Alfred Lang University of Bern, Switzerland

Conference Paper 2000

Einige Gedanken zum Naturschutz

Unterlagen für ein Gespräch mit der kantonalbernischen Naturschutzkommission im Kemmeribode3n, 24.-26. August 2000

This text is from langpapers. net >>>>Navigation Outline
© 1960ff. by Alfred Lang>>>>SemEco Outline
Scientific and educational use permitted>>>>Glossary of Terms
Downloaded 2005.01.05 16:45

Published First 2005.02.20 , Revised , Calls Count since Publication:

Einige Gedanken zum Naturschutz in einem grösseren Zusammenhang

Vier Fragen zur Einleitung:

1. Grundfrage: Das geltende Menschenbild (im Westen, und in gewalttätiger Ausbreitung) verlangt die Instrumentalisierung der Natur, dh der Nutzung, der Ausbeutung zugunsten der Menschen, genauer zugunsten weniger und zum Nachteil anderer Menschen, langfristig in der Übernutzung zum massiven Schaden aller Menschen und weit über sie hinaus. Wie können sich Natur- und Umweltschutz dem Risiko entziehen, bloss als ein Teil des Instrumentalisierungsprogramms missbraucht zu werden, eigentlich nur der Verlängerung der Agonie zu dienen?

2. Wie kann sich Natur- und Umweltschutz dem Risiko entziehen, bloss als ein Teil des Instrumentalisierungsprogramms missbraucht zu werden, eigentlich nur der Verlängerung der Agonie zu dienen? — Doch wohl nur dadurch, dass das Instrumentalisierungsprogramm, dieser gnadenlose Wettbewerb aller gegen alle, ganz gründlich und sehr bald beendigt wird. Denn die Menschen sind ein Teil dieser Natur, ihrer Umwelt; durch deren Übernutzung treffen sie vor allem einander und sich selbst.

3. Wie kann das Instrumentalisierungsprogramm der Natur zum Schaden aller beendigt werden? — Indem die Menschen das herrschende vulgär-darwinistische Selbstverständnis, sie seien Einzelne im Kampf ums Dasein, aufgeben und dessen Begründung, die maximale Entfaltung jedes Einzelnen verschaffe allen das grösstmögliche Glück, als das entlarven, was es ist: Selbstbetrug. Und Propagande derjenigen, die sich davon Gewinn versprechen. Die These vom Primat des Individuums ist ebenso absurd wie die These vom Primat der Gesellschaft. Der liberalistisch-kapitalistische Versuch wird ebenso kläglich scheitern wie der sozialistisch-totalitäre.

4. Was könnten die Grundzüge des neuen Menschenbildes sein, das die falsche Alternative vermeidet, entweder dem Einzelnen oder der Gruppen Vorrang zu geben und stattdessen die Balance sucht? Das anerkennt, dass ein nur ein Mensch ist, wer in einer menschlichen Gruppe enkulturiert ist. Das der seltsamen Strömung sicht entzieht, die behauptet, bereits ein Angehöriger der Gattung homo sapiens sapiens sei ein Mensch, diesen also auf eine biologische Definition reduziert hat. Das der Falle entgeht, das individuelle Leben sei das allerhöchste Gut und um jeden Preis zu vermehren und zu verlängern. Etc. etc.

Negative Grundthese:

Das Normalargument für Naturschutz lautet im Grundton: ihr müsst die Natur bewahren, um das Weiterleben der Menschen zu ermöglichen — natürlich sagt man: aller Menschen, meint aber einige, jedenfalls, was das bessere Leben betrifft; also im besonderen jener, die das Bewahren der Natur empfehlen.

Damit stellt sich die Frage, ob ein instrumentalisierender Naturschutz ausreicht; ob ein solcher zwar besser als keiner, aber als solcher nicht ein verlässlicher ist, weil das Risiko aus dem Ruder laufender Instrumentalisierung ja wohl nicht vermieden werden kann. Denn die Erdoberfläche im Verbund mit der Sonne ist offensichtlich im wesentlichen ein (weitgehend abgeschlossenes) System, während das wissenschaftliche und das politische Handeln diese Tatsache weitgehend verleugnen. Vermutlich in der Hoffnung, auf diese Weise letztlich die Konkurrenten übertrumpfen zu können. In beiden Bereichen wird seit einigen Jahrhunderten (seit Beginn der universellen Ideen- und Gütertransportation und dem ungefähr zeitgleichen Verlust der Gültigkeit von umfassenden Wertsystemen in den vorher weitgehend isolierten Subsystemen) so viel Unheil angerichtet

Das Hauptproblem heute ist die Verbindung der instrumentalisierenden Ausbeutung (wohl als solche relativ harmlos wäre, bzw. sich eben innerhalb einer Strategie langfristig durchführbarer Instrumentalisierung, auf die man sich früh in der Aufklärungsperiode wohl noch hätte einigen können, wenn man das Problem thematisiert anstatt verleugnet hätte) mit der fortschrittsdarwinistischen Kompetitionsverherrlichung innerhalb eines individualisierenden Menschenbildes.

Das geltende Menschenbild (im Westen, und ausbreitend) verlangt die Instrumentalisierung der Natur. Solange das gilt, ist Natur- und Umweltschutz nur als Bestandteil langfristiger Instrumentalisierung möglich dh Nutzung, Ausbeutung etc.) prioritär zugunsten der Menschen; d.h. einiger Menschen; und gewiss zum Nachteil anderer).

Positive Grundthese:

Nur ein Menschenbild, welches uns selbst als Teil der Natur, welches das Kulturelle, das Eigentliche der Menschen, als Fortführung der Natur, nicht als ihren Gegensatz, begreift, wird auf Dauer erlauben, dass die Menschen in ihrer Welt bestehen können und nicht durch ihr Handeln weite Teile der Natur mit sich selbst zerstören.

Das kann man in die Notwendigkeit der Einsicht übersetzen, dass jede Übernutzung der Natur letztlich nicht nur in der Natur dort schadet, sondern auch in der Natur hier: also den Menschen selbst.

Inkommensurabilitätsthese: Die natur- und umweltschutzorientierten Forschungsprogramme (so weit ich sie überschaue) scheinen mir allesamt der Problemlage inkommensurabel, weil sie sich, explizit oder implizit, innerhalb des Instrumentalisierungsprogramms der Natur bewegen, dh letztlich (in biologistischer und ökonomistischer Hinsicht) fortschrittsdarwinistisch und kompetitionsorientiert operieren.

Ein Beispiel:

Northwestern University's Program in Cognitive Studies of the Environment

Northwestern University's Program in Cognitive Studies of the Environment is an interdisciplinary research consortium made up of cognitive psychologists, cultural anthropologists, ecologists, biologists, and linguists. Our goal is to apply theories of decision making, concept formation, and reasoning to policy-relevant goals for an integrated assessment of humankind's changing relationship to its natural resources, such as forests, fauna, wetlands and waters.

We focus on major questions concerning cognitive aspects of environmental change such as

(1) how are culturally informed cognitive models of the environment developed and to what extent does environmental behavior arise from such models?

(2) What are the cognitive consequences of diminished contact with the natural world?

(3) How do mental models influence decision-making about tradeoffs between environmental and economic concerns?

Answers to these questions are highly relevant to policy and environmental education as well as theories of cognition. We believe that progress on these issues and can only be achieved by interdisciplinary research and training, which is one of the major goals of the program.

Research

A central challenge facing humankind is the survival and well-being of our environment. On a world-wide scale we are faced with rapidly declining biodiversity, disappearing habitats, and a variety of other threats to sustainability. It is not surprising then that considerable attention has been directed at environmental policy and institutions associated with resource management. Although the institutional structures associated with environmental stewardship are critically important, we believe that the human dimensions of global environmental change may be at least as important. The cognitive aspects of environmental decision making and behavior have received almost no attention so far.

Northwestern University's Program in Cognitive Studies of the Environment has the goal of transforming theories of decision making, concept formation, and reasoning into policy-relevant goals for an integrated assessment of humankind's changing relationship to its common resources, such as the Earth's forests, fauna, wetlands and waters. The environmental issues confronting individuals, groups, and institutions are critically affected by the psychological processes of the decision makers. Our objective is to address major questions concerning the cognitive side of environmental change such as the following:

1. To what extent do environmental problems arise from the fact that people do not have appropriate models or understandings of the environment?

2. How are mental models of the environment developed and how are they linked to action?

3. What are the cognitive consequences of diminished contact with the natural world?

4. How do mental models of the environment conflict with, facilitate, or inhibit the search for negotiated solutions between environmental and economic concerns?

5. How do mental models influence decisions about tradeoffs between environmental and economic concerns? What factors lead the same resource to be viewed as exchangeable by some people but inviolable by others?

Zitate oder Paraphrasen aus: www.psych.nwu.edu—Intro.html

Project coordinator: Dr. Norbert Ross Email: n-ross@nwu.edu

An die Projektfragen anschliessende Fragen:

Sind die Kriterien der Projektplanung und Erfolgsbewertung (biodiversity, habitat disappearance, threats to sustainability) brauchbar? In welcher Hinsicht (nicht)? — Diese Eigenschaften der Umwelt sind doch in aller Regel normale Evolutionsparameter. Es kann aber unmöglich die Natur “stabilisiert” werden. Die Erreichung solcher Kriterien könnten gerade auch die Eigenprozesse der Natur zur Reaktion auf die humanogenen Einflüsse unterbinden. Denn entscheidend ist doch nicht, was hier und dort geschieht; sondern was überall geschieht: dass sehr vielen Lebenwesen der Raum und die Existenzgrundlage genommen wird, wenn sie den Menschen nicht direkt nützen. Das scheint ein völlig kopfloses Programm; charakterstisch für genau die Art Einflüsse, die es neutralisieren soll.

Ein anderes Beispiel:

die sog. Umweltverantwortliches Handeln-Programme, Forschung und Aktion (Schwerpunktprogramm 199x-200x des Schweiz, Nationalfonds).

Zum Individualismusprinzip und dem zugehörigen Feld:

Es scheint ein unvermeidliches und insofern schützenswertes Wertkriterium, dass jedes Individuum, welches einmal existiert, weiterexistieren können und sich in gewisser Weise auch entfalten können muss. Obwohl es seit Menschengedenken laufend zur Durchsetzung von Partikulärinteressen gebrochen wird. Das einmal akzeptiert, gibt es vermutlich nur zwei Wege der Eindämmung des quantitativen und qualitativen Wachstums der Menschen mit den dadurch bedingten Wirkungen auf die Erdoberfläche: (a) Anzahl der Geburten einschränken, weltweit, und zwar recht rasch und radikal; (b) die Entfaltung und deren Wirkungen über die Fortpflanzungstätigkeit hinaus auch bezüglich Stoff- und Energieumsatz begrenzen, ebenso gründlich und besser schon vorgestern als erst morgen. Beides widerspricht so fundamental dem gegenwärtigen westlichen Menschenbild, dass für solche politischen Programme keine Chancen bestehen, ja dass sie leicht im Namen von Menschrechtserklärungen gehindert werden können.

Impliziert das einen falschen Entwurf, eine irrige Visioin oder eine problematische Menschensrechtsformulierung?

Ich bin dezidiert für das letztere und kann mich daher immer weniger für das Menschrechtsprogramm des Westens einsetzen, so sehr ich seine grossen Emanzipationsleistungen re unmenschliche Verhältnisse von Tyrannei durch Individuen und Gruppen hochschätzen kann.

In der Essenz scheinen mir diese Alternativen — Gleichheitsideal mit Programmierung und “demokratischer” Durchsetzung eines Gleichheitherstellungsprogramms einerseits und pervertierte Interessenherrschaft anderseits — gleichermassen menschenunwürdig. Weder ein Primat der Gruppe noch ein Primat des Individuums ist begründbar, da kein menchliches Individuum ohne Gruppe und ebenso keine Gruppe ohne innovative und stabilisierende Individuen existieren können. Das ist eine falsche Entgegensetzung.

Übrigens: Die Gruppe, hier verstanden, reicht über die aktuelle Gruppe im Raum auch in der Zeit rückwärts und vorwärts.

>>> Semiotische Ökologie, als ein Versuch, das hier skizzierte Denken in einem allgemeineren Zusammenhang aufzuformulieren und auf seine Stimmigkeit hin zu prüfen.

Zum Natur- und Kulturbegriff

Es gibt wohl keine sinnvolle und durchführbare Unterscheidung zwischen Natur und der Fortsetzung der Differenzierung von Menschen und ihren Umwelten in der Kultur bzw. in den Kulturen der Welt. Das ist ebenso eine falsche Entgegensetzung. Begründungen wohl aus christlicher Theologie, hellenisch-hellenistischem Idealismus, aufklärerischer Fortschrittsgläubigkeit, u.ä. Vulgärdarwinismus führt aus dieser Falle nicht hinaus, im Gegenteil.

Einer der, in meiner Meinung der allergrösste Schäden, den Menschen angerichtet haben, ist die Zerstörung des grössten Teils der Kulturen der Welt in den letzten rund 3 Jahrhunderten. Sind mit der Zerstörung der Lebensformen und der Lebensgrundlage von schätzungsweise gegen 8000 Kulturen der Welt Teile der Natur oder Teile der Kultur oder beides betroffen worden. Was ist der moralisch verwerflichere Schaden?
sammenhang