Lokführern aufgenommen werden wird. Nach der allgemeinen Erfahrung wird man auf eine geteilte Reaktion vorbereitet sein müssen: während in analogen Fällen eine Mehrheit die Kompetenzbetonung begrüsst, wird wahrscheinlich eine Minderheit die damit verbundene Verantwortung scheuen. Es geht uns jedoch weniger um eine Ausweitung der Kompetenz, als um eine Klarstellung des Kompetenzbereichs.

 

2.3.3. Handlungsaktualität:an Zeit und Ort des Handelns signalisieren

Die beiden letzten Prinzipien betreffen die Art und Weise der handlungspsychologisch optimalen Integration von signalvermittelter Information in den Handlungskontext.

Als erstes kann man aufgrund vielfältiger theoretischer und empirischer Befunde behaupten, dass eine neue Information eine umso grössere Chance hat, richtig in einen Handlungsplan integriert zu werden, je unmittelbarer ihr Eintreffen dem durch sie geforderten Handeln vorausgeht.

Daraus lässt sich das Prinzip der Handlungsaktualität ableiten, welches besagt, dass die handlungsbestimmenden Signale nach Möglichkeit dort aufgestellt werden sollten, wo in der Regel die erwünschte Handlung stattfinden soll.

Mit diesem Prinzip wird nicht nur der Wahrscheinlichkeit des Vergessens entgegengewirkt, sondern seine Verwirklichung vermindert auch die Intrusion von zielfremden Elementen in die Restrukturierung des Handlungsplans. Konkret wird das Prinzip allerdings in Hinsicht auf die typischen bzw. ungünstigsten Bremsstrecken etwas relativiert werden müssen.

 

2.3.4. Informationsprägnanz:Information einfach und prominent codieren

Ähnlich gut begründen lässt sich aus der allgemeinen Psychologie die Erkenntnis, dass eine einzelne und prominente Information die grössere Chance hat, korrekt handlungsrelevant zu werden als eine Kombination von zwei oder mehr gleichzeitig angebotenen Informationen, deren Code zudem unnötig komplex und/oder anderen Codes allzu ähnlich ist.

Zwei Informationen haben zunächst den Charakter einer Denkaufforderung: es muss entschieden werden, was mit der einen und was mit der andern geschehen soll; während der Zeit der Bearbeitung der einen Information muss die andere zwischengespeichert werden. Generell laufen zwei Informationen Gefahr untereinander in ein Interferenzverhältnis zu geraten, wodurch das Verwechslungsrisiko steigt.

Informationsverschlüsselungen sind leichter und zuverlässiger zu decodieren, wenn Eigenschaften der Botschaft in den Eigenschaften des Codes eine Korrespondenz finden. Einerseits soll also ein häufig vorkommender Code von im technischen Sinn geringem Informationsgehalt einfach sein, ein seltener Code, der mehr Information bringt, darf dementsprechend mehr Komplexität aufweisen. Im Idealfall korrespondieren Code-Eigenschaften noch direkter mit Botschafts-Eigenschaften, derart dass z.B. eine "starke" Botschaft einen besonders intensiven, eine wichtige Botschaft einen besonders prominenten Code erhält.

Das Informationsprägnanzprinzip fordert die Konzentration der Signalisierung auf jeweils eine einzige, möglichst prägnant codierte Information, die damit den Charakter einer relativ direkten Handlungsanweisung bekommen kann. Ein prägnanter Code nutzt wenn möglich die zwischen Botschaft und Code bestehende innere Korrespondenz und gibt der wichtigen Botschaft besondere Prominenz.

Wie schon verschiedentlich festgestellt wurde, verstösst der gegenwärtige Signalcode gegen die "Logik" ihrer Botschaft, insofern er die verschiedenen Geschwindigkeitsstufen völlig arbiträr mit mehr oder weniger grünen und orangen Farblichtern anzeigt.

Ferner hat beim jetzigen Signalsystem das Hauptsignal im Vergleich mit dem Vorsignal einen geringen Informationswert. Um

der Einheitlichkeit der Information willen sollte es also eliminiert bzw. sein Informationsgehalt auf andere Weise übermittelt werden. Gelingt es, seine besonderen Bedeutungen als Haltgebot und als Bestätigungssignal auf andere Weise zu erreichen, so kann auf die heutigen Doppelsignale mit zwei Informationen am gleichen Standort ohne weiteres verzichtet werden.

 

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3. Beurteilung der Signalsysteme anhand der psychologischen Prinzipien  

Im vorangehenden Kapitel wurde ein theoretischer Hintergrund für die Beurteilung von Signalsystemen bei der Eisenbahn allgemein entwickelt. Er soll nun auf das jetzige Signalsystem und die von der SBB vorgeschlagenen vier neuen Signalsysteme angewendet werden. Abbildung 3a resümiert den Aufbau dieser fünf Systeme unter Zugrundelegung der Signalbuches der SBB von 1982 und des Protokolls der "Projektgruppe Signalisierung ZfW 21" vom 23.6.83. (vgl. den Auszug im Anhang B).

Um die Lesbarkeit unserer Ausführungen zu erleichtern, bezeichnen wir im folgenden die Signalsysteme mit den folgenden, die Bezeichnungen der SBB vereinfachenden Abkürzungen:

 

<J> Jetziges oder heutiges Signalsystem

<I1> Variante Ia1

<II1> Variante IIa1

<I2> Variante Ia2

<II2> Variante IIa2

 

Die folgenden Kollektivbezeichnungen bedeuten:

<I> Alle vier Varianten <I1>, <II1>, <I2> und <II2> zusammen

<1> Die beiden Varianten <I1> und <II1> zusammen

<2> Die beiden Varianten <I2> und <II2> zusammen

 

 

3.1. Beschreibung der fünf Signalsysteme

3.1.1. Jetziges Signalsystem mit 5 Fahrbegriffen 

Das jetzige System <J> besteht aus 5 Fahrbegriffen, welche je in einem Vor- und in einem Hauptsignalbild dargestellt werden. (Spezialfälle wie 2 grüne Lichter nebeneinander am Vorsignal oder 2 orange Lichter übereinander am Hauptsignal (F6) lassen wir ausser acht.)

Im Gegensatz zu den neu vorgeschlagenen Systemen wird bei <J> die Fahrerlaubnis und die Geschwindigkeitssignalisierung in einen kombinierten "Fahrbegriff" verschlüsselt. Ferner ist Doppel-

 

 

Abbildung 3a: Signalbilder des jetzigen Systems <J> (oben) und der vier neuen Varianten (Mitte und unten)


signalisierung, d. also zwei Fahrbegriffe als Vor- und Hauptsignal am gleichen Standort, möglich, auf dichtbefahrenen Strecken sogar die Regel. Nur "Warnung" und "Halt" haben eindeutigen Charakter bezüglich der Handlung, da alle übrigen Fahrbegriffe in Abhängigkeit vom Dienstfahrplan interpretiert werden müssen. Theoretisch sind alle Vorsignalfahrbegriffe mit allen Hauptsignalfahrbegriffen kombinierbar, was eine grosse Zahl von möglichen Signalisationen an einem Standort ergibt, nämliche 25 verschiedene Konstellationen, von denen praktisch allerdings einige nie vorkommen.

 

3.1.2. Neue Varianten mit Farblicht- und Geschwindigkeitstafel <1>

Die Vorschläge <1>, d. also <I1> und <II1>, bringen Signale mit je einer Farblichttafel und einem Geschwindigkeitssignal. Das Geschwindigkeitssignal ist eine Zahl und hat entweder den Charakter eines Vorsignals (nämlich wenn die Geschwindigkeit herabgesetzt werden muss) oder den Charakter eines Ausführungssignals (wenn die Geschwindigkeit gleich bleibt oder erhöht werden kann). Die Farblichttafel zeigt die Fahrerlaubnis "grün" oder das Haltsignal "rot" als Ausführungs- oder Hauptsignal beziehungsweise in <II1> die Warnung "orange" als Vorsignal, nämlich mit der Bedeutung "Bremsen bis zum nächsten Signal, das auf Halt stehen wird". Bei <I1> wird dieselbe Bedeutung durch einen orangen Winkel auf der Ziffertafel bei gleichzeitigem grünen Farblicht signalisiert.

Die beiden Varianten <I1> und <II1> unterscheiden sich also nur darin, dass als Vorsignal angezeigte Bremsungen auf Geschwindigkeiten grösser null in <I1> mit einem Winkelsymbol unter der Geschwindigkeitsanzeige, bei <II1> jedoch mit demselben orangen Signallicht auf der Farblichttafel, welche auch "Warnung", d. Bremsen auf null, anzeigt, besonders hervorgehoben werden. In <I1> ist sowohl grün als auch orange handlungsbezogen mehrdeutig: grün kann "fahren" oder "bremsen" anzeigen, orange "bremsen" oder "auf null bremsen". In <II1> ist grün eindeutig "fahren", während orange je nach der angezeigten Zahl stärkere oder schwächere Bremsungen verlangt. In beiden Varianten <1> ist die Bremsung auf Halt wenig auffällig mit einem einzelnen orange signalisiert. Abgesehen vom "Wert" der Zahlanzeige sind in beiden Varianten jeweils 5 verschiedene Signalkonstellationen möglich.

 

3.1.3. Neue Varianten mit Farblicht- und 2 Geschwindigkeitsanzeigen <2>

Die im Lauf des Jahres 1983 zusätzlich entwickelten Varianten <2>, d. also <I2> und <II2>, kombinieren eine Farblichttafel mit zwei digitalen Geschwindigkeitsanzeigen. Die Varianten <2> werden also in aller Regel als Doppelsignale auftreten.

Ähnlich wie bei <1> haben die Farblichter grün und rot Hauptsignalcharakter, während orange unterschiedliche Vorsignalbedeutungen aufweist. Von den Geschwindigkeitsanzeigen ist die obere grün und bedeutet als Hauptsignal: "fahre ab hier mit der angezeigten Geschwindigkeit"; die untere ist orange und signalisiert als Vorsignal eine bis zum nächsten Signal zu erreichende Geschwindigkeit. Ähnlich wie bei <1> ist die orange Ziffer bei <I2> durch ein grünes bzw. bei <II2> durch ein oranges Farblicht begleitet, wenn eine Bremsung auf eine Geschwindigkeit grösser null vollzogen werden soll. Bei Bremsungen auf Halt fehlt die Ziffer; das einzelne orange Farblicht bedeutet "Warnung vor Halt". Sieht man wiederum vom angezeigten Zahlwert ab, so sind bei beiden Varianten je 7 verschiedene Signalkonstellationen möglich.

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3.2. Beurteilung der fünf Signalsysteme im ganzen

Wenn wir zunächst ganz global untersuchen, inwieweit die Signalsysteme den vier handlungspsychologischen Prinzipien gerecht werden, stellen wir gewisse Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind:

 


Psychologische Prinzipien

Signalsystem

<J>
<I1>
<II1>
<I2>
<II2>

Steuerungseindeutigkeit

0
0
0
0
0

Kompetenzbetonung

1
1
1
1
1

Handlungsaktualität

0
2
2
0
0

Informationsprägnanz

0
1
1
0
0

Dabei heissen: 0 = nicht erfüllt; 1 = nur bedingt erfüllt;2 = kann erfüllt werden; 3 = erfüllt


 

Im einzelnen bedürfen diese Beurteilungen eines Kommentars. Das Prinzip der Steuereindeutigkeit ist in keinem der 5 Systeme erfüllt, was nicht verwundert, weil die Systeme unter ganz andern Gesichtspunkten konstruiert worden sind. Geht man davon aus, dass für den Lokführer in erster Linie die Entscheidung wichtig ist, ob er eine besondere, vom Stellwerk geforderte und deshalb über das Signal angezeigte Steueroperation, insbesondere eine Bremshandlung, einleiten soll oder nicht, so erweist sich allerdings die Nichtberücksichtigung dieses Prinzips als problematisch. Dieser Ausnahmefall vom Dienstfahrplan fällt nämlich nicht auf, die Entscheidung ist dem Lokführer erst nach detaillierter Decodierung des Signalinhalts und Vergleich mit dem Dienstfahrplan möglich.

Vom Kompetenzprinzip kann man nur mit Einschränkung sagen, dass die 5 Signalsysteme darauf bezugnehmen. Zweifellos wird durch alle Signalsysteme beim Lokführer die Können-Kompetenz vorausgesetzt, dass er Signalbilder richtig decodieren und für sein Fahrverhalten auswerten kann; auch die Dürfen-Fahrkompetenz im Rahmen der Signalisierung wird ihm zugesprochen. Die Konstrukteure der Signalsysteme sind aber davon ausgegangen, dass zwei Anweisungen besser sind als eine. Etwas überspitzt formuliert, hält man für zu wenig sicher, dass der Lokführer nach dem Dienstfahrplan richtig fährt, und man verdoppelt deshalb die Dienstanweisung durch Signale. Dafür bezahlt man den Preis, dass Abweichungen vom Dienstfahrplan wohl signalisiert werden können, dass aber das Risiko ihrer Missachtung steigt, weil sie dem Lokführer als Ausnahmen erst bewusst werden können, wenn er den Signalgehalt vollständig decodiert und mit dem Dienstfahrplan verglichen hat. Die nur bedingte Achtung der Kompetenz des Lokführers hat also die notwendige Konsequenz, dass man ihn der Belastung aussetzt, alle Signale decodieren zu müssen. Er ist dann, weil es sich ja schliesslich um einen Routinevorgang handelt, nie ganz sicher, ob er nun das gerade "vorbeigeflogene" Signal richtig decodiert hat, oder ob vielleicht gerade hier einmal eine Ausnahme signalisiert worden ist. Das Ergebnis ist unnötige Überlastung, Stress.

Etwas günstiger ist die Beurteilung bei den Prinzipien der Handlungsaktualität und der Informationsprägnanz, allerdings nur was die Systeme <1> betrifft. Die Handlungsaktualität kann in <1> durch optimale Standortwahl für die Signale verbessert werden; ob dies für <2> ebenfalls zutrifft, ist uns nicht ganz klar, weil die Standorte von Vor- und Hauptsignal ja durch ihre gegenseitiges Aufeinanderbezogensein festgelegt sind.

Die Informationsprägnanz ist bei <1> in einem gewissen Ausmass, bei <2> gar nicht erfüllt. In allen Varianten werden, wenngleich in unterschiedlichem Ausmass, Vor- und Hauptsignalisierung miteinander kombiniert und die handlungswichtigen Signale sind nicht prominent ausgezeichnet. Bei <2> treten häufig gleichzeitig zwei digitale Informationen mit unterschiedlicher Handlungsrelevanz auf; bei <1> ist dies zwar nicht der Fall, doch werden in ihrer Bedeutung recht unterschiedliche Fälle stets nur mit unterschiedlichen Kombinationen derselben Merkmalsaspekte (grün, orange und Zahl) dargestellt

 

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3.3. Beurteilung der fünf Signalsysteme im einzelnen

3.3.1. Jetziges Signalsystem mit 5 Fahrbegriffen

Obwohl das heutige System für einen Weiterausbau nicht in Frage kommt, haben wir es zu Vergleichszwecken in die Detailbeurteilung einbezogen, weil hier praktische Erfahrungen vorliegen, die dem neuen System nutzbar gemacht werden sollen.

 

3.3.1.1. Theoretische Beurteilung

Die Ausführungen in (3.2) betreffend Steuerungseindeutigkeit und Kompetenzbetonung brauchen nicht wiederholt zu werden. Das System setzt auf Parallelführung von Innen- und Aussensteuerung und versäumt dadurch, den für den Lokführer wichtigen Ausnahmefall auszuzeichnen. Der Lokführer ist mit Signaldecodierungen beschäftigt, deren Ergebnis sich in den meiten Fällen als als "schon bekannt" erweist, wodurch die Entdeckungswahrscheinlichkeit des Ausnahmefalls sinkt. Die Signalaufstellung ist nicht optimal, der Ort der Informationsaufnahme und der Ort der Handlungsausführung können beträchtlich voneinander abweichen. Doppelsignalisierung (Vor- und Hauptsignal am gleichen Standort) führt zu Interferenzen, wodurch Verwechseln und Vergessen wahrscheinlicher werden.

 

3.3.1.2. Auswertung von Fehlermeldungen 1978-82

Es standen uns 288 vom Fahrdienst in den Jahren 1978-82 registrierte Fahrfehler zur Auswertung zu Verfügung (Untersuchungen von Signalunregelmässigkeiten, ZfW, vom 24.11.83). Dabei war stets ein auf Halt stehendes Hauptsignal überfahren worden; die Bedingungen und Folgen des Fehlers wurden protokollarisch

festgehalten. Unsere Auswertung verfolgt ausschliesslich den Zweck, aus den festgestellten Zusammenhängen zwischen Signalaufstellung, Signalbildern und Fehloperationen Hinweise auf tieferliegende Fehlerursachen zu gewinnen, um sie der Entwicklung eines neuen Signalsystems nutzbar zu machen. Zwingende Schlussfolgerungen können aus diesem Material nicht gezogen, wohl aber Denkanstösse gewonnen werden.

Die in den Protokollen verwendeten Kategorien wurden übernommen. Es bedeuten:

vg = vergessen, vw = verwechseln

Br = unsachgemässes Bremsen, Ü = übrige Ursachen

VS = Vorsignal, HS = Hauptsignal

E = Einfahrsignal, A = Ausfahrsignal

G = Gleissignal, B = Blocksignal

Die nachstehende Tabelle zeigt die Häufigkeit der festgestellten Fehlerkategorien in Abhängigkeit von der Signalkombination beim Vorsignal:

 

VS-Typ

Fehlerkategorie

vg oder vw
Br
Ü
Summe

VS allein

70
-
46
16
132

VS mit HS

1
71
29
18
119

HS ohne VS

-
-
0
37
37

Summe

142
75
71
288

 Ging dem überfahrenen Signal ein Doppelsignal VS mit HS voraus, so konnte zwischen den Fehlerkategorien vg und vw nicht sicher unterschieden werden; sie wurden grundsätzlich als vw eingestuft, während sie beim alleinstehenden Vorsignal als vg kategorisiert wurden; daher werden die Häufigkeiten in der Summe zusammengefasst. Bei HS ohne VS handelt es sich ausschliesslich um Ausfahrsignale, die bei der Abfahrt auf Halt standen und deren fehlerhaftes Überfahren nicht dem Lokführer angelastet werden kann; daher werden sie nicht weiter berücksichtigt. Die Tabelle zeigt, dass ungefähr die Hälfte der Gesamtfehlerzahl auf Vergessen oder Verwechseln zurückgeführt werden kann.

In der folgenden Analyse wird untersucht, ob die Fehler bei den verschiedenen Hauptsignalarten gleichwahrscheinlich sind. Zu diesem Zweck relativieren wir die beobachteten Fehlerhäufigkeiten durch errechnete Erwartungswerte, welche wir dann erhalten würden, wenn die Fehler bei allen Signalarten gleichwahrscheinlich wären. Die folgende Tabelle zeigt jeweils vor dem Bruchstrich die beobachtete Fehlerzahl, nach dem Bruchstrich den theoretischen Erwartungswert für die betreffende Signalkonstellation:

VS-Typ

Hauptsignalart

E
G
A
B

VS allein

98/97
2/7
11/7
21/21

VS + HS

21/6
17/6
73/97
8/10

Es zeigt sich, dass das alleinstehende Vorsignal keine überzufällig häufigen Fehler bedingt, während die Vorsignal-Hauptsignal-Kombination vor allem bei Einfahrt- und Gleissignalen überzufällig häufig Fehler nach sich zieht. Ohne dass wir entscheiden können, ob es sich um Vergessen oder Verwechseln handelt, können wir vermuten, dass die Doppelsignalisierung ausschlaggebend war.

Eine dritte Analyse ist dem "Schweregrad" der verschiedenen Fehlerkategorien gewidmet. Verglichen werden bei den Fällen aus den Jahren 1981-82, wo diese Information verfügbar ist, die durchschnittlichen Überfahrungsdistanzen des "Halt" zeigenden Hauptsignals in Abhängigkeit von der Fehlerkategorie. Auch hier ist Vergessen und Verwechseln nicht eindeutig definiert; es sei aber daran erinnert, dass Vergessen immer nur bei alleinstehenden Vorsignalen, Verwechseln jedoch bei Doppelsignalen angenommen wurde.

Fehlerkategorie

vg
vw
Br
Ü
Anzahl Fälle
22
17
25
19
durchschnittliche Distanz (m)
119
177
65
96
Standardabweichung
78
141
69
142

Es zeigen sich der Tendenz nach die grössten Überfahrungsdistanzen (und damit das grösste Risiko) bei der Kategorie Verwechslung, also nach Doppelsignalisierung.

Eine weitere Analyse hat keine Bestätigung der Hypothese erbracht, dass Vergessen vielleicht bei besonders langen Blockstrecken gehäuft vorkomme.

Insgesamt zeigen die Fehlerauswertungen, dass in der Doppelsignalisierung eine Schwachstelle der jetzigen Signalisierung vermutet werden kann; der Fehlerquelle "Verwechseln" sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

 

3.3.2. Neue vorgeschlagene Syste

In allen vier Varianten wird zwischen Innen- und Aussensteuerung nicht getrennt, was unmittelbar zur Folge hat, dass auch die Informationsprägnanz nicht gewährleistet ist. <II1> ist u. gegenüber <I1> relativ vorzuziehen, weil bei <II1> immerhin Bremsen stets auf dieselbe Weise angezeigt wird, nämlich mit einem orangen Licht, während bei <I1> mal ein oranges Licht, mal ein Winkelsymbol gezeigt wird. Die "Logik" des Systems, d. die logische Korrespondenz zwischen Signalintensität und Handlungsintensität ist wie bei <J> nicht gewährleistet, da mit einem einzelnen orangen Licht zum Halten aufgefordert wird, mit orangem Licht plus oranger Zahl bei <II1> jedoch zu einem weniger weitgehenden Bremsen, und wiederum mit einer einzelnen orangen Zahl (verbunden mit grün) zu weiterfahren oder beschleunigen. Analoge Überlegungen gelten für die Systeme <2>.

 

3.4. Gesamtbeurteilung

Keines der hier beurteilten Signalsysteme vermag auf dem Hintergrund der handlungspsychologischen Prinzipien voll zu befriedigen. Obwohl System <J> sich in der Praxis bewährt, konnte anhand der Fehleranalyse mindestens eine Schwachstelle in der Doppelsignalisierung ausgemacht werden; diese Fehler analyse steht in Übereinstimmung mit einer aus den Prinzipien abgeleiteten Erwartung. Die neu vorgeschlagenen Systeme weisen zum Teil dieselbe Schwachstelle auf. Ihre Beurteilung anhand der handlungspsychologischen Prinzipien lässt auf eine Reihe von weiteren wahrscheinlichen Mängeln schliessen.

 

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4. Vorschlag zu einem neuen System <Y> auf der Grundlage der vier Prinzipien  

Bei der Beurteilung der bestehenden und geplanten Signalsysteme aufgrund der handlungspsychologischen Prinzipien drängte sich die Feststellung auf, dass keines dieser Signalsysteme zu befriedigen vermag. Der Gedanke liegt damit nahe, auf der Basis der Prinzipien ein neues Signalsystem zu konstruieren. Wir tun dies nicht in der Absicht, als Signalkonstrukteure aufzutreten, sondern in der Meinung, dass die etwas abstrakten psychologischen Prinzipien der Konkretisierung bedürfen und auch am besten in der Form einer konkreten Konstruktion auf die Probe gestellt werden können. Ob das vorgeschlagene System auch die praktischen Anforderungen zu erfüllen vermag, müssen weitere Analyse zeigen, welche über die psychologischen Gesichtspunkte hinausreichen.

Das Vorgehen zur Konstruktion bedient sich der prinzipiengeleiteten Intuition. Prinzip 4 (Informationsprägnanz) fordert die Elimination der Doppelsignale, wobei allerdings der in der Unterscheidung zwischen Vor- und Hauptsignal enthaltene Unterschied zwischen Handlungseinleitung und Bestätigung des Handlungsziels durch einen anderen Merkmalsaspekt der Signale erhalten bleiben sollte. Dieser Merkmalsaspekt berücksichtigt Prinzip 3 (Handlungsaktualität). Neu ins System eingeführt werden müssen Merkmale für Prinzip 1 (Steuerungseindeutigkeit)' womit gleichzeitig auch Prinzip 2 (Kompetenzbetonung) Rechnung getragen werden kann. Selbstverständlich ist nach wie vor die Unterscheidung zwischen Fahren und Halt fundamental.

Auf der theoretischen Ebene muss jedes einzelne Signal in jedem Fall und gleichzeitig Auskunft geben über jede der drei folgenden Alternativen (Dichotomien); und nur in einem besonderen Fall braucht es weitergehende Information darzubieten. Anders gesagt, der Signalcode variiert in 3 dichotomen Bedeutungskontrasten, wovon einer die Ausweitung zu einer mehrwertigen Variablen erlauben muss:

 

a) In Rücksicht auf die Handlungsaktualität muss jedes Signal

- entweder anzeigen: "hier ist Information, die du brauchst, um deinen aktuellen Handlungsplan zu revidieren und dann eine entsprechende Steuerungshandlung einzuleiten!" (= Aktionssignal),

- oder anzeigen: "hier muss das Resultat einer Steuerungshandlung erreicht worden sein: überprüfe!" (= BestätigungssignaI).

 

b) Ganz generell auf dem Hintergrund der Sicherheitsforderung, aber auch in Berücksichtigung des Kompetenzprinzips, muss jedes Signal

- entweder anzeigen: "hier musst du in jedem Fall halten, d.h. die früher angezeigte Halt-Aufforderung erfolgreich durchgeführt haben!" (= Haltesignal),

- oder anzeigen: "hier kannst du grundsätzlich weiterfahren!" (= Fahrsignal).

 

c) Entsprechend dem Prinzip der Steuerungeeindeutigkeit, und wiederum auch in Rücksicht auf das Kompetenzprinzip, muss ferner jedes Signal eindeutig machen, dass .

- entweder von hier bis zum nächsten Signal der Dienstfahrplan gilt und der Lokführer seiner Streckenkenntnis entsprechend optimal fahren soll (= Innensteuerung),

- oder von hier bis zum nächsten Signal die Fahrt unter der Kontrolle des Stellwerks steht und somit alle Dienstfahrplan- und Streckenkenntnis-Vorschriften durch den hier gegebenen Signalwert zu modifizieren sind (= Aussensteuerung).

 

Nur in diesem letzten Fall ist es nötig, dass das Signal zusätzlich einen bestimmten, durch den Lokführer zu decodierenden Wert, nämlich eine Detailinformation anbietet, die nun bis zum nächsten Signal das Handlungsziel in spezifischer Weise bestimmt, und die immer auch ein Aktionssignal ist, d.h. in der Regel möglichst unmittelbar zu einer Steuerungsoperation führt (Einleitung einer Geschwindigkeitsänderung wie Bremsen oder Beschleunigen). Im Interesse der Sicherheit ist angezeigt, Aktionssignale, welche zu starken Bremsoperationen oder gar Halteoperationen führen, durch einen besonderen Merkmalsaspekt auszuzeichnen.

 

 

Abbildung 4a: Skizze einer möglichen Einheits-Signaltafel im System <Y> zur Darstellung aller drei Signalelemente "rot", "grün" und "orange Zahl" (letztere in gewissen Fällen blinkend). Links die Basisvariante mit Einzellichtern, rechts die Variante "L" mit Lichterreihen für "rot " und "grün".


 

Wenn wir die beschriebenen Anforderungen in ein konkretes Signalbild-System umzusetzen versuchen, so zeigt sich, dass

1) alle Anforderungen mit einem Einheitssignal bestens erfüllt werden können, und dass

2) alle Anforderungen in ein erstaunlich einfaches Signalschema eingebracht werden können.

 

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4.1. Beschreibung des Systems <Y> mit Einheitssignal

Abbildung 4a zeigt die mögliche Tafel eines Einheitssignals, mit der alle nötigen Signalbilder so realisiert werden können, dass sie mit dem bisherigen Signalsystem voll koordiniert sind. Sollte es im Hinblick auf eine etappierte Einführung des neuen Systems notwendig sein, dass jedes Signal unmittelbar und ohne Einschränkung als dem neuen System <Y> zugehörig erkannt werden kann, so könnte dies mit einer Variante "L" erreicht werden, in der das Farblicht durch ein Linie von Farbpunkten ersetzt wird.

Die rechteckige Tafel ist nach der Grösse der anderthalbstelligen Zahl (erste Stelle auf "1" oder "dunkel" beschränkt) zu dimensionieren. Die Tafel enthält drei Signalelemente: in der Mitte die orange Zahl als Punktmuster, darüber ein einzelnes grünes Signallicht und darunter ein einzelnes rotes Signallicht. Bei Variante "L" werden die beiden Signallichter durch eine senkrechte Reihe von 5 grünen Einzelpunkten bzw. durch eine waagrechte Reihe von 5 roten Einzelpunkten ersetzt.

Die Tafel zeigt unter den folgenden Bedingungen die nachstehenden Signalbilder bzw. Bedeutungen:

1) Es brennt immer mindestens eines der drei und immer nur gerade eines der drei Signalelemente grün, orange oder rot. Brennt kein Licht oder mehr als eines der 3 Signalelemente gleichzeitig, so hat der Führer auf Sicht bis zum nächsten Signal weiterzufahren.

Dies Bedingung könnte in einer Variante "R" eingeschränkt werden, indem der Kombination orange Zahl mit grünem Licht eine besondere Bedeutung zukäme (vgl. Abschnitt 4.3 und 5.1.10).

 

2) Rot bedeutet: absoluter Halt vor dem Signal (Aussensteuerung, Haltesignal, Bestätigungssignal).

 

3) Grün bedeutet: Weiterfahrt bis zum nächsten Signal gemäss Dienstfahrplan und Streckenvorschriften (Innensteuerung, Fahrsignal, Bestätigungssignal).

 

4) Orange leuchtet immer als eine Zahl und kann die Werte 0, 2 3 4 ... 10 11 ... 19 annehmen. Die Zahl kann stetig angezeigt werden oder mit 60/min. blinken; die Zahl 0 (null) wird mit Schrägstrich und immer mit erhöhter Blinkfrequenz (100/min.) angezeigt (Aussensteuerung, Fahrsignal, Aktionssignal). Die Blinkfrequenz muss im Verhältnis zur Dauer der Signalsichtbarkeit stehen; der Blinkzyklus kann z.B. 75:25 betragen.

Die orange Zahl bedeutet allgemein: Der Wert der Zahl ist zu erkennen und es ist im Rahmen von Dienstfahrplan und Streckenvorschriften so weiterfahren, dass spätestens bis zum nächsten Signalstandort die angezeigte Geschwindigkeit erreicht ist.

a) Die stetige orange Zahl bedeutet: es handelt sich dabei um eine gegenüber der bisherigen Sollgeschwindigkeit gleichbleibende oder erhöhte Geschwindigkeit, die entsprechende Geschwindigkeitsanpassung kann unmittelbar eingeleitet werden (Aussensteuerung, Fahrsignal, Aktionssignal, überprüfen und ev. beschleunigen°).

b) Die blinkende orange Zahl bedeutet: es handelt sich um eine Geschwindigkeitsreduktion und gefordert ist also sicher demnächst eine Bremsoperation (Aussensteuerung, Fahrsignal, Aktionssignal, Bremsen°). Denkbar ist auch eine Variante "D", bei welcher das Blinken nur bei einer Differenz von mindestens z.B. 40km/h zwischen der Dienstfahrplan- und der Signalanzeige-Sollgeschwindikgeit eintritt.

c) Die schnell blinkende orange Null bedeutet: es handelt sich um eine Warnung auf einen Halt hin: Bremsen ist absolut erforderlich und das nächste Signal steht auf Halt (rot) (Aussensteuerung, Fahrsignal, Aktionssignal, auf Halt hin Bremsen°). Die Form der Null kann zudem von allen andern Zahlen unterschiedlich gestaltet werden (Super-Null, vgl. Abbildung 4a).

 

5) Steht die wartende Lokomotive vor dem roten Haltesignal und

a) wechselt dieses auf grün, so ist gemäss Dienstfahrplan und Streckenvorschriften weiterzufahren (Innensteuerung, Fahrsignal);

b) wechselt dieses auf eine orange Zahl, so ist gemäss Streckenvorschriften weiterzufahren derart, dass beim nächsten Signal die angezeigte Geschwindigkeit eingehalten ist (Aussensteuerung, Fahrsignal).

 

4.2. Das Signalschema des Systems <Y>

Betrachten wir den gesamten Satz der möglichen Signalbilder des Einheitssignals, so wird gemäss den Konstruktionsüberlegungen deutlich, dass dem System ein verblüffend einfaches Signalschema zugrundeliegt. Dieses Signalschema, hat man seine Struktur einmal begriffen, macht jeden weiteren Lernvorgang zu seiner Bewältigung unnötig. Sieht man von der Zahl ab, so kann das Signal unter Einbezug des Blinkaspekts nur 5 Konstellationen annehmen (rot, grün, orange Zahl stetig, blinkend oder schnell blinkend).

Abbildung 4b zeigt den schematischen Aufbau des Systems <Y>. Es enthält 3 Signalelemente. Davon sind zwei (grün, rot) zweiwertig, d. das betreffende Element ist entweder "ein" oder "aus"; das dritte (orange) ist mehrwertig (Zahlen 0, 2, 3, 4 ... 19) und es zeigt den Zusatzaspekt Blinken in jeweils einer von drei Stufen (stetig, 60/min., 100/min.). Die drei Signalelemente grün, rot und orange können leicht in drei Kontrastgruppen aufgeteilt werden.

 

4.2.1 Bestätigungssignal vs. Aktionssignal

Grün und rot sind Bestätigungssignale, orange ist in jedem Fall ein Aktionssignal. Dynamisch tritt als weiteres Aktionssignal der Wechsel von rot auf grün bzw. orange hinzu.

Die Bedeutung eines Bestätigungssignals ist: angesichts dieses Signals ist eine bestimmte Regel gültig. Im Falle von "rot" gilt: vor dem Signal anhalten. Im Falle von "grün" gilt: von hier bis zum nächsten Signalstandort gilt die Innensteuerungsregel: fahre nach Dienstfahrplan und Streckenvorschriften bis zum nächsten Signal.

 

 

Abbildung 4b: Signalschema des Systems <Y>. Die drei Signalelemente sind nach den drei Kontrastgruppen aufgeteilt. Die orange Zahl wird stetig oder blinkend dargeboten.


 

Die Bedeutung eines Aktionssignals ist: decodiere dieses Signal auf der nächst detaillierteren Ebene (Zahl bzw. Blinken) nach seinem Informationsgehalt, baue die erhaltene Information in deinen aktuellen Handlungsplan ein und leite so bald wie möglich (sinnvoll) die entsprechenden Steuerungshandlungen ein: Bremsen, Beschleunigen oder Weiterfahrt bei gleicher Geschwindigkeit (die gegenüber dem Dienstfahrplan immer noch reduziert ist).

Die Unterscheidung zwischen Bestätigungs- und Aktionssignal enthält den wichtigsten Gehalt der alten Unterscheidung zwischen Hauptsignal und Vorsignal; allerdings verschiebt sich die Bedeutung auf die handlungspsychologisch relevante Ebene der Unterscheidung zwischen Bestätigung und Aktion. Im ursprünglichen Signalsystem ist bei separaten Standorten von Vor- und Hauptsignal diese Unterscheidung mit dem räumlichen Merkmalsaspekt markiert worden. Im Doppelsignal ist dies mit der Verdichtung der Standorte verloren gegangen; es verdient wegen seiner fundamentalen Bedeutung eine Wiederaufnahme.

 

4.2.2 Fahrsignal vs. Haltesignal

Rot ist immer ein Haltesignal. Alle anderen Signalbilder sind Fahrsignale mit je unterschiedlicher Bedeutung.

Die Bedeutung des Haltesignals bedarf keines Kommentars. Sein Absolutheitsanspruch muss infolge seiner Bedeutung für die Sicherheit uneingeschränkt erfüllt werden. Hier ist auch die Übereinstimmung mit dem jetzigen System unverzichtbar.

Die Bedeutung der Fahrsignale variiert in erster Linie nach dem Innen- vs. Aussensteuerungskontrast. In zweiter Linie kommt bei der Aussensteuerung (orange) die Bedeutung der Zahl, verstärkt durch das Blinken, hinzu. Bei der Innensteuerung wird die Fahrkompetenz des Lokführers betont; d. er wird auf Steuerungshilfen verwiesen, die er entweder in Form des Dienstfahrplans bei sich auf der Lok hat bzw. in Form der Streckenkenntnis direkt verfügbar hat.

 

4.2.3 Innensteuerung vs. Aussensteuerung

Grün ist das einzige Signal für Innensteuerung. Jede Abweichung von Grün (d. orange oder rot) signalisiert Aussensteuerung.

Für das Innensteuerungssignal genügt ein einziges Signalbild, in Anlehnung an das jetzige Signalsystem ein einzelnes grünes Licht. Jede weitere Differenzierung ist überflüssig, weil sie vom Dienstfahrplan bereits vorgenommen worden ist.

Entsprechend müssen alle Aussensteuerungssignale eine Detailinformation anbieten. Diese Differenzierung wird durch drei hierarchisierte Merkmalsaspekte in Kombination angeboten, wodurch die Unterscheidbarkeit entsprechend der Erkenntnis über Informationsverarbeitung eindeutiger und zuverlässiger wird. Die Differenzierung erstreckt sich über vier Bereiche, nämlich

 

Halt rot

Warnung vor Halt! schnell blinkende Super-Null

Mahnung (Bremsen!) blinkende Zahl

Hinweis (Geschw.prüfen) stetige Zahl.

 

Zusätzlich erlaubt sie dort, wo es ohne Sicherheitseinbusse nützlich ist, eine weitergehende Graduierung durch die Zahl. Man beachte, dass diese Differenzierung nur teilweise durch simple Merkmalsredundanz erzielt wird, teilweise jedoch durch Akzentuierung mittels Blinken, Form und Farbe.

 

4.3. Varianten zum System <Y>

Im Abschnitt 4.1. haben wir auf drei verschiedene Möglichkeiten hingewiesen, das vorgeschlagene Signalsystem <Y> zu modifizieren. Obwohl wir diese Varianten für wenig bedeutsam beurteilen, seien sie der Übersicht halber zusammengestellt:

Die Variante L oder Linie ersetzt das rote und das grüne Farblicht durch entsprechendfarbige Punktlinien. Der Zweck ist die eindeutige Unterscheidbarkeit des neuen Systems vom jetzigen. Beim Haltsignal dürfte die Unterscheidbarkeit irrelevant sein; beim Fahrsignal könnte man überlegen, ob die Bedeutungen "freie Fahrt nach Dienstfahrplan" im jetzigen bzw. "Bestätigung der Innensteuerung" im neuen System deutlich getrennt werden sollten, falls Lokführer im gleichen Dienst beiderlei Signalisierungen begegnen.

Die Variante D oder Differenz setzt den Merkmalsaspekt "Blinken" sparsamer ein, nämlich nur dann, wenn eine grössere Differenz, z.B. 40 km/h zwischen der Istgeschwindigkeit und der durch einen

Bremsvorgang anzuzielenden Sollgeschwindigkeit verlangt wird. Wahrscheinlich ist es richtiger, alle Bremsvorgänge auszuzeichnen.

Die Variante R oder Redundanz soll die Verdoppelung einer Dienstfahrplananweisung durch eine Signalanweisung kenntlich machen (vgl. dazu auch 5.1.10). Zu diesem Zweck könnte gleichzeitig mit der orangen Zahl für "Aussensteuerung mit einer bestimmten Geschwindigkeitsanweisung" das grüne Farblicht mit der Bedeutung "Bestätigung der Innensteuerung aufgrund Dienstfahrplan" aufleuchten. Falls man es aus betrieblichen Gründen trotz der dagegen sprechenden psychologischen Gründe für nötig halten sollte, einen Teil der im Dienstfahrplan vorgegebenen Streckenvorschriften zusätzlich durch ein Signal dem Lokführer darzubieten, so scheint es uns notwendig, die Tatsache dieser Parallelität zweier Informationen ebenfalls kenntlich zu machen. Der Lokführer soll nicht durch ein Aktionssignal in seiner Handlungsplanung aufgrund des Dienstfahrplans verunsichert werden, weil dann beide Planungsquellen zum gleichen Resultat führen müssen, während im Normalfall die Anwesenheit eines Aktionssignals ja gerade einen Unterschied zum Dienstfahrplan signalisiert.

Die drei Ergänzungen können ohne weiteres auch in Kombination eingesetzt werden, womit theoretisch 8 Varianten möglich sind: 

<Y> System <Y> ohne Modifikation

<YL> Linie statt Farblicht

<YD> Blinken nur bei Geschwindigkeits-Differenz

<YR> Redundanz Signal mit Dienstfahrplan

<YLD> Linie + Differenz

<YLR> Linie + Redundanz

<YDR> Differenz + Redundanz

<YLDR> Linie + Differenz + Redundanz

 

4.4. Handlungspsychologische Analyse des Systems <Y>

Der Hauptvorzug des Systems <Y> gegenüber dem jetzigen und den von der SBB geplanten Signalsystemen besteht wohl darin, dass seine Konstruktion nach handlungspsychologischen Gesichtspunkten erfolgt ist. Deshalb soll jetzt die in (2.1) und (2.2) vorgenommene handlungspsychologische Analyse auf das konkrete vorgeschlagene Signalsystem angewendet werden.

Beim System <Y> durchfährt der Lokführer eine Reihe von Teilstrecken, deren jede durch dasselbe Einheitssignal beendet wird, was zugleich den Beginn der nächsten Teilstrecke bedeutet. Das Oberziel der Fahrhandlung wird dadurch in eine homogene Reihe von Unterzielen gegliedert, deren jedes einen Handlungsplan von der Art bedeutet: von diesem Signal hier bis zum nächsten Signal fahren. Das Handlungsziel jeder dieser Teilhandlungspläne ist stets vom Signalbild zu Beginn des jeweiligen Streckenabschnittes bestimmt.

Dieses Handlungsziel tritt in dreierlei Weise mit dem zum Zeitpunkt der Signalerkennung wirksamen Handlungsplan in Bezug:

a) Das grüne Signalbild gestattet die "natürliche" Fortsetzung des gerade aktuellen Handlungsplanes, indem ans abgelaufene Segment des Planes das gemäss Dienstfahrplan und Streckenkenntnis nächstfolgende Segment angesetzt wird. In den weitaus meisten Fällen wird es sich zugleich um eine Bestätigung des bisherigen Handlungsplanes gemäss Innensteuerung handeln. Dies ist der Normalfall, der dem Lokführer die Kompetenz erteilt, nach seinem besten Wissen und Können weiterzufahren.

b) Das rote Signalbild ist ebenfalls immer eine Bestätigung für einen bestehenden Handlungsplan, nämlich den am vorausgehenden Signalstandort initiierten Plan, den Zug zum Stillstand zu bringen. (Abgesehen natürlich von der irregulären Möglichkeit, dass ein Signal erst nach dem Passieren des vorausgehenden Signals auf rot wechselt.) Rot gibt zugleich den Ort der definitiven Vollzugshandlung an.

c) Die orange Signalzahl ist immer eine Aufforderung, den aktuellen Handlungsplan in Funktion des Signalinhaltes zu revidieren. Unmittelbar enthält die orange Farbe die Anweisung, die Zahl zu lesen und zu bewerten. Zusätzlich gibt der Blinkaspekt eine Hilfe bei ihrer Bewertung. Mittelbar gibt dann die orange Zahl jene Information, welche im Rahmen der Aussensteuerung nun den revidierten Handlungsplan bestimmt.

Da nie mehr als eine detaillierte Aussen-Information betreffend Geschwindigkeit auftritt, dürfte das Verwechseln extrem selten werden, bzw. auf die seltenen Ablesefehler reduziert sein. Vergessen des einen aktuellen Handlungsplanes ist ebenfalls eine extrem unwahrscheinliche Sache, wenn man davon ausgeht, dass der Lokführer die Anweisung hat, den revidierten Handlungsplan möglichst bald nach dem Auftreten des Orange-Signals auch in die Tat umzusetzen. Die entsprechenden Handlungen sind dann eingeleitet und werden ihren Effekt haben. Sollte die Zielgeschwindigkeit einmal wirklich unterwegs vergessen werden, so ist der Nachteil gering, wenn der Lokführer die Anweisung befolgt, im Fall derartiger Unsicherheit jedenfalls nicht zu beschleunigen. Sobald er das nächstfolgende Signal erblickt, wird er sich in der Regel ohne Nachteil bereits an die dort angezeigte Zielgeschwindigkeit für die nächste Teilstrecke halten können.

Das Signalsystem <Y> erfüllt die Eigenschaft guter Nachrichtenübermittlungssysteme, einfache und häufig vorkommende Information mit einem einfachen Code, komplexere und selten auftretende Information mit einem komplexeren Code anzubieten. Damit verlangt es keine überflüssigen Decodierungen, macht aber auf jene Fälle besonders aufmerksam, wo detaillierte Decodierung unerlässlich ist, und bietet zugleich die für die Sicherheit wichtigste Information mit einer gewissen Redundanz an (Zahl kombiniert mit Blinken).

Das System <Y> ist insbesondere weitgehend immun gegen den jetzt nach den Aussagen der Lokführer gravierendsten Belastungs-Faktor: Das Gefühl eines vielleicht nicht richtig aufgenommenen Signalbildes, das aber bereits vorbei ist und deshalb nicht mehr korrigiert werden kann, was bis zum nächsten Signal die enorme Belastung einer möglicherweise fatalen Fahrweise mit sich bringt. Die Entlastung resultiert aus dem Umstand, dass in <Y> weitaus die meiste Zahl der Signale gar nicht detailliert decodiert zu werden braucht; sie verweisen bloss auf den Dienstfahrplan, und der ist dem Lokführer geläufig oder im Zweifelsfall ablesbar. Die relativ wenigen Signale, welche Aussensteuerung anzeigen, fallen somit von selbst auf und hinterlassen eine nachhaltige Spur. Werden sie sofort nicht nur in einen Handlungsplan, sondern unmittelbar in eine aktuelle Handlung umgesetzt, so kann theoretisch gar nichts mehr vergessen werden. Praktisch bedeutet zudem selbst ein Vergessen der betreffenden Zahl nicht das Verpassen der zugehörigen Handlung, da Bremsen und Beschleunigen unterschiedlich signalisiert wurden. Zu "übersehen" gibt es eigentlich auch nichts mehr, wenn man einmal die völlige Geistesabwesenheit des Lokführers ausser Betracht lässt. Immerhin ist nach allgemeiner Kenntnis wahrscheinlich, dass ein relativ selten auftretendes Blinksignal sogar die Aufmerksamkeit spontan auf sich ziehen kann, wenn der Lokführer nicht unmittelbar auf das Lesen von Signalen orientiert ist.

 

4.5. Konsequenzen für die Signalaufstellung

Die Aufstellung der Signale im System <Y> müsste sich idealerweise an der Bremswegstrecke des typischen (ungünstigsten) Zuges am jeweiligen Streckenabschnitt orientieren. Die grösstmögliche Dichte der Signale ist gerade je eine Bremswegdistanz von Signalstandort zu Signalstandort. Kleiner als in Bremsweg-Abschnitten sind die Blöcke ohnehin nicht; werden sie grösser gemacht, so verliert man vor allem an Verkehrsfluss, bei geringer Vergrösserung aber zunächst nur wenig an Sicherheit. Werden die Signalabstände deutlich grösser als die Bremsdistanzen, so ist mit einer Einbusse an Sicherheit zu rechnen, insofern dann im Interesse des Verkehrsflusses die Aussensteuerungs-Signalbilder nicht mehr unmittelbar in Handlungen umgesetzt werden können. Bei sehr langen Blockabschnitten muss wie auch heute dem kritischen Signal (wo Halt oder Geschwindigkeitsverminderung erfolgt sein muss) in Bremswegdistanz ein weiteres Einheitssignal vorausgestellt werden.

Denkbar wäre prinzipiell eine Aufstellung von Einheitssignalen im System <Y> in jeweils halber Bremswegdistanz. Im Verein mit zusätzlichem Regelungsaufwand könnte so vermutlich eine höhere Zugsdichte und Verkehrsflüssigkeit erreicht werden, wenn man jeweils drei Signalstandorte in ihrer Anzeige aufeinander beziehen würde. Beispielsweise könnte etwa für ein Haltsignal bei C das vor-vorhergehende Signal A statt null in Bremswegdistanz zu C eine relative Geschwindigkeitsverminderung so anzeigen, dass von B aus noch ein ausreichender Bremsweg verfügbar ist, im Fall des zwischenzeitlichen Freiwerdens des Blockes nach C aber bereits bei B wieder eine Beschleunigung angezeigt werden kann.

Eine Schwierigkeit, die den Verfassern bisher für das Signalsystem <Y> aufgefallen ist, betrifft den handlungspsychologisch nicht immer optimalen Standort der jetzigen Signale. Ihre Ersetzung durch Einheitssignale müsste wohl von einer streckenbezogenen Analyse der Aufstellungsorte begleitet werden. Denkbar ist auch, dass auf einigen Strecken sinnvollerweise zusätzliche Signale aufgestellt werden sollten; dies wohl in der Regel mit dem Gewinn zusätzlicher Kapazität infolge Verkürzung der Blockabschnitte. Es scheint uns aber, dass System <Y> keine prinzipiellen Änderungen der heutigen Aufstellungsorte verlangt; doch übersteigt eine definitive Beurteilung dieser Frage unsere Kompetenz.

 

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5. Bewertung der Signalsysteme in praktischer Hinsicht  

Hier soll auf der Grundlage der theoretischen Erkenntnisse eine vorläufige Bewertung der nunmehr 6 zur Diskussion stehenden Signalsysteme vorgenommen werden. Der Bewertungsgesichtspunkt ist jetzt jedoch ein praktischer, insofern versucht wird, das tatsächliche "Verhalten" der Signalsysteme in der Wirklichkeit zu rekonstruieren; wir sprechen deshalb von "Bewährungskriterien".

Weil über die 6 Systeme unterschiedliche Kenntnisse (nach Umfang und Art) gegeben sind, kann derzeit nur eine vorläufige Wertung resultieren. Die Absicht ist denn auch nicht in erster Linie die Elimination des weniger Tauglichen, sondern die Erarbeitung von praktischen Bewertungskriterien im Hinblick auf experimentelle Bewertungsstudien und die Feststellung jener empirischen Kenntnislücken, die für eine definitivere Bewertung der Systeme nötig wären.

Immerhin sollte nicht ausgeschlossen bleiben, dass die Entscheidungsgremien aufgrund dieser vorläufigen Bewertungen zu eindeutigen Schlussfolgerungen gelangen. Man darf nie vergessen, dass die Wahl der besten aus einem Satz von alternativen Systemkonstruktionen nie völlig rational (d. absolut zwingend) sein kann, sondern letzten Endes auf einem Konsens der Entscheidenden beruhen muss. Der Umfang der beigezogenen Entscheidungsunterlagen ist nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten zu bemessen; es ist klar, dass der Aufwand für die Beurteilung des Signalsystems nicht gescheut werden darf.

 

5.1. Bewertung nach einzelnen Kriterien

Aus der Fülle der Gesichtspunkte, nach denen die praktische Bewährung eines Signalsystems beurteilt werden kann, haben wir zunächst 10 herausgegriffen. Natürlich ist die Liste offen bzw. differenzierbar. Wir konzentrieren uns auf Kriterien, die unter psychologischen Gesichtspunkten beurteilt werden müssen.

Im Folgenden werden wir die 6 Systeme der Kürze halber wieder mit den in Kap. 3 eingeführten Abkürzungen bezeichnen.

 

5.1.1. Sensorisch-perzeptive Aspekte

Hier geht es darum, wie gut der Lokführer auch unter ungünstigen Bedingungen ein Signalbild vor jeder Interpretation eindeutig identifizieren kann. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Wahrnehmung in den seltensten Fällen ein reiner "Input"-Prozess ist, sondern dass jede Wahrnehmung auch von Erwartungen u.dgl. her bestimmt ist.

Die Beurteilung für <J> dürfte aufgrund der jahrelangen Erfahrung befriedigend bis gut ausfallen. Die entsprechenden Kenntnisse können ohne weiteres für die Farblichter der neuen Systeme verwertet werden. Gewisse Mängel bei <J> bezüglich der Unterscheidung zwischen Fahrbegriffen aus relativ grosser Entfernung dürften bei der Reduktion auf je ein einzelnes Farblicht bei allen neuen Vorschlägen entfallen.

Bezüglich der Zahlen in den neuen Systemen <I> und <Y> liegen ausländische Erfahrungen vor, die eine optimale Ausgestaltung als hochwahrscheinlich erscheinen lassen. Die definitive Grösse der Ziffern sollte jedoch noch überprüft werden. Erwünscht wären Fehlablesungsquoten bei verschiedenen Sehwinkeln (d. Grösse-Distanz-Verhältnissen).

Unklarheiten bestehen u. bezüglich des Winkelsymbols auf der Zahlentafel von <I1> und bezüglich des Umfeldes der Zahlen in <2>. Das Winkelsymbol in <I1> ist im gegebenen Umfeld nicht ein sehr deutlich herausragender Stimulus. Bei den Ziffern der Kombinationstafeln in <2> könnte sich die Knappheit des Tafelrandes bei den dreieckigen Zahlenfeldern als ungünstig erweisen. In beiden Fällen möchten wir eine Überarbeitung der Gestaltung des Merkmalsaspekts vor einer allfälligen sensorisch-perzeptiven Überprüfung empfehlen.

Unbekannt ist die sensorisch-perzeptive Erkennbarkeit von roten und grünen Punktreihen in <Y> nach Variante "L"; während sie für orange Punktreihen als vorzüglich bekannt ist, fehlen technische Realisationen und Testergebnisse bei anderen Farben. Beim unvariierten <Y> entfällt das Problem.

 

5.1.2. Verwechslungswahrscheinlichkeiten

Wie in (3.3.1.2) ausgeführt, fällt bei <J> ein grosser Teil der gemeldeten Fehler auf Verwechslungen, und zwar ausschliesslich dann, wenn die Vorsignalinformation einem Doppelsignal entnommen werden musste. Wir erwarten demnach theoretisch, dass mit einer ähnlichen Verwechslungsquote bei allen Systemen mit Doppelsignalen weiterhin gerechnet werden muss.

Denkbar wäre, dass durch die Verlagerung der Vorsignal-Information in die Zahl bei <1> der Effekt etwas abgeschwächt werden könnte; anderseits ist unsicher, ob die Vermehrung der Anzahl der möglichen Alternativen von 4 bei <J> auf vielleicht 8 bis 10 bei der Zahlensignalisierung bei <I> die Interferenz von Vor- und Hauptsignalinformation wiederum verstärken könnte, wodurch die Verwechslungsfehler ansteigen müssten. Bei <2> ist dieses Risiko durch die Ähnlichkeit des Codes für die Vor- und die Hauptsignalinformation mit grosser Wahrscheinlichkeit gegeben. Alle diese Fragen betreffend die Systeme <I> können definitiv aber nur empirisch abgeklärt werden.

Das Verwechslungsrisiko bei <Y> ist technisch null, weil es keine Signalinformationen zu verwechseln gibt. Theoretisch ist denkbar, dass der Lokführer unter Zugrundelegung eines "falschen" (Segments des) Dienstfahrplan(s) operiert: ein Risiko, das möglicherweise bei <Y> höher zu veranschlagen ist als bei <J> oder <I>. Ob dies tatsächlich der Fall ist, bedarf der Überprüfung (vgl. 5.1.7 und 5.1.10).

Es ist übrigens interessant festzustellen, dass bereits zu Beginn der 70er Jahre die gleichen Überlegungen betreffend Doppelsignalisation in Schweden angestellt worden, aber aus unersichtlichen Gründen ohne Konsequenz geblieben sind. In seinem Buch "Human Factors in Signalling Systems" weist M. MASHOUR (1974, Almqvist & Wiksell) auf die Probleme der Doppelsignalisation ("combined indications") und unter Hinweis auf die British Railways als Vorbild auf die Vorzüge ihrer Vermeidung hin.

 

5.1.3. Vergessenswahrscheinlichkeiten

Bei <J> kommen Vergessensfehler vor allem bei Einfahrtsignalen mit alleinstehendem Vorsignal vor (vgl. 3.3.1.2). Die Situation ist für alle <I> unverändert, sodass mit demselben Fehlerrisiko gerechnet werden muss. Infolge der erhöhten Wahlmöglichkeit bei den Zahlensignalen ist nicht auszuschliessen, dass sich die Vergessensfehler gegenüber <J> sogar vermehren.

Wiederum ist <Y> für Vergessensfehler am wenigsten anfällig, weil die Ausnahmefälle, wo verminderte Einfahrgeschwindigkeiten gefordert sind, wesentlich prominenter signalisiert werden, und dies sowohl durch ihr Heraustreten aus dem Gewohnten wie durch ihren auffälligen Merkmalsaspekt des Blinkens.

 

5.1.4. Auffälligkeit von Brems- und Haltesignalen

Bei <J> hat seit längerer Zeit die "Unlogik" des Systems gestört. Während die Haltesignal ("Warnung" und "Halt") ein gewisses Ausmass an Prominenz innerhalb des ganzen Signalsatzes aufweisen, ist dies für die relativen Bremssignale ganz und gar nicht der Fall. Die Systeme <II1> und <II2> suchen dies durch ein zusätzliches Signallicht zu erreichen, ähnlich <I1> durch den zusätzlichen orangen Winkel; obwohl die Information eindeutig codiert wird, ist der Gewinn an Prominenz eher gering. Durch den Blinkaspekt bei <Y> wird dasselbe auffälliger erreicht; es wird deutlich verstärkt durch das relativ seltenere Auftreten des Bremssignals. Kaum objektiv zu beantworten ist die Frage, ob die Variante "D" eher Vor- oder Nachteile bringt; eher dagegen spricht die Durchbrechung der Systematik, eher dafür das seltenere Auftreten des Blinkaspekts und seine damit gewonnene Prominenz. Gefühlsmässig tendieren wir zuungunsten von "D".

 

5.1.5. Fehleranfälligkeit bei Überlastungsbedingungen

Da entsprechende Untersuchungen fehlen, können nur sehr spekulative Aussagen über veränderte Fehlerwahrscheinlichkeiten bei Überlastung des Lokführers gemacht werden; dies gilt für <J> nicht weniger als für die neuen Systeme.

Es ist im wesentlichen an zwei Kategorien von Überlastung zu denken: reizmengenbedingte und zustandsbedingte.

 

5.1.5.1 Zustandsbedingte Überlastung

Die Anfälligkeit der Fahrgüte für vorausbestehende Stress-Zustände des Lokführers darf nicht einfach als die Wirkung einer Konstanten des Lokführers gesehen werden; sein Zustand kann sehr wohl mit Eigenschaften des Signalsystems in Wechselwirkung treten. Geht man davon aus, dass durch ungünstige innere Zustände die Routinehandlungen des Lokführers relativ wenig beeinträchtigt werden, wohl aber seine Entscheidungsfähigkeit, so lassen sich die folgenden hypothetischen Aussagen begründen:

Entscheidungen muss der Lokführer beim Decodieren der Signale und beim Umsetzen der Information in den Handlungsplan treffen (dazu kommt die Entscheidungskapazität in Ausnahmesituationen, die wohl vom Signalsystem weitgehend unabhängig ist). Das System <J> erfordert wesentlich mehr Aufwand beim Decodieren als alle anderen Systeme. anderen Systeme. Beim Umsetzen in den Handlungsplan ist (Y) den <I>-Systemen insofern überlegen, als eine solche Umsetzung sehr viel seltener überhaupt vorgenommen werden muss.

 

5.1.5.2 Situationsbedingte Überlastung

Auch bei Überlastungswirkungen, die von der Reiz- oder Informationsmenge abhängt, welcher der Lokführer ausgesetzt ist, dürften gewisse Unterschiede zwischen den Systemen bestehen. Wiederum ist <J> am ungünstigsten; nur wenig günstiger sind die Systeme <2> infolge ihres ausgeprägten Kombinationscharakters; es folgen die Systeme <1> mit einem schwer zu beurteilenden Unterschied zwischen <I1> und <IIl>. Mit Abstand am wenigsten Reizüberlastung bringt <Y>, da normalerweise nur das Bestätigungssignal dominiert.

 

5.1.6 Fehleranfälligkeit bei Monotoniebedingungen

Schwierig zu beurteilen sind die Anfälligkeiten der Systeme unter Monotonie-Belastung, weil Simulationsstudienergebnisse nur selten echte Monotonie zu erzeugen vermögen. Im schweizerischen Bahnnetz mit seinen kurzen und abwechslungereichen Strecken dürften die Probleme allerdings wesentlich geringer sein als in grösseren Ländern.

Zwischen <J> und (I) dürfte kein wesentlicher Unterschied bestehen. Bei <Y> könnte man vermuten, dass die unter Normalbedingungen regelmässige Signalisierung von Innensteuerung (grün) manotonisierend wirkt, so dass dann ein unerwartet auftauchendes Aktionssignal (orange) übersehen würde. Dem widersprechen die Erfahrungen aus Habituierungs- und Sättigungsexperimenten der verschiedensten Art, die gerade zeigen, dass unter solchen Vcraussetzungen ein neuer Reiz wie bei (Y) eine hessere Chance des Wirksamwerdens hat als ein Reiz mit ähnlichen Eigenschaften wie die monotonisierenden, wie dies bei <Y> oder <I> der Fall ist. Absolute Sicherheit besteht natürlich nicht.

 

5.1.7. Fehleranfälligkeit bei Ermüdungsbedingungen

Ein unterschiedliches Reagieren der verschiedenen Signalsysteme auf Ermüdungsbedingungen ist eher unwahrscheinlich. Eine theoretische Klärung der Frage, ob Innensteuerung und Aussensteuerung bei Ermiidung qleich oder unterschiedlich reagieren, scheint nicht möglich. Eine empirische Klärung dieser Frage durch Simulation ist extrem aufwendig und unsicher. Die Frage ist möglicherweise für die Bewertung von (Y) bedeutsam (vgl. 6.3.1.7).

 

5.1.8. Verhältnis von Sicherheit und Verkehrsfluss

Die Systeme <I> und (Y) sollen gegenüber <J> nicht nur den Geschwindigkeitsbereich vergrössern, sondern auch einen verfeinerten Einsatz von Geschwindigkeitsabstufungen innerhalb des befahrenen Bereichs erlauben.

Wir sehen bei keinem der neuen Signalsysteme Sicherheitsbeeinträchtigungen, welche direkt durch die Verkehrsflussverbesserunq bedingt wären.

 

5.1.9. Kompatibilität mit dem jetzigem System

Alle neuen Signalsysteme sind mit <J> vereinbar in einem Ausmass, dass keine Probleme zu erwarten sind.

Die Frage der Unterscheidungsmöglichkeit für den Fall, dass Lokführer innerhalb eines Dienstes vom alten zum neuen System wechseln müssen, sollte überprüft werden. Es konnte sich für singvoll erweisen, durch ein Merkmal' wie es in <Y> Variante "L" vorgeschlagen wird, eine eindeutige Identifikation des Systems zu ermöglichen.

 

5.1.10. Andere Kriterien

Die bisher besprochenen Bewährungskriterien sind überwiegendaufgrund der Erfahrunq mit <J> definiert, es könnte sein, dass bei den neuen Systemen Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die für das bisherige System neu sind. Sie zu bewerten, ist naturgemäss umso schwieriger.

Unter diesen Gesichtspunkten fällt in erster Linie die Rolle des Dienstfahrplans bei <Y> bzw. das Verhältnis zwischen Innensteuerung und Aussensteuerung auf. Theoretisch können wie dargelegt eine Reibe von vorteilen angeführt werden. Ob sich praktisch auch Nachteile zeigen, kann vermutlich nur empirisch, teilweise im Simulationsversuch und definitiv in der Realität, erwiesen werden.

Die Einführung von <Y> wäre unter diesem Gesichtspunkt insofern kein grösseres Risiko als die Einführung von <I>, weil bei Nichtbewährung eine Annäherung an <I> nachträglich ohne grossen Aufwand realisiert werden kann. Es wäre sogar denkbar, selektiv bestimmte Streckenabschnitte oder einzelne Signale beim Vorliegen von bestimmten Gefahren von Innensteuerung auf Aussensteuerung umzustellen.

Erwägt man diese Möglichkeit ernsthaft, so würden wir allerdings geltend machen, dass die Informationsverdoppelung, die dann durch die Parallelität von Dienstfahrplan- und Signalinformation entsteht, dem Lokführer eigens angezeigt werden muss. Ohne bauliche Änderung ist dies mit der Variante "R" zu erreichen: die Redundanz der Signalanzeige würde hier durch gleichzeitiges Aufleuchten des grünen Bestätigungslichtes mit der orangen Zahl markiert.

 

5.2. Praktische Bewertung der Signalsysteme insgesamt

Damit sei wie gesagt keine abschliessende Liste von Bewährungskriterien aufgestellt. Zudem sind neben den genannten psychologisch begreifbaren Kriterien solche betrieblicher, baulicher und ökonomischer Natur zu berücksichtigen, was nicht Sache dieser Expertise sein kann.

Ein Überblick über die Ausführungen zu den einzelnen Kriterien macht insgesamt deutlich, dass von der Einführung eines der neuen Systeme nicht nur betrieblich, sondern auch in punkto Sicherheit ein Gewinn erwartet werden kann. Mit Ausnahme der Verwechslungsproblematik, welche <2> im Vergleich zu <1> deutlich benachteiligt, scheinen die Unterschiede zwischen den verschiedenen <I>-Systemen beim vorliegenden Kenntnisstand nicht überaus gross. Anderseits sprechen insgesamt so viele Einzelpunkte für die Bevorzugung von <Y> oder eines ähnlich konzipierten Systems, dass ein handlungspsychologisch fundiertes System ernsthaft in Betracht gezogen werden sollte.

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6. Skizze einer Simulationsstudie  

Wir schlagen vor, zum Zweck der empirischen Überprüfung des schliesslich gewählten neuen Signalsystems eine Simulationsstudie durchzuführen. Dabei gehen wir von der Voraussetzung der am Schluss des Kapitels 5 gewonnen Erkenntnis aus, dass ein handlungspsychologisch fundiertes Signalsysteme viele Vorzüge bringt. Der Einfachheit halber sprechen wir deshalb im folgenden von der Überprüfung von System <Y>; doch möchten wir damit nicht implizieren, dass <Y> unter ausserpsychologischen Gesichtspunkten keine Mängel aufwiese oder gar grundsätzlich nicht verbesserungsfähig sei.

Zwei Zielsetzungen einer empirischen Studie sind denkbar:

einmal könnte man eine eigentliche Vergleichsstudie zwischen zwei oder mehr Systemen durchführen, die in die engere Wahl gezogen werden;

zum zweiten könnte man eine Simulationsstudie eines theoretisch bevorzugten Systems durchführen, wobei einzelne seiner Komponenten auf die Probe gestellt und in begrenztem Ausmass mit Komponenten von Konkurrenzsystemen verglichen werden können.

Eine eigentliche Vergleichsstudie wäre dann angezeigt, wenn zwei oder mehr theoretisch ungefähr gleichwertige Systeme zur Diskussion stünden. Unseres Erachtens ist dies beim gegenwärtigen Kenntnisstand (Herbst 1983!) nicht der Fall, so dass wir die zu Einzelvergleichen ausgeweitete Simulationsstudie empfehlen.

Wie in Kapitel 1 und 2 ausgeführt wurde, können Erkenntnisse über die Bewährung des Signalsystems nur dann erwartet werden, wenn man seine Funktion im Kontext des Lokführens als zeitlich erstrecktes Handeln analysiert. Man wird daher eine Versuchssituation aufbauen müssen, die alle wesentlichen Aspekte des Fahrhandelns einbezieht und sich in einem zeitlichen Verlauf über ein bis zwei Stunden erstreckt. In diese Situation können Modelle aller theoretisch interessierenden Spezialfragen über die verschiedenen Signalaspekte eingebaut werden. Die riesige Menge der dabei vorkommenden Fahrhandlungen macht es nötig, eine für die interessierende Erkenntnis relevante Auswahl und Auswertungsform zu finden, welche mit einem vertretbaren Aufwand bewältigt werden kann. Wir glauben, in einer grafischen Repräsentation des Handlungseffekts eine brauchbare LÖsung gefunden zu haben, wobei unter weitgehendem Verzicht auf die traditionellen inferenzstatistischen Verfahren dennoch eine gültige Beurteilung der kritischen Fragen möglich sein sollte.

 

6.1. Beschreibung einer möglichen Versuchsanordnung

Die Versuchssituation besteht aus einer Fahrkabine mit einigen Darbietungs- und einigen Bedienungselementen.

Darbietungselemente sind ein Streckenschirm, ein Signaldisplay, ein (dynamischer) Dienstfahrplan, ein Tachometer und ein Manometer. Dazu treten nach Bedarf Belastungsdarbietungen.

Auf dem Streckenschirm werden in rascher Folge fortlaufende Streckendias dargeboten. Die Kadenz ist variabel und zwar proportional dem aktuellen Tachometerstand. Es sollten Streckendias auf Filmstreifen im Abstand von ca. 100 m aufgenommen werden, z.B. für eine Strecke wie Bern-Zürich also etwa 1200 Dias, für eine typische Simulations-Fahrstrecke rund 2000-3000 Dias. (Ev. sind zum Teil unbekannte ausländische Strecken zu verwenden.)

Der Signaldisplay wird auf dem Streckenschirm kurzzeitig eingeblendet. Die Einblendung erfolgt nach den Bedürfnissen der einzelnen Fragestellung und ist nicht notwendig streckengerecht. Die nötige zeitliche und Auswahl-Flexibilität sowie eine adäquate Darstellung des Blinkaspekts können am besten mittels Computergrafik erreicht werden.

Der Dienstfahrplan (zumindest im Fall von System Y) ist ein wesentlicher Bestandteil der Fahrhandlung. Seine Simulation unter Einbezug des Gedächtnisses bereitet die grössten Schwierigkeiten. Wenn wir davon ausgehen, dass im Regelfall die Streckenkenntnis (d. die örtliche Anordnung und zeitliche Abfolge einer Serie von Fahrgeschwindigkeiten) dem Lokführer sehr gut vertraut ist und der Dienstfahrplan (d. die aktuelle Festlegung dieser Anordnung und Abfolge in der Uhrzeit) dem Lokführer ebenfalls vertraut ist und zudem auf dem Papier vorliegt, so scheint vertretbar, in der Simulation einen aktuellen Dienstfahrplan in Form einer Fahrgeschwindigkeitsvorschrift aktuell auf einem separaten Display in Form einer km/h-Zahl darzubieten. Eventuell ist jedoch für das System <Y> eine ergänzende Studie unter Bezugnahme auf eine wirkliche Fahrstrecke und die wirkliche Streckenkenntnis vorzusehen.

Das Tachometer zeigt die aktuelle Fahrgeschwindigkeit; mit seiner Anzeige gekoppelt ist die Kadenz der Streckendias, die somit ebenfalls Information über die aktuell "gefahrene" Geschwindigkeit enthält.

Das Manometer und allfällige weitere akustische oder visuelle Stimuli dienen vorwiegend der Regulation und der Messung des Aufmerksamkeitszustandes des Lokführers.

Bedienungselemente sind ein Fahr-/Bremshebel, ev. ein Starkbremshebel sowie zusätzliche Tasten für die Messung des Aufmerksamkeitszustandes.

Der Fahr-/Bremshebel ist dem Steuersystem auf der Lokomotive nachgebildet: durch kurzzeitiges Bewegen nach vorn (nach hinten) wird jeweils eine Stufe zur gerade aktuellen Fahrgeschwindigkeit zugefügt (weggenommen). Die Wirkung dieser Stufenschaltung auf die aktuelle Fahrgeschwindigkeit, welche ihrerseits auf dem Tachometer angezeigt wird und die Streckendia-Kadenz bestimmt, erfolgt mit einer variablen Hysterese, so dass weitgehend kontinuierliche Beschleunigungs- und Bremsbewegungen resultieren.

Der Starkbremshebel bewirkt, ebenfalls mit Verzögerung, eine massive Reduktion der Fahrgeschwindigkeit, bei Andauern seiner Bedienung einen Halt.

Zusätzliche Tasten oder Hebel dienen nach Bedarf der Aufmerksamkeitsüberwachung; durch eine Verdichtung solcher Reaktionen kann auch eine relative reizbedingte Überlastung des Lokführers erzielt werden.

Steuerung der Simulation und Datenerhebung erfolgen mithilfe eines Kleincomputers, welcher zugleich das Fahrverhalten der Versuchsperson aufnimmt und verarbeitet.

Das Simulationsprogramm gibt in einem vorprogrammierten Verlauf die Serie der Werte des simulierten Dienstfahrplans sowie die einzublendenden Signalbilder vor; die Zeitpunkte dieser Vorgaben sind vom Fahrverlauf bestimmt, welcher durch das Verhalten der Versuchsperson bestimmt ist. Dienstfahrplan und Signalbilder sind aufeinander abgestimmt und so gewählt, dass im Lauf des Versuchs alle jene typischen Fahrverläufe und Signalsequenzen ein oder mehrmals vorkommen, die gemäss Fragestellung analysiert werden sollen. Die Signalbilder können dabei in typischer Weise von den Angaben des Dienstfahrplans abweichen. Ferner sind im Simulationsprogramm die Belastungsstimuli und die Erfassung der diesbezüglichen Reaktionen vorprogrammiert.

Die Versuchsperson reagiert nun auf Dienstfahrplan und Signalbilder mit Fahroperationen, welche vom Computer erfasst und mittelbar in Tachometerstellungen und Streckendia-Kadenzen umgesetzt werden. Diese beiden Werte sind abhängig von der je aktuellen Fahrgeschwindigkeit, welche ihrerseits im Computer laufend neu berechnet wird, und zwar als eine Funktion von Fahroperationen und einer Hysterese-Gleichung derart, dass die Fahrgeschwindigkeit mit einer gewissen und nicht notwendig immer gleichen Verzögerung den Fahroperationen nachfolgt.

Die Datenerfassung besteht darin, in regelmässigen Abständen, z.B alle Sekunden, den aktuellen Fahrgeschwindigkeitswert zusammen mit den aktuellen Kennwerten für Dienstfahrplan, Signalbilddisplay und (in grösseren Abständen) den Aufmerksamkeits- und Belastungsindikatoren ebenfalls im Computer abzuspeichern.

Datenanalysen können auf der Grundlage dieser gespeicherten Zeitreihen nachträglich mit beliebigen Spezialfragestellungen und einem breiten Methodeninventar durchgeführt werden. Im Prinzip wird man interessierende Streckenabschnitte in Funktion der dargebotenen Signalbilder auswählen und für mehrere Versuchspersonen zeitlich koordiniert die "gefahrenen" Geschwindigkeiten in einem Geschwindigkeits-Weg-Diagramm für die ausgewählten Streckenabschnitte grafisch darstellen. In der Auswahl solcher Streckenabschnitte wird man sich an den Erwägungen in (6.3.1) und ähnlichen Überlegungen orientieren. Zusatzinformationen über Aufmerksamkeit etc. können nach Bedarf berücksichtigt werden. Wenn nötig können dann besondere Vergleiche mittels statistischer Verfahren auch numerisch überprüft werden.

Vermutlich werden aber die grafischen Darstellungen eine ausreichende Grundlage zur Beurteilung der Signalbeachtung enthalten. Dies besonders dann, wenn man in geeigneter Weise Streckenabschnitte mit ausgewählten Fahraufgaben vergleichend gegenüberstellt. Die "Fahrspur" jeder einzelnen Versuchsperson wird im Diagramm direkt sichtbar.

Weisen die Fahrspuren vieler Versuchspersonen in der gleichen Aufgabensituationen einen ähnlichen Verlauf auf (kleine Streuung), m.a.W. wird durch das betreffende Signalbild eine homogene Reaktion bewirkt, so wird man schliessen können, dass vom betreffenden Signalbild in der betreffenden Situation eine verlässliche Wirkung erwartet werden kann. Die Angemessenheit des Fahrverhaltens an die Fahraufgabe kann dann ebenfalls aus der Fahrspur erschlossen werden.

Weisen jedoch die Fahrspuren der Versucherpersonen unähnlicbe Verläufe auf, so wird man auf problematische Signalwirkungen schliessen müssen, und eine genaue Analyse der verschiedenen Fahrspuren wird auch Auskunft über die Gründe des Versagens geben können.

 

6.2. Durchführung der Simulationsversuche

Die Durchführung der Simulationsversuche erfordert den Bau einer entsprechenden Führerkabine mit den Darbietungs- und Bedienungselementen, einschliesslich ihres Anschlusses an eine Kleincomputeranlage. Die Programmierung des Computers, der über hochauflösende Grafik verfügen muss und auch der Datenauswertung dienen kann, dürfte keine besonderen Probleme stellen. Ein Mikrocomputer in der gegenwärtigen Preislage um Fr. 25'000.- (inkl. digitale Interfaces, Grafik und Plotter für die Auswertung) ist ausreichend.

Die Simulation könnte ähnlich wie in der Studie von 1973 wieder mit erfahrenen Lokführern und mit Lokführer-Lehrlingen durchgeführt werden. Je nach der Anzahl der besonderen Fragestellungen, die beantwortet werden sollen, müssen eine oder mehrere Fahrstrecken mit einschlägig vorprogrammierten Streckenabschnitten vorbereitet werden. Pro Fahrstrecke dürfte eine Versuchspersonenzahl in der Grössenordnung von 50 voraussichtlich eine ausreichende Beurteilungsgrundlage ergeben.

Die Datenanalyse kann mit dem so gesammelten Datenmaterial mit fast beliebigem Detaillierungsgrad betrieben werden. Interessant wäre ein gestuftes Vorgehen, wobei in einer ersten Fahrstrecke eine repräsentative Auswahl von allgemeinen Aufgabensituationen getestet würde, so dass aufgrund der Ergebnisse in einer zweiten Fahrstrecke die von der ersten Analyse aufgeworfenen Detailfragen besonders analysiert werden könnten.

 

6.3. Nutzen der Simulationsstud

6.3.1. Erkenntniswert

Primär soll die Simulationsstudie "Bewährungsdaten" über eines oder mehrere der vorgeschlagenen neuen Signalsysteme liefern. Sie kann auch auf ausgewählte Eigenschaften eines oder mehrerer Signalsysteme gezielt und gegebenenfalls vergleichend gerichtet werden. Entsprechend den Erwägungen in (5.1) scheinen uns die folgenden Fragestellungen erwägenswert.

 

6.3.1.1. Sensorisch-perzeptive Aspekte

Die Studie kann über die sensorisch-perzeptive Qualität der Signalbilder keine verbindliche Auskunft geben, weil im Interesse der Informations-Verarbeitsungsprozesse die Informationsaufnahme nur angenähert realistisch simuliert werden kann. Falls Unsicherheiten bleiben (insbesondere betreffend Variante "L" von System <Y>), müsste eine spezielle Untersuchung dieses Aspektes gemacht werden.

 

6.3.1.2. Verwechslungswahrscheinlichkeiten

Die grafische Fahrspur-Analyse erlaubt zunächst, mit einem erweiterten Verwechslungsbegriff vorzugehen, weil alle extrem vom richtigen und typischen Fahrverhalten abweichenden Fahrspuren sofort auffallen. Diese auffälligen Fahrspuren können nachträglich klassifiziert und ausgezählt werden, um die Vergleichbarkeit mit Realwelt-Werten und Ergebnissen anderer Studien zu gewährleisten.

Die in (5.1.2) gestellten Fragen können direkt überprüft werden.

 

6.3.1.3. Vergessenswahrscheinlichkeiten

Auch dieses Kriterium kann in der Simulationsstudie differenzierter als in traditionellen Signalerkennungsuntersuchungen

überprüft werden, indem man in den Fahrspuren die Reaktionslatenzen nach der Signaldarbietung zusammen mit den beim nächsten Signalort erreichten Fahrgeschwindigkeiten analysiert.

In den Systemen <2> müssten die Vergessensymptome in Abhängigkeit vom Merkmal Einzel- oder Doppelsignal untersucht werden. Bei <Y> drängt sich auf, einen Satz von dienstfahrplanabhängigen, also "innengesteuerten" Bremsungen mit einem Satz von signalabhängigen zu vergleichen.

 

6.3.1.4. Auffälligkeit von Brems- und Haltesignalen

Die Fragestellung schliesst sich unmittelbar an (6.3.1.3) an. Bei allen neuen Systemen ist angezeigt, stärkere und schwächere signalabhängige Bremsungen untereinander zu vergleichen und insbesondere zu untersuchen, ob die je besonderen "Bremsaufforderungen" in <I> <II> und <Y> die gewünschte Wirkung in gleich guter Weise hervorbringen. Sollte Variante "D" von <Y> in Betracht gezogen werden, wäre eine entsprechende Fragestellung angezeigt.

 

6.3.1.5. Fehleranfälligkeit bei Überlastungsbedingungen

Wie schon in (5.1.5) ausgeführt, ist die Simulation von Überlastung stets nur bedingt realitätsgetreu. Dies gilt jedenfalls für zustandsbedingte Überlastung, während reizüberlastungsbedingte Wirkungen in der Simulation mindestens partiell zugänglich sind.

Die Anfälligkeit ganzer Systeme oder ausgewählter Einzelaspekte kann vor allem dadurch geprüft werden, dass man die Streuungen der Fahrspuren analysiert: bleiben sie unverändert oder nehmen sie deutlich zu, wenn man den Lokführer im Vergleich zur Normalsituation Zusatzaufgaben ausführen lässt? So könnte man ihn zum Beispiel mit irrelevanter optischer und/oder akustischer Stimulation überschwemmen (passive Überlastung) oder von ihm verlangen, in bestimmten Abständen oder auf bestimmte Signale hin etwa das Manometer abzulesen und über den momentanen Druck durch Tasten- oder Hebelbedienung Auskunft zu geben (aktive Überlastung).

 

6.3.1.6. Fehleranfälligkeit bei Monotoniebedingungen

Im Simulationsversuch kann echte Monotonie nicht realitätsgerecht erzeugt werden; darüber sollte man sich keine Illusionen machen.

Wenn man den Gesichtspunkt für wichtig hält, so bietet sich an, das Versuchsparadigma durch die begleitende Messung von psychophysiologischen Parametern beim Lokführer zu ergänzen. Interessieren könnte etwa die Herzfrequenzänderung im Gefolge einer Signaldarbietung. Mit solchen Daten liesse sich insbesondere prüfen, ob im System <Y> nach einer längeren Serie von Bestätigungssignalen (grün) ein Aktionssignal (orange Zahl) eine grössere oder eine geringere Chance hat, handlungsrelevant zu werden.

 

6.3.1.7. Fehleranfälligkeit bei Ermüdung

Es gilt das unter (6.3.1.6) Gesagte mit der Ergänzung, dass man versuchen könnte, durch extrem lange Fahrstrecken oder durch Ansetzung der Versuche am Ende eines regulären Fahrdienstes (soweit das aus der Sicht des Personals zulässig wäre) Ermüdungszustände herbeizuführen. Wiederum wäre die Analyse der Streuung der Fahrspuren und in gewisser Hinsicht die Analyse von physiologischen Zusatzmessungen aufschlussreich.

 

6.3.1.8. Verhältnis von Sicherheit und Verkehrsfluss

Sicherheitsverletzendes Fahren fällt bei der grafischen Analyse der Fahrspuren unmittelbar auf, wenn man voraussetzt, dass die Mehrzahl der Fahrspuren einer Stichprobe von Lokführern korrekt fährt. Die generelle Sicherheit eines Signalsystems kann als Zeit-Prozentsatz der Abweichungen der Fahrspur aus einem definierten Sicherheitsbereich gut quantifiziert werden. Ähnlich lässt sich ein allfälliger Gewinn an Verkehrsfluss aus dem Verlauf der Fahrkurven zwischen zwei Signalsystemen leicht abschätzen. Etwas schwieriger aber nicht unmöglich dürfte sich die Umsetzung dieses Eindrucks in einen numerischen Wert erweisen, falls dies erwünscht ist.

 

6.3.1.9. Kompatibilität mit jetzigem System

Wenn es erwünscht ist, könnte daran gedacht werden, in die Simulationsstudie mit den neuen Signalen auch einige Abschnitte mit dem jetzigen System <J> einzubauen bzw. eine besondere Fahrstrecke eigens mit <J> anzulegen und zu testen. Grundsätzlich wäre es auf diese Weise möglich, nicht nur das Nebeneinanderexistieren des alten und des neuen Signalsystem zu testen, sondern auch zu einer Abschätzung des Sicherheits- und Verkehrsflussgewinns mit dem neuen System im Vergleich zum Istzustand zu gelangen.

 

6.3.1.10. Andere Kriterien

Insbesondere für das System <Y> verdient die Frage Erwähnung, ob Dienstfahrplan und Streckenkenntnis das bei der Konstruktion von <Y> in sie gesetzte Vertrauen betreffend Handlungssteuerung rechtfertigen. Die Frage kann mit der Simulationsstudie auf fiktiven Fahrstrecken bei Dienstfahrplanvorgabe mittels Direktanweisung natürlich nicht entschieden werden. Sollte die Frage empirischer Abklärung bedürfen, wäre denkbar, eine reale Fahrstrecke, z.B. Bern-Zürich, unter Darbietung realitätsbezogener Signalbilder für die Simulation zu programmieren und dann auf die Vorgabe der Anweisungen zu verzichten. Die Auswertung der Fahrspur könnte nach den nun ausreichend geschilderten Prinzipien erfolgen.

 

6.3.2. Demonstrationswert

Eine Simulationsanordnung der skizzierten Art könnte nicht nur für die Überprüfung der Signale von Bedeutung sein, sondern auch die Aufnahme eines neuen Signalsystems unter den Lokführern vorbereiten helfen.

 

6.3.3. Ausbildungswert

Unter der Voraussetzung, dass die Simulationsanlage in Räumlichkeiten der SBB aufgebaut (oder nach Abschluss der Versuche dorthin transportiert) werden könnte, könnte sie auch später zu Ausbildungszwecken eingesetzt werden.

 

6.4. Aufwand für die Simulationsstud

Bevor nicht Vorentscheidungen über das zu prüfende System bzw. die zu vergleichenden Systeme oder Signalaspekte getroffen werden, ist eine Abschätzung der Kosten einer solchen Simulationsstudie schwierig. Grobe und unverbindliche Schätzungsgrundlagen lauten wie folgt:

 


Aufgabe -- Geschätzter Zeitaufwand oder Kosten


Aufbau der Versuchskabine mit Display-Einrichtungen -- durch die SBB

Streckendias -- durch die SBB

Kleincomputer-System mit Interface und Grafik -- 25000.-

Programmierung für Simulation und Auswertung -- ca. 1/2 Mannjahr

Einrichtung der Versuchsanordnung bis Funktionsfähigkeit -- ca. 1/2 Mannjahr

Durchführung Versuche pro 50 Vpn. inkl.Datenaufbereitung -- a. 2 Mannmonate

Datenauswertung pro Fahrstrecke -- ca. 3 Mannmonate

Berichterstattung -- ca. 1/2 Mannjahr


 

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7. Empfehlungen und weiteres Vorgehen  

Wenn zum Abschluss dieser Expertise einige Empfehlungen und Vorschläge für das weitere Vorgehen formuliert werden sollen, so nicht in der Absicht, den Entscheidungen der SBB vorgreifen zu wollen. Es schien uns bloss sinnvoll, den Entscheidungsgremien der SBB jene konkreten Schlussfolgerungen vorzulegen, welche die Autoren von ihrem Fach-Standpunkt aus ziehen. Wir wissen sehr wohl, dass die Einführung eines neuen Signalsystem auch Perspektiven anderer Art umfassen, darunter betriebliche, technische und ökonomische, welche ausserhalb unserer Kompetenz liegen. Ebenfalls halten wir den frühzeitigen Einbezug der Personalvertreter im Hinblick auf die notwendigen Vorentscheidungen aus unserer Sicht für wünschbar.

Wir glauben, das Ergebnis der Expertise wie folgt zusammenfassen zu können:

Eine handlungspsychologisch angelegte Analyse des Lokführens unter dem jetzigen und den neu vorgeschlagenen Signalsystemen hat uns auf dem "Umweg" über abstrakte psychologische Prinzipien zur Konstruktion eines weiteren Signalsystems <Y> geführt, das zumindest in der theoretischen "Bewährung" gegenüber den bisher vorgeschlagenen Systemen beträchtliche Vorzüge und zugleich keine offensichtlichen Nachteile aufweist. Einige Unsicherheitsfaktoren über die praktische Bewährung des Systems könnten aufgrund der Ergebnisse einer Simulationsstudie beurteilt werden.

Wir möchten aber betonen, dass wir das System <Y> nicht als ein definitives System betrachten sondern als einen Beitrag zur Systemdiskussion aus psychologischer Sicht. Im Unterschied zu den von der SBB vorgeschlagenen Signalsystemen <I> sind nämliche einige betriebliche und Ökonomische Fragen betreffend <Y> noch nicht geklärt. Wir schlagen demnach folgendes Vorgehen vor:

 

7.1. Überprüfung des Systems <Y> in betrieblicher Hinsicht

Signalsystem <Y> muss zuerst im Rahmen des gesamten Zugförderungskonzepts der SBB betriebsintern überprüft werden. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Überprüfung muss die "Einbettung" des Systems <Y> in das Insgesamt der Signalisationen betreffen; wir konnten dies nur grob prüfen, da uns die gesamte Signalisation nicht eingehend und im Detail bekannt ist. Weiter sind bauliche und steuerungstechnische Abklärungen vorzunehmen.

 

7.2. Überprüfung der Kosten der Einführung von System <Y>

Ferner sind ökonomische Vorüberlegungen anzustellen. Voraussetzung dazu ist ein Überblick über die Anzahl der zu verlegenden und der zusätzlichen Signalstandorte, welche vom Handlungsaktualitäts-Prinzip her erforderlich oder wünschbar erscheinen. Dabei ist auch ein Standard festzulegen, welcher Bereich der Bremsdistanz-Variation bei der Signal-Plazierung berücksichtigt werden soll. Haupt- und Nebenstrecken müssen hierbei nicht notwendig denselben Ansprüchen genügen.

 

7.3. Prioritätensetzung betreffend Simulationszielen

Sollten die Überprüfungen gemäss 7.1 und 7.2 nicht wesentlich von den Systemen <I> verschiedene Ergebnisse zeitigen, so könnte ein Vorentscheid zugunsten einer empirischen Überprüfung im Simulationsexperiment des Systems <Y> bzw. eines entsprechenden Systems unter allfälligem Einbezug von ausgewählten Aspekten einzelner <I>-Systeme getroffen werden. Zur Vorbereitung eines Simulationsexperiments müssten wir wissen, auf welche Beurteilungskriterien von seiten der SBB das grösste Gewicht gelegt wird. Die Ausführungen in (6.3.1) geben reichlich Hinweise auf die Überprüfungsmöglichkeiten. Es scheint uns, dass die Prioritäten von den zuständigen SBB- Gremien gesetzt werden sollten.

 

7.4. Detailplanung des Simulationsexperiments

Sollte die SBB bis zu diesem Punkt dem empfohlenen Vorgehen folgen können, so würden wir unserseits aufgrund der Prioritätenliste das skizzierte Simulationsexperiment im Detail planen können. Unsere Aufgabe wäre dabei, zu prüfen, welche Fragestellungen in der Reihenfolge der SBB-Prioriätenliste in einer oder in zwei (oder mehr) Fahrstrecken-Simulationen mit welchen Grad an Zuverlässigkeit beantwortet werden könnten.

 

7.5. Auftragserteilung für ein Simulationsexperiment

Mit dem Vorliegen der detaillierten Simulationsplanung wären auch die Kosten der experimentellen Systemüberprüfung abzuschätzen, und die SBB könnte nach einem Kosten-Nutzen-Vergleich die entsprechenden Aufträge erteilen. Unserseits wäre die Detailplanung in den Monaten Juli-August möglich; der Aufbau der Versuchsanordnung und die Durchführung der Versuche könnte frühestens im Herbst 1984 einsetzen. Eine Simulationsstudie mit 2 Fahrstrecken dürfte ein bis anderthalb Jahre beanspruchen.

 

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GLOSSAR

Erläuterungen von Fachbegriffen  

System

Eine Gesamtheit von untereinander abhängigen oder aufeinander einwirkenden Teilen, die gewöhnlich als Ganzes eine raumzeitliche Einheit bilden. In der Expertise wird einerseits die Gesamtheit der zueinander gehörenden Signale als System bezeichnet, weil die verschiedenen Signale, obwohl sie physisch getrennt vorkommen, in der perzeptiv-kognitiven Verarbeitung durch den Lokführer wechselweise einander beeinflussen. Anderseits bildet der Lokführer mit dem Zug auf einer Fahrstrecke ein Mensch-Maschine-System, wobei der Mensch und die Maschine je für sich auch als (Teil-)Systeme betrachtet werden können.

 

sensorisch-perzeptiv / perzeptiv-kognitiv

Die Psychologie der Informationsverarbeitung unterscheidet bezüglich der Beziehung zwischen einem Menschen und seiner Umwelt einen wahrnehmend-aufnehmenden (input) und einen handelnd-wirkenden (output) Zweig. Während man früher geglaubt hat, die Wahrnehmung durch einen stufenweisen Aufbau von einfachen sensorischen, d sinnesorgan-bezogenen, über etwas komplexere perzeptive, d. organisierend verarbeitende, bis hin zu den zentralen kognitiven, d. das Gedächtnis und das Denken einbeziehenden Prozessen, verstehen zu können, realisiert man heute besser die wechselseitige Abhängigkeit dieser Informationsaufnahme-Komponenten. Wahrnehmung ist ein aktiver Vorgang, in dem neben den von aussen nach innen gehenden Prozessen ebenfalls von zentralen Begriffen, Gewohnheiten, Erwartungen usw. ausgehende Faktoren die Informationsaufnahme bestimmen. Farbwahrnehmung ist zwar primär sensorisch-perzeptiv, durch den kategorialen Charakter der wahrgenommenen Farbe und durch die kulturell bestimmten Farbbedeutungen ist sie aber auch kognitiv mitbestimmt; das Erkennen einer Ziffer ist stärker kognitiver Natur, setzt aber natürlich sensorische Leistungen wie Sehschärfe, Kontrast und Konturen ebenso voraus wie die perzeptive Errungenschaft des räumlichen und des Formensehens. Ähnliche wechselseitige Verschränkungen gelten für die Handlungsseite (vgl. Operation, Handlung Tätigkeit).

 

Operation, Handlung, Tätigkeit

Handlung als ein zentraler Begriff der modernen Psychologie bezeichnet eine organisierte Gesamtheit von untereinander und auf eine Umwelt hin bezogener Verhalten, welche ein Individuum ausführt. In der Regel erhält eine Handlung für den Handelnden selbst wie für einen Beobachter von aussen ihren Ganzheitscharakter und ihren Sinn dadurch, dass alle zu ihr gehörenden Verhalten auf die schliessliche Erreichung eines Ziels bezogen sind. Ist diese Zielorientiertheit dem Handelnden als Absicht bewusst, so spricht man auch von planvollem Handeln; doch ist zielorientiertes Handeln durchaus auch ohne begleitendes Bewusstsein möglich. Handlungspläne sind organisierende Prinzipien für Handlungen. Operation und Tätigkeit sind dem Handeln analoge Begriffe auf einer hierarchisch untergeordneten (Operation) bzw. übergeordneten (Tätigkeit) Ebene. Demnach lässt sich eine Handlung auch als eine organisierte Gesamtheit von Operationen bzw. eine Tätigkeit als eine organisierte Gesamtheit von Handlungen verstehen. In beiden Fällen scheint die Zielorientiertheit stärker implizit als bei den Handlungen; Tätigkeiten und Operationen sind auch bewusstseinsferner, obwohl durchaus bewusstseinsfähig. Lokführen ist eine Tätigkeit; von A nach B fahren ist eine Handlung; den Fahr- oder Bremshebel bewegen ist eine Operation.

 

Information / Codierung / Decodierung

Der hier verwendete Informationsbegriff ist untechnisch und meint eigentlich eine Art "Wissen", oder eine Botschaft, die auch eine Anweisung sein kann, über welche jemand verfügt oder nicht verfügt. Sobald Information anders als im Erleben oder Bewusstsein einer Person vorkommt, ist sie mit einem Informationsträger verbunden, d. in einen Code verschlüsselt. Dies ist z.B. der Fall, wenn A eine Botschaft an B übergibt, sei es durch gesprochene oder geschriebene Sprache, durch Gesten, Bilder usw. Ein Wahrnehmender ist eigentlich an der Information interessiert, kann diese aber nur durch Decodierung des Informationsträgers erreichen. Mit der Zuordnung von Information und Code oder dem Verhältnis zwischen Zeichen und Bezeichnetem und damit mit der Frage der Codierung bzw. Decodierung beschäftigt sich die Semiotik oder Semiologie. Eine grundlegende Einteilung dieses Verhältnisses unterscheidet Zeichen, welche (a) direkt abbilden wie das Bild eines Stuhls den Stuhl, welche (b) Anzeichen sind wie ein Pfeil für die Richtung, oder welche (c) durch blosse Konventionen dem Bezeichneten zugeordnet sind wie eine Ziffer dem Zahlenwert. Menschen sind für Zeichen der ersten und zweiten Art auf weitgehend natürliche Weise vorbereitet, während die Zeichen der dritten Art notwendig Lernprozesse in einer bestimmten Kultur voraussetzen.

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