Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Magazine Article 1983

Mensch und Computer --

Bedrohung oder Chance?

1983.01

@HumComp @EnvPsy

23 / 32KB  Last revised 98.11.01

Unipress (Bern) Nr. 41, Dezember 1983, 26-31

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt

 

Informatik als «Sprachsystem»

Metasprachen

Kehrseiten

Mittel zum Zweck oder Entwicklungspartner?

Computer als Gegengift gegen Computer

 

Um die Mitte dieses Jahrhunderts ist in der abendländischen Kultur eine (un)heimliche Revolution eingetreten. Ihre Folgen werden erst im nächsten oder übernächsten Jahrhundert wirklich einzuschätzen sein. Die Erfindung des Computers, die Entwicklung der Informatik wird mit aller Wahrscheinlichkeit im Lauf der Zeit unsere geistige und soziale Welt so tiefgreifend verändern wie die Erfindung des Buchdrucks oder die Erfindung der Schrift. Niemand weiss, ob zum Guten oder zum Schlechten der Menschheit.

«Der Computer» ist zunächst einfach eine Bezeichnung für eine informationsverarbeitende Maschine. Fremdländisch mit «C» geschrieben und personifiziert wie ein Götze oder ein Teufel ist das Wort aber auch eine Chiffre geworden, d. h. eine Art Beschwörungsformel für etwas Unbekanntes, Unheimliches, Mächtiges. Wie alle neuen Errungenschaften einer Kultur stellt auch der Computer bewährte Traditionen in Frage. Und bis die Mehrheit der Menschen ihn wirklich kennengelernt mit ihm umzugehen gelernt haben wird, sitzt er wie ein Stachel im Fleisch.

So muss man den Computer entweder bekämpfen oder ignorieren. Computerwitze zeigen ihn gleichzeitig übermächtig und superdumm. Man möchte ihn gern harmlos, und doch ist er zu fürchten. Das ist die heute vorherrschende Reaktion, von der Sekretärin, die sich sträubt, am Textcomputer zu arbeiten, über die politischen Bewegungen, welche die heutige Arbeitswelt durch das Verbot des Computers erhalten wollen, bis zum Internationalen Arbeitsamt in Genf, das in offizieller Verlautbarung den Computer als Arbeitsplatzfresser anprangert.

Aber der Computer fasziniert viele Menschen, die mit ihm umgehen lernen. Ich möchte ihn mit dem Fliegen vergleichen. Der Wirklichkeit gewordene Traum, im Fliegen das Materielle zu überwinden, wiederholt sich in der Welt des Geistes. Denn das Denken und das Mitteilen stossen in den natürlichen Sprachen immer wieder auf Schranken.

Am Computer jedoch erlebt der Benutzer, wie er seine Grenzen ausweiten und durchbrechen kann. Obwohl strikter Logik verpflichtet, ist das Programmieren häufig eine schöpferische Erfahrung. Weit intensiver als der Entdecker unbetretener Landstriche erfindet und vermisst der Programmierer am Bildschirm «neue Welten»; man kann sagen: er konstruiert neue Welten nach seinem Entwurf und konkretisiert sie in Abläufen und Resultaten So kann er nicht aufhören, die faulen Stellen im Algorithmus, Zeugen seines Ungeschicks, zu eliminieren, bis der Ablauf stimmig und schön ist und bis das Resultat dem entworfenen Ideal entspricht. Die Amerikaner nennen diesen Programmierer den «hacker»; das ist eine Anspielung auf den Blockhausbauer, der mit seiner Axt so grobschlächtig ins Zeug haut, so ungeschickt im Vergleich zur Klarheit des «Fliegens» in der verdünnten Luft der absoluten Logik. (Leider beginnt jetzt eine Nebenbedeutung das Wort in Beschlag zu nehmen: die des unerwünschten Einbrechers in vernetzte Computer.)

Der Computer nimmt jeden gefangen. der sich ihm ergibt. Junge und alte Kinder werden beinahe «süchtig» im unaufhörlichen Wiederholen von StarTrek oder PackMan und anderen Computerspielen. Man sollte solche Spiele aber nicht als typisch für das nehmen, was der Computer kann und bewirkt. Es gibt amerikanische und japanische Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder im Vorschulalter unerhörte Kompetenzen im Umgang mit dem Computer entwickeln können. Sie entdecken den Computer als einen spielerischen Denkpartner und programmieren ihn in einem kreativen Dialog. Indem sie dem Computer beibringen, bestimmte Dinge zu tun, entsteht ein faszinierender Lernprozess in ihnen selber.

 

Informatik als «Sprachsystem»

Der Computer erweitert das menschliche Denken in ungeahnte Bereiche; er eröffnet neue Welten durch neue «Sprachen», die alles Bekannte hinter sich lassen.

In den natürlichen Sprachen der Menschen wurde eine symbolische Welt errungen: man kann mit den Dingen umgehen, ohne mit den Dingen zu sein. Ein Name steht für ein Ding oder für eine Klasse von Dingen; ein Name steht für einen Menschen oder fùr eine Klasse von Menschen. Immerhin, alle Namen und ihre Verknüpfungen repräsentieren (einigermassen) die Dinge und ihre Beziehungen. Um den Preis einer gewissen Entfremdung von den Dingen gewann man eine unerhörte Macht über sie.

Strukturen von Symbolen (Namen), welche Regeln folgen, heissen allgemein Sprachen; was wir im Alltag als Sprache meinen, ist nur ein kleiner Ausschnitt davon. Eine andere Bezeichnung für Strukturen von Symbolen ist «Information».

Bereits mit Hilfe der Formalismen der symbolischen Logik hat das rationale Denken eine enorme Ausweitung erfahren. Den Namen werden neue Namen zugeordnet, die Namen von den Namen bekommen ihrerseits Namen, und diese treten in Relation zu den Namen von den Namen von den Namen... Zwar bringt der Computer in dieser Hinsicht nichts grundsätzlich Neues. Doch ist die quantitative Ausweitung der Möglichkeiten der Algorithmenkonstruktion derart, dass unerhörte Wirkungen erzielt werden. Dagegen hat auch der schärfste menschliche Logiker Grenzen und ist nicht gefeit vor Mehrdeutigkeiten, Verwechslungen, Irrwegen. Dass ein Programm läuft, ist ein vorzüglicher Test für die Stimmigkeit des Formalismus und für die Korrektheit des Algorithmus (allerdings auch dann, wenn er nichts Sinnvolles tut).

Mit der wachsenden Steigerung des Komplexitätsgrades von informatischen Prozessen ergibt sich ein überraschender Umschlag von Rationalität in A-Rationalität, wenn man so sagen kann. Man findet nämlich, dass selbst unter Beizug der leistungsfähigsten Computerhilfsmittel die Menge der konzipierbaren rationalen Lösungsverfahren für gewisse Problemkreise nicht ausreicht. Man ist genötigt, gewissermassen a-rationale Lösungswege beizuziehen, etwa sogenannte Heuristiken. So ist z. B. ein rationaler Schachcomputer, obwohl Schach ein durch und durch rationales Spiel ist, ein recht unbeholfener Schachspieler, dem menschlichen Spieler oder einem heuristisch (d.h. aufgrund von Annahmen anstatt von Schlüssen) operierenden Programm deutlich unterlegen.

Ferner kann im Computer das Verknüpfen von Namen vermutlich mehr als nur vervielfacht werden. Mir scheint, dass sich in der Möglichkeit von sogenanntem «object-oriented code» ein vielleicht grundlegender Schritt andeutet. Während in der symbolischen Logik Operatoren und Operanden und in herkömmlichen Computerverfahren Prozeduren und Daten grundsätzlich voneinander verschieden sind und stets sorgfältig aufeinander abgepasst werden müssen, entfällt diese Unterscheidung im «object-oriented code». «Objects» sind sowohl Daten wie Prozeduren, so dass sie in beiden Richtungen aufeinander wirken können. Vergleichsweise wäre das Handeln von Menschen mit Dingen dem herkömmlichen Code ähnlich; das wechselseitige Wirken von Menschen aufeinander, die nacheinander die Rolle von Subjekt und Objekt einnehmen, gleicht jedoch dem «object-oriented code».

Computer-Algorithmen konstruieren also ihre eigenen Welten, vom Menschen angeregt und ausgelöst, aber menschliches Denken weit hinter sich lassend. In der Science-Fiction machen sich Computer selbständig und werden zu allmächtigen oder teuflischen Partnern oder Opponenten des Menschen. Sie bringen die Herrschaft des Menschen über das Weltall und sie bringen die totale Versklavung des Menschen unter der Herrschaft des allmächtigen neuen Geistes. Obwohl ich nicht für möglich halte, dass autonome Computerwesen entstehen, zeigt wohl die überschiessende Phantasie zu Recht, was auf dem Spiel steht; schon als Instrumente in der Verfügung von handelnden Menschen sind sie mächtig genug. Und dennoch fehlt uns konkretes Wissen um «informatische Strukturen» und ihre Konsequenzen, ähnlich wie dem mittelalterlichen Menschen das Wissen um Automobile, Kunststoffe, Weltwirtschaft und andere Errungenschaften unserer Zivilisation fehlten; erst hinterher können wir die Folgen halbwegs überblicken.

 

Metasprachen

Der Computer bringt aber noch ein Weiteres. Und das ist es, meine ich, was die Revolution so tiefgreifend macht. Die Informatik ermöglicht nämlich rationale Metasprachen von fast beliebiger Ordnung.

Metasprachen sind Sprachen, welche anderen Sprachen übergeordnet sind, diese gewissermessen in sich enthalten. Jeder Vergleich von Sprachen erfordert den Beizug einer Metasprache, in welcher die zu vergleichenden Sprachen Untersprachen sind. Nun erfolgt aber jeder Bezug auf die Wirklichkeit in Form einer Sprache; dann wenn er für mehr als einen Menschen von Bedeutung sein soll, in Form einer öffentlichen Sprache. Wir haben in der abendländischen Zivilisation insbesondere die Form von wissenschaftlichen, d.h. rationalen Sprachen bevorzugt, welche - zumindest in kritischen Aspekten - eindeutiger sind oder sein sollen als die natürlichen Sprachen.

Jeder Vergleich von zwei Wirklichkeitsausschnitten kann nur dann gelingen, wenn die beiden Wirklichkeiten in ein und derselben Sprache dargestellt sind. Denn die Sprache ist ja das tertium comparationis. Ohne diese Bedingung wüsste man nicht, ob eine festgestellte Gleichheit oder Verschiedenheit eine solche der Wirklichkeiten oder bloss eine solche der Sprachen ist.

Nun haben die verschiedenen Wissenschaften je ihre eigenen Sprachen entwickelt. Insofern sie quantitative Aussagen machen, finden sie eine gemeinsame Metasprache in mathematischen Formalismen. Darüberhinaus war bisher zum zwischen-wissenschaftlichen Argumentieren nur die natürliche Sprache mit ihren Vieldeutigkeiten verfügbar. In gewissen Fällen war es möglich, mit Hilfe der symbolischen Logik Diskurse zwischen Wissenschaften zu führen; allerdings stiess man in empirischen Wissenschaften rasch auf Unvergleichbarkeiten der Referenzbegriffe, die ja von Ausnahmen abgesehen in jeder Wissenschaft separat, d.h. induktiv gewonnen wurden und also synthetischen Charakter haben. Das heisst aber, dass zwischen-wissenschaftliche Vergleiche in nicht-quantitativen Belangen bisher überwiegend nicht ganz rational waren. Und in der Tat entspricht dem die weitgehende Vereinzelung der Einzelwissenschaften und die Schwierigkeit interdisziplinärer Dialoge (mit der Ausnahme einiger Wissenschaften über Energie und Materie, wo das Quantitative im Vordergrund steht).

Die Informatik mit Hilfe des Computer könnte diese Begrenztheit der Beziehung zwischen den verschiedenen Sprachen durchbrechen helfen. Wenn wir mit rationalen Metasprachen im allgemeinen so effektiv umzugehen lernen wie bisher mit den quantitativen Metasprachen, so ist zu erwarten, dass die wissenschaftlichen Einzelsprachen nach und nach durch Sprachen ergänzt und vielleicht abgelöst werden, welche vorwiegend analytisch sind, d.h. zum vornherein im allgemeinen Rahmen einer übergeordneten Metasprache konzipiert und deshalb problemlos zum Sprachvergleich und zum Objektvergleich über die Wissenschaften hinweg geeignet sind. Obwohl diese Überlegung nun eher langfristig gedacht ist, sollten wir uns darauf einstellen: Der vom Menschen geschaffene Computer könnte das dem menschlichen Denken nicht Mögliche leisten.

 

Kehrseiten

Und wie das Fliegen natürlich nicht wirklich entmaterialisiert, wird auch die Computerei zwar den Geist potenzieren, zugleich aber unsere Begrenztheit in einem bestimmten Gebiet nur umso deutlicher offenbaren. Denn für das geistige Fliegen, für die Gewinnung «informatischer Welten» ist ein Preis zu bezahlen. Ich will einiges von diesem Preis aufzuzeigen versuchen, indem ich Menschliches und Informatisches einander gegenüberstelle und vergleiche.

Eines der grossen ungelösten Probleme des Wissens über den Menschen betrifft das Verhältnis zwischen Denken und Fühlen, zwischen Ratio und Affekt, zwischen Ordnung und Antrieb. Die Philosophen und Psychologen haben sich fast stets entweder dem einen oder andern zugewandt, Descartes und Piaget dem Denken, Nietzsche und Freud dem Affekt.

Die einen denken sich die Natur des Menschen von rationalem Charakter, also letztlich von der Art einer Maschine wie der Computer. Ja ist dann ja, und nein ist nein; ein Drittes gibt es nicht. Alles Diffuse, alles Ungefähre, aber auch alles Einmalige, alles Schreckliche, auch alles Heilige ist dann bloss ein Flecken im Reinheft, eine vorläufige Unvollkommenheit, vielleicht sogar ein Fehler, den es auszumerzen gilt. Für diese Sicht der Menschennatur ist der Computer eine Hoffnung. Er repräsentiert die absolute Rationalität. Und wenn schon der Mensch immer wieder unter Stimmungen und Schwächen leidet, so hat er doch wenigstens in seiner Maschine sich vervollkommet.

Für die andern ist der Computer eine Gegenwelt zum eigentlichen Menschsein, zum Leben. Durch ihn droht die Erstarrung, die Zerstörung des Einzigartigen, des Schöpferischen, des Individuellen. Lebendige Systeme sind offene Systeme und sie befinden sich in einer prinzipiell nicht vorhersagbaren Entwicklung. In der Tat schreitet die Evolution der Arten zwar fort, aber sie hat kein Ziel. Ähnlich ist es mit der Entwicklung der individuellen Person vom Säugling bis ins hohe Alter. Wohl sind bei bekannten Rahmenbedingungen angenäherte Vorhersagen über Entwicklungen möglich. Aber entscheidend für die Existenz der Person ist eine Freiheit, eine wirkliche Freiheit oder zumindest eine vorgestellte Freiheit. Im Verhältnis dazu ist der Computer eine Maschine, d.h. unfrei, berechenbar, vorausbestimmt. Und damit haben wir die Wertfrage gestellt, von der wir ausgegangen sind.

Denn die Trennung von Ratio und Leben hat auch eine moralische Dimension. In einer durchrationalisierten Lebenswelt gibt es keine Moral mehr, weil es keine Freiheit gibt. Gut und schlecht werden durch richtig oder falsch abgelöst, und es gibt eine einzige Instanz, eben die Ratio (oder diejenigen, die darüber verfügen), welche darüber entscheidet, was man zu tun hat und was nicht.

Eine rational organisierte Gemeinschaft kann funktionieren, weil sie einem Ameisenstaat gleicht. Die abendländische Zivilisation ist durch ihre Rechtsinstitutionen einen Schritt in diese Richtung gegangen. Sie hat eine blühende Kultur hervorgebracht. Der umfassende Machbarkeitsglaube, vom Umgestalten der Erde bis zur Manipulation des Lebens und der Psyche, entstammt dem Vertrauen in die Ratio. Es ist allerdings bedenklich, dass diese Tendenz zur Herrschaft der Ratio so eng mit einem schrankenlosen Hedonismus einhergeht, sei es, dass sie ihm entstammt, sei es, dass sie ihn hervorbringt. Einige fürchten heute, dass die Wissenschaften Amok laufen. Immerhin haben wir bis jetzt, wenigstens in den westlichen Gesellschaften, vermieden, die Freiheit der Person und die Schuldfähigkeit des Individuums ernstlich anzutasten. Der Computer bringt die Fähigkeit dazu und damit die Versuchung, die totale Gesellschaft zu realisieren, in einem stärkeren Ausmass als alle früher erfundenen Maschinen.

Bekämpft man den Computer also zu Recht? Muss man ihn im Interesse des Menschen einschränken oder vernichten? - Ich glaube, dass eine solche Konfrontation genau den Fehler der Trennung zwischen Denken und Fühlen wiederholt und grundfalsch ist. Dazu kommt, dass, wer den Siegeszug des Computers verhindern will, ziemlich sicher seine Stärkung bewirkt, die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit seiner Herrschaft. Weil nämlich schwach ist, wer den Computer nicht kennt, im Vergleich mit dem, der ihn zu seinen Zwecken einsetzt.

Man darf nicht vergessen: der Computer ist ein Bestandteil einer kulturellen Evolution. Er ist nicht denkbar ohne den Untergrund der biologischen Evolution, welche das rationale Denken hervorgebracht hat. Ein wesentliches Merkmal der erfolgreichen Evolution lebendiger Systeme ist ihr Vermögen, Bedingungen, die ihnen auferlegt sind, in irgendeiner Form in sich selbst zu integrieren. Der Computer ist eine solche auferlegte Bedingung Die Frage ist also nicht, ob wir den Computer wollen oder nicht, sondern auf welche Art und Weise wir den Computer in die menschliche Lebenswelt integrieren.

 

Mittel zum Zweck oder Entwicklungspartner?

Es gibt zwei unterschiedliche Verwendungsweisen des Computers. Manchmal sind sie nicht leicht auseinanderzuhalten, und doch sind sie grundverschieden.

Wie die mechanischen Maschinen kann man den Computer einsetzen als Verstärker der Kraft, die der Mensch ohnehin hat: der Denkkraft, wenn man so sagen kann. Der Computer rechnet um Potenzen mehr, schneller und zuverlässiger. Der Computer verarbeitet in kürzerer Zeit grössere Mengen von Information als man sich vorstellen kann. Er trifft Entscheidungen aufgrund von Datensätzen, die so komplex sind, dass sie kein Mensch überblicken kann. Er leistet in Sekunden, wozu hunderte von Menschen viele Jahre bräuchten. Aber immer sind es Vorgänge, die aus einem definierten Anfangszustand einen definierten Endzustand herstellen, sie dienen unmittelbar einem Zweck. Ich nenne dies den instrumentellen Einsatz des Computers. Es ist dies die heute vorherrschende Verwendung des Computers. Ihr Symbol ist die grosse und schnelle Maschine, die Zentralisierung der Computerkraft. Je grösser die Datenbank, je schneller der Zugriff, je effektiver die Datenverarbeitung, desto mehr ist dem zweckrationalen Tun gedient. Der instrumentelle Computer tut das Geschäft desjenigen, der ihn laufen lässt. Der instrumentelle Einsatz des Computers ist es, welcher die Ängste weckt, die hybride Computerkraft der Macher.

Keineswegs will ich den instrumentellen Computer schlecht machen. Wir haben ihn und wir brauchen ihn. Aber ich möchte ihn wegen seiner Einseitigkeit wenigstens ein Stück weit neutralisieren. Dem Gift, das er auch ist, ein Gegengift zulegen. Und das führt mich zu einer Verwendung des Computers, die ich nicht so leicht beschreiben kann. Ich nenne sie den partnerschaftlichen Einsatz des Computers.

Ich meine natürlich nicht, dass Partnerschaft nicht auch auf ein Ziel orientiert ist. Doch ist eine Partnerschaft, die sich mit dem Erreichen des Ziels erschöpft, keine erfüllte Partnerschaft. Wichtiger noch als die vielleicht nie so ganz klaren und auch nie so ganz erreichbaren Ziele sind die Wege, welche die Partner gemeinsam gehen.

Der partnerschaftliche Computer fasziniert mich. Nicht weil ich ihn laufen lassen kann, sondern weil ich ihm Probleme zu lösen geben kann, und weil er mir mit den Lösungen stets neue Probleme stellt.

Partnerschaft ist gemeinsame Entwicklung. Wenn ich vom Computer als einem Entwicklungspartner spreche, dann meine ich nicht, dass ich ihn vermenschlichen möchte, keineswegs; ich bediene mich nur einer solchen Sprache, weil es in einer Mensch-Computer-Partnerschaft zu teilweise ähnlichen Austausch- und Beeinflussungsprozessen kommt, wie wir sie von der sozialen Interaktion her kennen.

Zum Beispiel machen Mutter und Kind gemeinsam einen Lern- und Entwicklungsprozess durch, der für beide Partner, für ihre persönliche Existenz, von grösster Bedeutung ist. Aber die beiden hören nicht auf, sich aneinander zu freuen und sich aneinander zu «reiben», wenn ein bestimmter Entwicklungsstand erreicht ist. Die Interaktion als ganze hat nicht ein bestimmbares, erreichbares Ziel, und man kann schon gar nicht von den einzelnen Begegnungsakten sagen, sie bewirkten genau dieses oder jenes. Es ist der Prozess, der interessiert, ja, der für beide lebenswichtig ist. Der Computer ist eine völlig andere Art Partner als die Mutter; und doch gibt es eigenartige Parallelen.

 

Computer als Gegengift gegen Computer

Auch in der partnerschaftlichen Computerverwendung verschiebt sich der Akzent vom Ziel auf den Prozess, vom Laufenlassen auf die Konstruktion. Ich stelle dem Computer eine Aufgabe; er löst sie vielleicht teilweise, nicht so, wie ich gerne möchte; das fordert mich heraus zu verstehen, warum er sie nicht löst und woran es liegt; ich ändere meine Anweisungen und beobachte das veränderte Ergebnis; der Vorgang bewirkt eine Änderung meiner kognitiven Strukturen, verändert mein Denken. Es steht plötzlich nicht mehr der Computer im Zentrum unseres Interesses, sondern ich, der Mensch, der mit dem Computer umgeht und dabei selber eine Entwicklung vollzieht. In seinem Buch «Mindstorms - Children, Computer and Powerful Ideas» (New York 1980; deutsch 1982 bei Birkhäuser in Basel erschienen) schildert Seymour Papert auf der Grundlage der Entwicklungspsychologie von Jean Piaget, was für Entwicklungen der Umgang mit dem Computer bei Kindern bewirken kann.

Es ist wichtig zu unterscheiden: Im computergesteuerten, programmierten Lernen wird das Kind wie ein geistiges Zirkuspferd programmiert; das Ziel ist vorgegeben, der Computer sucht den effizientesten Weg. Im partnerschaftlichen Umgang mit dem Computer programmiert das Kind den Computer, dass er bestimmte Dinge tue; aber der Lernprozess im Kind, der dabei entsteht, ist was wir suchen. Es ist ein autonomer Vorgang in einem sich entwickelnden System; wir wissen nicht, wohin er führt. Und genau das ist es, was die Freiheit der Person, die menschliche Existenz ausmacht.

Ich meine, dass es darauf ankommt, wie wir mit dem Computer umgehen, wenn wir feststellen, dass er so massive Rückwirkungen auf uns ausübt. Zauberlehrlinge, die wir sind, könnten wir uns durch den ausschliesslich instrumentellen Einsatz zu seinen Sklaven machen. In der partnerschaftlichen Verwendung bleibt der Mensch Meister, weil er zusammen mit dem Computer sich entwickelt und stets eine ganze Person bleibt, zugleich rational und lebendig.

Das Symbol des partnerschaftlichen Computers ist die relativ geschlossene Mensch-Computer-Dyade. Der autonome Kleincomputer ist überschaubar; seine Prozesse finden in den kognitiven Prozessen eine adäquate Repräsentation; die Verfügbarkeit über den Partner ist gegeben, seine Widerständigkeit einsichtig. Anders als beim Grosscomputer, der nur dem Spezialisten zugänglich ist, besteht beim Kleincomputer die Chance, dass jedermann ihn sich zu eigen macht. Ich erwarte, dass die Generation unserer Kinder, unserer Enkel mit dem Computer so selbstverständlich leben wird, wie unsere Generation gelernt hat, mit dem Auto zu leben. Wie soziale Dyaden sich immer wieder öffnen für neue Begegnungen, soll auch die Mensch-Computer-Dyade nicht eine ausschliessliche sein. Die Vernetzung von Kleincomputern ist die adäquate Lösung. Die Universitäten haben begonnen, den zentralen Grosscomputer mit Netzwerken von autonomen Kleincomputern zu ergänzen. Ich halte dies für einen sehr bedeutsamen Schritt.

Partnerschaftliche Computerverwendung entsteht nicht von selbst. Hier ist eine grosse Aufgabe, speziell für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen der Universität. Ganz im Gegensatz zum instrumentellen Einsatz könnte der partnerschaftliche Computer vielleicht beitragen zur Milderung des Lebensproblems unserer Generation. Ich formuliere es, wie alles in diesem Artikel, stark vereinfacht: über Jahrhunderte haben wir jetzt mit Hilfe der naturwissenschaftlich fundierten Technik die Welt (fast) beherrschen gelernt. Der Mensch droht dabei unter die Räder zu geraten. Wir müssen ihn also stärken, seine Ganzheitlichkeit, seine Autonomie. Gegen die Technik leben zu wollen führt ins Abseits. Gibt ihm eine Entwicklung zusammen mit dem Computer eine Chance?

(Der Verfasser dankt den Teilnehmern einer Seminargruppe, den Kollegen Aebli, Flammer und Mey und seinem persönlichen Computer sehr herzlich für wertvolle Anregungen.)

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